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Der Freibeuter – Kanonen- und Schiffstaufe

Der-Freibeuter-Dritter-TeilDer Freibeuter
Dritter Teil
Kapitel 8

Görzens Rat war nicht vergeblich gewesen. Norcroß spielte von diesem Tage an mit dem Kammerherrn von Wollstrupp seine Komödie. Zuerst hielt er in ihrem Streit ihm weniger als sonst die Widerpart, stellte sich dann mehr und mehr überzeugt und äußerte endlich, wenn sich ihm nur eine Gelegenheit böte, vorteilhafter platziert zu werden, so sei er gar nicht abgeneigt, die Dienste des Königs von Schweden zu verlassen, der ihn trotz aller Freundschaft schlecht bedacht habe. »Was hilft mir die freundliche Herablassung«, sagte er, »ich kann sie beim Wechsler nicht zu Kleingeld machen und mir keinen Krug Wein davon kaufen. Obwohl man mir immer und immer vorsagt, der König sei mein Freund, so bin ich doch Kaperkapitän wie vor drei Jahren.«

»Das ist es ja eben, was ich Euch stets eingeredet habe, Kapitän«, versetzte der Kammerherr listig lächelnd. »Ein Mann von Euren Kenntnissen im Seewesen, von Euren Reisen und Erfahrungen, von Euren unberechenbaren Verdiensten um die Schatzkammer des Königs sollte doch billig besser gestellt sein. Inzwischen gäbe es wohl andere Leute, die mit Freuden Eure Verdienste belohnen und mit der Krone der Vergeltung schmücken würden. Es muss ja nicht der König von Schweden sein.«

»Ich wüsste nicht, wer weiter von mir Notiz nehme.«

»Die Generalstaaten würden zu Beispiel Euch sogleich ein Kommando übergeben.«

»Ich mag nicht abhängig sein von wucherischen Kauf- und Handelsleuten. Behüte mich Gott vor solchem Krämerdienst!«

»Die Krone Frankreich würde es sich zur Ehre schätzen, Euch zu ihren Dienstleuten zu zählen. Ich denke, ein Admiralschiff mit den drei Lilien geschmückt, wäre auch keine unfreundliche Wohnung für Euch.«

»Das ließe sich eher hören. Aber wo hätt’ ich eine Aussicht dazu?«

»Kapitän, ich verhehle Euch nicht länger, dass ich von Frankreich beauftragt bin, tüchtige Männer für den See- und Landdienst der französischen Krone zu werben. Einer der vortrefflichsten Männer für den Ersteren seid Ihr. Ich darf Euch eine Kommandeursstelle mit der gewissen Aussicht auf baldige Beförderung anbieten. Ihr habt den Wunsch selbst geäußert, französische Dienste zu haben, hier ist ein schriftliches Instrument. Unterschreibt dasselbe und Ihr seid sogleich Dienstmann Frankreichs.«

Mit diesen Worten zog er ein zusammengefaltetes Papier aus der Tasche und überreichte es dem sich freudig erstaunt stellenden Kapitän. Zugleich war er auch mit Tintenfass und Feder bei der Hand, welches er ebenfalls aus seiner weiten Rocktasche geholt hatte, und machte auf dem Werktisch eines Zimmermanns Anstalten, sich damit auszubreiten.

»Ich will’s mir zu Hause mit Verstand durchlesen und überlegen«, sagte Norcroß und wollte das Papier einstecken.

»Ich bitte Euch, Kapitän«, rief der Kammerherr ängstlich, »lest und unterschreibt gleich jetzt. Ihr habt ja die schönste Muse dazu.«

»Im Gegenteil bin ich durch Euren unerwarteten und mir so sehr erwünschten Antrag ganz zerstreut. Ich muss mich wirklich erst sammeln, ehe ich etwas lesen kann. Ich bin jedenfalls der Eure, und morgen schon habt Ihr das Instrument unterschrieben zurück.«

»Aber ebenso gut könnt Ihr es ja auch jetzt unterschreiben, Kapitän. Was wollt Ihr zaudern? Ergreift Euer Glück schnell! Was bedarf es da des Überlegens? Hier ist Tinte und Feder.«

»Aber, Herr Kammerherr, Ihr werdet mich doch nicht zwingen. In meinem Leben habe ich noch keinen Wisch in einer Zimmermannswerkstätte unterschrieben, geschweige ein so wichtiges Instrument. Ich muss es zu Hause lesen und unterzeichnen und damit Basta! Wenn Euch so sehr an Eile liegt, so kommt heute Abend zu mir, dann sollt Ihr es mit der Unterschrift zurückerhalten.«

»So will ich lieber jetzt gleich mitgehen!«

»Traut Ihr mir nicht, der ich Euch doch getraut habe? Wenn dies der Fall ist, so nehmt Euer Papier wieder zurück, wie es ist, und ich bleibe, wo ich bin. Hier ist es!«

»Nein, so war es nicht gemeint. Ihr missversteht mich, Kapitän. Die Vorsicht und der Wunsch, Euch recht bald glücklich zu machen, veranlassten mich zu solcher Eile.«

»Nun gut, so holt es diesen Abend ab.«

Der Kammerherr ging und Norcroß verfügte sich unverzüglich mit dem Papier zum König, weil Görz wieder nach Aland zurück war. Der König ließ ihn sogleich vor sich, und Norcroß unterrichtete ihn von des Barons Befehl in Betreff des Kammerherrn von Wollstrupp und dem Erfolg desselben, indem er ihm das von Letzterem erhaltene Instrument überreichte.

