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Die Skalpjäger – Der Rio del Norte

Die-SkalpjägerThomas Mayne Reid
Die Skalpjäger

Erster Teil
Zehntes Kapitel
Der Rio del Norte

Wir reisen tagelang am Rio del Norte hinab, wir ziehen durch zahlreiche Dörfer, von denen viele die Wiederholungen von Santa Fe sind. Wir folgen über die Zequias und Bewässerungskanäle, und reiten an Feldern von hellgrünen Maispflanzen vorüber. Wir sehen Weinberge und große Haziendas. Diese scheinen immer reicher und fruchtbarer zu werden, je näher wir dem südlichen Teile der Provinz – dem Rio Abajo kommen.

In der Ferne sehen wir, sowohl östlich wie westlich, dunkle Berge gegen den Himmel aufragen, es sind die Zwillingsreihen der Felsengebirge. Lange Ausläufer gehen von ihnen dem Fluss zu und scheinen an verschiedenen Stellen das Tal zu schließen. Sie erhöhen den Ausdruck verschieden schöner Landschaften, die sich uns auf unserem Weg öffnen.

Wir sehen in den Dörfern und auf den Landstraßen malerische Kostüme, Männer in der karierten Serape oder der gestreiften wollenen Decke der Navajos, kegelförmige Sombreros, mit breiten Krempen, Calzoneros aus Baumwolle, mit ihren Reihen glänzender Zuckerhutknöpfen, und der hellfarbigen Schärpe, welche sie um den Leib festhält. Wir sehen Mangas und Tilmas und Sandalen tragende Männer, wie im Orient. An den Frauen bemerken wir den graziösen Rebozo, die kurze Nagua und das gestickte Chemisett.

Wir sehen rohe Ackerbauwerkzeuge, die knarrende Carreta mit ihren Blockrädern, den Urpflug, aus einem gabelförmigen Baumast, welcher kaum den Boden auf ritzt, die an den Hörnern zusammengejochten Ochsen, – alle diese Gegenstände sind für unser Auge neu und merkwürdig, und verkünden den subtilen Grad landwirtschaftlicher Kenntnis.

Auf den Wegen stoßen wir auf zahlreiche Abajos, unter der Obhut ihrer Arrieros. Wir beobachten die kleinen, glatten, leicht gegliederten, boshaften Maultiere, wir werfen einen Blick auf die schweren Alparejas und bunten, gestreckten Apischamoren. Wir bemerken die kleinen, sehnigen Mustangs, welche die Arrieros reiten, die hoch aufgetürmten Sättel und Haarzügel, die braunen Gesichter und spitzigen Bärte der Reiter, die mächtigen Sporen, welche bei jedem Schritt klirren, die Ausrufe: »Holla! Mula! Mula! Malraya! Vaya!«

Wir bemerken alles dies und es verkündet uns, dass wir im Land der Hispania-Amerikaner reisen.

Unter anderen Umständen würden diese Dinge mich interessiert haben. Zu jener Zeit erschienen sie mir wie die Bilder eines Panoramas, oder die wechselnden Szenen eines fortwährenden Traumes. Als solche haben sie ihre Eindrücke in meinem Gedächtnis hinter lassen. Ich befinde mich in dem beginnenden Delirium des Fiebers.

Es begann jetzt erst, dessen ungeachtet aber verzerrte es die Bilder um mich her, und machte ihre Eindrücke unnatürlich und ermüdend. Meine Wunde begann mir neue Schmerzen zu bereiten, und die Sonnenhitze, der Staub, der Durst sowie die erbärmliche Bewirtung in den neu-mexikanischen Posaden reizten mich so auf, dass ich es kaum noch ertragen konnte. Am fünften Tag, nachdem wir Santa Fe verlassen hatten, ritten wir in dem erbärmlichen kleinen Pueblo Parida ein. Es war meine Absicht, hierzubleiben, aber der Ort erwies sich als so hässlich und bot so geringe Aussicht auf Bequemlichkeit dar, dass ich weiter nach Socoro ging. Dies ist der letzte bewohnte Ort in New Mexiko, auf dem Weg zu jener entsetzlichen Wüste – der Yornada del muerte.

Godé hatte die Reise nie gemacht, und in Parida hatte ich eins erlangt, was wir bedurften – einen Führer. Er hatte sich freiwillig angeboten, und da ich erfuhr, dass es keine leichte Aufgabe sein würde, in Socoro einen zu erlangen, so musste ich ihn wohl mitnehmen. Er war ein roher zottig aussehender Geselle, dessen Äußeres mir gar nicht gefiel. Aber ich fand, als ich nach Socoro kam, dass das, was ich gehört hatte, richtig war. Unter keiner Bedingung war ein Führer zu mieten. Die Furcht vor der Yornada und ihren gelegentlichen Gästen, den Apachen, war zu groß.

