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Der Kommandant des Tower 5

Der-Kommandant-des-TowerDer Kommandant des Towers
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Erstes Buch
Das Testament Heinrichs VIII.
Fünftes Kapitel

Die Zusammenkunft zwischen dem Earl von Surrey und Sir Thomas Seymour im Schützenturm

Eine bittere Rivalität hatte seit langer Zeit zwischen dem erst kürzlich geadelten Seymour und dem alten erlauchten Geschlecht Howard bestanden. Ebenso ausgezeichnet durch hohen Rang, wie als kriegerischer Befehlshaber berühmt, blickte der hochgeborene Herzog von Norfolk mit Verachtung auf den neuen Adel herab, den er für unwürdig hielt, mit ihm auf eine Stufe gestellt zu werden. Diese Gefühle teilte sein ritterlicher und hochgebildeter Sohn, der Earl von Surrey, der Dichter »unsterblicher Gesänge«, welcher, stolz wie sein Vater, von einer noch feurigeren Gemütsart war. Aber der Herzog sah bald, dass der ältere Seymour kein zu verachtender Gegner war. Der Einfluss des Earls von Hertford beim König wuchs, während derjenige Norfolks abnahm. Als Katharina Howard auf dem Henkerblock starb, fiel der Herzog, ihr Onkel, welcher die unglückselige Ehe zustande gebracht hatte, in Ungnade bei dem rachsüchtigen Monarchen und gewann nie wieder die Stelle, welche er einst in Heinrichs Achtung besessen hatte.

Es gab noch einen anderen Grund zur Feindseligkeit zwischen den rivalisierenden Häusern. Die Howards blieben ihrer Anhänglichkeit an die römische Kirche treu, und der Herzog von Norfolk, den man als das Haupt der Katholiken ansah, und der die Reformation hasste, machte sich verrufen durch feine Härte gegen die Sakramentierer. Hertford dagegen erklärte sich, so viel er nur wagen durfte, für die neuen Lehren und unterstützte die protestantische Partei. In religiösen Fragen gab der König keiner von beiden Richtungen den Vorzug, sondern war, die eine wider die andere hebend, gleich streng gegen beide.

Dieser Zustand der Dinge währte geraume Zeit, ohne dass ein entscheidender Schlag wider den mächtigen Herzog geführt ward. Als aber Heinrichs zunehmende Schwäche deutlich erkennen ließ, dass sein Ende nicht mehr fern sei, wurde der rasche und völlige Sturz des Hauses Howard von Hertford beschlossen. Als der ältere Onkel des jungen Prinzen Edward, der damals in seinem zehnten Lebensjahr stand, sann Hertford im Geheimen darauf Lordprotektor zu werden, und somit die höchste Reichsgewalt in die Hände zu bekommen. Er konnte sich darauf verlassen, dass ihn die meisten Mitglieder des Staatsrats unterstützen würden, aber er wußte eben so gut, welch eine energische Apposition ihm vonseiten des Herzogs von Norfolk bevorstünde. Ja, noch mehr, sowohl der Herzog als auch sein Sohn hatten Hertford und dessen Genossen unvorsichtiger Weife mit der Erklärung gedroht, dass die Zeit der Rache nahe sei, und dass sie bald für ihre Frechheit büßen sollten.

Heinrich, dessen Herz arglistig den Howards entfremdet worden war, lieh den Anklagen, welche auf Hertfords Anstiften gegen Norfolk und Surrey vorgebracht wurden, ein williges Ohr. Ohne des Herzogs lang geprüfte Treue und Pflichteifrigkeit oder die vielen wichtigen Dienste, die er ihm geleistet hatte, in Betracht zu ziehen, unterzeichnete er die Anklageakte gegen Vater und Sohn, worauf beide plötzlich verhaftet und jeder von ihnen in ein besonderes Gefängnis im Tower gebracht wurden.

In Guildhall vor dem Lordkanzler Wriothesley, dem Lordmayor und anderen Beamten vor Gericht gestellt, verteidigte sich der Earl von Surrey mit Leidenschaft und Beredsamkeit . Er leugnete die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen und erbot sich, seinem Hauptankläger, dem Sir Richard Southwell, im Reinigungskampf Rede zu stehen. Aber seine Verteidigung half ihm nichts. Wie vorauszusehen, wurde er des Hochverrats schuldig befunden, zum Tode verurteilt und in den Tower zurückgeführt, um den Tag seiner Hinrichtung zu erwarten.

