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Der Kommandant des Tower 12

Der-Kommandant-des-TowerDer Kommandant des Towers
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Zweites Buch
Der Lordprotektor
Viertes Kapitel

Wie der jugendliche König vom Lordprotektor zum Ritter geschlagen wird und wie der König den Lord Mayor von London zum Ritter schlägt

In der Ratskammer des weißen Towers gab der junge Edward zum ersten Male Audienz. Jene ist ein großer, noch vorhandener Saal, und würde vielleicht nicht seines Gleichen haben, wenn nur die Höhe der Länge und Breite entspräche. In seiner Art ist der Saal sehr schön. Die schwere und massive Decke von getäfeltem Holz wird von einer doppelten Reihe eiserner Pfeiler getragen. Ringsum laufen gewölbte Galerien, die in die dicken Wände hineingehauen sind, mit großen, halbrunden Öffnungen, durch die das Licht fällt.

Der Audienzsaal, wie man ihn damals nannte, war für die heutige Zeremonie besonders geschmückt und sah prächtig aus. Auch war er keineswegs zu groß für die große Anzahl geistlicher Würdenträger, Edelleute, Ritter, städtischer Beamten – Lord Mayor, Aldermen und Sheriffs – Knappen, Diener, Pagen, Leibgardisten, Wappenherolde, Lakaien, Trompeter und anderer, die sich im Saal befanden. Er war im Gegenteil so überfüllt, dass auch die vorhin erwähnten steinernen Galerien mit benutzt werden mussten.

Kostbare Teppiche hingen an den Wänden, und die Pfeiler waren mit Gold durchwirkten Stoffen verziert. An den Seiten und unter der Decke waren eine Menge von Wappenschildern und Fähnchen in den verschiedenen Farben der königlichen Besitzungen angebracht, während der Fußboden dicht mit Binsen bestreut war.

An dem oberen Ende befand sich ein Thronhimmel, unter dem auf einer drei Fuß hohen Estrade der junge König saß. Vor dem Thron war, durch seidene Schnüre abgegrenzt, ein weiter Raum gelassen. Am Ausgang dieses Platzes stand der Vizekämmerer, am Eingang der Zeremonienmeister.

Einstweilen befanden sich nur zwei Personen auf diesem reservierten Platz, der Erzbischof von Canterbury und der neue Lordprotektor. In seiner Eigenschaft als Großkämmerer stand Hertford an der rechten Seite des Königs, den Stab, das Zeichen seines Amtes, in der Hand, während der Primas den Platz zur Linken einnahm.

Es war ein Moment äußerster Erregung für den jungen König, dessen Brust bewegt war wie nie zuvor. Aber trotzdem behauptete er seine äußerliche Fassung und spielte die neue und schwierige Rolle in einer Weise, die allgemein bewundert wurde. Einmal oder zweimal blickte er furchtsam nach seinem Oheim, dem Lordprotektor, hin und wünschte Sir Thomas Seymour an dessen Stelle, aber Hertfords wohlwollendes und hofmännisches Lächeln beruhigte ihn schnell. Edwards Antlitz war gerötet, seine Augen leuchteten und sein Puls ging rasch. Obwohl seine Haltung vielleicht der Majestät entbehrte, welche die Jahre allein zu verleihen imstande sind, hatte sie dagegen etwas unendlich mehr Reizendes in der fast kindlichen Grazie und in dem liebenswürdigen und unbefangenen Ausdruck seiner Gesichtszüge.

Die Königinwitwe, die, umgeben von ihren Edeldamen – der Marquise von Dorset, der Gräfin Hertford, Lady Herbert, Lady Thyrwitt und anderen, – unter einem kleineren Baldachin an der rechten Seite des Saales saß, blickte Edward mit fast mütterlicher und stolzer Liebe an. In die Einsamkeit, in die sie sich nach dem Ableben ihres königlichen Gemahls zurückgezogen hatte, war eine Einladung an sie ergangen, und sie wohnte vorläufig im Tower. Nachdem nun alle notwendigen Präliminarien erledigt waren, trat das ganze Conseil, den Lordkanzler an der Spitze, in den abgesperrten Raum, und indem sie einer nach dem anderen an Edward, der sich erhoben hatte, vorüberzogen, knieten sie nieder, küssten die Hand des jungen Monarchen und sprachen den Huldigungseid. Eine solche Zeremonie muss unter allen Umständen von Interesse sein, aber war es vielleicht nie mehr als in diesem Fall, wo die Jugend und Schönheit des Fürsten ihr einen besonderen Reiz verliehen.

