Ausschreibung
Sternenlicht-Anthologie

Download-Tipp
Band 6

Heftroman der Woche

Archive
Folgt uns auch auf

Die Skalpjäger – Zurückgelassen

Die-SkalpjägerThomas Mayne Reid
Die Skalpjäger

Erster Teil
Neuntes Kapitel
Zurückgelassen

Am dritten Tag nach dem Fandango wurde ausgerufen, dass die Karawane nach Chihuahua weitergehen würde.

Der Tag erschien, und ich war außerstande, mit ihr zu reisen. Mein Wundarzt, ein erbärmlicher Mexikaner, versicherte mir, dass es mein sicherer Tod sein würde, die Reise zu versuchen. Aus Mangel an einem widersprechenden Zeugnis war ich gezwungen, ihm zu glauben. Ich hatte keine Alternative, als in Santa Fe zu bleiben, bis die Kaufleute zurückkehren würden.

Ich nahm, mich in meinem fiebrigen Bett umherwerfend, von meinen bisherigen Gefährten Abschied. Wir trennten uns unter vielfachen Ausdrücken des Bedauerns, vor allem aber bereitete es mir Schmerz, St. Vrain, dessen muntere Gesellschaft drei Leidenstage hindurch mein Trost gewesen war, Lebewohl zu sagen. Er hatte sich als mein Freund bewiesen und es übernommen, meine Wagen zu beaufsichtigen und meine Waren auf dem Markt von Chihuahua abzusetzen.

»Härmen Sie sich nicht, Mann«, sagte er, als er Abschied nahm. »Schlagen Sie die Zeit mit Champagner El Paso tot, wir werden in einem Eichhörnchensprung wieder da sein, und verlassen Sie sich darauf, dass ich Ihnen eine Maultierladung von mexikanischen Dollar zurückbringe. Gott behüte Sie – leben Sie wohl!«

Ich konnte in meinem Bett aufrecht sitzen und von meinem Fenster aus die weißen Planen der Wagen erblicken, während der Zug über einen nahen Hügel dahinrollte. Ich hörte die knallenden Peitschen und das tiefe »Oho!« der Gespannführer. Ich sah die Kaufleute aufsteigen und ihnen nachgaloppieren, und wand mich mit einem Gefühl der Einsamkeit und Verlassenheit auf meinem Lager um.

Tage lang lag ich, trotz des tröstlichen Einflusses des Champagners und der rauen, aber herzlichen Aufmerksamkeit meines Kammerdieners, ruhelos auf meinem Lager.

Endlich stand ich auf, kleidete mich an und saß in meiner Ventana. Ich hatte eine gute Aussicht auf die Plaza und die anstoßenden Straßen, mit ihren Reihen von braunen Adobehäusern und staubigen Wegen dazwischen.

Ich blicke stundenlang auf das, was draußen vorging. Das Schauspiel war nicht ohne Neuheit und Abwechslung. Braune, hässliche Gesichter erschienen hinter den Falten schmutziger Rebozos, blitzende Blicke, unter den Krempen breitrandiger Sombreros hervorgeworfen. Poblanas, mit kurzen Röckchen und bepantoffelten Füßchen, gingen an meinen Fenstern vorüber, und Gruppen von ›zahmen‹ Indianern, Pueblos, drängten sich aus den benachbarten Rancherias herein und bearbeiteten im Gehen ihre Esel. Diese brachten Körbe mit Früchten und Gemüsen. Sie kauerten sich auf der staubigen Plaza hinter Haufen von Kaktusfrüchten oder Pyramiden von Liebesäpfeln und Chilischoten nieder. Die Weiber, leichtherzige Hökerinnen, lachten, sangen und schnatterten beständig. Die Tortillera kniete an ihrem metate, zerquetschte den gekochten Mais, schlug ihn zu dünnen Kuchen, warf ihn auf einen erhitzten Stein und schrie dann: »Tortillas! Tortillas calientes!« Die Cocinera rührte die pfefferige Brühe von Chile colorado um, erhob dieselbe in ihrem roten Schöpflöffel und lud ihre Kunden mit den Ausdrücken »Chile bueno! Exzellente!« ein.

»Carbon! Carbon!«, schrie der Kohlenbrenner.

»Agua! Agua limpia!«, brüllte der Aguadore.