Aber obwohl der ritterliche Surrey auf solche Art verurteilt ward, hielt es doch schwerer, gegen seinen Vater überführende Beweismittel herbeizuschaffen. In einer Zelle im Beauchampturm eingekerkert, mit großer Strenge behandelt, häufigen Privatverhören unterworfen, in gänzlicher Unkenntnis über die Namen seiner Ankläger und selbst über die gegen ihn vorgebrachten Anklagen erhalten, jedes mündlichen oder schriftlichen Verkehrs mit seinem Sohn beraubt, unterlag der Herzog am Ende, und es wurde ihm, unter dem Versprechen der Verzeihung, ein Schuldgeständnis erpresst. Aber dies von Hertford feierlich gegebene Versprechen sollte nicht gehalten werden. Im Gegenteil, das Geständnis wurde zum Mittel von Norfolks Verderben. Vielleicht von einem Gefühl des Mitleids für seinen ehemaligen Günstling erfasst, und mehr noch durch die demütige Unterwerfung des Herzogs gerührt, zögerte Heinrich, sein Todesurteil zu unterschreiben. Aber mit der Habgier, welche ihn bis zuletzt kennzeichnete, konnte er nicht unterlassen, die Besitzungen des Herzogs in Beschlag zu nehmen und seine Schätze zu konfiszieren. Norfolk beschloss jedoch, seine Feinde um die Beute, nach der sie verlangt hatten, zu äffen. Wohl merkend, dass Hertford und seine Genossen darauf rechneten, sein reiches Habe unter sich zu teilen, bat er den König, seine Güter dem Prinzen Edward zu übertragen. Dies Begehren erschien Heinrich als so vernünftig, dass es sofort bewilligt wurde. Aber das Leben des Herzogs war noch immer in Gefahr, abhängig von dem Willen eines launischen Tyrannen, der ihn jeden Augenblick den Feinden, die nach seinem Blut lechzten, überliefern konnte.

Ihn in diesem Zustand schrecklicher Ungewissheit verlassend, müssen wir zum Earl von Surrey, dessen Schicksal besiegelt war, zurückkehren und ihn in der Nacht vor seiner Hinrichtung in seiner Zelle im Schützenturm besuchen.

In einem engen, achteckigen Steingewölbe mit dicken Mauern und stark vergitterten Fenstern saß der unglückliche junge Edelmann. Eine eiserne Hängelampe erhellte düster die Zelle. Ein Buch lag auf dem unangestrichenen Tisch von Eichenholz, an welchem der Earl saß. Aber obwohl seine Augen auf den Blättern zu ruhen schienen, waren doch seine Gedanken weit entfernt. Petrarca vermochte zum ersten Mal nicht, seine Aufmerksamkeit zu fesseln. Der junge Earl war gerüstet, sein Geschick männlich zu ertragen. Aber bei so glänzenden Aussichten, bei einer so leidenschaftlichen Lust am Leben und all seinen Freuden, wie er sie besaß, bei so vielem, das noch zu vollenden war, und so vielem, das ihn an die Welt fesselte, war es hart, in der Blüte seines jungen Mannesalters zu sterben.

Surrey zählte damals nur siebenundzwanzig Jahre, und obschon er bei längerem Leben sicher einen höheren Ruhm erlangt haben würde, war er doch unter all seinen Zeitgenossen seiner Ritterlichkeit, Artigkeit, schnellen Auffassung, Gelehrsamkeit und Geistesgegenwart halber berühmt. Nachdem er sich in den Kriegen mit Frankreich im Jahr 1544 sehr ausgezeichnet hatte, wurde er bei der Expedition nach Boulogne zum Generallieutenant befördert. Ein tapferer Degen von der Schule Bayards war er kein unwürdiger Schüler Petrarcas. Die Anmut seines Äußeren entsprach der Anmut seines Geistes. Eine stattlichere Figur, ein edleres und intelligenteres Gesicht als Surreys ließ sich kaum finden. Bei der Verhandlung seines Prozesses in Guildhall war er in einem schwarzen, mit Silberborten besetzten Tuchwams, einer schwarzseidenen Hose und einem schwarzsamtenen, mit roter Seide gefütterten und mit Zobel verbrämten Mantel erschienen. Er trug jetzt dieselben Gewänder – mit Ausnahme des Mantels, den er auf einen Stuhl geworfen hatte – und gedachte in ihnen zu sterben.

