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Der Marone – Seltsame Entdeckungen

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Kapitel 2

Seltsame Entdeckungen

Die beiden Ränke schmiedenden sonderbaren Männer schwatzten laut genug. Hier an diesem Platz glaubten sie sicher es nicht nötig zu haben, ihre Stimmen zu mäßigen. Der Horcher hätte daher ganz gut jedes Wort hören müssen, hätte der Wasserfall nicht so überlaut gerauscht. Dieses hinderte ihn zuweilen, vollständig zu verstehen, was gesprochen wurde, sodass er nur aus einzelnen Worten und Redensarten den ganzen ununterbrochenen Faden des Gespräches zu entnehmen vermochte. Dennoch hörte er in der Tat hinreichend genug, um ihn in die größte Verwunderung zu versetzen, der es bisher nie geahnt oder nur für möglich gehalten hatte, dass es auf der Insel Jamaika, ja überhaupt auf der Erde zwei solche abgefeimte Schurken geben könne wie Chakra und Jessuron!

Cubina konnte die beiden ebenso wohl sehen als hören, da die Spalten zwischen den Bambusstäben ihm die Aussicht auf sie gewährten.

Der Koppelhalter, wohl etwas ermüdet von dem langen und angreifenden Gang über die Berge, hatte sich in halb sitzender Lage auf die roh gearbeitete Bettstelle gelehnt, während der Koromantis vor ihm stand und sich an den großen Baumausläufer lehnte, der in seiner Verlängerung die eine Seite seiner Wohnung bildete.

Die Unterhaltung hatte bereits begonnen, bevor Cubina gekommen war. Lange konnte sie jedoch noch nicht gedauert haben, da die Schweineschmalzlampe erst kurz zuvor angezündet zu sein schien. Die Beratung ihrer schändlichen Absichten konnte daher auch nicht weit gediehen sein.

So wenigstens dachte der Horcher, doch es zeigte sich bald, dass es nur die Fortsetzung einer bereits früher getroffenen Verabredung war und nicht mehr der erste Entwurf, dessen Mitwisser er jetzt wurde. Diese Verabredungen enthüllten allerdings fürchterliche schwarze Absichten, selbst einen bis ins Kleinste vorbereiteten Mord!

Als Cubina den Koppelhalter zuerst sah, schien er gerade eben in heftigem Zorn gesprochen zu haben. Seine dunklen wieselgleichen Augen funkelten in den tiefen eingesunkenen Höhlen mit boshaftem Unheil verkündendem Glanz. Die Brille war abgenommen, sodass die Augen gesehen werden konnten, und den unzertrennlichen Regenschirm hielt er mit festem Griff wie zu einer Drohung umfasst!

Chakra dagegen schien niedergeschlagen und sich zu entschuldigen. Obwohl noch einmal so groß und mindestens zweimal so stark wie der alte Israelit, so sah er doch aus, als ob er ihn außerordentlich fürchte.

»Es tut mir wahrhaftig leid, Herr Jakob«, sagte er in einem Ton, der klar verriet, dass er sich zu verteidigen suche. »Wie konnte ich nur wissen, dass es solche Eile mit dem Custos hat. Sie haben mir auch niemals gesagt, dass der Totengräber schneller als gewöhnlich wirken solle. Hätte ich das nur irgend gewusst, ich hätte den sakramen’schen Custos ja leicht aus der Welt hinaus spazieren lassen können, in einem Handumdrehen!«

»Ach«, rief der Koppelhalter mit einem unverkennbaren Verdruss aus, »er entschlüpft uns sicher, ja, ja, ich weiß es jetzt gewiss. Und grade nun, wo ich den Zauber mehr denn je nötig habe. Ich habe etwas von dem Mädchen Cynthia von einer Verschwörung gegen mich gehört. Sie hat sie in des Custos Sommerhaus komplottieren gehört.«

»Was wollen sie gegen Sie, Herr Jakob? Wer sind die, die gegen Sie komplottieren?«

»Der Custos ist der eine, der andere ist der Herumstreicher, der Sohn des Cubina, der Marone. Ihr kennt doch den jungen Cubina?«

»Den kenne ich ganz wohl.«

»O, der stolze Custos weiß es nicht, wenn er auch einigen Verdacht hegt, dass seine Frau, die Quasheba, die Geliebte des Maronen war. Ha, ha, ha! Und dass sie den Mulatten viel mehr liebt als den eitlen Herrn Vaughan. Ha, ha, ha!«

»Ja, das ist wirklich wahr«, bemerkte der Koromantis, scheinbar in Gedanken versunken.

»Der Custos denkt gewiss gar nicht«, fuhr Jessuron, ohne Chakras Zwischenrede zu bemerken, fort, »dass dieser junge Bursche, der ihn nun gegen mich hetzen will, eigentlich sein Stiefsohn ist. Ha, ha, ha!«

Das war eine höchst überraschende Neuigkeit für den Horcher draußen an der Tür, tatsächlich die erste Nachricht, die der junge Marone darüber erhielt, wer seine Mutter gewesen sei.