»Pan fino! Pan blanco!«, kreischte der Bäcker.

Und andere Rufe von den Verkäufern von Atole, Hueras und Lache wurden in schrillen, misstönigen Stimmen ausgestoßen. Dies waren die Klänge einer mexikanischen Plaza.

Anfangs waren sie interessant. Sie wurden monoton, dann unangenehm, und endlich quälten sie mich, und ich hörte ihnen mit einer Aufregung zu.

Nach einigen Tagen war ich imstande, zu gehen. Ich spazierte mit meinem treuen Godé aus. Wir wanderten durch die Stadt. Sie erinnerte mich an ein ungeheures Ziegelfeld, ehe die Öfen angezündet sind.

Wir stießen überall auf dieselben braunen Adoben, dieselben an die Ecken gelagerten schuftig aussehenden Leperos, dieselben nackt beinigen, bepantoffelten Dirnen, dieselben Reihen von geprügelten Eseln, dasselbe schrillende abscheuliche Geschrei.

Wir gingen an einem verfallen aussehenden Haus in einem abgelegenen Stadtteil vorüber. Unsere Ohren wurden von Stimmen aus dessen Inneren begrüßt. Wir hörten das Geschrei: »Mueran los Yankees! Abajo los Americanos!« Ohne Zweifel befand sich der Pelado, dem ich meine Wunde verdankte, unter den Schuften, die sich an die Fenster drängten. Aber ich kannte die Gesetzlosigkeit des Ortes zu gut, um Gerechtigkeit zu verlangen. Wir hörten dasselbe Geschrei in einer anderen Straße – dann wieder auf der Plaza – und Godé und ich traten mit der Überzeugung in die Fonda, dass unser öffentliches Erscheinen von Gefahr begleitet sein würde.

In meinem ganzen Leben hatte ich nie so viel an Langeweile gelitten, als damals, wo ich in diese halb barbarische Stadt eingeschlossen und innerhalb der Mauern ihrer schmutzigen Fonda beinahe gefangen gehalten wurde. Ich fühlte es um so mehr, als ich vor Kurzem noch die Gesellschaft so jovialer munterer Geister genossen hatte, und mir vorstellen konnte, wie sie in ihren Lagern an den Ufern des Rio del Norte zechten, oder wilden Gebirgsgeschichten zuhörten.

Godé teilte meine Gefühle und wurde ebenso niedergeschlagen wie ich. Der leichtsinnige Humor des Reisendes verschwand. Das Lied des kanadischen Bootsmannes war nicht mehr zu hören, aber statt seiner wurde das »Sacré!«, das »Enfant de garce!« und das englische »Goddam!« gegen alles Mexikanische ausgestoßen und geschleudert. Ich beschloss endlich, unseren Leiden ein Ende zu machen.

»Dieses Leben ist nicht auszuhalten, Godé«, sagte ich zu meinem Gefährten.

»Ah, Monsieur, es ist nicht zum Aushalten! Sehr langweilig! Es ist wie ein Assemblée von verdammten Quäkern.«

»Ich bin entschlossen, es nicht länger zu ertragen.«

»Aber was kann Monsieur tun? Wieso, Captain?«

»Indem ich diesen verwünschten Ort verlasse, und zwar morgen schon.«

»Aber will Monsieur fort? Stark, genug stark zum Reiten?«

»Ich will es riskieren, Godé. Wenn ich zusammenbreche, so gibt es andere Städte am Fluss, wo wir haltmachen können. Es ist überall besser als hier.«

»C’est vrai, Captain, schöne Dörfer am Fluss hier hinaus: Albuquerque – Tome – sehr viele Dörfer, mon Dieu! Alle sind besser. Santa Fe ist ein Lager von verdammten Spitzbuben. Es wird sehr gut für uns sein, Monsieur, wenn wir gehen – sehr gut!«

»Gut, oder nicht gut, Godé, ich gehe. Machen Sie heute Abend also Ihre Vorbereitungen, denn ich werde morgen früh abreisen.«

»Dieu merci! Es wird ein großes Vergnügen sein, Vorbereitungen zu machen!« Und der Kanadier lief, vor Freuden mit den Fingern schnalzend, aus dem Zimmer.

