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Die Flusspiraten des Mississippi 2

die-flusspiraten-des-mississippiFriedrich Gerstäcker
Die Flusspiraten des Mississippi
Aus dem Waldleben Amerikas

2. Der Kampf – Smart und Dayton

In Helena herrschte ein gar ungewöhnlich reges Leben und Treiben, und aus der ganzen Umgegend musste hier die Bevölkerung zusammengekommen sein. Überall standen eifrig unterhandelnde Männer, teils in die bunt befransten Jagdhemden der Hinterwäldler, teils in die blauen Jeansfracks der etwas mehr zivilisierten Städter gekleidet, in Gruppen umher, während heftige Reden und lebhafte Gestikulationen ihr Gespräch als ein keineswegs alltägliches verkündeten.

Vor dem Union-Hotel – dem besten Gasthaus der Stadt – schien sich ganz besonders ein nicht geringer Teil dieser Menschenmasse konzentriert zu haben. Der Wirt desselben, eine lange hagere Gestalt, mit blonden Haaren, scharfen Backenknochen, etwas spitzer, gerade vorstehender Nase, aber blauen gutmütigen Augen, kurz, jeder Zoll ein Yankee, hatte schon eine geraume Zeit dem Drängen und Treiben vor seiner Schwelle mit augenscheinlichem Wohlbehagen zugesehen. Im Inneren des Hauses fehlte es allerdings keineswegs an Arbeit. Die tätige Hausfrau hatte, von ihrem Dienstboten und einem Schwarzen unterstützt, alle Hände voll zu tun, die Gäste zu befriedigen und Schlafstellen für diejenigen herzurichten, die zu weit entfernt von Helena wohnten. Trotzdem aber verharrte der Wirt in seiner ruhigen Stellung und kümmerte sich nicht im Geringsten um das innere Hauswesen.

Durch den Wortwechsel und vielleicht auch durch geistige Getränke erhitzt, artete indes die bisherige ruhige, wenigstens friedliche Unterhaltung immer mehr und mehr aus. Einzelne heftige Flüche und Drohungen überschallten zuerst für Augenblicke das übrige Wortchaos. Plötzlich kündeten ein scharfer Schrei und ein wildes Drängen, wie es endlich, was der lächelnde Wirt schon lange ersehnt haben mochte, zu Tätlichkeiten gekommen sei.

Mit halb vorgebeugtem Oberkörper, die beiden Hände tief in den Beinkleidertaschen, die rechte Schulter an den Pfosten seiner Tür gelehnt, stand er da. Man sah es ihm ordentlich an, welches Vergnügen ihm ein Kampf mache, dessen Resultat so ganz seinen Wünschen entsprochen haben musste.

Der nämlich, der den ersten Schlag gegeben hatte, war ein kleiner untersetzter Irländer, mit brennendroten Haaren und womöglich noch röterem Bart, dazu in Hemdsärmeln, mit offenem Kragen und etwas kurzen, eng anschließenden Rankingbeinkleidern, was seiner Figur einen eigentümlich komischen Anstrich gab. Außerdem bewies sich aber Patrik O’Toole nichts weniger als komisch oder auch nur spaßig, sobald er ein paar Tropfen Whiskey im Kopf und irgendeine Ursache zu einem vernünftigen oder raisonnablen Streit, wie er es nannte, hatte. Wenn auch nicht zänkisch, so war er doch der Letzte, der einen Platz verlassen hätte, wo noch die geringste Aussicht zu einer anständigen Prügelei zu erwarten gewesen wäre. So gerechte Sache aber Patrik oder Pat, wie er gewöhnlich im Städtchen hieß, diesmal haben mochte, so sehr fand er sich bald im Nachteil, denn kaum lag sein Gegner vor ihm im Staub, als der größte Teil derer, die bisher wenig oder gar keinen Anteil am Zank genommen hatten, auf ihn eindrangen und den Gefallenen rächen wollten.

