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Die Macht der Drei – Teil 44

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Seit jener Stunde, in der Diana die Todesnachricht Erik Truwors empfing, in der sie in der Fülle überströmender Gefühle ihre ganze Vergangenheit vor Lord Horace bloßlegte, war das Verhältnis der Gatten ein anderes geworden. Lady Diana zog sich nach Maitland Castle zurück. Lord Horace blieb in London, um sich mit verdoppeltem Eifer den Regierungsgeschäften zu widmen. Nicht nur die Sorge um das Land trieb ihn dazu, sondern wohl ebenso stark das Verlangen, sich durch angestrengte Arbeit zu betäuben, durch rastlose Tätigkeit der quälenden Gedanken ledig zu werden, die ihn seit jener Unterredung nicht loslassen wollten.

Mit dem Toten hatte er bald abgeschlossen. Was Diana getan hatte, um dem Jugendgespielen, dem Mann, dessen Gattin sie werden sollte und fast war, den Abschied vom Leben leicht zu machen, das hatte er mit der abgeklärten Ruhe des gereiften Mannes verstehen und verzeihen gelernt.

Die Unruhe und Qual schuf ihm der andere. Der Lebende, den Diana noch für tot hielt. Und zu dessen Vernichtung sie doch ihre Hand geboten hatte.

War dieser Hass echt? Konnte solcher Hass echt sein?

War es nicht nur in Hass verkehrte Liebe, die wieder Liebe werden konnte?

Erik Truwor lebte!

Wie würde Diana die Nachricht von seiner Rettung aufnehmen?

Er bangte vor der kommenden Stunde und sehnte sie doch herbei.

Die Nachricht, dass sie nach London kommen solle, erreichte Diana um die vierte Nachmittagsstunde in Maitland Castle. Der Diener, der ihr die Botschaft überbrachte, hatte längst den Raum verlassen. Diana saß immer noch regungslos und hielt das Papier in den Händen. Das Faksimile des chemischen Fernschreibers zeigte die charakteristischen Schriftzüge ihres Gatten. Nur wenige Worte.

»Ich bitte dich, umgehend nach London zu kommen.«

Was bedeutete diese Botschaft? Horace rief sie … rief sie … warum?

Ihre Brust wogte im Widerstreit der anstürmenden Gefühle. Seit jenem Tag der Aussprache hatte sie Horace nicht wieder gesehen. In stillschweigender Übereinkunft hatte sie sich einer freimütigen Verbannung unterworfen.

Ihre hellsichtigen Frauenaugen erkannten wohl, dass ein Mann, auch wenn er die Großherzigkeit ihres Gatten besaß, nicht so leicht und schnell über das Hinwegkommen konnte, was sie ihm in ihrer Seelennot offenbarte. Deshalb hatte sie gewartet. Von Tag zu Tag … geduldig. Doch je länger sie warten musste, desto schlimmer fraß die Pein des Wartens an ihr. Ihre Liebe zu Horace war so stark und rein, dass ihr nicht einen Augenblick der Gedanke kam, ganz andere Ängste und Sorgen könnten ihres Gatten Herz beschweren. Hätte sie es gewusst, wie leicht wäre es ihr gewesen, seinen Argwohn zu zerstreuen.

In windender Fahrt trug die schnelle Maschine Diana Maitland, ihre Zweifel, ihre Hoffnungen und Wünsche nach London.

Ohne sich erst in ihre eigenen Räume zu begeben, betrat sie das Arbeit zimmer ihres Gatten. Lautlos schlossen sich die schweren Portieren hinter ihr. Der schwellende indische Teppich dämpfte ihren Schritt.

Lord Horace saß am Schreibtisch, das Gesicht dem Fenster zugewandt.

Diana umfasste seine Gestalt mit ihren Blicken.

Was dachte er?

Wie wird er ihr entgegentreten?

Der erste Gruß. Wie wird er sein?

Tonlos formten ihre Lippen das eine Wort: »Horace!« Der Hauch drang nicht an sein Ohr.

»Horace!« Rau und gepresst tönte der Name durch den Raum.

»Diana!« … Lord Horace war aufgesprungen. Die Gatten standen sich gegenüber. Ihre Blicke begegneten sich und wichen einander aus.

Dianas Herz krampfte sich zusammen. Was sie erhoffte, was sie ersehnte … es war es nicht. Ihre Augen wurden still. Ein konventionelles Lächeln spielte um den Mund, als sie sagte: »Du hast mich rufen lassen, Horace.« Ihre Hände berührten sich, und doch verspürte keine den Druck der anderen.

»Ich danke dir für dein Kommen, Diana. Eine Bitte, die uns beide betrifft und mir besonders am Herzen liegt, trieb mich, dich zu rufen. Ich hatte heute Vormittag eine Unterredung mit Dr. Glossen«

Diana horchte auf.

»Dr. Glossin? Wie kommt der hier her? Es ist doch Krieg. Als Friedensunterhändler? … In Stonards Mission?«

»Nein!«

»Nicht? Weshalb ist er hier?«

»Um Cyrus Stonard zu verraten!«

»Ah …!«

Lady Diana hatte in der Erregung des Gespräches bis jetzt noch nicht die Zeit gefunden, sich zu setzen. Lord Horace rollte ihr einen Sessel herbei.

