Die Gespenster – Erster Teil – Vierzehnte Erzählung
Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil
Vierzehnte Erzählung
Das Gespenst in Ketten. Weder Selbsttäuschung, noch Menschenbetrug
Gerhard Feldmann, ein Klever Rechtsgelehrter des 17. Jahrhunderts, reiste im Herbst 1681 als Justiziar des Gutsherrn von Hohnstädt in dessen Angelegenheiten nach Rissheim. Er fand diesmal das herrschaftliche Schloss von einer Menge Besuchenden schon völlig besetzt. Herr von Hohnstädt sah sich daher genötigt, ihm ein abgelegenes Zimmer in einem Hintergebäude anzuweisen, in welchem nur höchst selten jemand übernachtete. Warum? Weil es darin spukte!
Vor vielen Jahren war hier eine zur Wasserprobe bestimmte und darauf als Hexe dem Scheiterhaufen überantwortete Dorfbewohnerin eine Zeit lang gefänglich aufbewahrt worden. Die unglückliche Alte hatte feuerrote Augen gehabt, und war, durch Fleiß und Sparsamkeit wohlhabend, von ihren Nachbarinnen beneidet und angefeindet worden. Mithin musste sie wohl eine Hexe sein. Aus gewissen Umständen, die sich erst nach Vollziehung des Bluturteils ergaben, ahndeten einige die Unschuld der Verbrannten. Und so kam ihr ehemaliges Gefängnis bald in den Ruf, dass sie daselbst nächtlich mit rasselnden Ketten ihr Wesen triebe, um die Mörder der Unschuld noch ein wenig zu ängstigen. Fast alle Knechte und Mägde sowie auch der Wirtschaftsverwalter des Gutsherrn wollten öfter als einmal die mit unschuldigen Ketten gehangene Verurteilte gehört und selbst gesehen haben, in soweit ihnen nächtliche Dunkelheit dies gestattet hatte.
Herr Feldmann wusste alles dieses sehr wohl, und wenn er auch keine feige Memme in Hinsicht auf Nachtgeister war, so fühlte er sich doch nicht ganz über die Vorurteile seines Zeitalters erhaben. Nur der Drang der Umstände vermochte ihn, sich der nächtlichen Ruhe an einem Ort zu überlassen, wo eine erklärte Störerin derselben hausen sollte. Indessen machte er als kluger Mann, freundliche Miene zum üblen Spiel und setzte in der zahlreichen Gesellschaft des Herrn von Hohnstädt, wo man ihm deshalb auf den Zahn fühlte, scherzend hinzu: Er hoffe, dass die Nachtwandlerin, deren Besuch er gewärtigen müsse, jung und schön sein werde.
Aber diese Scherzrede wäre dem beherzten Mann bald übel bekommen, denn für dieses Mal war sie nichts weniger als schön und liebenswürdig. Nicht genug, dass ihr rasselndes Kettengeklirr furchtbar schauderhaft ihn aus dem Mitternachtsschlaf erweckte. Sie hatte auch, wie sich aus dem Verlauf dieser Erzählung umständlicher ergeben wird, Hände mit scharfen Krallen. Übrigens war es auch sogar mit dem linken Fuß – diesem charakteristischen Teil des leibhaftigen Teufels – nicht so ganz richtig, denn er war nichts Geringeres als ein Menschenfuß. Kaum hatte Herr Feldmann männlich und entschlossen gegen Mitternacht sich auf das Bett geworfen und des ersten Schlafes süße Ruhe zu genießen angefangen, so weckte ihn ein unnachahmliches, gewaltsames Geräusch auf. Unnachahmlich nannte er es, insofern dasjenige, was uns aus der ersten Schlaftrunkenheit erweckt, in der Seele selten ein deutliches Bewusstsein zurücklässt. Das Erste, was sein Gehör deutlich unterscheiden und richtig erkennen konnte, war Kettengeklirr. Bald danach rauschte das spukende Etwas dicht vor seinem Bett vorbei. Es war, als ob es im Vorbeigehen die Bettdecke berühre. Er hatte jedoch nicht das Herz, die Hand danach auszustrecken, welches ihm indes auch übel bekommen sein würde. Unglücklicherweise war ihm die brennende Nachtlampe verloschen. Da er die Fensterläden wohlbedacht zugemacht hatte, so konnte ihm auch kein Schimmer des Sternenhimmels den Gegenstand seiner Neugierde und seines Schreckens verraten.