»Zurück mit Euch! Weg da, Ihr Blackguards, Ihr Söhne einer Wölfin!«, schrie der Irländer und teilte dabei, ohne Unterschied der Person, nach links und rechts so gewaltige und gut gezielte Stöße aus, dass er die Angreifer blitzschnell zu sicherer Entfernung zurückscheuchte.

»Ehrlich Spiel hier!«, schrie er dabei und streifte sich schnell den immer wieder niederrutschenden Ärmel hoch. »Ehrlich Spiel, Ihr Spitzbuben, einer gegen einen, oder auch zwei und drei, aber nicht acht und neun. Die Pest über euch. Ich klopfe euch die Schädel so breiweich, wie euer Hirn ist … ihr hohlköpfigen Halunken … ihr …«

»Ehrlich Spiel!«, riefen auch einige aus der Menge und versuchten die übrigen Kampflustigen zurückzudrängen. Der zu Boden Geschlagene hatte sich aber in diesem Moment ebenfalls wieder aufgerafft. Das eine blau unterlaufene Auge mit der linken Hand bedeckend, riss er mit der rechten ein bis dahin verborgen gehaltenes Messer unter der Weste vor und warf sich mit einem Schrei des wildesten, unbezähmbarsten Ingrimms auf den ihn ruhig erwartenden Iren.

Dieser jedoch, ohne weiter seine Stellung zu verändern, fing den drohend gegen ihn gerichteten und sicherlich gut gemeinten Stoß auf, indem er den Angreifer am Handgelenk erfasste, zum zweiten Mal niederschlug und nun in dem Rechtlichkeitssinn der ihn Umstehenden hinlängliche Bürgschaft zu finden glaubte, dass sie einen anderen, dem ähnlichen Überfall verhindern würden.

Die Volksmenge schien ihm aber keineswegs geneigt – man entzog zuerst den Besiegten seinen Händen, und dann brach der Sturm in plötzlicher, aber desto verheerender Gewalt über ihn los.

»Zu Boden mit dem irischen Hund! Nieder mit ihm!«, tobten sie. »Er hat Hand an einen Bürger der Vereinigten Staaten gelegt. Was will der Ausländer hier, der übers Wasser Gekommene?«

»Ins Wasser denn mit ihm«, schrie da ein breitschultriger bleicher Geselle, dem sich eine tiefe, noch kaum geheilte Narbe vom linken Mundwinkel bis hinter das Ohr zog, was seinem Gesicht etwas unbeschreiblich Wildes und Unheimliches verlieh. »Ins Wasser mit ihm – die irischen und deutschen Halunken verderben armen ehrlichen Arbeitern ohnedies die Preise. In den Mississippi mit der dünnbeinigen Kanaille, da kann sie mit den Seespinnen Hornpipes tanzen!« Mit diesen Worten, während er einen nicht sehr lauten, aber ganz eigentümlichen Pfiff ausstieß, warf er sich so plötzlich gegen den überraschten Irländer, dass er diesen für den Augenblick zum Wanken brachte. Den geübten Boxer würde er jedoch trotz alledem nicht übermannt haben, wären nicht die ihm zunächst Stehenden und mehrere andere, die sich schnell hinandrängten, rasch zu seiner Hilfe herbeigeeilt. O’Toole sah sich gleich darauf von mehreren Seiten erfasst und zu Boden geworfen.

»In den Mississippi mit dem Schuft«, tobte der Haufen.

»Bindet ihm die Hände auf den Rücken und lasst ihn schwimmen! Fort nach Irland mit ihm, er kann sich unterwegs ein Schiff bestellen«, jubelte ein anderer, und wenn auch Einzelne der friedlicher Gesinnten, die keineswegs wollten, dass ein bloßer Streit ein solch tragisches Ende nehmen sollte, dazwischen sprangen und den Überwältigten zu retten versuchten, so wurden diese doch leicht zurückgehalten. Jauchzend schleppten die Rasenden ihr Opfer dem Flussrand zu.

