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Jack Lloyd Folge 9

Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät

Einmal Hölle und zurück

Um zu drehen, musste die Swallow gegen den Wind kommen, ein Wendemanöver, das nur überaus langsam vor sich ging. Von der Jungfrau von Cartagena ging keine Gefahr mehr aus. Auch wenn das Schiff sich in Kanonenreichweite befand und die Tatsache, dass der Handelssegler so gut wie manövrierunfähig war, machte es der Besatzung unmöglich, eine gezielte Kanonensalve auf die Swallow zu feuern. Viel mehr Sorgen machte Jack die herannahende Jagdgaleone. Noch war der Gegner weit weg, um zu überdenken, wie man ihm begegnen wollte, doch das würde sich in Kürze ändern. Eines war Jack klar: Wenn es zu einem Entermanöver der Spanier kam, standen er und seine Mannen auf verlorenem Posten. Die Jagdgaleone war ein wesentlich kleineres Schiff als die Kriegsgaleone, mit der Jack und die Seinen es vor Santo Domingo zu tun gehabt hatten. Doch auch dieser Segler der Spanischen Armee war nicht zu unterschätzen. Selbst wenn das Schiff nicht die volle mögliche Besatzung an Bord hatte, so war das Kräfteverhältnis im Nahkampf doch mit Sicherheit mehr als zwei zu eins zu Gunsten der Spanier. Auf diese Konstellation wollte Jack sich ungern einlassen.

Joe stand neben seinem Kapitän auf dem Deckaufbau und starrte in die Richtung, aus der die Spanier kamen. Leise stieß er einen Fluch aus.

»Ich weiß, dass du es vorausgesagt hast, Joe«, brummte Jack missmutig.

»Ändert nichts. Wir müssen überlegen, wie wir hier wieder herauskommen.«

»Von der Bewaffnung her dürften wir ebenbürtig sein. Nur die Zahl ihrer Männer macht mir Sorgen.«

»Dann sollten wir es nicht auf einen Enterkampf ankommen lassen.«

»Ich glaube nicht, dass sie sich ergeben werden«, entgegnete darauf Jack.

»Das heißt dann wohl, einer von uns wird Fischfutter.« Joes fast schon sachlicher Kommentar erschreckte Jack zutiefst. Was war aus dem einfachen Matrosen auf einem Handelsschiff geworden, dass er so ungerührt darüber sprach, eine ganze Galeone samt Besatzung auf den Grund des Meeres zu schicken oder selbst zu sterben? Wieder kamen Zweifel in ihm auf. In dem Moment, in dem die Gedanken Jack zu lähmen drohten, ertönte der Ruf aus dem Ausguck: »Sie sind bald in Schussweite!«

Jack straffte sich. Dann dröhnte seine Stimme über das Deck: »Alle Mann an die Kanonen! Ruder hart Steuerbord!«

Die Swallow, die fast gestanden hatte, da sie auf Kollisionskurs mit der Jagdgaleone gegangen und somit direkt gegen den Wind gefahren war, brach nach Steuerbord aus.

»Kanonen durchladen! Alles feuert auf mein Kommando!«

Jack war klar, dass der Gegner, der ihnen nur den Bug entgegenstreckte, ein schwer zu treffendes Ziel darstellte. Mehr als die Hälfte der Salve würde wahrscheinlich links und rechts neben der Jagdgaleone ins Nichts gehen. Aber er musste es versuchen, wenn er nicht tatenlos zusehen wollte, wie der Feind sie einzuholen drohte.

Nervös hob Jack eine Hand. Sein Blick war starr auf das immer näher kommende Kriegsschiff gerichtet. Dann schnellte sein Arm nach unten. Gleichzeitig schrie er aus Leibeskräften: »Feuer!«

Der Knall der Kanonenschüsse ertönte, und Jack spürte eine eigenartige Unruhe tief in seinem Innern immer stärker werden. Er hatte die Männer in diese Situation geführt. Wenn er heute versagte, würde keiner von ihnen den nächsten Tag erleben. Wie erwartet versanken die meisten Kanonenkugeln in die schäumende See. Doch das deutlich zu hörende Bersten von Holz und die Schreie vom Deck des spanischen Seglers zeigten, dass ein Teil der Salve ihr Ziel nicht verfehlt hatte.

»Und jetzt sollten wir sie mürbemachen«, murmelte Jack leise vor sich hin.

