Ausschreibung
Sternenlicht-Anthologie

Download-Tipp
Band 6

Heftroman der Woche

Archive
Folgt uns auch auf

Das Steppenross – Kapitel 13

Das-SteppenrossEduard Wagner
Das Steppenross
Eine Erzählung aus dem Jahr 1865 zu den Zeiten des amerikanisch-mexikanischen Krieges, nach dem Englischen des Kapitän Mayne Reid

Kapitel 13
Wieder auf des Rosses Fährte

Ich trug kein Verlangen, noch mehr zu hören, sondern trieb mein Pferd im vollen Galopp auf der Straße dahin. Meinen Leuten war es kaum möglich, mir zu folgen. In fünf Minuten gelangten wir zur Stelle, wo sich die Straße teilte und links zu dem Dorf führte. Wir erblickten niemand und ritten rechts des Weges zu der Hazienda.

In einer Meile Entfernung lag das Haus und schon nach einem kurzen Weg mussten wir es sehen können. Jetzt verdeckten nur die Bäume noch seinen Anblick. Vorwärts!

»Was bedeutet jenes Licht? Steht das Gehölz in Flammen? Woher kommt der gelbe Schimmer, der durch die Bäume dringt?«

»Ha! Die Hazienda steht in Flammen!«

»Nein, das ist nicht möglich, denn es ist ein steinernes Haus. Es ist nicht möglich!«

Es war auch nicht der Fall. Als wir aus dem Wald kamen, sahen wir die Hazienda vor unseren Augen liegen. Die weißen Mauern schimmerten im gelben Schein des Feuers, aber das Haus stand unverletzt da. Der helle Schein wurde durch einen mächtigen Scheiterhaufen veranlasst, der vor der Tür brannte. Wir hielten an und betrachteten erstaunt das Feuer. Der Holzvorrat des Hauses hatte den Stoff zu dem mächtigen Scheiterhaufen geliefert. Die Glut verdunkelte den bleichen Schein des Mondes. Wir sahen die Hazienda und die Umgebung so deutlich wie bei Tageslicht.

Was bedeutete dieses Opferfeuer?

Um dasselbe bewegten sich viele Gestalten, Männer, Frauen, gesattelte Pferde, Hunde. Große Stücke Fleisch wurden über glühenden Kohlen gebraten, andere Stücke gierig verschlungen. Sind es Wilde, welche jenen lodernden Holzstoß umgeben? Nein, wir sahen deutlich die Gesichter und die schwarzen Bärte der Männer, die Frauen in baumwollenen Kleidern, die Sommerhüte, Decken, die Tücher, Mäntel von Samt, die Schärpen und die Säbel. Wir unterschieden ihre schreienden und singenden Stimmen und erkannten die üppigen Bewegungen des Nationaltanzes. Es sind keine Indianer, sondern die Schurken, welche wir suchten. Ich hätte der Stimme der Klugheit Gehör geben und sie umzingeln sollen. Aber ich fürchtete, auch nur einen Augenblick zu spät zu kommen. Auch von meinen Leuten rieten nur ein paar zum Zögern, die übrigen verlangten einen augenblicklichen Angriff. Der Befehl wurde gegeben und wir flogen mit einem Hurrageschrei vorwärts. Unsere Feinde kannten dieses dumpfe Hurra recht gut. Sie würden keinen Widerstand geleistet haben, aber der Ruf warnte sie, dass sie wie eine Herde Rehe davonstoben. Noch ehe wir mit unseren Pferden den steilen Hügel erreichen konnten, war der größte Teil der Mexikaner schon aufgestiegen und in der Finsternis davon galoppiert. Sechs von ihnen fielen unter unseren Schüssen und ebenso viele wurden mit ihren Frauen gefangen. Aber der schlaue Schurke war doch wieder entkommen. Eine Verfolgung war in dem dunklen Wald nicht möglich.

Ich dachte auch an etwas ganz anderes.