In Socoro hörte man nichts als Indianergerüchte – Novedades. Die Indianer hatten einen Atajo in der Nähe von der Furt von Fra Cristobal. Überall wurden die Arrieros bis auf den letzten Mann ermordet. Das Dorf war von Bestürzung über die Nachricht erfüllt, die Bewohner fürchteten einen Angriff und hielten mich für wahnsinnig, als ich meine Absicht die Yornada zu machen, kund gab.

Ich begann zu fürchten, dass sie meinen Führer von seiner Zusage abschrecken würden. Aber der Bursche blieb fest und drückte fortwährend seine Bereitwilligkeit aus, uns zu begleiten.

Auch ohne die Aussicht, den wilden Apachen zu begegnen, war ich nur schlecht auf die Yornada vorbereitet. Der Schmerz meiner Wunde hatte sich vermehrt, und ich war angestrengt und glühte wie im Fieber.

Die Karawane war aber erst vor drei Tagen durch Socoro gekommen, und ich hoffte, meine alten Gefährten einzuholen, ehe sie El Paso verlassen konnten. Dies bewog mich, am Morgen weiter zu gehen, und ich traf Arrangements zum frühen Aufbruch.

Godé und ich waren vor Tagesanbruch munter. Mein Diener ging hinaus, um den Führer zu rufen und die Tiere zu satteln. Ich blieb im Haus und bereitete eine Tasse Kaffee, wobei mir der Wirt der Posada, welcher sich erhoben hatte und in seiner Serape umher stolzierte, beistand.

Während ich so beschäftigt war, erschreckte mich die Stimme Godés, welcher rief: »Mon Mâitre! Mon Mâitre! Der verdammte Schuft ist davongelaufen.«

»Was meinen Sie? Wer ist davongelaufen?«

»O Monsieur, le damné, la damné Mexikain mit Ihrem Maultier, hat Sie bestohlen und ist davongelaufen. Venez, Monsieur, venez!«

Ich folgte dem Kanadier mit ängstlichen Gefühlen in den Stall. Mein Pferd – aber nein – dem Himmel sei Dank! Es war noch da! Eins von den Maultieren, der Macho, war verschwunden. Es war dasjenige, welches der Führer von Parida her geritten hatte.

»Vielleicht ist er noch nicht fort«, meinte ich. »Er kann noch in der Stadt sein.«

Wir wendeten und gingen nach allen Seiten, aber ohne Erfolg. Endlich wurden wir durch die Ankunft eines frühen Marktbesuchers, der einen Mann, wie unseren Führer, weit oben am Fluss im vollen Galopp hatte reiten sehen, aus unseren Zweifeln gerissen.

Was sollten wir tun? Ihm nach Parida nachreisen? Nein, das wäre eine vergebliche Reise gewesen.

Ich wusste, dass er nicht so töricht sein würde, dorthin zu gehen. Und selbst wenn er es tat, wäre es ein Narrenstreich gewesen, dort Gerechtigkeit zu suchen. Ich beschloss daher, die Sache ruhen zu lassen, bis die Rückkehr der Händler mich in den Stand setzen würde, den Dieb aufzufangen und von den Behörden die Bestrafung zu fordern.

Mein Bedauern über den Verlust meines Macho war mit einer Art von Dankbarkeit gegen den Burschen vermischt, als ich meine Hand auf die Nase meines vor Freuden winselnden Pferdes legte. Was hatte ihn verhindert, das Pferd statt des Maultieres zu nehmen? Es ist eine Frage, die ich noch heute nicht beantworten kann. Ich vermag den Vorzug, welchen der Bursche dem Maultier vor dem Pferd gab, nur durch offenbare Ehrlichkeit oder die verkehrteste Dummheit zu erklären.

Ich suchte einen anderen Führer und wandte mich deshalb an den Gastwirt von Socoro, aber ohne Erfolg. Er kannte keinen Mozo, der die Reise vornehmen würde.

»Los Apachos! Los Apachos!«

Ich wandte mich an die Peonen und Müßiggänger der Plaza: »Los Apachos!«

Überall, wohin ich ging, erhielt ich die Antwort: »Los Apachos!« Ein Schütteln des Zeigefingers vor der Nase, in ganz Mexiko ein negatives Zeichen.

»Es ist klar, Godé, dass wir keinen Führer erhalten können. Wir müssen diese Yornada ohne einen solchen versuchen. Was sagen Sie dazu, Voyageur?«

»Ich bin bereit, mon Mâitre – allons!«

Ich schlug, von meinem getreuen Gefährten mit unserem noch übrigen Packmaultier gefolgt, die zu der Wüste führende Straße ein. Jene Nacht schliefen wir in den Ruinen von Valverde und traten am folgenden Morgen beizeiten die Todesreise an.