Ich war entschlossen, auf alle Fälle Santa Fe zu verlassen. Wenn meine halb wiedergekehrten Kräfte es aushielten, so wollte ich der Karawane folgen und sie womöglich einholen. Ich wusste, dass sie über die tiefen Sandwege des Rio del Norte nur kurze Tagereisen machen könnten. Wenn es mir nicht gelingen sollte, sie einzuholen, so konnte ich in Albuquerque oder El Paso haltmachen, und jede von diesen Städten mir einen Aufenthalt gewähren, der wenigstens ebenso angenehm war, wie derjenige, welchen ich verließ.

Mein Wundarzt versuchte, mir die Sache auszureden. Er versicherte mir, dass ich in der kritischsten Lage und meine Wunde noch keineswegs vernarbt sei. Er malte in den beredtsten Ausdrücken die Gefahren des Fiebers, des Brandes, der Verblutung aus. Er sah, dass ich halsstarrig war, und beschloss seine Ermahnungen damit, dass er mir seine Rechnung überreichte. Sie belief sich auf die bescheidene Summe von hundert Dollar! Es war eine Erpressung. Was konnte ich tun? Ich stürmte und protestierte. Der Mexikaner drohte mir mit der Justiz des Gouverneurs. Godé schwor auf Französisch, Spanisch, Englisch und Indianisch. Es nützte aber alles nichts. Ich sah, dass die Rechnung bezahlt werden musste, und ich bezahlte sie, wenn auch keineswegs mit guter Miene.

Der Heilkünstler verschwand und der Wirt kam nach. Er erschöpfte sich ebenso wie der Erstere, in eindringlichen Bitten, um mich am Aufbrechen zu verhindern. Er bot mir eine Menge der verschiedenartigsten Gründe zum Bei-ihm-bleiben dar.

»Gehen Sie nicht, so lieb Ihnen Ihr Leben ist, Señor, tun Sie es nicht.«

»Und warum nicht, guter José?«, fragte ich.

»O, Señor, los indios bravos – los navajos! Caramba!«

»Aber ich gehe nicht in das Indianerland, ich reise flussabwärts, durch die Städte von Neu-Mexiko.«

»Ah, Señor – die Städte – no hay segurided. Nein – nein – vor den navajos – ist nirgends Sicherheit zu finden. Hay novedades – es sind erst heute Neuigkeiten angelangt. Polvidera! – Pobre Polvidera! – Es ist am vergangenen Sonntag angegriffen worden, am Sonntag, Señor, wo sie alle en la misa waren. Die Räuber umringten die Kirche, und o Caramba! Sie schleppten die armen Leute – Männer, Weiber und Kinder heraus. Pues, Señor, töteten sie die Männer – und die Weiber – Dios de mi Alma!«

»Nun und die Weiber?«

»O, Señor, sie sind alle fort – sie sind von den Wilden ins Gebirge geschleppt worden – pobres mugeres!«

»Es ist allerdings eine traurige Geschichte, aber die Indianer unternehmen, wie ich gehört habe, dergleichen Beutezüge nur in langen Zwischenräumen. Ich werde jetzt schwerlich auf sie stoßen. Auf alle Fälle habe ich mich entschlossen, José, die Gefahr zu laufen.«

»Aber, Señor«, fuhr José fort, indem er seine Stimme zu einem vertraulichen Ton herabsenkte. »Es sind noch andere Ladrones, außer den Indianern, da – Weiße – Muchos-muchissimos! Ja wahrhaftig, mi amo, weiße Räuber – blancos – blancos y muy feos- carray!«

Und José schloss seine Finger, als ob er den eingebildeten Gegenstand umfasse.

Diese Berufungen auf meine Furcht waren vergeblich. Ich beantwortete sie dadurch, dass ich auf meine Revolver und Büchse und den gut gefüllten Gürtel meines Dieners Godé deutete.

Als der mexikanische Bonifatius sah, dass ich entschlossen war, ihn aller Gäste, die er im Hause hatte, zu berauben, entfernte er sich mürrisch und kehrte kurz darauf mit seiner Rechnung zurück. Gleich der des Medico, war sie unverhältnismäßig groß, aber ich konnte mir nicht helfen und bezahlte sie.

Mit dem Morgengrauen war ich im Sattel und ritt von Godé und ein paar schwer bepackten Maultieren gefolgt, aus der hässlichen Stadt, worauf ich die Straße zum Rio Abajo einschlug.