Einige unbestimmte Andeutungen waren ihm freilich in seiner frühen Kindheit zugekommen, allein er hatte sie bisher für halbe Träume gehalten und hatte selbst nie so recht daran geglaubt. Seinen Vater hatte er ganz wohl gekannt, der wie er, Cubina der Marone, genannt wurde, allein von seiner Mutter hatte er niemals gewusst, wer oder was sie gewesen sei.

War es nun möglich, dass die Quadrone Quasheba, von der er wohl zuweilen gehört hatte, war es möglich, dass diese wirklich seine eigene Mutter sei? Und dass die kleine Quasheba die schöne, anmutige und gebildete Tochter des Custos Vaughan, seine Halbschwester wäre?

Er konnte durchaus keinen Zweifel mehr hierüber hegen. Die nachfolgende Unterredung, obwohl eigentlich gar nicht für ihn bestimmt, setzte ihn in den Besitz weiterer Einzelheiten und bestimmter Beweise. Außerdem waren solche Verwandtschaften auf der Insel Jamaika keineswegs so höchst ungewöhnlich, um ihn deshalb so sehr in Verwunderung zu setzen.

Dennoch war der Horcher im hohen Erstaunen erfüllt, denn diese Entdeckung regte ihn mit eigentümlichen und starken Gefühlen auf. Ganz neue Gedanken entstanden bei dieser überraschenden Enthüllung, neue, nie zuvor geahnte Aussichten eröffneten sich für seine Zukunft, und neue, noch nie gefühlte und ihm vollkommen unbekannte Empfindungen durchströmten sein in halber Fieberglut schlagendes Herz.

Allein für den Augenblick überwältigte er alle diese Erregungen so viel wie irgend möglich mit dem Gedanken, ihnen später einmal ungestört nachhängen zu dürfen, und widmete den nahe bei ihm ungestörten Reden seine ungeteilte Aufmerksamkeit.

Er hörte nun hinreichend, um ihn aufs Festeste zu überzeugen, dass er eine Schwester, freilich nur eine Halbschwester, aber dennoch eine Schwester, besitze.

Die nächste zwischen den beiden Ränkeschmieden getroffene Verabredung musste ihn allerdings eben so aufregen und in die höchste Verwunderung setzen, denn sie ging auf nichts Geringeres hinaus, als die neu erworbene Schwester so bald als möglich bruderlos zu machen!

»Ihr müsst den Zauber auch auf ihn anwenden«, sagte der Jessuron. »Er ist der Hauptanstifter gegen mich. Selbst wenn der Custos aus dem Wege geräumt worden ist, dieser Strolch, dieser Cubina wird zu einem anderen Magistrat gehen, um seine Absichten gegen mich auszuführen, und da werden genug sein, um ihm zu helfen. Deshalb müsst Ihr ihn verzaubern, sobald Ihr irgend könnt, Schakra! Da ist keine Zeit zu verlieren, nicht eine Minute, wahrhaftig!«

»Ich will gewiss tun, was ich kann, Herr Jakob. Aber das muss ich Ihnen doch sagen, dass es gar nicht so leicht ist, den Zauber bei einem Maronen anzubringen. Mehr als zwanzig Jahre kostete es mich, den Obiahzauber auf seinen alten Vater hinzulenken, und bei diesem jungen Cubina habe ich es schon lange Zeit vergebens versucht, schon solange, als sein Vater tot ist. Ich hasse den jungen Maronen, ganz, wie ich den alten gehasst habe, und Sie wissen auch ganz wohl, warum ich sie beide hasse.«

»Ich weiß das alles, ich weiß das längst.«

»Nun wohl, ich will tun, was ich kann. Auf die Mulattin setze ich in diesem Fall gar keine Hoffnung. Gewiss würde sie schon bei dem Maronen gleich den Zauber anwenden, sobald sie Gelegenheit hätte, denn sie meint, sie gibt ihm den Liebestrank. Allein sie hat kaum Gelegenheit, da Cubina sie sich nicht nahe kommen lässt. Das macht aber alles nichts, Chakra wird doch schon eines Tages Gelegenheit finden, und lange soll es gewiss nicht dauern, so lenkt er den Totenzauber auf den Sohn der Quadrone.«

Hoffentlich noch nicht so bald!, dachte der erstaunte Horcher, als er dieses vertrauliche, ihn selbst so tief berührende Versprechen vernahm.

