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Der Kommandant des Tower 11

Der-Kommandant-des-TowerDer Kommandant des Towers
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Zweites Buch
Der Lordprotektor
Drittes Kapitel

Wie der Earl von Hertford zum Protektor des Reichs und zum Oberhofmeister des Königs während dessen Minderjährigkeit ernannt wird

Kurz nachdem Edward sich in den Tower begeben hatte und während er sich bereithielt, alle die geistlichen und weltlichen Lords zu empfangen, welche herbeigeeilt waren, um den Huldigungseid zu leisten, fand in der kleineren Ratskammer des weißen Tower (die jetzt als Staatsarchiv dient) eine Konferenz statt, an welcher nur die Mitglieder des oberen und niederen Conseils teilnahmen. Die Mitglieder des Letzteren hatten kein Stimmrecht, sie nahmen nur an der Beratung teil.

Bei Eröffnung der Versammlung stellte der Lordkanzler einen Antrag, für den er seine besonderen Gründe hatte. Er verlangte, dass alle schwören sollten, jeden Satz und jeden Artikel in dem Testamente und letztem Willen ihres verstorbenen Königs und Herrn unverändert aufrecht zu erhalten.

Obwohl dieser Antrag manchem nicht behagte, so waren doch keine Einwendungen zu machen, und der Schwur ward sonach geleistet.

»Der Eid ist geschworen«, murmelte Wriothesley mit einem Blick auf Hertford. »Wollen sehen, wer es wagt, ihn zu brechen.«

Er brauchte nicht lange zu warten, denn Sir William Paget, Erster Sekretär und Hertfords Hauptverbündeter, stand auf und bat ums Wort.

»Bevor wir weitergehen, Mylords und Gentlemen«, sprach er, »muss ich bemerken, dass es eine höchst umständliche und besonders der fremden Gesandten wegen lästige Sache wäre, wenn sie bei jeder Gelegenheit sich an sechszehn Personen zu wenden hätten, die alle mit derselben Gewalt bekleidet sind. Ich schlage deshalb als vorläufige Maßregel vor, dass wir aus unserer Mitte den Würdigsten und Tüchtigsten zum Präsidenten erwählen und ihm den Titel Lordprotektor des Reichs verleihen. Auf diese Weise wird die Erledigung der Geschäfte unendlich rascher vonstatten gehen, ohne dass die Regierungsform geändert wird, denn es muss dem Lordprotektor die Bedingung gestellt werden, dass selbiger nur unter Mitwirkung des gesamten Conseils handeln darf.«

»Euer Antrag kann nicht berücksichtigt werden, guter Herr Sekretarius«, rief der Lordkanzler, indem er aufstand. »Er steht in direktem Widerspruch mit dem Willen des verstorbenen Königs, dessen Aufrechterhaltung Ihr eben beschworen und den Ihr in keinem Titelchen verletzen dürft, ohne Euer Wort zu brechen. Wir wollen weder einen Präsidenten noch einen Lordprotektor. Vonseiten unseres königlichen Herrn ist eine solche Ernennung nicht geschehen, niemand kann das behaupten. Uns allen wurde gleiche Gewalt gegeben, und ich werde mich weigern, auch nur einen Teil derselben abzutreten – sei es, an wen immer.« Und daher blickte er drohend zu Hertford hinüber, der aber in Betreff des Resultats vollkommen ruhig schien.

»Wenn nun unsere Wahl auf Euch fiele, Mylord, würdet Ihr dann auch so viel Einwendungen machen?«, fragte Sir Richard, ebenfalls ein Anhänger Hertfords.