Joe, der verstand, was sein Kapitän vorhatte, schrie: »Ruder hart Backbord! Wollen wir doch mal sehen, wer den schnelleren Kahn hat!«

Die Swallow drehte sich in den Wind und nahm sofort kräftig Fahrt auf. Jack bedachte mit einem dankbaren Blick die sich blähenden Segel. Der Feind durfte sie auf gar keinen Fall einholen. Sie würden vor ihm bleiben müssen und gelegentlich versuchen, Nadelstiche zu setzen.

»Sie kommen noch immer näher, Käpt´n!«

Jack sah kurz zum Ausguck hinauf. Dann wanderte sein Blick zurück zu dem spanischen Kriegsschiff. Und tatsächlich, der Gegner war noch immer schneller als die spanische Bark.

»Wie ist das möglich?« Joes Stimme verriet, dass sich in ihm bereits eine gewisse Ratlosigkeit breitmachte. Jack schüttelte den Kopf, als wollte er alle Gedanken, die ihn lähmen könnten, abschütteln.

»Dann müssen wir es halt anders versuchen.« Laut an die Mannschaft gewandt fügte er hinzu: »Die Kanonen wieder mit Kettenkugeln bestücken!«

»Wir haben nicht mehr viele davon. Es reicht vielleicht noch für zwei Salven.«

»Die werden reichen müssen, mein Freund.«

Die Männer hasteten über das Deck und führten den Befehl ihres Kapitäns aus. Dann wurden die Kanonen bereitgemacht. Jack wartete, bis die Jagdgaleone so nah war, dass es schwer sein würde, sie zu verfehlen. Dann gab er erneut den Befehl, nach Steuerbord auszubrechen. Die Swallow drehte sich so weit, dass der Bug des immer näher kommenden Schiffes sich direkt in ihre Seite hineingebohrt hätte, hätten Jack und die Seinen einfach nur die Ankunft des Gegners erwartet. Doch Jack war nicht nach Warten zumute.

»Feuer!«

Die Kanonen spien aus, was sie in ihren Leibern trugen. Die Kugeln, die an Ketten miteinander verbunden waren, trudelten durch die Luft auf das feindliche Schiff zu und richteten verheerenden Schaden unter der Besatzung und am Schiff selbst an.

»Nachladen!«

Die Segel des spanischen Kriegsschiffes waren stark beschädigt. Schmerzens- und Wutschreie vom Deck der Galeone zeigten außerdem an, dass die Kettenkugeln auch unter der Mannschaft ihre Opfer gefunden hatten. Jack war klar, dass es zum Enterkampf kommen würde. Die Mannschaft der Swallow war zahlenmäßig wahrscheinlich weit unterlegen. Er hatte nur noch eine Chance, die Verhältnisse ein wenig auszugleichen.

»Feuer!«

Noch einmal donnerten die Kanonen der Bark und schickten ihre todbringende Ladung auf das feindliche Schiff. Ein lauter Knall ließ Jack zusammenfahren. Das Geräusch ging ihm durch Mark und Bein. Er hatte es in dieser Form zwar noch nie gehört, wusste aber sofort, was es war. Die Galeone war mittlerweile so nah herangekommen, dass man Einzelheiten an Deck problemlos erkennen konnte. Das Deck stand in Flammen. Eine dicke Rauchwolke erhob sich zum Himmel. Schreiende Matrosen sprangen über die Reling in der Hoffnung, in den Fluten ihr Leben retten zu können. Auf dem Deckaufbau stand in stolzer Haltung ein Mann in Paradeuniform, das unbedeckte Haupt gerade erhoben und schaute zur White Swallow hinüber. Jack konnte nicht umhin, dem Kapitän des feindlichen Schiffes seinen Respekt zu zollen.

Noch bevor die Kriegsgaleone den englischen Freibeuter endgültig erreicht hatte, donnerte erneut eine Explosion von dem Schiff herüber. Joe war der Erste, der erkannte, was da auf sie zukam. Sie mussten schleunigst verschwinden, sonst würde das flammende Inferno die Swallow mit ins Verderben reißen.

»Ruder hart Backbord! Zurück vor den Wind!«

Seine sich überschlagende Stimme trieb die Männer zur höchsten Eile an. Jack konnte seinen Blick nicht von dem brennenden Schiff lassen, das immer näher kam. Er war sich sicher, dass Joes Ausweichmanöver zu spät kam. Sie würden brennen, Jäger und Gejagte, gemeinsam in derselben teuflischen Hölle.

Fortsetzung folgt …

Copyright © 2011 by Johann Peters