Ich ritt in den Hof, der von dem Schein des Feuern erleuchtet war und ein Bild der Zerstörung darbot. Unter der Veranda und auf dem Pflaster lagen zerbrochene, umgestürzte, kostbare Möbel. Vergebens rief ich die Namen Don Ramon und Isolina mit lauter, durchdringender Stimme.

Noch immer rufend stieg ich ab und eilte auf die Veranda, von einem Zimmer zum anderen, von dem Flur zu dem Saal, zum flachen Dach hinauf, selbst in die Kapelle hinter dem Haus, aber ich erhielt keine Antwort. Der Altar wurde von den Mondstrahlen erleuchtet, aber ich sah keine menschliche Gestalt. Das ganze Haus war verlassen, und die Dienerschaft, selbst die Frauen aus der Küche, waren verschwunden. Meine Begleiter waren

mit den Gefangenen draußen geblieben. Ich mit meinem Pferd waren die einzigen lebenden Wesen innerhalb dieser Mauern.

Mein Herz hegte noch eine Hoffnung. Sie waren vielleicht meinem Rat gefolgt und hatten sich vor der Ankunft des Pöbelhaufens entfernt. Ich eilte hinaus, um die Gefangenen zu fragen. Die Frauen als auch die Männer mussten mir etwas Bestimmtes darüber sagen können.

Von den Männern konnte ich keine Auskunft mehr erhalten. Der Schein des Feuers beleuchtete einen großen Baum. An den Ästen desselben hingen über der Erde sechs menschliche Gestalten, die bereits aufgehört hatten zu leben.

Pedro hatte die beiden Anführer des Tumultes erkannt, die anderen waren aus dem Ort und hatten an den Vorgang teilgenommen. Meine Jäger hatten sich zu Richter aufgeworfen und hatten kurzen Prozess gemacht, sie hatten Lassos über die Äste des Baumes geworfen und alle sechs hinaufgezogen.

Mich verlangte nicht nach Rache und ich erschrak über diese Hinrichtungen. Ich wandte mich an die Frauen, welche sich noch in den Händen der Jäger befanden. Sie sahen mürrisch, verstört und eingeschüchtert aus. Auf meine Frage schüttelten sie die Köpfe und schwiegen. Einige behaupteten, von Ramon und seiner Tochter nichts zu wissen. Alle Drohungen blieben ohne Erfolg. Entweder sie wussten nichts oder sie fürchteten sich, es zu sagen.

Voll Zorn und Verzweiflung ließ ich meine Augen umherschweifen und erblickte eine Gestalt, die sich im Schatten der Mauer versteckte. Ein Freudenschrei entfuhr meinen Lippen, als ich den Diener der Hazienda erkannte.

»Cyprio!«, rief ich aus.

Er kam aus seinem Versteck und näherte sich dem Ort, wo ich stand. »Sage mir, Cyprio, wohin sind sie?«

»Teurer Herr, es ist furchtbar!«

»Erzähle mir schnell alles, Cyprio!«

»Señor, Männer mit schwarzen Masken brachen in das Haus ein. Sie schleppten den Herrn fort und dann trugen sie Donna Isolina auf den Hof. Ach, ich kann Ihnen nicht sagen, was sie vorher getan haben! Die arme Señorita! Ich konnte sehen, dass ihr das Blut über die Wange hinablief. Ein paar gingen in den Stall und führten das weiße Ross heraus, das von der Steppe gebracht worden ist, dann banden sie ihm die Donna Isolina auf den Rücken. Heiliger Gott! Welcher Anblick!«

»Fahre fort!«

»Dann führten sie das Pferd über den Fluss auf die jenseitige Ebene. Sie gingen alle mit und wollten sich den Spaß ansehen. Ach, welch ein Spaß. Mich hinderten sie durch Schläge und Drohungen, mitzugehen … Aber ich sah alles vom Gipfel des Hügels. O, heilige Maria!«

