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Der Marone – Der blaue Fritz

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Kapitel 9

Der blaue Fritz

Bei seinem eiligen Fortgehen aus dem Glücklichen Tal entschlüpfte Herbert Vaughan nur so eben der Beobachtung. Ein Aufschub von nur zehn Minuten würde seine heimliche Entfernung vereitelt haben. Jedenfalls würde er wegen seines ungewöhnlich frühen Ausgehens befragt worden sein und wahrscheinlich wäre man ihm dann gefolgt und hätte ihn beobachtet.

Kaum war er etwas weiter vom Hof entfernt, so hörte er die schrillen Töne einer Glocke, die in der stillen Morgenluft weithin erschallten. Herbert wusste ganz wohl, dass dies die Glocke war, welche gewöhnlich die Sklaven zur Arbeit rief. Allein sie musste den im Lehnstuhl Schlafenden ebenfalls aufgeweckt haben. Deshalb wünschte er sich jetzt Glück dazu, noch vor diesem Läuten fortgekommen zu sein.

Tatsächlich war Jessuron durch das Läuten der Glocke aus seinem tiefen Schlaf geweckt worden, erhob sich etwas in seinem Stuhl und blickte unruhig umher.

»Bei meiner Seele!«, rief er verwundert und spie zugleich den noch immer in seinem Mund befindlichen Zigarrenstummel aus. »Es ist wahrhaftig heller Tag! Ich muss mehr als zwei Stunden geschlafen haben. Aber das sind Sünden, wo man wachen sollte. Der Custos sollte nun schon unterwegs sein, und wenn diese spanischen Kerle ihre Aufgabe nur halb so gut ausführen, wie sie es versprochen haben, so wird er die nächste Nacht wohl etwas fester schlafen, als er es je getan hat! Bei meiner Seele!«, rief er dann wiederum aus, aber in einem etwas veränderten Ton, der eine neue Wendung in seinem Gedankengang bezeichnete. »Wenn sie Fehler bei dem Geschäft schlafen, wenn sie dabei gefasst würden? Was würde dann da herauskommen? Da ist wahrhaftig Gefahr, grause Gefahr, und ich habe gar nicht daran gedacht! Wie leicht können sie mich beschuldigen, mich selbst, den Richter! Um sich selbst zu retten, sind sie imstande, alles zu tun. Ja, und wenn sie auch nicht bei der Tat ergriffen würden, so ist doch Gefahr. Dieser Manuel hat eine Zunge, die noch spitzer als seine Machete ist. Der ist ein schwatzhafter Narr. Ich muss dafür sorgen, ihn von der Insel fortzubringen, ja, ihn nicht allein, alle beide, sobald ich dies kann.«

Bei diesen Berechnungen dachte Jessuron gar nicht mehr an Chakra, denn er glaubte nun, dass die beabsichtigte Ermordung von den spanischen Banditen ausgeführt würde und dass Stahl, nicht Gift, dem Custos das Lebenslicht ausblasen würde. Denn selbst wenn es Cynthia wirklich geglückt wäre, die tödliche Gabe ungehindert beizubringen – worauf allein sich zu verlassen er nun nicht mehr nötig hatte – und wenn der Custos der Wirkung des Giftes wirklich erliegen sollte, der Myalmann wurde deshalb nicht gefährlich, und mit Cynthia hatte Jessuron eigentlich niemals etwas der Art zu tun gehabt, weshalb sie ihn der Teilnahme an der Ermordung des Custos bezichtigen konnte.

»Ich muss doch einige Maßregeln ergreifen «, sagte er, stand aus dem Lehnstuhl auf und schien sich in seine Kammer zurückziehen zu wollen, um sich anzukleiden. »Was ist hier zu tun? Lasst mich mal nachdenken!«, fügte er hinzu und machte in tiefem Nachdenken vor der Tür halt. »Ja, ja, so ist es. Ich muss einen Boten zu Willkommenberg finden, einen, der ein anderes Geschäft vorweisen kann, denn sonst sieht es auch sehr merkwürdig aus, da wir in letzter Zeit schlechte Nachbarn gewesen waren. Aber das macht nichts. Der Custos ist hoffentlich fort und so kann Ravener einen Boten an Herrn Trusty schicken. Das wird uns Neuigkeiten verschaffen. Ravener!«, rief er dem Aufseher zu, der mit der Peitsche in der Hand unten im Hof ging. »Ich möchte mit Ihnen sprechen, Herr Ravener!«

Ravener stieß eine Art Gestöhn aus, zum Zeichen, dass er seines Herrn Ruf gehört habe, stieg die Treppe zur Veranda hinauf und hielt dann schweigend inne, erwartend, was sein Herr ihm zu sagen habe.

»Haben Sie nicht irgendein Geschäft, weshalb Sie einen Boten zu Herrn Trusty schicken könnten – nach Willkommenberg, meine ich?«

»Hm! Ja, da ist Geschäft genug da. Die verdammten Schweine des Custos sind in unserem Reisfeld gewesen und haben da ganz schändlich gewühlt. Dafür müssen Sie Entschädigung verlangen.«

»Ja, das ist recht, das ist recht.«

»Hm! Sie würden gewiss nicht sagen, dass es recht ist, wenn Sie sich nur einmal den Schaden ansehen, der angerichtet wurde. Da wird es bei der Ernte schlecht aussehen, das versichere ich Ihnen.«

»Das macht nichts. Wir werden eine Klage einreichen. Aber nun habe ich noch etwas anderes zu tun. Sie senden einen Boten an Herrn Trusty und lassen es ihm sagen. Und hören Sie mal, Herr Ravener! Der Bote muss verschwiegen sein, denn er soll ausfindig machen, ob der Custos zu Hause ist, ohne darüber eine Frage an irgendjemand zu richten. Ich habe gehört, dass er auf eine Reise gehen will, und ich möchte wissen, ob er schon fort ist. Verstehen Sie mich, Herr Ravener?«

»Vollkommen!«, erwiderte der Aufseher. »Ich werde einen Burschen senden, der das auskundschaften wird, ohne zu fragen. Der blaue Fritz wird das können, denke ich.«

»Ja, ganz recht, der blaue Fritz ist dazu gut. Und hören Sie noch, Herr Ravener! Der Fritz soll wohl beachten, was er sagt und was er tut. Er muss nur ganz leise mit dem Mulattenmädchen, der Cynthia, flüstern.«

»Ich will ihm das alles schon einprägen«, erwiderte der Aufseher im vertrauensvollen Ton. »Soll ich jetzt schon fortgehen?«

»Ja, jetzt sogleich – jetzt sogleich! Ich habe Grund zur Eile. Schicken Sie ihn fort, sobald wie möglich!«

Ravener ging augenblicklich, um den Boten hinzusenden, und kurze Zeit nachher wanderte der gelbe Merkur, der unter dem Namen der blaue Fritz allgemein bekannt war, den Fußpfad entlang, der vom Hof des Koppelhalters nach Willkommenberg führte.