»Das wird sie nicht!«, erwiderte Wriothesley. »Ich weiß, dass Ihr nicht daran denkt, mich zu wählen, Sir Richard, aber wenn auch, gesetzmäßig dürftet Ihr es nicht, und ich würde das Amt eines Lordprotektors nicht annehmen, wenn es mir angeboten würde, denn ich weiß, dass es den Absichten unseres verstorbenen Herrn und Königs zuwiderliefe, wenn einer von uns mehr Macht besäße als die anderen. Ihr müsst den letzten Willen nehmen, wie er ist – nicht wie Ihr ihn haben möchtet.«

»Fern sei es von mir, irgendetwas vorzuschlagen, was der wirklichen Absicht und Meinung unseres vielbeweinten Herrn zuwiderliefe«, sprach Paget, »aber es liegt im Interesse des Geschäftsganges und der Regierung im Allgemeinen, dass wir ein Oberhaupt haben, sonst wird die heilloseste Verwirrung entstehen. Da übrigens der Lordprotektor keine andere Gewalt haben wird als eine solche, die von uns allen ausgeht, so kann ich in der Ernennung nichts Schlimmes sehen – nur Gutes. Ich bitte deshalb um Eure Stimmen für Seiner Majestät ältesten Oheim, den Earl von Hertford, den ich für die geeignetste Person halte, unser Präsident zu sein. Verleihen wir ihm den Titel eines Lordprotektors, und da er der nächste jetzt lebende Verwandte des Königs ist und mehrmals irgendein anderer Seiner Majestät Interesse sich angelegen sein lassen muss, so könnt Ihr nichts Besseres tun, als ihn zum Oberhofmeister des Königs bis zu dessen Mündigkeit zu ernennen.«

»Es kann nicht sein, sage ich!«, rief Wriothesley, indem er wütend mit dem Fuß auf den Boden stampfte. »Ich gebe nie meine Stimme dazu, und zum Wenigsten müsste die Wahl einstimmig sein.«

»Das nicht, Mylord. Stimmenmehrheit genügt«, sagte Paget.

»Seid ruhig, ich bitte Euch, Mylord,« sagte Sir Anthony Brown leise zu dem Lordkanzler. »Eure Opposition nützt Euch zu nichts, aber Eure Zustimmung macht Euch zum Earl von Southampton.«

»Eh! – so?«, rief Wriothesley, sich plötzlich besänftigt niedersetzend.

»Geht ruhig weiter«, flüsterte Sir Anthony dem Lord Paget zu, »ich habe dem Lordkanzler mit einer Grafschaft den Mund gestopft.«

»Das ist gut,« erwiderte der andere im selben Ton und fuhr dann gegen die Versammlung gewendet fort: »Wenn ich recht verstehe, Mylords und Gentlemen, so seid Ihr einverstanden, Mylord von Hertford zum Conseils-Präsidenten zu ernennen mit dem Titel Lordprotektor des Reichs und Oberhofmeister des Königs während seiner Minderjährigkeit. Ich bitte, Eure Stimmen abzugeben.«

»Wartet einen Augenblick!«, unterbrach ihn der Lordkanzler, indem er sich abermals erhob. »Fügt Eurem Antrag die Bedingung hinzu, dass der Lordprotektor nichts unternehmen darf ohne die Zustimmung der anderen Räte, und ich gebe meine Opposition auf.«

»Das war auch meine Meinung, Mylord, und ich danke Euch für die Andeutung«, antwortete Paget, indem er sich verbeugte. »Stimmen alle bei?«, fügte er hinzu.

Darauf erhoben sich die Übrigen und riefen einstimmig, keiner eigne sich besser zum Lordprotektor als der Earl von Hertford, und sie alle seien mit der Ernennung einverstanden.

»Ich kümmere mich nicht um weltliche Angelegenheiten«, bemerkte Cranmer, »ich verstehe nichts davon, aber ich habe dem Mylord von Hertford meine Stimme gegeben, weil ich überzeugt bin, dass er die Regierungsgeschäfte mit Einsicht und Weisheit führen, und dass er keine Anstrengungen scheuen wird, um die Kirchenlehre zu läutern und das wahre Christentum herzustellen.«