O’Tooles bange Lage war eine höchst missliche, und er selbst wusste nur zu gut, wie feindlich ein großer Teil der Bewohner von St. Helena gegen ihn gesinnt sei, um nicht das Schlimmste zu fürchten.

Schwerlich würden ihm aber seine verzweifelten Anstrengungen, mit denen er versuchte, den Mördern Trotz zu bieten, etwas genützt haben. Die Übermacht war zu groß und die Nähe des Flusses ließ ihnen auch keine Zeit zum Überlegen, sondern schien ihr Vorhaben eher noch zu begünstigen.

Da war es ein Einzelner, der sich plötzlich mitten zwischen die Wütenden warf und, den Arm des Iren ergreifend, jeden weiteren Fortschritt hemmte. Dieser Einzelne war aber niemand anderes als unser freundlicher Wirt Jonathan Smart, der hier mit einer Autorität sein »Halt – das ist genug!« aussprach, als ob er von dem Haufen ganz besonders zum Friedens- und Schiedsrichter bestellt gewesen wäre.

Die Menge zeigte indessen nicht die geringste Lust, das so unerwartete und ungebetene Einschreiten geduldig zu ertragen.

»Zurück Smart, lasst den Mann los und geht zum Teufel!«

Mehrere ähnliche und gleich freundliche Anreden schallten ihm aus fast jedem Mund entgegen.

Smart aber behauptete nichtsdestoweniger seinen Platz und rief nur mit fester Stimme dagegen: »Ich will verdammt sein, wenn ihr ihm ein Haar krümmt!«

»So sei es denn!«, schrie da der Eine seiner Gegner, zog eine kleine Taschenpistole, richtete sie auf den Yankee und drückte ab. Nun versagte zwar, zum großen Glück des menschenfreundlichen Retters, die Waffe. Jonathan Smart war aber nicht der Mann, der ruhig auf sich zielen ließ. Mit schnellem Griff riss er ein unter seinem Rock getragenes, wenigstens zwölf Zoll langes Bowiemesser vor und führte damit schon in der nächsten Sekunde einen so kräftigen wohlgemeinten Hieb nach dem entsetzt Zurückfahrenden, dass er ihm, wenn jener Stich gehalten, den Schädel unfehlbar mit dem schweren Stahl gespalten haben müsste. Der aber, dem die jetzt Zorn funkelnden Augen des Gereizten nur zu deutlich verrieten, was ihn erwarte, sprang mit lautem Aufschrei zur Seite. Nur noch die Spitze des Messers traf ihn vorn an der Schulter, von wo an sie ihm den Rock bis hinab an den Saum mit einem Hieb aufriss.

Der Schlag war zu tüchtig geführt gewesen, um an dem vollen Ernst des Mannes nur einen Augenblick zu zweifeln. Sein Blick flog auch jetzt mit so dunkelglühendem und herausforderndem Trotz über die anderen hin, dass sie scheu und fast unwillkürlich den Iren losließen. Der aber fühlte seine Glieder kaum wieder frei, als er auch schon rasch emporsprang und nicht übel Lust zu haben schien, den für ihn fast so verderblich gewordenen Kampf an Ort und Stelle zu erneuern. Smart jedoch hielt seinen rechten Arm wie mit eisernem Griff umspannt. Ehe noch die für den Augenblick wie vor den Kopf gestoßenen Männer einen neuen Entschluss fassen oder es über sich gewinnen konnten, dem ihnen so herausfordernd gezeigten Stahl zu trotzen, zog der Wirt den kleinen Engländer mit sich fort, seinem eigenen Haus zu und verschwand gleich darauf im Inneren desselben.