Als Sir Thomas Seymour sich Edward näherte, der bisher noch nicht gesprochen hatte, sagte er: »Ihr habt mir schon Trend geschworen, lieber Onkel.«

»Ihr gedenkt dessen, mein gnädiger Herr?«, erwiderte Seymour. »Aber jener Schwur, den ich heilig halten werde, soll mich nicht abhalten, Euch auch noch den Eid als Untertan zu leisten.« Und niederkniend erfüllte er dieselbe Zeremonie wie die anderen, nur vielleicht noch inbrünstiger.

Nachdem das ganze Conseil dem König Treue geschworen hatte, trat der Lordkanzler vor, machte Edward eine tiefe Verbeugung und meldete ihm mit lauter Stimme, die in dem ganzen, großen, gedrängt vollen Saal zu vernehmen war, dass der Graf von Hertford einstimmig zum Lordprotektor ernannt worden sei.

»Ihr habt wohl getan«, entgegnete Edward. »Ich billige die Wahl des Conseils. Aber Ihr habt noch mehr zu sagen. Fahrt fort, Mylord.«

»In Anbetracht der großen Jugend Eurer Hoheit«, antwortete Wriothesley, »haben wir es für nötig erachtet, einen Oberhofmeister Eurer königlichen Person während Eurer Minderjährigkeit zu ernennen.«

»Das freut mich«, sagte Edward, sein Auge auf Sir Thomas Seymour heftend, »und Ihr habt gewählt …«

»Wie Ew. Majestät ohne Zweifel erraten wird, haben wir den Grafen von Hertford dazu erwählt«, sprach Wriothesley.

»Was?«, rief Edward, nicht imstande, seine Enttäuschung zu verbergen. »Himmel! Das habe ich nicht erwartet!«

»Gefällt Ew. Hoheit unsere Wahl nicht?«, fragte der Lordkanzler mit geheimer Schadenfreude. »Graf Hertford ist Euer Oheim.«

»Aber ich habe noch einen Oheim!«, rief Edward heftig. »Ihr hättet ihn wählen können!«

»Bei meiner Seele, der Junge ist seines Vaters echter Sohn«, flüsterte Sir John Gage dem neben ihm stehenden Seymour zu. »Er wird Euch zum Hofmeister bekommen.«

»Er wird es, wenn man ihm seinen Willen lässt«, antwortete Sir Thomas zweifelnd.

»Und er wird ihn haben, wenn er darauf besteht«, sagte der Kommandant.

Als der junge König so deutlich seine Gefühle und Neigungen an den Tag legte, wechselten einige der Herren vom oberen Conseil bedeutungsvolle Blicke und schienen in ihrem Beschluss wankend zu werden. Schon hielt Seymour den großen Wurf für gelungen. Der Lordprotektor schaute unbehaglich drein, aber Cranmer kam ihm zu Hilfe.

»Ich kann Ew. Hoheit Vorliebe für den jüngeren Oheim leicht begreifen«, sagte der Primas zu dem jungen König. »Aber durch Alter, Erfahrung und hohen Rang eignet der Graf von Hertford sich von beiden am besten, Euer Hofmeister zu sein.«

»Dem letzteren Mangel könnte leicht abgeholfen werden, Ew. Ehrwürden«, antwortete Edward in beleidigtem Ton, »obwohl ich Sir Thomas nicht so leicht Mylord Hertfords Alter und Erfahrung zu verleihen vermag. Aber sei es, wie Ihr wollt. Ihr wisst am besten, was gut für mich ist. Ich danke Ew. Ehrwürden sowie den Lords und Gentlemen des Conseils für Ihre Mühe.«

So waren Seymours Hoffnungen plötzlich zunichtegemacht. In etwas aber tröstete ihn ein beredter Blick seines königlichen Neffen, ein Blick, der auch der Wachsamkeit des Lordprotektors nicht entging.

