Der bayerische Hiesel – Teil 46
Friedrich Wilhelm Bruckbräu
Der bayerische Hiesel
Wildschützen- und Räuberhauptmann, landesverrufener Erzbösewicht
Hiesels Tod
Die Verhöre des Hiesel wollten fast kein Ende nehmen, da eine zahllose Menge von Geschädigten, Beteiligten und Zeugen oft in der weitesten Ferne gerichtlich vernommen werden musste.
An seinem Charakter wurde getadelt, dass er bei jeder Gelegenheit alle Schuld auf seine Kameraden zu wälzen suchte. Allein Hiesel befand sich im Fall der Notwehr. Es galt sein Leben, und eine so hochherzige Denkart war bei ihm, da er keine Erziehung erhalten hatte, die geeignet gewesen wäre, seinem Gemüt eine edlere Richtung zu geben, nicht mit Billigkeit vorauszusetzen.
Er betrug sich während seiner langen Haft ruhig und ernst, auf das Schlimmste gefasst. Gar oft äußerte er, dass er den Tod wohl verdiene. Sein ganzes Benehmen bewies Reue über die verübten Freveltaten. Sein Herz war verirrt, aber nicht verstockt. Nicht selten erschien ihm sein seliger Vater im Traum und bat ihn, seines ewigen Seelenheils wegen sich mit Gott zu versöhnen. Diese Ermahnungen gaben ihm den Mut, standhaft den Versuchungen des Trüffelhundes zu widerstehen, der gar oft in Hiesels einsame Zelle trat und ihm die Freiheit verhieß, wenn er den Vertrag unterschreiben wollte.
Endlich nahte der letzte Tag seines Lebens. Die Kunde seiner Hinrichtung war in ferne Länder gedrungen. Fremde strömten in solcher Zahl nach Dillingen, dass die Wirtshäuser sie nicht mehr fassen konnten, und selbst viele Privatleute diejenigen beherbergen mussten, welche kein Obdach mehr gefunden hatten.
Den 6. September 1771, nach einer Haft von 8 Monaten, wurde Hiesel in einer nassen Kuhhaut eingebunden, auf einer Schleife zum Richtplatz geschleift, am Rathaus vorüber, an dessen Mittelfenster ein rotes Tuch den Blutbann verkündete.
Vier Geistliche ermahnten ihn zur Ergebung in den Willen Gottes.
Mit Entsetzen bemerkte Hiesel, dass der Knecht, welcher auf dem Pferd ritt, das die Schleife zog, eine schreiende Ähnlichkeit mit dem Trüffelhund hatte.
Hiesel behielt eine unerschütterliche Fassung, als der Aktuar des hochnotpeinlichen hochfürstlich Augsburgischen Halsgerichtes, von jenem Fenster aus ihm das peinliche Endurteil vorlas, welches die lieben Leser in der Beilage aktenmäßig abgedruckt finden, aus dem hervorging, dass er, nicht zu erwähnen eine Menge anderer, höchst sträflicher Verbrechen, zwölf der gewaltsamsten Räubereien, acht besondere Landesfriedensbrüche und neun Totschläge, sohin 29 der abscheulichsten Lastertaten begangen hatte.
Jenseits der Brücke von Dillingen war das Schafott errichtet, auf welchem Hiesel seine Verbrechen mit dem Tod durch das Rad büßen sollte, umdrängt von einer unermesslichen Menge von Zuschauern zu Wagen, zu Pferd und zu Fuß. Während Hiesel sein Todesurteil vernahm, wurden zwei seiner Kameraden durch das Schwert hingerichtet und ihre Körper späterhin auf das Rad gelegt: Johann Adam Locherer, der sogenannte Blaue, 25 Jahre alt, von Rhain aus Bayern gebürtig, ledigen Standes, und Johann Georg Brandmayr, der sogenannte Rote, 20 Jahre alt, von Steindorf in Bayern gebürtig, gleichfalls ledigen Standes.
Aus Schonung für Hiesel wurden die Körper der Enthaupteten unter die Blutbühne gelegt, bevor er selbst erschien.
In einer engen Zelle unter derselben beichtete Hiesel noch einmal, trank ein dargebotenes Glas Wein und stieg standhaft die Treppe hinauf.
Bei dem Anblick der furchtbaren Maschine in der Form eines Andreaskreuzes erbleichte er und seufzte tief auf. Doch die würdigen Priester ermüdeten nicht, sein Herz durch christliche Trostsprüche und Verheißung der Barmherzigkeit Gottes zu stärken.
Die Hände faltend zum Gebet warf er einen schmerzlichen, reumütigen Blick zum Himmel. Plötzlich fiel sein Blick auf einen dicht am Schafott haltenden Wagen, auf dessen Decke zusammengekauert der Trüffelhund saß, das verhängnisvolle Papier in der Hand haltend, und ihm zuflüsterte: »Versprich, dass du unterschreibst, und ich entführe dich durch die Lüfte.«
Hiesel machte ein verneinendes Zeichen mit dem Kopf, worauf, nur ihm sichtbar, der Fürst der Finsternis in der Gestalt einer schwarzen Säule emporwirbelte und verschwand.
Noch starrte Hiesel die Voranstalten seines Todes an, als ein Henkersknecht ihn langsam auf das Andreaskreuz niederlegte. Andere Gehilfen schraubten die Hände und Füße an die Maschine. In dem Augenblick, als einer derselben ihm den Sack über den Kopf ziehen wollte, neigte sich sein verstorbener Vater, das Antlitz in seliger Verklärung leuchtend, auf ihn nieder, gab ihm den Abschiedskuss und tröstete ihn: »Lieber Sohn, stirb standhaft. Gott hat dem reuigen Sünder verziehen. Bald werden wir uns auf ewig wiedersehen!«
Da verhüllte der Sack den Kopf des Hiesel. Das Rädchen neben dem Hals schnarrte. Der erdrosselnde Strang raubte ihm Bewusstsein und Empfindung. Das Rad des Henkers zerschmetterte in mächtigen Schlägen zuerst mit dem Gnadenstoß die gewölbte Brust, dann die übrigen Glieder, und Hiesel hatte ausgelitten, vollendet und gebüßt.
Der Kopf wurde vom Rumpf getrennt, und der Körper in vier Teile zerhauen, der Kopf auf den Galgen gesteckt, mit der Unterschrift Der bayerische Hiesel, so auch ein Viertel des Leibes nebenan aufgehangen. Das zweite Viertel kam nach Lamendingen, das dritte nach Schwabmünchen und das vierte auf das Lechfeld, dem Hiesel zur Strafe, anderen aber zum abschreckenden Beispiel.
***
So schmählich endete der furchtbare Wildschützen- und Räuberhauptmann Hiesel, der mit kleinem Vergehen anfing, und dadurch zu großen Verbrechen verlockt wurde.
Im Trüffelhund findet ihr den Geist des Bösen verkörpert, der ihn stets zu neuen Freveltaten antrieb, indem er ihn durch den Wahn der Sicherheit immer tollkühner machte. Unter glücklicheren Umständen geboren, wäre er vielleicht der Stolz seines Vaterlandes geworden.
Darum hütet euch, liebe Leser, vor dem ersten Schritt zum Bösen, und vergesst nie: »Ehrlich währt am längsten!«
Dem Andenken des reumütig verstorbenen Hiesel aber schenkt ein andächtiges Vaterunser.