»Ah! … Das versöhnt mich mit ihm. Welches Glück, wenn dieser Bruderkrieg vermieden wird! Dieser sinnlose Kampf, der Hunderttausende Englisch sprechender Frauen zu Witwen, ihre Kinder zu Waisen macht. Wenn das dem Doktor gelingt, wenn er das schafft, soll ihm vieles, nein, alles verziehen sein.«

Lord Horace wiegte nachdenklich das Haupt.

»Ja, Diana … nicht ganz so, wie du denkst.«

»Wie meinst du das?«

»Der Krieg würde auch ohne das alles in allernächster Zeit beendet sein!«

»Wodurch?«

»Durch die geheimnisvolle Macht der drei in Linnais!«

Diana Maitland sank in ihren Sessel zurück. Sie erblasste, während ihre Augen sich zu unnatürlicher Weite öffneten.

»Die drei in Linnais? … Sind die nicht tot?«

»Wir dachten es … Wir hofften es.«

»Sie leben?«

»Sie leben! Sie haben es deutlich bewiesen. Unsere Stationen müssen ihre Befehle funken.«

»Und die sind? … Die lauten?«

»Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen. Die Macht warnt vor dem Krieg.«

Lord Horace unterbrach seine Rede. Er sah, wie die Augen seiner Gattin sich schlossen und ein frohes Lächeln ihren Mund umspielte. In diesem Augenblick sah sie aus wie ein glückliches Kind, dem ein Lieblingswunsch erfüllt wurde. Er sah es und dachte: Erik Truwor!

Lady Diana sprach wie eine Träumende, wie eine Seherin.

»Ah! … die drei in Linnais … Sie leben … leben und handeln zum Segen der Welt!«

»Zum Segen?«

»Ist es kein Segen, wenn der Krieg vermieden wird? Sinnloses Morden … Totschlag und Raub …«

»Auf den ersten Blick vielleicht. Aber die Folgen werden nicht ausbleiben. Wie wird sich das für die Zukunft auswirken?«

»Die Welt wird ein Paradies sein!«

»Glaubst du?«

»Gewiss, selbstverständlich!«

»Ich nicht … Ich glaube es nicht … kann es nicht glauben …«

»Was?«

»… kann es nicht glauben, dass ein Mann, dem ein Zufall … ein Schicksal solche Macht in die Hände gegeben hat, dass der …«

»Dass der …«

»Dass der die Macht nicht missbraucht!«

»Missbrauchen? Missbraucht?«

»Missbraucht, um die in seine Hand gegebene Menschheit zu knechten. Um sich zum Herrscher der Welt zu machen.« Lord Horace sprach die letzten Worte trübe und sinnend vor sich hin.

»Du fürchtest, dass … dass … nein! Erik Truwor? Nein!«

In der Erregung des Zwiegesprächs waren sie aufgesprungen und standen sich hoch atmend gegenüber.

»Niemals! Niemals!« Diana wiederholte es mit wachsender Überzeugung.

»Dann wäre er ein Gott!«

Die Erregung Dianas löste sich in einem harten, stolzen Lachen. »Ein Gott? … Nein! Ein Mann ist er! Ein Mann!«

»Und wir?« Resignation klang aus den beiden kurzen Worten.

Diana legte ihm die Hände auf die Schultern. »Ihr … ihr … Horace. . ihr seid Politiker. . eure Gedanken gehen nicht über die Grenzen eurer Interessen. Er … er überschaut Reiche! Ihr arbeitet für die Zeit. Er denkt an die Ewigkeit!«

»Du kennst ihn, ich kenne ihn nicht. Du standest ihm nahe … Du bist eine Frau … Wir Männer sehen die Dinge nüchterner. Ich sage dir, es wird kein Paradies auf Erden, aber es wird schweres Unheil für die ganze Welt daraus entstehen.«

»Wenn er ein Mensch wäre wie ihr. Aber er ist der ideale Mensch, der vollkommene Mann. Er wird die Macht … die wunderbare Macht nur zum Wohl der Menschheit, zum Glück der Welt verwenden … Ja, ich kenne ihn. Er geht mit reinem Herzen an die große Aufgabe. Er erstrebt nichts für sich, alles für die Menschheit. Er ist Erik Tuwort Das Wort sagt mir alles.«

Lord Horace sprach nicht aus, was er in diesem Augenblick dachte. Dass auch ihm das eine Wort, der eine Name nur allzu viel sage.

Mit müder Gebärde winkte er ab. »Lass es gut sein, Diana. Was hilft Streiten? Das Geschick wird sich schneller erfüllen, als uns allen lieb ist.

Zurück zu dem Zweck unserer Unterhaltung. Dr. Glossin ließ seine Nichte Miss Jane harte bei seiner Abreise allein in London zurück. Ich versprach ihm, sie bei uns aufzunehmen, bis er zurückkommt.

Das junge Mädchen ist hier im Haus. Ich will gehen und es holen.«