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Gold – Kapitel 10.1

Gold-Band-1Friedrich Gerstäcker
Gold
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 10 Teil 1
Der indianische Häuptling

Es mochte etwa fünf Uhr nachmittags gewesen sein, als die neu eingetroffenen Deutschen ihre ersten und nötigsten Vorbereitungen beendet hatten. Die Goldwäscher waren indessen schon lange wieder zu ihren Beschäftigungen, teils in der Flat selber, teils an die einzelnen kleinen Bäche zurückgekehrt. Das Paradies lag ziemlich still und öde mit seinen weißen Leinwandwänden im heißen Sonnenschein.

Die Hauptstraße der Stadt war vollständig leer von Menschen, einen mit einem zerlumpten Hemd bekleideten Indianer ausgenommen, der, eine Ladung Holz auf dem Rücken, gerade aus dem Wald kam, um es in eines der Kauf- oder Speisezelte hineinzubringen. Die Weißen gaben ihm dann ein Stück Brot und – die Hauptsache – einen Schluck Branntwein dafür. Um seinen Geist zu zerrütten, strengte der rote Sohn der Berge zum ersten Mal in seinem Leben vielleicht den eigenen Körper an.

Da klapperten rasche Hufe die harte, aus den Höhen niederführende Straße herab. Der ungewohnte Laut veranlasste selbst einige der faulen Händler, die Köpfe aus ihren Zelten herauszustrecken, nur um zu sehen, welcher Art der Besuch wohl wäre. Dieses Mal bereuten sie auch ihre Neugierde nicht, denn der Anblick, der sich ihnen bot, war wohl der kleinen Mühe wert gewesen.

Fünf nicht sehr starke, aber doch kräftige braune Ponys kamen in voller Flucht den Weg entlang. Indianer hingen auf den sattellosen Rücken der Tiere.

Der Führer des Trupps war ein junger Mann von vielleicht sechsundzwanzig Jahren, aber – ein seltener Fall – ganz europäisch gekleidet, mit lichten Hosen, kurzer, reich mit Knöpfen besetzter Jacke und einem Strohhut auf dem lustig darunter hinausflatternden langen, rabenschwarzen Haar. Die Füße trug er freilich nackt, aber auf der linken Schulter eine lange einläufige Schrotflinte, während in einem rotseidenen chinesischen Gürtel, der seine Hüften umschloss, ein langes spanisches Messer steckte.

Die kalifornischen Bergindianer reiten eigentlich nie und haben auch gar keine Pferde. Der Bursche aber saß wie aufgegossen auf seinem Tier, das er mehr mit dem Druck seiner Schenkel als dem leichten Zaum zu regieren schien. Auch hatte er nichts von dem scheuen verschlossenen Wesen, das sonst dieser Rasse, den Übergriffen der mächtigen Weißen gegenüber, eigen ist. Wie er da so leicht und trotzig auf seinem weit ausgreifenden Renner saß, nickte er sogar hier und da in eines der Zelte nach einem bekannten Gesicht hinüber, aber kein freundliches Lächeln milderte den Ernst der strengen und doch edlen und selbst schönen Züge.

Der junge und mächtige Indianerhäuptling Kesos, der große Gewalt über all die benachbarten Stämme der Berge hatte, war den Händlern hier auch schon bekannt, denn wo irgendein Unfrieden zu schlichten oder gestohlenes Gut wiederzubekommen war, wandten sie sich nur an ihn und konnten sicher sein, dass er ihnen zu ihrem Recht verhalf. Größeres Interesse hatten aber doch für sie in diesem Augenblick die beiden Reiterinnen, die ihm folgten. Es konnte auch kaum ein wilderes reizenderes Bild geben, als diese beiden, auf schnaubenden Rossen vorbeifliegenden Mädchen des Urwalds boten.

Auch sie hatten die Tracht der Wildnis abgelegt, den Schurz aus gegerbter Hirschhaut mit Stroh umflochten und Fruchtschalen verziert, dafür aber die buntfarbigen Stoffe der Weißen angenommen, von denen sie jetzt lange, bis auf die Knöchel niederreichende Kleider trugen.

Es waren ein paar junge schöne Mädchen. Die großen dunklen Augen in dem wilden Ritt blitzend und funkelnd, die vollen schwarzen, nur von einem rohen Perlmuttschmuck zusammengehaltenen Locken luftig im Wind, mit dem Tempo der Tiere auswehend. Die vollen üppigen Glieder der einen umschloss dabei ein weites, brennend rotes Kleid, das dicht um den Hals anlag und in der Taille durch eine gleichfarbige chinesische Schärpe zusammengehalten wurde. Ein schwefelgelbes Kleid, ebenfalls mit einer roten Schärpe, trug die andere, und beider Hals, Arme und Füße waren nackt, wie ihr Kopf auch unbedeckt. Nach Männerart übrigens auf den sattellosen Pferden sitzend, flatterten bei dem scharfen Ritt die leichten Kleider weit aus und verrieten mehr als sie verhüllten den unteren Teil der tadellos schön geformten Beine.

Hinter ihnen, auf ziemlich mittelmäßigen Ponys, und dabei auch deutlich genug den niederen Rang zeigend, in dem sie selber standen, galoppierten zwei Indianerjungen von vielleicht vierzehn bis sechzehn Jahren.