»Verdamm meine Augen!«, schrie da plötzlich der schon früher erwähnte bleiche Geselle mit der Narbe. »Sollen wir uns das gefallen lassen? Wer ist denn der langbeinige Schuft von einem Yankee, der hier nach Arkansas kommt und einem ganzen Haufen ordentlicher Kerle vorschreiben will, was er zu tun und zu lassen hat? Ei so steckt doch dem Halunken das Haus über dem Kopfe an!«

»Bei Gott, das wollen wir – kommt, Boys, holt das Feuer aus seiner eigenen Küche!«, tobte und wütete die Schar. »Nieder mit der Kneipe, die Bestie will so nichts pumpen!«

Die Masse wandte sich – rasch zur Untat entschlossen – gegen das also bedrohte Haus, und wer weiß, wie weit sie in ihrem augenblicklich und heftig entstammten Grimm gegangen wären, hätte sich ihr nicht jetzt, aber mit der freundlichsten, bittendsten Gebärde, ein Mann entgegengestellt, der sie mit hocherhobenen Armen und lauter Stimme bat, ihm einen Moment Gehör zu schenken. Er war hoch und schlank gewachsen, mit offener freier Stirn, dunklen Augen und Haaren und seinen, fast weiblich schön geschnittenen Lippen.

Auch in seiner ganzen Haltung lag etwas Gebieterisches und doch wieder Geschmeidiges. Seine Kleidung, die aus feinem schwarzen Tuch und schneeweißer Wäsche bestand, verriet ebenfalls, dass er entweder diesen Kreisen fremd sei oder doch eine Stellung bekleide, die ihn über seine Umgebung erhebe. Er war zu gleicher Zeit Advokat und Arzt und seit einem Jahr erst aus den nördlichen Staaten hier eingetroffen, wo er sich seiner Kenntnisse und seines einnehmenden Betragens wegen in gar kurzer Zeit nicht allein eine bedeutende Praxis erworben hatte, sondern auch in Stadt und County zum Friedensrichter ernannt worden war.

»Gentlemen!«, redete dieser jetzt die, ihm wunderbarerweise rasch Willfahrenden an. »Gentlemen, bedenken Sie, was Sie tun wollen. Wir befinden uns unter dem Gesetz der Vereinigten Staaten und die Gerichte sind sowohl bereit, Sie gegen den Angriff anderer, als andere gegen Ihren Angriff zu schützen. Mr. Smart hat Sie aber nicht einmal beleidigt. Er hat Ihnen im Gegenteil einen Gefallen getan, indem er Sie vor einer Gewalttat bewahrte, die wohl böse Folgen für manche von Ihnen gehabt haben könnte. Sie sollten ihm eher dankbar sein. Mr. Smart ist auch sonst in jeder Hinsicht ein Ehrenmann.«

»Hol ihn der Teufel!«, rief hier der, nach dem der Wirt mit seinem Messer gehauen hatte. »Dankbar sein … Ehrenmann … ein Schuft ist er, und hätte mich beinahe gespalten wie eine Apfelsine … In die Hölle mit ihm … Feuer in sein Nest, das ist mein Rat!«

»Gentlemen! Hat Sie Mr. Smart beleidigt«, nahm hier der Richter aufs Neue das Wort, »so bin ich auch überzeugt, dass er alles versuchen wird, seinen begangenen Fehler wieder gut zu machen. Kommen Sie, wir wollen ruhig zu ihm hinaufgehen, und er mag dann mit freundlichem Wort und einer kleinen freiwilligen Spende an Whiskey, die wir ihm auferlegen werden, das Geschehene ausgleichen. Sind Sie damit zufrieden?«

»Ei, hol’s der Henker – ja!«, sagte der mit der Narbe. »Er soll traktieren. Tritt er mir aber wieder einmal in den Weg, so will ich verdammt sein, wenn ich ihm nicht neun Zoll kalten Stahl zu kosten gebe.«

»Hätte nur mein verdammtes Terzerol nicht versagt«, zischte der andere. »Die Pest über den Krämer, der … so erbärmliche Waren führt.«

»Kommt, Boys, ins Hotel … Smart mag herausrücken, und wenn er’s nicht tut, so soll ihm der … Böse das Licht halten«, sagte der Narbige.

