Ausschreibung
Sternenlicht-Anthologie

Download-Tipp
Band 6

Heftroman der Woche

Archive
Folgt uns auch auf

Der Marone – Beschleichung des Schläfers

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Kapitel 6

Beschleichung des Schläfers

Als Cubina dem Hof des Koppelhalters näher kam, bewegte er sich mit vermehrter Vorsicht. Er wusste ganz gut, dass der Koppelhalter gewöhnlich Hunde und Nachtwächter auf seinem Hof hielt, teils um das Vieh vom Verlaufen abzuhalten, hauptsächlich aber, um die schwarzen Sklaven am Fortrennen zu hindern.

Der Marone war sich außerdem ganz bewusst, dass sein eigenes Verhalten gegen den Sklavenhändler diesem gerade jetzt höchst feindselig erscheinen musste. Seine Weigerung, den Flüchtling wieder herauszugeben, war von ihm als eine offene Kriegserklärung angesehen worden, und die Schritte, die er nun in Verbindung mit dem Custos ergriffen hatte und die dem Sklavenhändler kein Geheimnis mehr sein konnten, mussten ihm bei Jessuron zum Gegenstand bitteren Hasses machen.

Das alles wusste der Marone recht gut und fühlte deshalb die Notwendigkeit, sich jetzt dem Ort mit der äußersten Vorsicht zu nähern, denn sollten des Koppelhalters Leute ihn in der Nähe des Hofes herumstreifend finden, so würden sie ihn ganz sicher, wenn sie es vermochten, ergreifen und dann vor den gestrengen Friedensrichter Jakob Jessuron führen, der ihn wohl nicht gerade mit Milde behandeln würde.

Mit dieser Aussicht im Fall einer Entdeckung näherte er sich dem Hof so vorsichtig, als hätte er da wie ein Dieb einbrechen wollen.

Von den Feldern aus nahte er sich dem Hinterhaus oder richtiger der Seite des Hauses, welcher die Viehställe und die Sklavenbehälter nicht gegenüber lagen, weil er vermutete, dass diese wohl von den Wächtern behütet würden.

Die fast wieder zu Wald gewordenen Felder ließen ihn leicht ungesehen im Schutz der Bäume nahe kommen. Ein ziemlich dichter neuer Bewuchs von Kampescheholz, Brotnuss- und Kalebassenbäumen bedeckte hier den Boden, und näher an den Mauern standen in dem alten, gänzlich vernachlässigten Garten mannigfache wild und üppig ausgewachsene Fruchtbäume, wie Gujanen, Mangos, Papau, Orangen und Limonen, Apfel- und Birnbäume. Stellenweise erhob auch die Kokospalme hoch hinaus über das obere Laubwerk der bescheideneren Fruchtbäume ihre buschige Krone, deren lange federgleichen Zweige sich jetzt in dem sanften erfrischenden Nachtwind aufs Anmutigste hin und her bewegten.

Als er dem Haus nun auf ungefähr hundert Schritte nahe gekommen war, fasste Cubina den Entschluss, nicht näher heran zu gehen. Er wollte ruhig auf einer Stelle bleiben, von wo aus er die Veranda zu übersehen vermochte, um hier bis zum Tageslicht zu warten.

Dann glaubte er, würde ihm Herbert wohl sofort bei Tagesanbruch zu Gesicht kommen, wenn er seine Schlafkammer verließ, um sich zu der verabredeten Zusammenkunft zu begeben, denn sämtliche Schlafzimmer des Hauses führten, wie Cubina wohl wusste, einzig auf die Veranda.

Wenn er dann gesehen wurde, so konnte dem jungen Engländer leicht irgendein Zeichen gegeben oder auch mit Namen gerufen werden, wodurch die Zusammenkunft selbst sowie auch die Ausführung der vom Maronen gefassten Absichten beschleunigt würde.

Eine leichte von den zerstreuten Überbleibseln einer früheren Mauer gebildete Erhöhung gewährte ihm den zum Ausspähen ganz geeigneten Platz. Von hier aus konnte der Marone die lange Galerie des Hauses in ihrer ganzen Ausdehnung von einem Ende zum anderen übersehen.

Obwohl das Haus selbst im hellen Mondschein, so lag doch die Veranda im tiefen Schatten, wie es auch mit dem vorderen Hofplatz der Fall war. Nur an einem Ende war der Boden der Veranda von den Mondstrahlen hell beleuchtet.

Der Marone hatte nur kurze Zeit auf dem erhöhten Platz gestanden, als ein sonderbarer Gegenstand auf der Veranda seine Aufmerksamkeit ganz besonders fesselte. Wie sein Auge sich nämlich mehr an den tiefen Schatten inwendig gewöhnt hatte, vermochte er etwas zu unterscheiden, das einer kreuzweise aufgehängten und oberhalb des Geländers der Veranda befindlichen Hängematte glich, ganz nahe an dem Ende, wo der Mond auf den Boden schien.

Als der Mond ein wenig niedriger am Himmel stand, erstreckten sich seine Strahlen auch auf der Galerie weiter, und der Gegenstand, der Cubinas Aufmerksamkeit bereits auf sich gezogen hatte, trat auch mehr ins Licht. Es wurde nun ganz deutlich, dass es eine Hängematte war, die noch dazu belegt, was an den straff angezogenen Stricken zu bemerken war.