»Fahre fort!«

»Dann stachen sie das Pferd in die Schenkel und rissen die Zügel fort, und das Tier lief, mit brennenden Raketen hinter sich und Isolina auf dem Rücken. Die arme Señorita! Sie sahen dem Pferd nach, bis es weit, weit auf der Steppe war. Guter Gott, die junge Dame ist verloren!«

»Wasser! Wasser! Rube! Garey!«

Ich machte einen Versuch, den Brunnen im Hof zu erreichen. Aber nachdem ich ein paar Schritte weit getaumelt war, sank ich ohnmächtig nieder. Mein Körper war noch von dem Blutverlust des gestrigen Kampfes erschöpft. Die furchtbare Nachricht hatte meine Kräfte zu heftig erschüttert. Aber ich blieb nur kurze Zeit ohne Bewusstsein, das kalte Wasser brachte mich wieder zum Leben.

Rube, Garey und andere standen neben mir. Inzwischen waren mehrere Reiter in den Hof gekommen. Es waren aber nicht die Jäger, welche das Lager in einer Gesellschaft verlassen hatten, sondern neu Angekommene. Die Mädchen hatten ihre Geschichte im Lager erzählt, die Männer hatten nicht weiter auf Befehl gewartet, sondern waren zu zweien und dreien davongeritten. Jeden Augenblick kamen mehrere Reiter, mit Büchsen bewaffnet, unter lautem Geschrei herbeigeritten.

Es erschall der Ruf: »Zu der Ansiedlung! Zu der Ansiedlung!« Wheatley und Holingsworth, in Pedros Begleitung, ritten mit einem Trupp zum Dorf.

Ich fühlte, wie schon gesagt, keinen Rachedurst in mir. Auch lag mir nichts daran, die Mexikaner zu verfolgen. Ich musste die Fährte des weißen Rosses aufsuchen.

In fliegender Hast hatten wir Cyprio ein Pferd gegeben und ein halbes Dutzend der besten Spürer aus meiner Truppe ausgewählt. Im nächsten Augenblick saßen wir zu Pferde, ritten den Hügel hinab, wateten durch den Fluss, galoppierten durch das nahe Gehölz und erreichten die offene Steppe.

Unter Cyprios Anführung fanden wir die Stelle, an der jene Grausamkeit verübt worden war. Die Erde war von den Hufen zertreten, mit geschwärzten Papierstücken, zerbrochenen Raketenstäben und halbverbrannten Zündröhren bedeckt.

Wir hielten hier nicht an, sondern ritten unter der Leitung unseres Führers im Mondschein weiter, verfolgten die Fährte des weißen Rosses und befanden uns bald weit auf der Prärie.

Eine Meile weit galoppierten wir vorwärts, denn es kam darauf an, keine Zeit zu verlieren. Dem Scharfsinn des jungen Mexikaners vertrauend, untersuchten wir nicht lange die Fährte, sondern ritten gerade zu dem Ort hin, wo er das Pferd zuletzt gesehen hatte.

Cyprio hatte uns eine richtige Auskunft gegeben, er hatte das Pferd dicht am Rande einer Baumgruppe vorüberkommen sehen, es aber nicht weiter erblickt.

Jenseits dieser Gruppe fand ich mit Rube und Garey die Fährte. Sie war so eigentümlich, dass sich niemand täuschen konnte. Drei von den Hufen waren scharf in den Rasen eingedrückt, aber die Rundung des rechten Vorderfußes wurde durch einen Einschnitt unterbrochen. Bei jenem furchtbaren Satz über das Felsenbett der Schlucht war nämlich ein Stück des Hufes ausgesprungen.

