Die Skalpjäger – Seguin
Thomas Mayne Reid
Die Skalpjäger
Erster Teil
Dreizehntes Kapitel
Seguin
»Sie sind wohler – Sie werden bald wieder gesund sein. Es freut mich, zu sehen, dass Sie genesen.«
Er sagte dies, ohne mir seine Hand zu bieten.
»Ich verdanke Ihnen mein Leben, nicht wahr?«
Es ist seltsam, dass ich mich in dem Augenblick, wo ich den Mann sah, überzeugt fühlte. Ich glaubte, dass mir schon früher, nachdem ich aus meinem langen Traum erwachte, eine solche Idee in den Sinn kam. Hatte ich ihn bei meinen Forschungen nach Wasser angetroffen oder hatte ich es bloß geträumt?
»Ja«, antwortete er lächelnd, »aber Sie werden sich daran erinnern, dass ich einigermaßen daran schuld war, dass Sie in Gefahr gerieten, es zu verlieren.«
»Wollen Sie diese Hand nehmen? Wollen Sie mir verzeihen?«
Es liegt doch selbst in der Dankbarkeit etwas Egoistisches. Wie seltsam hatte sie meine Gefühle gegen diesen Mann verändert. Ich bat um die Hand, welche ich erst vor wenigen Tagen, im Stolz meiner Moralität, als etwas Verabscheuungswürdiges zurückgewiesen hatte.
Aber ich wurde noch von anderen Gedanken beeinflusst. Der Mann vor mir war der Gatte der Dame, war Zoes Vater. Sein Charakter, sein entsetzlicher Beruf waren vergessen, und im nächsten Augenblick umschlossen sich unsere Hände mit dem Druck der Freundschaft.
»Ich habe nichts zu verzeihen. Ich ehre das Gefühl, welches Sie antrieb, so zu handeln, wie Sie es taten. Diese Behauptung wird Ihnen vielleicht seltsam erscheinen. Nachdem, was Sie von mir wussten, handelten Sie recht, und es wird vielleicht eine Zeit kommen, Sir, wo Sie mich besser kennengelernt haben – wo die Taten, die Sie verabscheuen, Ihnen nicht bloß verzeihlich, sondern auch gerecht erscheinen werden. Für jetzt genug davon. Die Absicht, weshalb ich jetzt an Ihr Lager trete, ist die, Sie zu bitten, das, was Sie von mir wissen, hier nicht zu verraten.«
Seine Stimme sank, als er dies sagte, zu einem Flüsterton und er deutete dabei zu der Tür des Zimmers.
»Aber wie«, fragte ich, da ich seine Aufmerksamkeit von diesem unangenehmen Thema abzulenken wünschte. »Wie bin ich in dieses Haus gekommen? Es gehört, wie ich bemerke, Ihnen. Wie bin ich hierhergekommen? Wo haben Sie mich gefunden?«
»In einer nicht etwa sicheren Lage«, antwortete er lächelnd. »Ich kann kaum auf das Verdienst, Sie gerettet zu haben, Anspruch erheben. Sie haben Ihrem edlen Pferd dafür zu danken.«
»O, mein Pferd, mein wackerer Moro! Ich habe ihn verloren!«
»Ihr Pferd steht am Maistrog, keine zehn Schritte von Ihrem Lager. Ich glaube, dass Sie es in einem etwas besseren Zustand finden werden, als zu der Zeit, wo Sie es das letzte Mal sahen. Ihre Maultiere sind draußen, Ihr Gepäck ist in guter Ordnung. Sie werden alles hier finden!« Er deutete auf das Fußende des Bettes.