Petrarca schließend, öffnete Surrey einen Band von Virgil, der auf dem Tisch lag. Mit Schreibmaterialien versehen, begann er entschlossen eine Stelle aus der Aeneis zu übersetzen. Er war mit dieser Arbeit beschäftigt, als das Zurückschieben eines Riegels an der Außenseite der Tür ihn aufstörte. Der Schlüssel drehte sich knarrend im Schloss, und gleich darauf trat ein Schließer mit einem Licht in der Hand in die Zelle.

»Bringt Ihr den geistlichen Vater, den ich begehrt habe, um meine Beichte zu vernehmen, Master Tombs?«, fragte der Earl.

»Der Priester ist noch nicht angelangt, Mylord«, erwiderte Tombs. »Der Kommandant des Towers ist draußen und noch ein anderer mit ihm.«

»Welcher andere?«, rief Surrey aufspringend. »Ist es der Herzog, mein Vater? Sprecht, Mann! – Schnell!«

»Nein, Mylord. Ich weiß nicht, wer es sein mag«, antwortete Tombs, »aber sicherlich ist es nicht seine Durchlaucht von Norfolk, denn ihn habe ich vor kaum einer Stunde im Beauchampturm verlassen. Vielleicht ist es einer vom Gericht.«

Als diese Worte gesprochen waren, schritt Sir John Gage über die Schwelle und musste dabei sein hohes Haupt bücken. Ihm folgte eine zweite schlanke Gestalt, die in einem langen schwarzen Mantel so dicht verhüllt war, dass sich die Gesichtszüge nicht erkennen ließen. Surrey jedoch beachtete nicht weiter diese Gestalt, sondern auf den Kommandanten zuschreitend und ihm warm die Hand drückend, rief er aus: »Das ist schön und freundlich von Euch, Sir John. Ihr kommt, mir Lebewohl zu sagen.«

»Wollte der Himmel, ich überbrächte Euch die Gnade des Königs, Mylord«, erwiderte Gage mit tief aufgeregter Stimme. »Aber dem ist nicht so. Ich komme in der Tat, um Euch ein letztes Lebewohl zu sagen.«

»Dann werdet Ihr als mein Freund, würdiger Sir John – und als einen solchen habt Ihr Euch stets und jetzt mehr als jemals gezeigt – froh sein, zu sehen, dass ich gleichgültig gegen mein Loos bin – nein, nicht ganz gleichgültig, aber doch resigniert. Ich besitze philosophischen Trostes genug, um diese Prüfungsstunde gefasst zu ertragen, und ich murre nicht, dass ich sterben soll.«

»Ihr setzt mich in Erstaunen!«, rief der Kommandant. »Ich hätte Euch eine solche Festigkeit der Seele kaum zugetraut.«

»Ich auch nicht«, sprach die verhüllte Gestalt.

»Wer sprach da?«, fragte Surrey. »Mich dünkt, ich kenne diese Stimme. Mir ist, als stünde ein Feind vor mir.«

»Euer Instinkt hat Euch nicht getäuscht, Mylord«, bemerkte Sir John Gage mit flüsterndem Ton.

Die verhüllte Gestalt winkte Tombs, sich zu entfernen. Sobald der Schließer die Zelle verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte, fiel der schwarze Mantel zur Erde.

»Ihr da, Sir Thomas Seymour«, rief der Earl finsteren Tones. »Ist es nicht genug, dass Eure und Eures Bruders, des Earls von Hertford, Kniffe und Pfiffe mein Verderben herbeigeführt haben? Müsst Ihr auch noch kommen, Euch an Eurem Triumph zu weiden? Es ist gut für Euch, dass Eure Bosheit ihr Ziel nicht verfehlt hat. Wäre ich am Leben geblieben, so hättet Ihr und Euer Bruder, beide, die schlechten Ratschläge bereuen sollen, die Ihr dem König gegeben habt!«

»Lasst nicht Euren Zorn wider ihn erregt werden, Mylord«, versetzte der Kommandant, »sondern scheidet, wenn es Euch möglich ist, in Frieden mit allen.«

»Gern täte ich das, Sir John«, rief Surrey aus. »Aber lasst ihn mich nicht länger stören.«

»Ihr verkennt durchaus den Grund meines Kommens, Mylord«, entgegnete Seymour hochmütig. »Es liegt nicht in meiner Natur, über einen gefallenen Feind zu triumphieren. Alle Feindschaft, die ich je wider Euch gehegt habe, ist zu Ende. Aber ich habe Euch etwas zu sagen, das zu hören Euch von Interesse sein dürfte. Bitte, lasst uns einen Augenblick allein, Sir John.«

»Mich interessiert jetzt nichts«, antwortete Surrey. »Geht indes, mein treuer Freund. Aber lasst mich Euch noch ein Mal wiedersehen.«

»Gewiss«, sagte der Kommandant. Er verschloss die Tür, als er die Zelle verließ.