Das Gespenst tappte im Zimmer langsam auf und ab, blieb zuweilen stehen und setzte dann einmal plötzlich jedes Gelenk seiner Ketten in Bewegung. Bisher hatte Feldmann im Bett mit gespannter Aufmerksamkeit gehorcht und noch durch keinen Laut seine Gegenwart zu verraten gewagt. Aber plötzlich brüllte er ihm nun aus allen Kräften ein Wer da? entgegen.
Das Kettengeklirr ward daraufhin heftiger als bisher. Es war, als ob das Gespenst auf diesen unerwarteten Zuruf schaudernd zusammenfuhr, oder dass es vielleicht so dem Herrn im Bett auf sein Wer da? antworten und ihn ein wenig dafür ängstigen wollte. Halb unwillkürlich fuhr der Justiziar nun mit einem Satz aus dem Bett, warf sich den Überrock um, ergriff einen derben Knüppel und durchsuchte damit das finstere Zimmer. Seine Stockhiebe trafen allerlei Zerbrechliches und Unzerbrechliches, nur nicht dasjenige, was sie treffen sollten – das Gespenst.
Alles um ihn her war still geworden. Er öffnete die Fensterläden, um mithilfe des Sternenlichts vielleicht den Spuk zu erkennen, aber der schien aus seinen vier Wänden bereits verschwunden zu sein. Indessen war die verquollene Stubentür, die man nicht verschließen und selbst nicht einmal einklinken konnte, ein wenig eröffnet. Der Polterer schien also wenigstens nicht durch das Schlüsselloch gekommen und entwischt zu sein. Und wirklich gereichte das in etwas zu seiner Beruhigung.
Unentschlossen, was nun weiter zu tun sei, hatte er kaum einige Minuten dagestanden, so begann das Kettengeklirr von Neuem. Diesmal war es aber im Hausflur, von wo sich das Gespenst, nach dem Schall zu urteilen, in bester Ordnung weiter zurückzog und dann über eine Treppe in das zweite Stockwerk hinaufrasselte, wo es auf einem Saal hin und her ging, und die Ketten, die es trug, hinter sich herschleppte.
Der Justiziar, um dessen Schlaf es nun doch einmal geschehen war, begnügte sich nicht, den Störer seiner Ruhe mit jenen Stockhieben auf gut Glück verjagt zu haben, sondern wollte seinen Sieg verfolgen, um aus dem Rückzug des Feindes noch reellere Vorteile zu ziehen. Am Ende beschloss er, eine möglichst genaue Okularuntersuchung anzustellen. Dazu bedurfte er eines angezündeten Lichtes, das er sich von den aufgeweckten Knechten und Mägden geben ließ. Es gelang ihm, von jenen die Handfestesten zu überreden, ihn in die Behausung des spukenden Unholds zu begleiten, und ihm, wenigstens als Reservekorps, zu dienen, worauf er sich im Notfall stützen könne.
Der Feind hatte indessen den Kampfplatz keineswegs geräumt, sondern behauptete ihn rasselnd, und schien entschlossen den Angriff zu erwarten. Der angreifende Teil avancierte die Treppe hinauf, ohne dass ihm der Feind diese Annäherung durch ein so gefährliches Defilee zu erschweren versucht hätte.
Jetzt stieß man aufeinander. Die spukende Schöne war – eine Füchsin, die man, jung an eine Kette gelegt, groß gefüttert hatte. Herangewachsen, und der langen Sklaverei müde, hatte sie sich losgerissen und schlich, indem sie ihrer Nahrung nachging, nächtlich in den Gemächern dieses berüchtigten wüsten Gebäudes umher, deren Türen es nicht eingeklinkt oder zu denen es anderweitige Eingänge fand.