»Und …?«
»Sie möchten nach Godé fragen?«, unterbrach er mich. »Seien Sie um seinetwillen unbesorgt, auch er ist in Sicherheit. Er ist jetzt abwesend, wird aber bald da sein.«
»Wie kann ich Ihnen danken! Dies sind tatsächlich gute Nachrichten. Mein wackerer Moro … und Alp! … hier! … aber wie, Sie sagen, dass mein Pferd mich gerettet habe? Es hat es schon einmal getan. Wie war dies möglich?«
»Einfach auf die folgende Weise. Wir fanden Sie mehrere Meilen von diesem Haus auf einer Klippe, von welcher man auf den Rio del Norte hinabschaut. Sie hingen oben am Rand an Ihrem Lasso, das sich durch einen glücklichen Zufall um Ihren Leib geschlungen hatte. Das eine Ende davon war an den Gebissring geknüpft, und das edle Tier hatte sich auf seine Hinterschenkel zurückgeworfen und hielt Ihre Last mit seinem Hals.«
»Der herrliche Moro! Welche entsetzliche Lage!«
»Ja, das können Sie wohl sagen. Wenn Sie hinabgestürzt wären, so würden Sie tausend Fuß tief gefallen sein, ehe Sie unten die Felsen erreicht hätten. Es war tatsächlich eine furchtbare Lage.«
»Ich muss bei dem Suchen nach Wasser hinüber geschwankt sein.«
»Sie sind in Ihrem Delirium über den Rand geschritten. Sie würden es zum zweiten Mal getan haben, wenn wir Sie nicht daran gehindert hätten. Als wir Sie auf die Klippe zogen, rangen Sie mit uns, um wieder zurückzueilen. Sie sahen das Wasser unter sich, aber nicht den Abgrund. Der Durst ist etwas Entsetzliches – an sich selbst schon ein Wahnsinn.«
»Ich erinnere mich an einiges von alledem. Ich dachte, dass es ein Traum gewesen wäre.«
»Zerbrechen Sie sich den Kopf nicht mit diesen Dingen. Der Doktor hier ermahnt mich, Sie zu verlassen. Ich habe wie gesagt, einen Zweck dabei, sonst würde ich Ihnen diesen Besuch nicht gemacht haben.«
Hier zog ein trüber Ausdruck über das Gesicht des Sprechenden.
»Ich habe nicht viele Momente übrig. Heute Nacht schon muss ich weiter – fern von hier sein. In wenigen Tagen werde ich zurückkehren. Beruhigen Sie sich unterdessen und genesen Sie. Der Doktor wird dafür sorgen, dass es Ihnen an nichts mangelt. Meine Frau und meine Tochter werden Sie pflegen.«
»Dank! Dank!«
»Sie werden wohl tun, da zu bleiben, wo Sie sind, bis Ihre Freunde von Chihuahua zurückkehren. Sie werden nicht weit von hier vorbeikommen und ich werde es Ihnen mitteilen, wenn sie in der Nähe sind. Sie sind ein halber Gelehrter. Hier befinden sich Bücher in verschiedenen Sprachen, unterhalten Sie sich – sie werden Ihnen Musik machen. Leben Sie wohl!«
»Warten Sie noch einen Augenblick, Sir. Sie scheinen eine sonderbare Caprice für mein Pferd gefasst zu haben.«
»O, Monsieur, es war keine Caprice, aber ich werde Ihnen das ein anderes Mal erzählen, wenn vielleicht die Notwendigkeit nicht mehr vorhanden ist.«
»Nehmen Sie es, wenn Sie wollen – ein anderes wird meinem Zweck auch entsprechen.«
»Nein, denken Sie, dass ich Sie dessen berauben könne, was Sie so hoch schätzen und mit so gutem Grund dazu? Nein, nein, behalten Sie den guten Moro. Ihre Anhänglichkeit an das edle Tier wundert mich nicht.«
»Sie sagen, dass Sie heute eine lange Reise zu machen haben? Nehmen Sie es für dieselbe.«
»Dieses Anerbieten nehme ich gern an, denn mein Pferd ist allerdings erschöpft. Ich bin seit zwei Tagen im Sattel. Nun, Adieu!«
Seguin drückte meine Hand und entfernte sich. Ich hörte das Klirren seiner Sporen, als er durch das Zimmer schritt, und im nächsten Augenblick schloss sich hinter ihm die Tür.
Ich war allein und lauschte auf jeden, von außen zu mir dringenden Laut. Etwa eine halbe Stunde später hörte ich den Hufschlag eines Pferdes und sah den Schatten eines Reiters am Fenster vorüberstreifen. Er hatte seine Reise angetreten, ohne Zweifel, um eine blutige, mit seinem furchtbaren Beruf in Verbindung stehende Pflicht zu erfüllen.
Ich lag noch eine Zeit lang in peinlichem Nachdenken über diesen seltsamen Mann. Endlich unterbrach aber eine liebliche Stimme meine Gedanken. Vor mir erschien ein holdes Gesicht, und der Skalpjäger war vergessen.