Auch diese hatten einen Versuch in europäischen Kleidern gemacht. Ihr Anzug bestand in Jacke und Hose – aber freilich nur zwischen beide gleich verteilt. Der, dem die Hose zuteilgeworden war, ging mit dem braunen Oberkörper nackt, der mit der Jacke hatte einen ledernen Schurz um die Hüften geschlagen. Jedenfalls folgten sie ihrem Herrn nur als Diener – Reitknechte, wenn man will – die Pferde ihres Häuptlings und seiner beiden Gefährtinnen zu halten, wenn es denen gefiel, abzusteigen.

In gestrecktem Galopp die Straße niedersprengend, überholte der junge Häuptling den, das Holz tragenden Indianer, dessen schwankender Gang unter der leichten Last nur zu deutlich verriet, welchen Lohn er für frühere Arbeit erhalten haben mochte. Im Nu riss er sein Pferd zur Seite, das sich, Zaum und Schenkeldruck gehorchend, auf den Hinterbeinen herumwarf. Während ihm die beiden Mädchen links und rechts auswichen, zügelte der junge Häuptling sein schnaubendes, dampfendes Tier und sah finster auf den erschreckt zu ihm aufschauenden Stammesangehörigen nieder.

»Kesos! Capitano!«, stammelte der Holzträger erschreckt und warf scheu den Blick zur Seite, als ob er nicht übel Lust habe, nach rechts oder links auszubrechen, dem gefürchteten Mann Raum zu geben.

»Schämst du dich nicht?«, sagte aber dieser mit leiser, unwillig gedämpfter Stimme. »Schämst du dich nicht, Tibuka? Deine Lippen hast du dem Gift der Bleichgesichter geöffnet, und als ein Krieger vom Stamm der Kayota trägst du den Fremden Holz zu ihren Feuern. Soll ich dir einen Weiberrock schicken?«

Der Indianer stammelte ein paar entschuldigende Worte vor sich hin, aber der junge Häuptling, keine Silbe darauf erwidernd, hielt seinen Blick nur fest und verächtlich auf ihn geheftet. Der Wilde sah nicht auf zu ihm, aber trotzdem fühlte er den Blick und senkte den Kopf tiefer und tiefer.

»Soll ich dir einen Weiberrock schicken?«, flüsterte da der Häuptling noch einmal, und der Indianer, nicht mehr imstande, den Hohn, der in den Worten lag, zu ertragen, warf die Holzlast, die er trug, von seiner Schulter mitten auf die Straße und floh, so rasch ihn seine Füße trugen, die Straße wieder hinauf und den Bergen zu.

Ein leichtes verächtliches und doch bitteres Lächeln zuckte für einen Augenblick um die Lippen des jungen Reiters, aber er drehte den Kopf nicht nach dem Flüchtenden. Nur sein Pferd wieder herumwerfend, während die Reiterinnen zur Seite lenkten und ihre munteren Tiere über das auf die Straße geworfene Holz hinüberflogen, setzte er den kaum unterbrochenen Weg so rasch wie vorher fort.

Hier stieß die kleine Kavalkade aber auf noch ein Hindernis, und zwar in der Person des deutschen, hier plötzlich nach Kalifornien versetzten Justizrats, der eben mit der langen Pfeife und einer kleinen grauen Mütze auf seinen Spaziergang angetreten hatte, die »Stadt« etwas in Augenschein zu nehmen.

Der Justizrat hörte allerdings die galoppierenden Pferde, hatte aber so viel damit zu tun, in die rechts und links liegenden Zelte hineinzuschauen, dass er gar nicht weiter darauf achtete, bis Kesos selber so dicht an ihm vorüberflog, dass er ihm sogar mit der Spitze des rechten Fußes den Ärmel streifte. Im Nu prallte er jetzt allerdings zur Seite, aber nur um dem Mädchen mit dem feuerfarbenen Kleid gerade in den Weg zu springen. Hätte diese ihr Tier nicht so rasch herübergerissen, so wäre der arme Mann jedenfalls, gleich zum ersten Entrée in den Minen, überritten worden. So kam er mit dem Schreck davon. Die beiden kleinen, nachfolgenden Burschen hatten Zeit genug gehabt, ihm Raum zu geben, und in der nächsten Sekunde waren sie schon vorbeigebraust.

»Donnerwetter!«, sagte der Justizrat und hob die heruntergefallene Mütze wieder auf. »Auch eine Manier? – schwarze Heiden – Lumpenpack!« Und damit, ohne sich weiter um die Indianer zu kümmern, setzte er seinen vorher eingeschlagenen Weg fort.

Der Häuptling zügelte indessen vor dem Zelt des Alkalden unter der sich kaum in der matten Brise regenden amerikanischen Flagge sein Pferd, sprang zur Erde, warf den Zügel einem der ebenfalls rasch heruntergleitenden Jungen zu und rief den Mädchen ein paar Worte zu. Diese nickten langsam mit dem Kopf und setzten dann ihren Weg, aber nun zu Fuß, fort, bis sie die Stadt hinter sich und eine kleine Anhöhe zwischen noch einzeln zerstreuten Zelten erreicht hatten. Dort hielten sie, die weiteren Befehle ihres Herrn zu erwarten.