»Ins Hotel – ins Hotel!«, jauchzte die Schar. »Er muss traktieren, sonst schlagen wir ihm den ganzen Kram in tausend Stücke!«

In jubelndem Chor wälzte sich der zügellose Haufen dem Gasthaus zu, und wer weiß, ob des Advokaten freundlich gemeinte Beilegung des Streites nicht hier zu noch viel ernsthafteren Auftritten geführt hätte. Smart kannte aber seine Leute zu gut und wusste, wie er, sobald er den Schwarm wirklich in sein Haus lasse, gänzlich in den Händen der schon halb Betrunkenen sei, und dann auch jedem ihrer Wünsche willfahren müsse, wollte er sich nicht der größten Gefahr an Leben und Eigentum aussetzen. Als sich daher die Rädelsführer seiner Tür näherten, trat er plötzlich mit gespannter und im Anschlag liegender Büchse ruhig auf die oberste Schwelle und erklärte fest, den Ersten niederzuschießen, der die Stufen seiner Treppe betreten würde.

Smart war als ein ausgezeichneter Schütze bekannt, und sicherer Tod lag in der, ihnen drohend entgegengehaltenen Mündung. Der Advokat trat aber auch hier wieder vermittelnd zwischen den Parteien auf, bedeutete den Yankee, dass die Männer hier keine Feindseligkeit weiter gegen ihn nährten, und bat ihn, die Büchse fortzustellen, damit auch das Letzte entfernt sei, was auf Streit und Kampf hindeuten könne.

»Gebt den guten Leuten ein paar Quart Whiskey«, schloss er dann seine Rede, »und sie werden auf Eure Gesundheit trinken. Es ist ja doch besser, mit denen, die unsere Nachbarn in Stadt und Haus sind, friedlich und freundlich beisammen als in immerwährendem Streit und Hader zu leben.«

Der Yankee hatte bei den ruhigen Worten des Advokaten, den er selbst schon seit längerer Zeit als einen ordentlichen und, wenn es galt, auch entschlossenen Mann kannte, den Büchsenkolben gesenkt, ohne jedoch die rechte Hand vom Schloss zu entfernen, und erwiderte darauf freundlich: »Es ist recht hübsch von Ihnen, Mr. Dayton, dass Sie nach besten Kräften Streit und Blutvergießen verhindert haben. Mancher Ihrer Herren Kollegen hätte das nicht getan. Damit Sie denn auch sehen, dass ich keineswegs geneigt bin, mit den guten Leuten, gegen die ich ja sonst nicht das Geringste habe, wieder auf freundschaftlichen Fuß zu kommen, so bin ich gern bereit, eine volle Gallone zum Besten zu geben, aber – ich will sie hinausschicken. Ich habe Ladies hier im Haus und die Gentlemen draußen werden gewiss selbst damit einverstanden sein, ihren Brandy im Freien zu trinken und sich nicht dabei durch die Gegenwart von Damen gestört zu wissen.«

»Hallo – Brandy?«, rief der mit der Narbe. »Wollt Ihr uns wirklich eine Gallone Brandy geben und dabei erklären, dass Euch das Geschehene leid sei?«

»Allerdings will ich das!«, erwiderte Jonathan Smart, während ein leichtes spöttisches Zucken um seine Mundwinkel spielte, »und zwar vom vortrefflichsten Pfirsich-Brandy, den ich im Hause habe. Sind die Herren damit einverstanden?«

»Ei – Bootshaken und Enterbeile – ja!«, nahm der Bleiche das Wort. »Heraus mit dem Brandy. Wenn Unterröcke drin sitzen, wird’s einem ordentlichen Kerl doch nicht so recht behaglich zumute. Aber schnell, Smart! Ihr trefft uns heute in verdammt guter Laune und könnt Euch gratulieren. Lasst uns deshalb also auch nicht lange warten.«