»Kann ich nicht Oberhofmeister sein, so werde ich auf alle Fälle einen unbegrenzten Einfluss auf ihn haben«, sagte sich Seymour.

Nachdem diese Angelegenheit erledigt war, zog sich der Lordkanzler mit dem Conseil zurück. Ihnen folgten die geistlichen Lords, angeführt von Gardiner als dem vornehmsten Prälaten. Da Tunstal mit dem Conseil gegangen war, folgte dem Bischof von Winchester Doktor Bonner, Bischof von London, und Doktor Bush, Bischof von Bristol, schloss die lange Reihe kirchlicher Würdenträger.

Dann kamen die weltlichen Lords, voran der Marquis von Dorset. Die Grafen von Oxford, Shrewsbury, Derby und Sussex folgten. Jeder Edelmann rief, indem er nach der Huldigung wieder aufstand, mit lauter und ernster Stimme: »Gott erhalte Ew. Hoheit!« Dann kamen Lord Morley, Lord Dace of the North und die Lords Ferers, Clinton, Grey und Scorpe. Diesen folgten die Lords Abergavenny, Conyers, Latimer, Fitzwalter und Bray, nebst einer Menge anderer, die wir unmöglich alle aufzählen können; ebenso wenig die lange Reihe von Rittern und Esquires, welche nacheinander dem jungen Herrscher huldigten.

Es genüge zu erwähnen, dass sich unter denjenigen, die Treue schwuren, der Lord Mayor von London, die Aldermen und die Sheriffs in ihren Scharlachröcken befanden.

Edward bat die städtischen Behörden, einen Augenblick zu verweilen, und indem er vom Thron herunterstieg, bat er seinen ältesten Oheim, ihn zum Ritter zu schlagen.

Der Lordprotektor zog darauf sogleich sein Schwert und schlug damit den König zum Ritter, worauf der junge Monarch seines Oheims Schwert nahm, dem Lord Mayor niederzuknien befahl, ihn mit dem Schwert kräftig auf die Schultern schlug und ihn dann als Sir Henry Hubbletherne aufstehen hieß.

Da der Lord Mayor eine sehr korpulente Person war, so wurde es ihm schwer, wieder in die Höhe zu kommen, aber nachdem es ihm mit großer Mühe gelungen war, stammelte er dem jugendlichen König seinen Dank, während dieser sich kaum des Lachens ob der Verlegenheit jenes enthalten konnte.

Dann stieg der junge Monarch wieder mit Leichtigkeit die Stufen des Thrones hinauf, und im selben Augenblick, als er der Versammlung das Antlitz zukehrte, riefen alle: »Gott erhalte unseren edlen König Edward!«

Die Trompeter bliesen Tusch.

Dann nahm der junge König mit vieler Würde das Barett ab und stand aufrecht vor ihnen allen.

Es trat augenblicklich Stille ein – man hätte eine Nadel fallen hören können. Und dann sprach der König in einem Ton, der in aller Herzen drang und Gefühle der Treue und Ergebenheit wachrief folgendermaßen:

»Wir danken Euch allen, Mylords, von Herzen! Wer hinfort irgendein Anliegen an uns hat, der sei herzlich willkommen.«

Wieder wurde Tusch geblasen. Kanonen antworteten. Und so war die Zeremonie beendet.

Ein großes Bankett folgte, dem alle Lords beiwohnten. Die Königinwitwe saß zur Rechten des Königs, der Lordprotektor zu seiner Linken.

Die Mitglieder der beiden Conseils, nebst vielen Edlen, Rittern und Gefolge, blieben die Nacht hindurch und noch länger im Tower.