»Es kommt auch weniger auf ihn an als auf den anderen!«, schrie Jessuron, sich einem abermaligen Ausbruch seiner Verdrießlichkeit überlassend. »Helf mir der Deibel! Wahrhaftig, der Custos entschlüpft mir zwischen den Fingern, und sein Gut mit. O weh, o weh!«, rief er fast wehmütig aus, als ihm die Täuschung seiner süßesten Hoffnungen recht lebendig vor die Augen trat. »Ihr habt mich angeführt, ich glaube wirklich, Ihr habt mich angeführt!«

Bei dieser Äußerung erhob sich der Koppelhalter auf die Füße, packte seinen Regenschirm noch fester und stand vor Chakra in einer fast drohenden Haltung.

»Nein, Herr Jakob«, erwiderte der Myalmann, ohne die gehorsame Miene abzulegen, die er zuvor angenommen hatte. »Nein, nichts der Art, durchaus gar nichts. Sie wissen ja auch vollkommen, dass ich sicher eben so viel Ursache habe wie Sie, den Totengräber wirksam zu machen. Und ich sage Ihnen noch einmal, er wird gewiss wirken.«

»Ja, wenn es zu spät ist, viel zu spät! Dann gebe ich nichts mehr drum! Wenn der Custos nach Spanischstadt kommt, wenn er sich eine besondere Akte verschafft, o, ich bin ein ruinierter Mann! Das ist mir einerlei, ob der Totenzauber dann mich selbst trifft! Wahrhaftig!«

Dies wurde halb leise, mehr für sich selbst als zu Chakra gesprochen, der es hörte, ohne eigentlich dessen volle Bedeutung zu begreifen, denn die Haupttriebfeder des Koppelhalters war ihm noch gänzlich unbekannt geblieben.

»Ich sage Euch«, fing Jessuron wieder in drohendem Ton an, »ich glaube wirklich, Ihr habt mich zum Narren, Schakra! Ihr habt vielleicht Euer eigenes Interesse an dieser kleinen Quasheba. Aber ich sage Euch jetzt, ich sage Euch, wenn der Zauber fehlschlägt – ja wenn er fehlschlägt und der Custos die Hauptstadt erreicht, wohin er nun geht – ich sage Euch, Chakra, Ihr möchtet Euch in acht nehmen! Ihr verliert das Geld, das ich Euch versprochen habe, Ihr möchtet auch Euer Leben dazu verlieren, denn ich habe nur ein Wort zu sagen, und das Deibelsloch wird sogleich von den Gesetzhunden durchsucht. Wollt Ihr nun alles tun, um den Custos von der Hauptstadt fernzuhalten?«

Als Jakob Jessuron diese Drohung mit fürchterlichem Ernst ausgesprochen hatte, bewegte er sich der Tür zu, offenbar in der Absicht, fortzugehen.

Als der Marone diese Bewegung wahrnahm, trat er etwas, in den dichteren Schatten des Baumwollbaums zurück, um vollkommen verborgen zu sein.

Diese Veränderung der Stellung verhinderte ihn aber, das zu hören, was schließlich zwischen den beiden Bösewichtern verabredet wurde, denn es fand noch eine weitere Besprechung statt, eine Unterredung, die noch einige Minuten dauerte, während welcher der verborgene Horcher wohl den Schall der Stimmen zu hören, aber durchaus nicht den Sinn der geführten Reden zu verstehen vermochte.

Das vom Koppelhalter Gesprochene war offenbar lediglich eine Wiederholung seiner früheren Drohung in möglichst nachdrücklichen Worten, während Chakra mit den festen Versicherungen sein Versprechen gab, die zwischen ihnen bereits getroffenen schändlichen Verabredungen ungesäumt auszuführen.

»Ich verspreche Ihnen fest, Herr Jakob«, sagte der Myalmann schließlich, »beim großen und gerechten Accompong! Ich will alles tun, was ich kann. Wenn der Custos wirklich entschlüpft, dann mögen Sie mit dem alten Chakra tun, was Ihnen gefällt. Liefern Sie ihn aus, wenn Sie dazu Lust haben. Aber der Custos kann nicht entschlüpfen! Diese Nacht hat Cynthia in ihrem Korb vom Allerstärksten mitgenommen. Das wirkt gewiss in vierundzwanzig Stunden, das ist der wahre Totenzauber! Humm!«

Mit dieser Zusicherung des unabwendbaren Mordes endete die Unterredung und Jessuron trat aus der Hütte heraus, gefolgt von seinem treuen Verbündeten.

Beide verließen nun den Ort, Chakra voran, während der Marone ihre Bewegungen genau überwachte.

Als sie den Nachen erreicht hatten, setzten sie sich hinein und darauf wurde über den See gerudert.

Cubina wartete ruhig seine Rückkehr ab. Dann, als er Chakra wieder in seiner Hütte sah, eilte er ans Wasser, schwamm wie zuvor unter dem Schatten der Felsenwand, erstieg dieselbe wieder mithilfe der Baumleiter und stand abermals oben am Rand des Abhangs.