Fünf Minuten später erschien ein starker, breitschultriger Schwarzer, mit echtem Wollkopf und fast ungewöhnlich streng ausgeprägten äthiopischen Gesichtszügen in der offenen Tür und trug, während er die Versammlung, jedoch noch immer misstrauisch, bald links bald rechts zu betrachten schien, in dem linken Arm eine große breitbäuchige Steinkruke, in dem anderen ein halbes Dutzend Blechbecher. Die Schar empfing ihn aber jubelnd, untersuchte vor allen Dingen das Getränk, ob es auch wirklich der gute, ihnen versprochene Stoff sei, und zog dann jauchzend dem Fluss zu, wo sie an Bord eines dort liegenden Flatbootes gingen und bis in die späte Nacht hinein zechten und tobten. Dayton dagegen blieb noch eine Weile stehen und blickte den davon Tobenden still und, wie es schien, ernst sinnend nach. Smart aber störte ihn bald aus seinem Nachdenken auf. Er lehnte die Büchse oben an einen Posten der Veranda und stieg zu dem ihm so freundlich zu Hilfe gekommenen Richter nieder.

»Dank Euch, Sir«, sagte er hier, während er ihm freundlich die Hand entgegenstreckte, »dank Euch für Euer sehr zeitgemäß eingelegtes Wort. Ihr hättet zu keinem gelegeneren Moment dazwischentreten können.«

»Nicht mehr als Bürgerpflicht«, entgegnete der Richter lächelnd, »die Menge lässt sich gern von einem entschlossenen Mann leiten, und wenn man den richtigen Zeitpunkt auch richtig trifft, so vermag ein einzelnes ernstes Wort oft Gewaltiges.«

»Nun, ich weiß nicht«, meinte Smart kopfschüttelnd, während er einen nichts weniger als freundlichen Seitenblick zum Fluss hinabwarf. »Dergleichen Volk lässt sich sonst nicht leicht, weder von freundlicher Rede noch feindlicher Waffe zurückschrecken. Es sind meistens Leute, die nichts weiter auf der Welt zu verlieren haben als ihr Leben, und der Gefahr deshalb, da sie dieses keinen Pfifferling achten, trotzig entgegengehen. Ich bin übrigens doch froh, so wohlfeilen Kaufes losgekommen zu sein, denn Blut zu vergießen, ist immer eine hässliche Geschichte. Aber so tretet doch einen Augenblick ins Gastzimmer, ich komme gleich nach, muss nur erst einmal nach meiner Alten in der Küche sehen und alles Nötige bestellen.«

»Ich danke Euch«, sagte der Richter, »ich muss nach Hause. Es sind mit dem letzten Dampfboot heute Briefe angekommen, und vom Fluss herunter habe ich auch – mehrerer Geschäftssachen wegen – einen Besuch zu erwarten. Wollt Ihr mir aber einen Gefallen tun, so kommt Ihr nachher ein bisschen zu mir herüber. Bringt auch Eure alte Lady mit. Ich habe überdies noch manches mit Euch zu besprechen.«

»Meine Alte wird wohl daheim bleiben müssen«, sagte der Yankee lächelnd, »wir haben das Haus voll Leute, aber ich selbst – ei nun, ich bin überdies recht lange nicht bei Mrs. Dayton gewesen – die Burschen werden doch nicht etwa noch einmal kommen?«

»Habt keine Angst«, beruhigte ihn der Richter, »das Volk ist wild und hitzköpfig, auch wohl ein wenig roh, aber überdachter Schlechtigkeit halte ich sie nicht für fähig. Sie hätten Euch vielleicht im ersten wilden Zorn das Haus über dem Kopfe angesteckt. Den aber erst einmal verraucht, so wird auch keiner mehr daran denken, Euch zu belästigen.«

»Desto besser«, sagte Jonathan Smart, »Angst hätte ich übrigens auch nicht. Mein Scipio hält, wenn ich fort bin, Wache, und der Hornruf aus dem Fenster kann mich überall in Helena erreichen. Also auf Wiedersehen, in einem halben Stündchen komme ich hinüber.«

Er trat bei diesen Worten, während der Richter seiner eigenen Wohnung zuschritt, ins Haus zurück und stand gleich darauf vor seiner »besseren Hälfte«, wie sie sich selbst zu nennen pflegte, die er übrigens, teils durch die überhäufte Arbeit, teils durch die vorgegangene Szene, in der übelsten Laune von der Welt fand.

