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Gold – Kapitel 9.3

Gold-Band-1Friedrich Gerstäcker
Gold
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 9 Teil 3
Das Paradies

Herr Hufner, der etwas Englisch, wenn auch mit sehr gezwungenem Akzent sprach, übersetzte dem Langen die Worte. Kaum war er aber damit fertig, als dieser seine Peitsche fasste und ausrief: »So, mein Herz? Das Eselfüllen ist dein, und du kannst damit machen, was du willst? Sieh einmal hier die Peitsche an, die ist mein, und ich habe dieselben Grundsätze!« Dabei hieb er dem frechen Burschen aus Leibeskräften eine Anzahl Streiche über Kopf und Schultern hinüber.

Der Deutsche fasste in blinder Wut nach seiner abgeschossenen Büchse und riss endlich ein Messer aus seiner Tasche.

»Bravo! Bravo!«, schrien aber sowohl die Amerikaner als auch seine eigenen Landsleute, die sich ihm alle drohend entgegenstellten. Gegen die Übermacht konnte er nichts ausrichten, und der Justizrat zählte indessen mit großer Genugtuung sowohl die verabreichten als auch die verdienten Hiebe.

»Hm«, sagte er dann, als der Amerikaner einhielt und ruhig wieder nach vorn zu seinem Wagen ging. »Neun! Hätten ihm 25 gehört! Lumpenkerl!«

Der Deutsche fluchte und schimpfte und schwor, er wolle den Fuhrmann wie einen tollen Hund über den Haufen schießen, sobald er nur wieder geladen hätte. Aber es kümmerte sie niemand um ihn. Als er allein war, durfte er ungestraft seine Wut an der armen Eselin auslassen. Dieses kleine Intermezzo lenkte die Aufmerksamkeit der Reisenden für eine Zeit lang von den Goldwäschern ab. Mit Entrüstung sprachen sie sich untereinander über die Brutalität des rohen Menschen aus. Die »Passagiere« holten dabei ihre verschiedenen Flaschen heraus und tranken dem Fuhrmann zu, der dem Buben doch wenigstens mit den Peitschenhieben gezeigt hatte, was sie über sein Betragen dachten.

Der Weg selber nahm aber bald ihre Aufmerksamkeit in Anspruch, denn er führte ein paar Mal herüber und hinüber durch den überall von Löchern durchwühlten Bergbach, während er an einigen Stellen so schmal wurde, dass die Räder nur eben ihr Gleis hielten.

Sie befanden sich nun auch an der Stelle, wo sich die Wasser des früheren Bergsees ihre Bahn ins Freie hinaus und in das enge Tal hinab gewaschen hatten. Hier erst einmal vorüber, und alle Schwierigkeiten waren beseitigt.

Der Fuhrmann wusste übrigens vortrefflich mit seinen vier Ochsen umzugehen. Mit Wort und Peitsche regierte er sie auf das Genaueste in dem Gleis hin, in dem er sie halten wollte, und wenn die Eigentümer der auf den Wagen gepackten Güter auch wohl manchmal mit stiller Angst die hässlichen Stellen betrachteten, in die hinein das leiseste Ausweichen der Räder die ganze Fracht schleudern konnten, rollten diese doch immer sicher selbst am äußersten Rand der darunter wegbröckelnden Wände hin. Der Mann war aber auch mit demselben Wagen, wenn auch nicht mit denselben Stieren, über die Felsengebirge gekommen, und an schlimmere Wege dort gewöhnt worden. Hier sah er weiter keine Gefahr als das mögliche Umwerfen seines Geschirres und das Ausschütten der Fracht, an der er weiter kein Interesse hatte. Oben in den Bergen hing dagegen ebenso oft sowohl sein Leben als auch das seiner Tiere an einem falschen Tritt, an dem Rollen eines Steines.

Jetzt erreichten sie den oberen Pass, und dicht vor ihnen ausgebreitet lag auf kaum hundert Schritt Entfernung das ganze wunderliche Leben dieser Welt,

das sich besonders der Justizrat kopfschüttelnd betrachtete. Und allerdings hatte er vielleicht in diesem Augenblick gerade vollkommen Ursache dazu, da selbst die, an solches wilde Treiben weit eher gewöhnten Amerikaner überrascht hinabschauten, und sich nicht erklären konnten, was der ihnen entgegentönende tolle Lärm bedeute.