»Ich habe der Ernennung des Mylord von Hertford in der Überzeugung beigestimmt«, sagte Tunstal, »dass der Staat eines Hauptes bedarf, und dann auch in dem festen Glauben, dass kein Besserer mit dem Amt betraut werden kann, als er. Aber da ich treu dem alten Glauben anhänge, obwohl ich um des lieben Friedens willen in manche Neuerungen des verstorbenen Königs gewilligt habe, so bin ich doch entschieden gegen jede fernere Kirchenreform, wie man es zu nennen beliebt, und ich würde meinen Irrtum aufs Tiefste bedauern, wenn der Lordprotektor die ihm eben verliehene Gewalt dazu missbrauchen würde, uns noch mehr mit dem römischen Stuhl zu verfeinden und die Spaltung zu erweitern, die unglücklicherweise in der Kirche entstanden ist.«

»Fürchtet nichts, Mylord Durham,« sprach Wriothesley, »die Sache Roms hat zu mächtige Stützen im höchsten Conseil an Euch selbst, an den Mylords von Arundel und St. John an Sir Edward Wotton, Sir Anthony Brown und Doktor Nicolas Wotton; und in dem anderen Conseil an Sir John Gage, Sir William Petre, Sir John Baker und Sir Thomas Cheyney. Ich sage nichts von mir selbst, aber auf meinen Eifer könnt Ihr zählen. Wir werden jedem ferneren Eingriff in unseren Glauben Widerstand leisten, ernsten Widerstand.«

»Ihr habt sowohl meine Gefühle ausgesprochen, Mylord, wie die aller anderen Freunde des Glaubens,« sagte Sir Anthony Brown, »wir wollen die Kluft ausfüllen, die uns von Rom trennt, nicht aber erweitern.«

»Nein, meine guten Lords«, nahm Hertford mit sanft und versöhnlich klingender Stimme das Wort. »Lasst keine Uneinigkeit unter uns sein.« Dann fügte er hinzu, indem er sich nach allen Seiten hin verbeugte: »Nehmt, ich bitte Euch, alle meinen herzlichsten Dank für das hohe und wichtige Amt, mit welchem Ihr mich betraut habt. Mein ganzes Bestreben soll dahin gehen, Euch zufriedenzustellen, die Differenzen auszugleichen, nicht zu vermehren. Ich werde gemüßigt und duldsam, kein Eiferer, kein Fanatiker sein. Und wie könnte ich irre gehen, da Eure Gesamtmeinung mich führen und leiten wird?«

Da diese Rede den gewünschten Eindruck machte, so fuhr der Lordprotektor fort. »Und nun, Mylords und Gentlemen, liegt eine Sache vor, die manchen von Euch mit betrifft und auf die ich gleich Eure Aufmerksamkeit lenken muss, wenn auch die vollständige Erledigung notwendigerweise auf eine andere Zeit vertagt werden muss. Wie Ihr alle ohne Zweifel wisst, befindet sich in dem Testament des verstorbenen Königs eine Klausel, die uns, seine Testamentsvollstrecker, betrifft und die alte Versprechungen zu erfüllen bestimmt ist. Es ist notwendig , dass wir uns ohne Zögern überzeugen, worin diese Versprechungen bestanden. Zum Ende werde ich einen aufrufen, der Seiner Majestät Vertrauen im höchsten Grad besaß und Gelegenheit hatte, dero Willen kennenzulernen. Ich wende mich an Euch, Sir William Paget, und wünsche, dass Ihr, soweit wie möglich, uns des Königs Absichten darlegt.«

»Ich kann Eure Fragen leicht beantworten, Mylord,« antwortete der Erste Staatssekretär, »denn ich besitze ein Buch, in dem sich des Königs Wünsche von meiner eigenen Hand verzeichnet finden. Seine Majestät kontrollierte selbst dieses Buch und unterzeichnete das Memorandum. Hier ist es«, fügte er hinzu, indem er das Buch hervorzog. »Hieraus werdet Ihr erfahren, welche Ehren und Belohnungen er seinen getreuen Dienern zugedacht hat. Hier werdet Ihr es geschrieben finden, dass der Earl von Hertford zum Lordgroßschatzmeister und Reichsmarschall ernannt wird, mit dem Titel Herzog von Sommerset. Sein Sohn wird Earl von Hertford. Um dem Herzog und seinem Sohn diese Titel entsprechend zu dotieren, sollen ihnen die Revenuen desjenigen Bistums zufallen, welches zunächst eingezogen wird.«