»Mylord«, begann Seymour, »ich war Euer Feind, aber, wie ich soeben bemerkt habe, die Zeit meiner Feindseligkeit ist vorüber. Ja, wenn Ihr mich gewähren lasst, werde ich mich als Euren Freund erweisen.«

»Ich wünsche in Frieden mit allen zu sterben«, erwiderte Surrey ernst, »und ich vergebe Euch aufrichtig alles Böse, was Ihr mir zugefügt habt. Aber Freundschaft zwischen uns – nimmermehr! Das Wort stimmt schlecht zu den Namen Howard und Seymour.«

»Und doch wäre es vielleicht besser für beide, wenn dem anders würde«, fuhr Sir Thomas fort. »Hört mich an, Mylord. Werdet Ihr mich nicht Euren Freund nennen, wenn ich Euch von dem Geschick rette, das Euch morgen erwartet?«

»Ich würde das Leben aus Euren oder irgendeines Seymours Händen nicht annehmen«, entgegnete Surrey stolz. »Ich würde nicht einmal vom König selbst Gnade verlangen – viel weniger aber die Vermittlung eines seiner Höflinge in Anspruch nehmen. Seid überzeugt, ich werde mich nicht so erniedrigen.«

»Der Herzog, Euer Vater, ist nicht so halsstarrig gewesen«, versetzte Seymour. »Er hat den König demütig um Gnade angefleht, und hat, um das Mitleid Seiner Majestät zu erregen, seine Güter dem Prinzen Edward überwiesen.«

»Wodurch Euch und Eurem unersättlichen Bruder die erhoffte Beute weggeschnappt worden ist! O, hätte er sich nur nicht durch unwürdige Unterwerfung erniedrigt!«

»Nein, Mylord, seine Unterwerfung war klug, denn obwohl er dadurch nicht – wie Seine Durchlaucht ohne Zweifel gehofft – eine Begnadigung erlangte, hat er doch Zeit gewonnen. Und Zeit ist gerade jetzt gleichbedeutend mit Rettung. Die Tage des Königs sind gezählt. In einer Woche, erklärt Doktor Butts, kann es mit ihm aus sein. Höchstens noch zehn Tage vermag er zu leben.«

»Ihr vergesst das Statut, welches bei Todesstrafe verbietet, den Tod des Königs vorauszusagen«, erwiderte Surrey. »Aber gleichviel! Ich werde Euch nach aller Wahrscheinlichkeit nach nicht verraten. Seine Majestät wird mich jedenfalls überleben«, fügte er mit einem bitteren Lächeln hinzu.

»Wenn Ihr auf mich hören wollt, Mylord, sollt Ihr ihn um manches Jahr überleben. Ich kann Euch keine Begnadigung zusagen, aber ich kann etwas tun, was Euch ebenso gewiss retten wird. Ich kann Eure Hinrichtung verzögern. Ich kann sie von Tag zu Tag aufschieben, bis das angedeutete Ereignis eintrifft – und Ihr werdet so dem Henkerblock entrinnen.«

»Aber weshalb versucht Ihr mich zu retten?«, fragte Surrey . »Bis zu diesem Augenblick habe ich gemeint, dass mein Tod Euer Ziel sei. Weshalb wollt Ihr in der zwölften Stunde die Vollendung Eures Werkes verhindern?«

»Hört mich an, Mylord, und Ihr sollt es erfahren. Jede Verstellung würde jetzt unnütz sein, und ich will offen mit Euch reden. Mein Bruder Hertford sann auf Eures Vaters und Euer eigenes Verderben, weil er in Euch einen gefährlichen Gegner seiner künftigen Größe sah. Er will der Vormund des Prinzen Edward, ja der Protektor des Reiches – mit einem Wort. König, bis auf den Namen – werden.«

»Ich weiß, wie hoch sich sein Ehrgeiz steigert«, rief Surrey aus. »Der Himmel schirme den Prinzen Edward und behüte ihn vor seinen Behütern! Indem er mich und meinen Vater verliert, wird er diejenigen verlieren, welche ihm den besten Rat erteilt und ihm am treuesten gedient hätten. Aber fahrt fort, Sir Thomas. Ihr habt deutlich genug von Lord Hertfords Plänen gesprochen. Was sind Eure eigenen? Welchen Posten gedenkt Ihr einzunehmen?«

»Ich besitze ebenso viel Ehrgeiz wie mein Bruder«, antwortete Seymour, »und wie er, bin ich der Onkel des künftigen Thronerben. Ihr werdet leicht meine Absicht erkennen, Mylord, wenn ich Euch sage, dass mein Bruder mich hasst, mich fürchtet und mich niederhalten möchte. Er will alles – ich soll gar nichts sein.«

»Ha! Steht es so?«, rief Surrey aus.