Die ganze Flat schien nämlich nicht allein in Revolution, denn von allen Seiten sprangen die Miner kreischend, jauchzend, hupend und lachend herbei, sondern auch über das Städtchen selber musste ein ganz wunderlicher Geist gekommen sein, denn wie bei einem Mummenschanz betrugen sich die Leute. Hier stand einer, der auf einem chinesischen Tamtam oder Gong herumhämmerte, dass die scharfen, ohrzerreißenden Töne weit über die Berge hinaus schmetterten und da ihr Echo suchten. Dort stand ein anderer mit einer kleinen Kindertrompete, der er mit zum Zerspringen angefüllten Backen und einem zinnoberroten Gesicht die schrillsten Töne entlockte. Da wirbelte einer auf einer Trommel, hier schlug ein Vierter ein paar Becken zusammen, während ein Fünfter aus Leibeskräften eine alte gesprungene Glocke läutete.

Den Leuten schien es überhaupt nur darauf anzukommen, so viel Lärm wie möglich zu machen. Während die Goldwäscher von allen Seiten herbeiströmten, sah es fast aus, als ob hier zu irgendeinem Zweck Sturm geläutet würde.

»Was um des Himmels willen ist hier los?«, fragte da der eine der Amerikaner einen eben in voller Flucht vorbeispringenden Landsmann. »Brennt es irgendwo?«

»Brennt?«, gab dieser lachend zurück. »Nein, nur in den Küchen. Aber Hunger haben wir, und das sind die verschiedenen Signale, sodass jeder von uns weiß, wohin er gehört. Ihr kommt gerade zur rechten Zeit!« Damit sprang er vorüber.

Der Mann hatte vollkommen richtige Auskunft gegeben, denn die verschiedenen Kaufzelte hielten es hier und da auch für vorteilhaft, ihren Kunden für 2 Dollar per Couvert ein Diner zu geben. Die verschiedenen Alarmzeichen dienten also dazu, den Tischgästen anzuzeigen, dass das Essen fertig wäre, und da nicht Glocken genug vorhanden waren, jedenfalls auch mit ihren gleichen Lauten Verwirrung angerichtet hätten, so bediente sich jedes solches Esszelt eines anderen Instrumentes, das ihm von da an eigentümlich blieb.

Die eben Angekommenen konnten freilich noch nicht von diesem gastlichen Willkommen Gebrauch machen, denn ihr Gepäck musste erst abgeladen und dann auch im Auge behalten werden, bis es an irgendeiner sicheren Stelle, in Zelt oder Bretterverschlag untergebracht werden konnte.

Nur der Justizrat nahm keine solche Rücksichten, indem er von der Überzeugung ausging, dass seine Reisegefährten, die auf ihr eigenes Gepäck aufpassen mussten, dabei stillschweigend die moralische Verpflichtung übernommen hätten, auch auf das seine Acht zu geben. Ohne sich deshalb weiter darum zu kümmern, hörte er kaum, dass diese Signale »fertiges Essen!« bedeuteten, als er auch ohne Weiteres auf das nächste Zelt zuwanderte, dort eintrat, seine lange Pfeife mit dem Hut darüber in die Ecke stellte, und vor dem nächsten Couvert Platz nahm.

Das Innere des Zeltes versprach allerdings nicht viel, denn eine ungehobelte lange Tafel von kiefernen Brettern mit eben solchen Bänken an der Seite stand in der Mitte und war nur stellenweise mit ein paar kurzen und schon einige Mal gebrauchten Tischtüchern bedeckt.

Messer, Gabeln und Teller fanden sich allerdings vor, auch ein großes Salzfass – vielleicht von Zinn, der darauf haftende Staub ließ es nicht recht erkennen – zwei riesige Flaschen mit sogenannten »Pickles« (Pfeffergurken und spanischem Pfeffer) bildeten aber den eigentlichen Anlockungspunkt für diese Mahlzeiten.