»Das wird Durham sein,« bemerkte Tunstal. »Seine Majestät hat Mitgliedern der hohen Geistlichkeit gegenüber ebenso wenig Skrupel bewiesen als in Betreff der Klöster.«

»Nein, Mylord, ich glaube nicht,  dass meine Revenuen aus Eurer Diözese herfließen werden,« sagte Hertford, »obgleich sie die reichste und größte im ganzen Königreich ist. Was ferner, guter Herr Sekretarius?«

»Der Earl von Essex soll Marquis von Northampton werden,« fuhr Paget fort. »Lord Lisle Earl von Warwick; Lord Wriothesley«, er machte eine Pause, um einen Blick zum Kanzler hinzuwerfen, »Earl von Southampton; Sir Richard Rich Baron Rich; und Sir Thomas Seymour Baron Seymonr von Sudley, Lordadmiral von England.«

Letztere Ankündigung wurde mit großem Applaus aufgenommen, besonders von den Mitgliedern des niederen Conseils, und Seymonr wurde herzlich beglückwünscht. Er selbst aber sah missvergnügt aus und hielt die Rangerhöhung offenbar für ungenügend. Einer aber in dem oberen Conseil fühlte sich durch Seymours Ernennung förmlich beleidigt, nämlich der bisherige Admiral, Lord Lisle.

»Was ist das?«, rief er ärgerlich. »Soll ich mein Amt verlieren?«

»Nun, um etwas Besseres zu bekommen,« antwortete der Lordprotektor. »Tretet Euer Patent zu Gunsten meines Bruders ab, und ich werde Euch mit dem Amt eines Großkämmerers bekleiden, das ich selbst innehabe.«

»Mit dem Tausch bin ich sehr zufrieden, Mylord«, erwiderte Lisle, und seine mürrische Miene verwandelte sich in Lächeln.

»Und wie steht es mit Sir John Gage?«, fragte der Lordprotektor. »Keine Standeserhöhung für ihn?«

»Er ist nicht erwähnt,« antwortete Paget, mit dem Kopf schüttelnd.

»Das freut mich zu hören,« ließ sich die Bassstimme des Towerkommandanten am äußersten Ende des Saales vernehmen.

»Ist Euch denn kein Titel verliehen, guter Herr Sekretarius?«, fragte der Lordprotektor.

»Eure Lordschaft wird sehen, wenn Ihr geruht, in dieses Buch zu blicken,« erwiderte Paget.

»Ich hatte gerade die Wache,« sagte Sir Anthony Denny, als dieses Memorandum abgefasst wurde, und bemerkte Seine Majestät, dass der Herr Sekretarius an alle denke, nur nicht an sich, worauf der König mich niederschreiben hieß, dass ihm eine Revenue gezahlt werden solle, wie Ihr sie in dem Buch verzeichnet findet.«

»Allen, welche der König zu belohnen gedachte,« versetzte Paget, »sind Revenuen zugewiesen. Sie sollten aus den verwirkten Besitzungen des Herzogs von Norfolk gezogen werden, aber dieser Plan ist vonseiten des Herzogs vereitelt worden, der, wie Ihr wisst, Seine Majestät bewog, die Besitzungen auf dessen Sohn, unseren jetzigen Herrscher, zu übertragen. Folglich müssen die Revenuen aus anderen Quellen herfließen.«

»Alles soll mit der Zeit geordnet werden,« sprach der Lordprotektor. »Nach der Krönung Seiner Majestät sollen die Ernennungen geschehen, wie sie der Wille des verstorbenen Königs bestimmte. Bis dahin müssen die Ungeduldigen sich gefallen lassen, zu warten. Und nun, Mylords und Gentlemen, gehen wir zum König, der im Audienzsaal sein wird. Ich bitte Euer Ehrwürden mit mir zu gehen.« Letzteres sprach er zu dem Erzbischof von Canterbury, der jedoch zurücktrat und ihm den Vortritt ließ. Die übrigen Mitglieder beider Conseils folgten.