Der König durchlas die Schrift mit sichtbarem Wohlbehagen und gab sie dann mit den Worten zurück: »Görz gab Euch einen klugen Rat. Tut mir den Gefallen und unterschreibt das Papier. Wir wollen doch sehen, was er danach damit beginnen wird.«

Norcroß tat nach des Königs Willen. Am Abend holte der Kammerherr das Doknment und versprach goldene Berge.

Am anderen Morgen hatten sich in der königlichen Stückgießerei auf dem Ritterholm, unweit des Palastes, mehrere Freunde des Kapitäns und eine Menge Seeoffiziere und Matrosen versammelt. Norcroß gab nämlich in Juels Namen, dessen Ehrentag heute war, ein kleines Fest. Noch vor Tagesanbruch war die Kanone gegossen worden, welche des jungen Matrosen Namen führen sollte. Die Gießerei war festlich ausgeschmückt und mit Kränzen behangen. Ein großer Volkshaufen harrte am Eingang, darunter eine gemeine Frau, die Witwe eines Schiffers, um die sich die Menschen drängten und ihre Worte vernahmen, ihr zu Gefallen schluchzten und weinten, und ihre Äußerungen weitertrugen, bis sie von Mund zu Mund gingen. Es war Juels Mutter, die auf des Kapitäns Wunsch hierher gekommen war, ihrem wackeren Jungen eine Überraschung zu bereiten. Bald erschien Kapitän Flaxmann mit einem Musikkorps. Die Matrosen, welche mit Juel zusammen auf dem Graf-Mörner gedient hatten, waren mit neuen Jacken, weißen Hosen, hellroten Leibbinden und Bändern auf den Hüten geschmückt. Flaxmann ordnete ihre Stellung an. Juels Mutter wurde herbeigeholt und unter die Matrosen platziert.

Bald darauf trat Kapitän Norcroß in der Staatsuniform mit Feierlichkeit in die Werkstatt, Juel im neuen Matrosenanzug an der Hand. Als sie den inneren Raum der Gießerei betraten, schallte ihnen ein Vivat der Versammelten entgegen. Das Musikkorps spielte auf. Juel nahm seinen Hut ab und dankte bescheiden.

Der Kammerherr von Wollstrupp hatte sich ebenfalls eingefunden und drängte sich gewohnter Maßen an Norcroß. Dieser beachtete ihn aber nicht. Hierauf sagte er Jueln fade Schmeicheleien, der Bursche sah ihn mit großen Augen an und antwortete keine Silbe.

Während die Musik ein Matrosenlied aufspielte, in welches die meisten singend einstimmten, wurde die Kanone noch im Mantel aus der Grube gehoben und in den Vordergrund gebracht. Nun erhielt Juel einen Hammer und Norcroß befahl ihm, den Mantel zu lösen. Im weiten Kreis umstand ihn das Volk. Juel tat, wie ihm befohlen war. Nach wenigen Schlägen sprang der Mantel und die Kanone schälte sich heraus. Sie wurde mit Jubelgeschrei begrüßt, die neugeborene Tochter des Kampfes. Die Gießer hoben sie sogleich auf ein bereitstehendes Gestell, sodass die Inschrift von allen gesehen werden konnte.

»Juel Swale Donnerschütz!«, scholl es wie aus einem Munde, und der überraschte Knabe ließ den Hammer fallen und starrte mit freudetränenden Augen auf den Namen. Da trat der Kapitän hinter ihn und hob ihn auf die Kanone, sodass er reitend darauf zu sitzen kam.

»Vivant, Vivant Juel Swale und Juel Swale Donnerschütz!«, rief die Menge, und des Knaben Mutter trat mit einem Blumenkranz heran und setzte ihn denselben laut weinend auf den Kopf.

Der Knabe sank ihr ebenfalls weinend um den Hals und rief:»O lieb’ Mütterlein, nun ist meine Freude vollkommen, dass ich dich auch hier sehe. Das hat der Kapitän getan. O, wie dank ich ihm!«