»Ich sage, er fürchtet mich – und mit Grund«, fuhr Seymour fort. »Lasst ihn acht geben, dass ich ihn nicht des hohen Amtes beraube, nach welchem er trachtet. Ich bin der Lieblingsonkel des Prinzen Edward – er hat eine größere Liebe zu mir als zu Hertford und würde sich über den Tausch seiner Vormünder herzlich freuen.«

»Abermals bitte ich den Himmel, den jungen Prinzen vor seinen Hütern zu behüten«, murmelte Surrey.

»Hertford hat die Majorität im Staatsrat für sich. Cranmer, St. John, Russel, Lisle, Junstal, Sir Anthony Brown, Sir Anthony Denny – alle, außer Wriothesley und meinem Bruder Sir William Herbert. Diese sind für mich. Könnte ich nur auf Seine Durchlaucht von Norfolk und Euch rechnen, so dürfte ich das Gelingen meines Planes als gewiss betrachten.«

»Ihr habt meinem Vater keine derartigen Eröffnungen gemacht, Sir?«, fragte Surrey hastig.

»Bis jetzt noch nicht«, antworte Seymour. »Ich hege indes an der Einwilligung Seiner Durchlaucht keinen Zweifel.«

»Ihr kennt meinen Vater nicht, sonst würdet Ihr nicht wagen, so zuversichtlich zu reden«, erwiderte Surrey. »Er würde Euren Vorschlag ebenso verächtlich zurückweisen, wie ich ihn zurückweise. Er würde sein Leben nicht um einen so schmachvollen Preis verkaufen.«

»Ich sehe nichts Erniedrigendes in der Bedingung«, sprach Seymour. »Ich biete Euch das Leben, alle Ehren und Würden, die Ihr verwirkt, alle Besitztümer, die Ihr verloren habt, und begehre dafür nichts, als Eure kräftige Unterstützung. Wenig genug, wie mich dünkt! Habt Ihr keine Liebe zum Leben mehr, Lord Surrey? Haben Eure Pulse aufgehört, mit früherer Kraft zu schlagen? Ist Euer Ohr taub gegen den Trompetenschall des Ruhmes? Sind Eure eigenen glorreichen Taten in Eurem Gedächtnis erloschen? Habt Ihr den Tag vergessen, wo Ihr beim Turnier des Großherzogs von Toskana zu Florenz die Schönheit Eurer Dame, der schönen Geraldine, wider alle Kämpfer siegreich behauptetet? Habt Ihr den berauschenden Trank ritterlicher Ehre und kriegerischen Ruhmes zur Fülle genossen? Ihr seid Witwer und dürftet, ohne anmaßend zu erscheinen, um die Hand der Prinzess Mary werben. Ha! Fühlt Ihr Euch getroffen, Mylord? Aber ich will fortfahren. Haben höfische Lustbarkeiten den Reiz für ihn verloren, der vordem ihre Hauptzierde war? Locken Euch die Musen nicht mehr? Ich möchte das Gegenteil glauben, wenn ich sehe, womit Ihr Euch noch soeben beschäftigt habt.« »O nein, nein!«, rief Surrey aus. »Das Leben hat in meinen Augen nichts von seinen Reizen verloren. Ruhm und Herrlichkeit sind mir noch so teuer wie jemals.«

»Dann lebt! Lebt! Und gewinnt noch mehr Ruhm und Herrlichkeit!«, sprach Seymour in fast triumphierender Stimmung , da er die Bedenklichkeiten des Earls besiegt zu haben glaubte.«

»So sehr ich das Leben auch liebe«, versetzte Surrey, »liebe ich meinen ehrlichen Ruf doch mehr und werde ihn nimmer durch eine unwürdige Handlung beflecken. Ich verwerfe Euer Anerbieten, Sir Thomas.«

»Dann komme Euer Blut auf Euer eigenes Haupt«, antwortete Seymour finster. »Eure Handlungsweise ist fantastisch und töricht. Aber von einem Poeten ließ sich ja nur Tollheit erwarten«, fügte er höhnisch hinzu.

