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Jack Lloyd Folge 61

Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät

Im Goldenen Schwan

Jack und Elena hatten den Goldenen Schwan erst betreten, als der Gesellschaftsraum bereits zum Bersten voll war. Nicht nur, dass Jack keine Lust auf ellenlange Gespräche mit irgendwelchen Würdenträgern der Stadt hatte, er wollte auch Maria so lange wie möglich aus dem Weg gehen. Es fiel ihm schwer genug das Schauspiel bis zum Ende durchzuspielen, da war es eher gefährlich, sich am heutigen Abend länger als nötig mit der Frau, die in ihm so widersprüchliche Gefühle hervorrief, zu umgeben.
Joe schlenderte durch den Festsaal und sprach hier und dort einige freundliche Worte zu den Anwesenden. Er schien wie geschaffen für die Priestertracht. Jack und Elena gesellten sich wie zufällig zu dem Mann im Gewand eines Geistlichen. Erleichtert lächelte Joe seinem Kapitän entgegen.
»Was hat so lange gedauert, Käpt´n?«
»Die Vorbereitungen für den heutigen Abend nahmen mehr Zeit in Anspruch, als wir dachten«, erwiderte Jack leise. Elena war sich nicht sicher, ob Joe die etwas klägliche Erklärung glaubte. Es spielte auch keine Rolle, sie hatten immer noch genug Zeit, um sich ausgiebig der Menge zu zeigen, damit niemand vorzeitig Verdacht schöpfte.
»Und wie geht es jetzt weiter?«, hakte Joe nach, dem offensichtlich nicht ganz wohl bei dem Gedanken war, hier einfach nur herumzustehen. Elena warf einen Seitenblick auf Jack. Dieser murmelte leise: »Ihr zwei werdet gleich zusammen durch den Hinterausgang den Schwan verlassen. Ich folge euch dann später.«
»Und du bist dir sicher, dass du hier allein klarkommst?«
»Natürlich. Wenn ich in zwei Stunden nicht im Hafen bin, dann ist etwas schief gelaufen. Dann macht ihr so weiter, wie es besprochen war, und wartet in Curacao, solange ihr könnt.«
»Und wenn ihr nicht …«
»Elena, wenn ich nicht komme, dann wurde ich aufgehalten. Ich bleibe hier, um dem Comte und auch sonst niemandem einen Grund zu liefern, misstrauisch zu werden. Verlassen wir das Fest gemeinsam, könnte jemand Verdacht schöpfen.«
Joe nickte langsam. Dann klopfte er Jack auf die Schulter und brummte: »Sei vorsichtig, mein Junge. Jeder hier würde dich ohne mit der Wimper zu zucken töten, wenn er wüsste, wer du bist. Wahrscheinlich einschließlich deiner kleinen Freundin.«
»Geht einfach«, erwiderte Jack. »Und sorgt dafür, dass alle bereit sind.«
Joe und Elena zogen sich langsam, getrennt voneinander, in den hintersten Teil des Saals zurück. Dort war eine kleine Tür, durch die man in den Flur gelangte, der in den Hinterhof führte. Von hier aus gelangte man durch eine schmale Pforte auf die Straße hinaus. Den beiden gelang es, den Saal zu verlassen, ohne jemanden auf sich aufmerksam zu machen.
Jack schlenderte weiter durch die Reihen der Gäste. Schließlich hatte Maria ihn erspäht und er hatte keine Gelegenheit mehr, seiner Verlobten auszuweichen. Als sie lächelnd auf ihn zu trat und ihm eine Hand reichte, tat es dem jungen Kapitän fast physisch weh, dieses Lächeln zu erwidern.
»Ich dachte schon, Ihr würdet gar nicht mehr kommen«, erklärte Maria lächelnd, während Jack einen Handkuss auf ihren Handrücken hauchte. »Wie könnte ich mir ein Fest wie dieses entgehen lassen«, erwiderte Jack ebenso lächelnd. Dann fügte er verschwörerisch flüsternd hinzu: »Ich habe gehört, der Gouverneur plant eine Bekanntmachung zu geben.«
Maria zog fragend beide Augenbrauen nach oben. In gespielter Überraschung fragte sie: »Wirklich? Worum soll es gehen?«
»Ich habe keine Ahnung. Es scheint aber eine Sache von staatstragender Wichtigkeit zu sein.«
»Meint Ihr wirklich, Señor?« Jack musste lachen. Maria klang wirklich wie eines dieser sensationslüsternen Weiber auf den Märkten, die man stets nur beim Austausch von Neuigkeiten und Gerüchten sah.
»Mein Vater lässt Euch fragen, wann Ihr den Zeitpunkt für gut haltet, um die staatstragende Neuigkeit bekannt zu geben.«
»Wie seht Ihr das denn, meine Liebe?«
»Je früher, desto besser«, brummte Maria.
»So geht es mir auch. Aber meint Ihr nicht auch, dass ein Zeitpunkt nach dem Festmahl am geeignetsten wäre?« Maria nickte langsam. Auch wenn es ihr offensichtlich nicht gefiel, sie musste zugeben, dass die Gesellschaft nach dem Festessen wohl wesentlich zugänglicher sein würde.
»Dann werde ich ihm das ausrichten. In zwei Stunden wird das Essen beginnen. Für Euch ist ein Platz an der Tafel des Gouverneurs, an seiner linken Seite direkt neben mir reserviert.«
»Ich habe vorhin gesehen, dass die Feierlichkeiten in der Stadt bereits im vollen Gange sind. Ist es dort draußen nicht viel interessanter als hier?«, fragte Jack leise nach.
»Mit Sicherheit, Señor«, erklärte Maria ebenso. »Aber wir wollen doch nicht etwa gegen die Etikette verstoßen?«
Jack konnte kaum dem Drang widerstehen, nach Marias Hand zu greifen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt wäre ein solcher Austausch von Zärtlichkeiten überaus unschicklich gewesen.
»Wenn ich heute Nacht zu deinem kleinen geheimen Haus komme, wirst du dann da sein?«, fragte Jack vorsichtig.
»Ich hatte inständig gehofft, dass du mich das fragen würdest«, hauchte Maria sanft.

Maria machte sich auf den Weg zu ihrem Vater, um ihm die gemeinsame Entscheidung des Paares mitzuteilen. Jack ließ sich einen Becher Wein reichen und stellte sich in eine Ecke. Er behielt den Saal eine Weile im Auge, stets bemüht zu sehen, ob jemand ihn vielleicht beobachtete. Er hatte es geschafft, den Gouverneur und Maria für die nächsten zwei Stunden abzulenken. Wenn Maria ihn gleich nicht mehr fand, würde sie wahrscheinlich annehmen, dass er sich ein wenig in der Stadt umsehen wollte. Einzig der Umstand, dass er den Comte nirgendwo sah, bereitete Jack einige Sorgen.
Dann, nachdem er sich sicher war, dass ihn niemand beobachtete, schlüpfte auch Jack durch die Hintertür, durch die bereits Joe und Elena verschwunden waren. Auf der Straße angekommen atmete er einmal tief durch. Gegen den Drang, einfach loszurennen, ankämpfend, machte Jack sich gemäßigten Schrittes auf den Weg in Richtung Hafen. Er durfte auf keinen Fall irgendjemandem auffallen. Allein das Paar Augen, dass Jack sorgenvoll folgte, bemerkte der junge Kapitän auf seinem Weg nicht.

Fortsetzung folgt …

Copyright © 2012 by Johann Peters