Sollte das der junge Engländer selbst sein?, war der sofortige Gedanke Cubinas. Wenn dies der Fall ist, dann könnte er sich vielleicht sofort mit mir in Verbindung setzen, und ich hätte gar nicht nötig, erst bis zum Morgen zu warten.

Aber wie sollte er sich nur davon überzeugen? Es konnte ja auch leicht jemand anderes sein? Zum Beispiel etwa Ravener, der Aufseher, mit dem er gar nicht zusammen zu stoßen wünschte. Was konnte er nur tun, um diese Ungewissheit zu beseitigen?

Während der Marone darüber nachdachte, wie er es anfangen wollte, um sich davon zu überzeugen, wer in der Hängematte lag, bemerkte er, dass die Mondstrahlen jetzt nahe bei derselben waren und in wenigen Minuten vollständig auf sie scheinen mussten. Bereits vermochte er schon, wenn auch erst schwach, das Gesicht und die Umrisse des Körpers des Schlafenden zu unterscheiden. Könnte er nur zu einer noch höheren und auch dem Haus etwas näheren Stellung gelangen, so mochte er vielleicht imstande sein, genau zu erkennen, wer der Schläfer ist.

Auch zeigte sich ihm bald wirklich eine solche Stellung, nur war es etwas schwierig, dahin zu gelangen. Es stand nämlich nahe an der Mauer eine Kokospalme, deren Krone von strahlenförmig sich ausbreitenden Zweigen nicht weit von der Veranda entfernt war. Konnte er diesen Baum unbemerkt erreichen und dann auf die Spitze hinauf klettern, so vermochte er den in der Hängematte Schlafenden ganz genau zu sehen.

Im Nu war er entschlossen. Leise schlich er vorwärts, umfasste den Stamm der Kokosnuss und stieg hinauf. Das war für Cubina nicht schwierig, der wie ein Eichhörnchen klettern konnte.

Als er die Spitze erreichte, setzte er sich in die Mitte der Blätterkrone, wo er die Veranda gerade unter den Augen und so nahe hatte, dass er auf sie hätte hinaufsteigen können.

Die Hängematte war nun ungefähr zehn Fuß von ihm etwas niedriger entfernt, und das Mondlicht fiel vollständig auf den Schläfer. Es war jetzt gewiss, es war Herbert Vaughan.

Cubina erkannte ihn sogleich und dachte darüber nach, wie er wohl den jungen Engländer aufwecken könne, ohne Lärm zu machen, als er das Öffnen einer Tür hörte. Der Schall kam vom Hofplatz herauf. Als Cubina dahin sah, bemerkte er, dass die zur Einzäunung führende Tür gerade geöffnet wurde.

Alsbald trat ein Mann von außen ein und das Tor wurde von einem anderen, der nicht zu sehen war, wieder geschlossen. Der Eintretende ging geradewegs auf das Wohnhaus zu, stieg die Treppen hinan und schritt über die Veranda. Noch während er über den Hof ging, fiel das Mondlicht einen Augenblick auf sein Gesicht und Cubina erkannte die widerwärtigen Züge des Koppelhalters.

Ich kann ihm doch nicht auf dem Fußsteig überholt haben?, war der erste Gedanke des Maronen.

»Doch nein, das kann ja nicht sein«, fügte er, sich selbst verbessernd, hinzu. »Ich sah die Spur seiner Rückkehr in der Pfütze hier in der Nähe. Er muss schon vor mir hier gewesen sein. Er ist wahrscheinlich schon zurück gewesen, aber wegen eines verruchten Geschäfts wieder ausgegangen. Carambo! Es ist also doch wahr, was ich von ihm habe erzählen hören, dass er nur selten schläft! Meine Leute haben ihn in den Wäldern zu allen Stunden der Nacht getroffen. Jetzt begreife ich das auch, da ich seinen Gehilfen kenne. Por Dios! Der Hund, der Chakra, noch lebendig!«

Der Marone hielt hier in seinen Überlegungen inne und heftete seinen Blick mit großer Aufmerksamkeit auf die dunkle Gestalt, die wie ein Geist der Finsternis schweigend über den Korridor glitt. Er hoffte, dass Jessuron sich bald in seine Schlafkammer zurückziehen würde, denn solange er draußen verweilte, war tatsächlich für Cubina keine geringe Aussicht vorhanden, unbemerkt mit dem Schlafenden in der Hängematte in irgendeine Verbindung treten zu können.

Am allerschlimmsten war indes nun, dass der Marone in Gefahr kam, selbst gesehen und entdeckt zu werden, da ihn auf der Kokospalme wirklich nur die wenigen gefiederten Zweige schützten. Wenn Jessuron zufällig seinen Kopf hob, so musste er zweifelsohne die Gestalt des Maronen sofort bemerken.

Eine solche Entdeckung musste Cubina natürlich vermeiden, denn sie würde nicht nur das beabsichtigte Gespräch mit dem jungen Engländer vereitelt haben, sondern konnte dann kaum einen anderen Ausgang nehmen als seine eigene Gefangennahme, die alle seine Pläne zerstören musste.

Unter diesem Gedanken verblieb der Marone jetzt gänzlich und regte weder Hand noch Fuß. In dieser ruhigen Haltung glich er fast einer Statue in sitzender Stellung auf dem Gipfel einer korinthischen Säule, deren zierliches Blätterwerk von den Zweigen der Kokosnuss gebildet wurde.