»Ihr spottet eines wehrlosen Mannes, Sir Thomas!«, rief Surrey mit blitzenden Augen. »Das ist eine feige Tat. Wäre ich frei gewesen, so hättet Ihr nicht um Euer Leben so etwas zu sagen gewagt! Ihr seid in dieser letzten Stunde wie ein böser Geist hergekommen, mich zu Unrecht und Schande zu verleiten – aber es ist Euch misslungen. Habt jetzt wohl Acht auf meine Worte, denn ich fühle, dass sie prophetisch sind. Ihr und Euer Bruder habt mich aufs Schafott gebracht – aber mein Blut wird um Rache gen Himmel schreien. Eure ehrgeizigen Pläne sollen zunichte werden. Ihr sollt nur Macht erlangen, um sie wieder zu verlieren. Die Saat der Zwietracht und des Unheils ist schon zwischen Euch gesät und wird schnell wachsen und reifen. Ihr sollt wider einander kämpfen und einer den anderen verderben. Seine Hand soll Euer Todesurteil unterschreiben, allein Euer Sterbefluch soll sein Haupt treffen, und der Brudermörder soll auf demselben Schafott wie Ihr verenden. Gedenkt meiner Worte, Sir Thomas, wenn Ihr, wie ich, ein Gefangener im Tower seid.«

»Bah! Ihr erschreckt mich nicht«, erwiderte Seymour, kaum imstande, sein Missbehagen zu unterdrücken. »Es ist schade, dass Ihr die Krönung meines Neffen nicht mehr erlebt. Ihr hättet eine Ode darauf dichten können.«

»Ich will statt dessen Eure Grabinschrift verfassen, Sir«, gab Surrey zurück, »und sie dem Henker übergeben.«

In diesem Augenblick wurde die Tür der Zelle geöffnet, und Sir John Gage trat ein.

»Der geistliche Vater ist draußen, Mylord«, sagte er, Surrey anredend. »Aber Ihr seht unwirsch ans. Ich hoffe doch, Ihr seid nicht gereizt worden?«

»Fragt Sir Thomas«, antwortete der Earl. »Er wird Euch so viel oder so wenig sagen, wie er für gut hält. Was mich betrifft, so habe ich mich mit allem, was weltlich ist, abgefunden, und habe nur noch Zeit, an meine Sünden zu denken und Vergebung derselben zu suchen.«

Nach einer kurzen Pause fügte er mit tief erregter Stimme hinzu: »Mit einem Auftrag will ich Euch bemühen, wackerer Sir John, und ich weiß, Ihr werdet denselben erfüllen. Seit meiner Einkerkerung im Tower habe ich meinen kleinen Sohn nicht mehr gesehen, und werde ihn niemals wiedersehen. Küsst ihn an meiner statt, und bringt ihm meinen letzten Segen. Sagt ihm, das ich mutig und mit unbefleckter Ehre starb. Armes verwaistes Kind! Früh der Zärtlichkeit einer Mutter beraubt, wirst du jetzt auch der Liebe eines Vaters durch einen noch grausameren Schlag des Schicksals beraubt! Aber ein unbestimmtes Gefühl sagt mir, dass du die Ehren und Würden, die ich verloren habe, wiedererlangen wirst. Lebt wohl für immer, braver Sir John«, fuhr er ihn umarmend fort. »Ich habe nichts Euch zu geben als diese armen Bücher. Wenn Ihr sie annehmen wollt, bitte ich Euch, sie zum Andenken an Euren Freund Henry Howard zu bewahren.«

»Ich werde das Geschenk hoch in Ehren halten, Mylord«, antwortete Sir John tief ergriffen und fast in Gefahr, seine Fassung zu verlieren. »Lebt wohl!«

Inzwischen hatte Seymour seinen Mantel wieder übergeworfen. Kein Wort mehr wurde zwischen ihm und Surrey ausgetauscht, aber sie warfen einander finstere Blicke zu, als Sir Thomas die Zelle verließ.

Bald danach führte Tombs den Priester herein, der länger als eine Stunde bei dem Earl blieb.

Folgenden Tages wurde der ritterliche Surrey auf Towerhill enthauptet. Er bewahrte bis zum letzten Augenblick seine Entschlossenheit. Den Scharfrichter mit einem Lächeln begrüßend, legte er sein schönes Haupt unter dem Weinen und Wehklagen der Zuschauer auf den Block.