Mrs. Smart war denn auch keineswegs die Frau, die irgendeinen Groll lange und heimlich mit sich herumgetragen hätte. Was ihr auf dem Herzen lag, musste heraus, mochte es sein, was es wollte. So schob sie sich denn auch, als sie ihren Herrn und Gemahl kommen hörte, das Sonnenbonnet, das sie der Kaminglut wegen auch in der Küche trug, zurück, stemmte beide Arme – in der rechten noch immer den langen hölzernen Kochlöffel haltend -fest in die Seite, und empfing den langsam herbeischlendernden Gatten mit einem scharfen »So – was hat der Herr denn heute wieder einmal für ganz absonderlich gescheite Streiche angerichtet? Man darf den Rücken nicht mehr wenden, so ist irgendein Unglück in Anmarsch, und kein Kuchen kann im ganzen Nest gebacken werden, ohne dass Mr. Smart seinen Finger und seine Nase hineinstecken müsste.«

»Mrs. Smart«, sagte Jonathan, der gerade jetzt viel zu guter Laune war, um sich diese durch den Unwillen seiner Gattin verderben zu lassen. »Ich habe heute ein Menschenleben gerettet, und das, sollte ich denken …«

»Ach was da, Menschenleben«, unterbrach ihn in allem Eifer Mrs. Smart, »Menschenleben hin, Menschenleben her, was geht dich das Leben anderer Leute an. An deine Frau solltest du denken, aber die mag sich schinden und quälen, die mag sich mühen und placken, das ist diesem Herrn der Schöpfung ganz einerlei. Er wirft auch die Gallonen guten Pfirsich-Brandy gerade so auf die Straße hinaus, als ob er sie da draußen gefunden hätte, während ich hier im Schweiße meines Angesichts arbeiten und unser aller Brot verdienen muss …«

»… wäre mit der gehabten Mühe keineswegs zu teuer erkauft gewesen«, fuhr Smart ruhig, ohne die Unterbrechung seines Weibes auch nur im Geringsten zu beachten, fort.

»Ich sage dir aber, es wäre zu beachten gewesen«, eiferte die, hierdurch nur noch mehr erzürnte Frau. »Es wäre zu beachten gewesen, wenn du nur so viel Gefühl für dein eigen Fleisch und Blut hättest. Aber Philippchen kann heranwachsen und groß werden. Das kümmert dich nicht. Nach deiner Wirtschaft geht alles zugrunde und muss alles zugrunde gehen. Und wenn der arme Junge einmal das Alter hat, so wird er wohl nicht einmal eine Stelle haben, wohin er sein Haupt legt, du Rabenvater.«

»Der Rabenvater hatten auch keine Stelle, wo er sein Haupt hinlegen konnte, als er heranwuchs«, sagte Mr. Smart, lächelte dabei gutmütig und rieb sich dabei die Hände. »Mr. Smart Senior gab ihm aber allerlei gute Lehren, und die haben denn auch so gute Früchte getragen, dass sich Smart Junior nach mehrmaliger Ernte das schönste Gasthaus in ganz Helena bauen konnte. Smart Senior ist nun tot, und Smart Junior ist Smart Senior geworden. Wenn also, in natürlicher Folge, Smart Junior jetzt …«

»Nun hör einmal auf mit all dem Unsinn von Senior und Junior. Geh an dein Geschäft, besorge die Pferde, die draußen im Stall stehen. Schick mir den Schwarzen her und lass ihn Bohnen vom Feld bringen. Zum Kaufmann muss er auch hinübergehen, um das Fass Zucker zu holen. Mann, du wirst mich mit deinem Leichtsinn noch in die Grube bringen.«