Es war einmal etwas Pikantes für die Jungen, die sich das ewige frische Fleisch und Weizenbrot schon zuwider gegessen hatten, und die Leute bezahlten gern einen ziemlich hohen Preis für dasselbe, was sie sich zu Hause, d. h. in ihrem Zelt auch hätten kochen können, nur dabei dieser saueren und gepfefferten Pickles habhaft zu werden.

Eine Masse Gäste strömten jetzt herzu oder hatten schon teilweise Platz genommen. Der Justizrat erwartete nach allen diesen Vorbereitungen kaum etwas anderes als ein ordentliches und regelrechtes table d′hôte – er hatte sich darin aber geirrt.

Das ganze Mahl bestand in einem Stück etwas zähem Rindfleisch, Kartoffeln in der Schale und Weizenbrot. Die Pickles versuchte er ebenfalls, musste aber schon nach dem ersten Bissen so furchtbar husten, dass er kaum wieder zu sich kommen konnte. Dafür durfte er nachher zwei Dollar bezahlen und fand, als er voller Entrüstung über solche »Prellerei« das Zelt wieder verlassen wollte, dass ihm jemand seinen guten breitrandigen Filzhut unterdessen von der Pfeife weggenommen und stattdessen einen nichtswürdigen alten Strohdeckel darüber gestülpt hatte. Vergebens waren dabei alle Nachforschungen. Mit dem Englischen konnte er sich ebenfalls nur höchst mittelmäßig verständlich machen, und die Leute, denen er seinen Verlust klagen wollte, lachten ihn noch obendrein aus. Es blieb ihm zuletzt nichts anderes übrig, als zu seinen Leuten zurückzukehren und seinen Hut im Stich zu lassen.

»Sieh mal an«, empfing ihn dort aber der ihm verhasste Binderhof mit vergnügtem Lächeln. »Solche Eitelkeit hätte ich dem Justizrat gar nicht zugetraut – ist er gleich in die Stadt gegangen und hat sich einen neuen Hut gekauft.«

»Verdammte Deckel!«, fluchte aber der ärgerliche Mann, indem er den alten Strohhut, den er ganz in Gedanken aufbehalten hatte, vom Kopf riss, zusammenknüllte und auf den Boden warf. »Nichtswürdige Bande hier – wo ist meine Mütze?«

Lamberg war der einzige praktische Mensch in der ganzen kleinen Gesellschaft, hatte vor dem Arbeiten aber einen ebenso großen Widerwillen, wie ihn nur der Justizrat selber haben konnte, und vor diesem nur den Vorzug, dass er doch wenigstens angeben konnte, wie eine Sache gemacht werden sollte. Zur Ausführung benutzte er dann Herrn Hufner, der bei großer Gutmütigkeit und Gefälligkeit niemandem gern eine Bitte abschlug. Außerdem achtete Herr Hufner aber auch noch den Justizrat außerordentlich hoch – jedenfalls seines Titels wegen.

Vor allen Dingen war es jetzt nötig, dass sie ihr mitgebrachtes Zelt an irgendeinem passenden Ort aufschlugen. Diesen suchte Lamberg aus, bezeichnete die Stellen, wo die Löcher für die Zeltstangen gegraben werden mussten, und ließ dann Herrn Binderhof die Stangen halten, während Herr Hufner im Schweiß seines Angesichts die ersten Spitzhackenschläge in kalifornischem Boden tat.

Das Zelt stand endlich. Die mitgebrachten Gegenstände wurden – diesmal von allen gemeinschaftlich – hineingetragen, und Herr Hufner dann, da sich die Übrigen erst einmal in dem kleinen Ort umsehen wollten, als Wache zurückgelassen. Herr Hufner hätte allerdings gern selber einen ähnlichen Spaziergang gemacht. Der Justizrat war aber gleich nach der ersten oberflächlichen Einrichtung mit seiner wieder gestopften Pfeife fortgegangen, Binderhof steckte ebenfalls die Hände in die Taschen und schlenderte ihm nach, und Herr Lamberg hielt es für nötig, Gegend und Gelegenheit für ihre nächsten Arbeiten erst einmal in Augenschein zu nehmen. So blieb denn natürlich niemand weiter als Herr Hufner übrig, die Sachen im Auge zu behalten.