Hierauf kamen die Matrosen mit einer Lafette, hoben die Kanone samt dem Knaben darauf und banden ihn mit Blumenketten fest. Darauf gaben sie ihm in jede Hand eine bunte Flagge und zogen unter Aufspielung eines fröhlichen Marsches die Lafette an einem langen Schiffstau, ihrer mehr als hundert, fort. Als sie gerade aus der Werkstatt hinaus wollten, begrüßt vom Jubel des draußen harrenden Volkes, hieß es plötzlich: »Der König! Der König!« Und das Volk bildete eine breite Gasse, durch welche König Karl an der Spitze mehrerer Generäle und Admiräle hindurchschritt. Alle Häupter entblößten sich; eine tiefe Stille trat ein. Der König trat zu dem bekränzten Knaben heran und sprach mit Würde: »Mein Sohn, du hast deinem König treu gedient, dein König dankt dir dafür. Sobald Kapitän Norcroß, nach meinem Wunsch, in die Admiralität tritt, bist du Marinekadett und studierst die Seewissenschaften auf meine Kosten. Nimm einstweilen dies als Lohn!« Und damit übergab er ihm einen vollen Geldbeutel. Juel bedankte sich und die Menge brachte dem König ein donnerndes Vivat. Hierauf wandte sich Karl an Norcroß sagend: »Euch, Kapitän, danke ich für diesen Knaben mit diesem Papier. Eure Feinde hatten es schlimm mit Euch vor. Jener Schurke dort«, er deutete auf Wollstrupp, »glaubte Euch sicher zu verderben. Er hat nur dazu beigetragen, Euch in meiner Gunst zu festigen.«

Norcroß empfing das Dokument aus des Königs Hand zurück, welches man demselben schon beim Lever überreicht hatte, um den Kaperkapitän zu stürzen. Er warf es dem erschrockenen Kammerherrn mit den Worten vor die Füße: »Hier, Elender, nimm das Zeichen meiner tiefsten Verachtung! Du bist nicht wert, dass ein Ehrenmann dir weitere Aufmerksamkeit schenkt.«

Der feige Kammerherr floh aus der Gießerei.

»Die Burschen zechen heute auf meine Kosten, Kapitän!«, sagte der König und ging, vom Jubelruf des Volkes begleitet. Sogleich ergriffen die Matrosen das Tau und der lange Zug setzte sich, unter Musik und Gesang, in Bewegung. Die Offiziere folgten paarweise dem bekränzten Kanonenreiter, in Massen wälzte sich das Volk um das seltsame Schauspiel. Zur Rechten Juels ging Norcroß, zur Linken seine Mutter. Die Musik zog voran. So ging es vom Ritterholm langsam bis zum Hafen hinab, wo ein großer Schmaus, Tanz und Spiel, bei Bechergeläute, die schöne Feierlichkeit beschloss.

Vier Wochen darauf hatte sich eines Morgens noch mehr Volk im Hafen versammelt. Alles wogte und drängte sich, und die Ufer des Meerbusens waren weithin mit bunten Menschenreihen eingefasst. Der König zog mit seinem Hofstaat heran, er selbst einfach wie immer. Im Hafen lag ein großes, neues Schiff, leuchtend wie ein Sternenbild. Der Wind spielte lustig in den flatternden Wimpeln, auf dem Verdeck war nichts als Leben und Bewegung. Boote umschwärmten es in großer Anzahl. Es wurde von allen Seiten in Augenschein genommen. In stolzer Ruhe lag das neue Meerhaus und ließ sich von den Wellen belecken, die wie in neugieriger Freude daran hinaufhuschten. Eine prächtige Barke trug den König mit seinen Generälen, Admirälen und übrigen Hofherren an Bord der neuen Fregatte, welche heute getauft werden sollte. Himmel und Meer schienen diesen Tag durch das herrliche Sommerwetter feiern zu wollen. Die Sonne vergoldete die Wasser und umspann das neue Schiff mit Strahlen, gleichsam sich freuend über den funkelnden Bau.

Der König stand auf dem Hinterdeck hoch und von allem Volk gesehen. Bänder wehten von den mit Blumenketten umwundenen Masten herab. Das Musikkorps war auf dem unteren Verdeck mit dem Hofstaat und den Seeoffizieren aufgestellt. Kapitän Norcroß, auf des Königs Befehl, vornan.

»Diese Fregatte soll heißen. Dänenfeind!«, rief der König laut. »Dänenfeind!«, flog es von Mund zu Mund auf dem Verdeck, über die Boote hin das Ufer entlang, bis der Donner der Kanonen den Ruf verschlang. Juel Swale hatte das Recht, zuerst zu schießen. Er weihte mit seiner Kanone das Schiff ein.

»Dänenfeind«, jubelte er und legte die brennende Lunte auf. Und »Der Donnerschütz« bewährte seinen Namen. Weithin rollte der Donner des Schusses über Land und Meer, und das Echo der felsigen Holme wiederholte ihn und trug ihn bis zu den Türmen der Hauptstadt hinab. Darauf wurden die vierundachtzig Kanonen des Dänenfeindes nacheinander gelöst, die Taue, welche das Schiff noch am Ufer gehalten hatten, ebenfalls gelöst, die Ruder setzten sich in Bewegung, und unter Jubelgeschrei und dem Schmettern der Musik lief die Fregatte vom Stapel. Unzählige Boote begleiteten sie. Nach einer Stunde ließ sich der König zurückrudern. Einer um den anderen von den Begleitern schied. Endlich riss sich Norcroß auch aus den Armen seiner Frau, und der Dänenfeind lief allein die noch ungewohnte Meerbahn stolz und sicher, wie ein junges arabisches Pferd, wenn es zuerst die Rennbahn betritt.