»… dem Rat des Smart Senior so folgt, wie Smart Senior damals dem Rat seines Vaters folgte«, fuhr der unverwüstliche Yankee ruhig und unbekümmert fort, »so ist alle Hoffnung vorhanden, dass auch ohne unser Zutun Smart Junior schon seinen Lebensunterhalt auf anständige Weise gewinnen werde.«

»Scipio soll hierher kommen«, schrie Mrs. Smart, wirklich zur äußersten Wut getrieben, während sie mit dem Fuß stampfte und den Stiel des Löffels auf den einzigen kleinen Tisch niederstieß. »Hörst du, Jonathan? Scipio soll herkommen, und nun fort mit dir, Mensch, der du meinen Tod willst, oder ich gebrauche, so wahr mich unser lieber Herr Gott erhören soll, mein Küchenrecht. Mit raschem Griff erfasste sie den kupfernen langstieligen Schöpfer und fuhr damit in den Kessel voll siedenden Wassers, der über dem Feuer zischte und sprudelte.

Nun wusste Mr. Smart allerdings, dass es zwischen ihnen, trotz des vonseiten Madames oft hitzig geführten Zungenkampfes, nie zu Tätlichkeiten kam, denn Madame kannte zu gut den ernsten und festen Sinn ihres Mannes, so etwas je zu wagen. Um aber auch jedem Wortwechsel ein Ende zu machen und die erzürnte Ehehälfte, die ihm sonst eine brave und treue Gattin war, freundlicher zu stimmen, zog er sich ruhig zur Tür zurück und fragte nur hier, die Klinke in der Hand, »ob Mrs. Smart sonst noch etwas zu bestellen habe, da er ein paar Geschäftswege machen müsse.«

Diesen Rückzug nahm Madame übrigens als ein stillschweigendes Zeichen der Anerkennung ihrer Autorität, und bedeutend milder gestimmt, goss sie das kochende Wasser wieder zurück in sein Gefäß, wischte sich mit der Schürze den Schweiß von der geröteten Stirn und sagte, in noch halbärgerlichem, aber doch nicht mehr heftigem Ton: »Nein, Mr. Smart, wenn Sie Ihre Geschäfte außer Haus haben, so brauchen Sie sich auch nicht um die meinen zu kümmern. So viel sage ich Ihnen aber, die Pferde …«

»Sind sämtlich gefüttert und versorgt«, bemerkte Smart.

»Und das Fass Zucker …«

»Steht in der Bar.«

»Aber die Bohnen …«

»Sind von Scipio schon vor einer halben Stunde gepflückt worden.«

»Und die beiden Zimmer, die noch für die zuletzt gekommenen Gäste geräumt werden sollten?«

»Können jeden Augenblick bezogen werden«, entgegnete Jonathan lächelnd. »Mr. Smart und Scipio haben das alles besorgt. Sonst noch etwas?«

Madame, jetzt wirklich ärgerlich, dass weiter gar nichts zu bemerken war, arbeitete mit immer größerem Eifer und immer röter werdender Physiognomie in den Kohlen herum, auf die sie sich schon zweimal vergebens bemüht hatte, den schweren eisernen Kessel zu heben. Jonathan aber, dies bemerkend, sprang rasch hinzu, ergriff die Haken und schwang das mächtige Gefäß mit leichter Mühe auf seinen Ort, wandte sich dann lächelnd nach seiner kaum noch schmollenden Ehehälfte um, drückte ihr einen raschen, aber nicht desto weniger derb gemeinten Kuss in das rote, gutmütige Gesicht und stieg im nächsten Augenblick, die Hände tief in den Beinkleidertaschen und aus Leibeskräften den Yankeedoodle pfeifend, mit raschen Schritten zur Tür hinaus ins Freie.