Indem wir die Fährte aufnahmen, ritten wir in langsamem Schritt und vorsichtig weiter. Der Steppenrasen war durch langen Regen angefeuchtet, und wir konnten die Fährte erkennen, ohne abzusteigen. Von Zeit zu Zeit kamen trockene Stellen, wo die Hufe sich kaum eingedrückt hatten. Dann sprang einer aus dem Sattel und schritt zu Fuß vorauf. Rube oder Garey, welche das Amt übernommen hatten, folgten der Fährte so schnell, dass wir unsere Pferde nicht im Schritt halten konnten. Lautlos glitten sie mit vorgebeugtem Körper, die Augen auf den Boden des Pfades geheftet, vorwärts. Wir alle schwiegen, und meine Leiden waren auch zu groß, als dass ich ein Wort hätte sprechen oder hören mögen. Während ich in meinen Qualen überlegte, auf welche Weise man Isolina auf dem Pferd befestigt haben könnte, trat das bekannte Bild des Kosaken-Hetman Mazeppa vor meinen Geist. Es lag eine weite Entfernung zwischen der Ukraine und dem Rio Bravo. Hatten diese Ungeheuer jemals von Mazeppa gehört, dass sie dieses Schauspiel am Ufer des mexikanischen Flusses noch einmal ausführten? Cyprio hatte gesehen, auf welche Weise man sie befestigt hatte. Man hatte sie der Länge nach auf den Rücken des Pferdes gelegt, ihren Kopf auf das Schulterblatt, das Gesicht nach unten. Ihre Arme waren um den Hals des Tieres geschlungen und die Handgelenke unten zusammengebunden. Ihre Hände waren durch einen Gürtel festgehalten, den man um ihre Hüften befestigt und an den Bauchgurt des Pferdes gebunden hatte. Ihre zusammengebundenen Knöchel waren auf dem Hinterteil des Pferdes befestigt. Ich stöhnte laut, als ich diese Beschreibung vernahm. Es war keine Hoffnung, dass diese grausamen Fesseln reißen würden, die Riemen von ungegerbtem Leder zerrissen nicht. Pferd und Reiter blieben ungetrennt. Weder Hunger noch Durst, nicht einmal der Tod konnte sie dieser unfreiwilligen Verbindung entreißen.

Während ich meinen Kameraden die Verfolgung der Fährte überließ, ritt ich mit schlaffem Zügel und gesenktem Kopf weiter. Wir waren noch nicht weit geritten, als sich der Trapper mir mit tröstenden Worten näherte.

»Grämen Sie sich nicht, Captain!«, sagte Rube. »Ich werde sie finden, ehe ihr Schaden zugefügt ist. Ich glaube nicht, dass der Schimmel weit galoppieren wird, denn er weiß, dass jemand auf seinem Rücken ist. Nur das Feuerwerk hat ihn zum Laufen gebracht, er wird bald stehen bleiben. Dann werden wir ihn einholen. Ihr Rappe bedarf dazu nur ein paar Sprünge.«

Ich schöpfte wieder Hoffnung, aber der flüchtige Lichtstrahl erlosch wieder im folgenden Augenblick.

»Wenn nur der Mond aushält!«, fuhr Garey zweifelnd fort.

»Der Mond wird auslöschen!«, sagte Rube in mürrischem, aber zuversichtlichem Ton.

Wir blickten alle aufwärts. Der Vollmond stand am wolkenlosen Himmel beinahe im Scheitelpunkt und konnte vor den Morgen nicht untergehen.

Wir fragten Rube, was er meine.

»Seht dorthin!«, antwortete er. »Erblickt ihr tief unten auf der Steppe die blaue Linie?«

Wir sahen im Osten am Horizont einen dunklen Streifen. »Das ist kein Wald und auch kein Hügel«, fuhr Rube fort. »Das ist eine Wolke, die ich schon früher gesehen habe. Nun wartet nur! Genau in zehn Minuten wird das verwünschte Ding den Mond bedecken und den hübschen blauen Himmel so schwarz machen wie die Haut eines Negers.«

Wir überzeugten uns bald, dass die Prophezeiung des alten Trappers in Erfüllung ging. Am Himmel stiegen Wolkenmassen auf und bedeckten den Mond mit einer schwarzen Wand. Anfangs nur einzeln, aber dies war nur ein Vortrupp einer festen Kernmacht, welche bald heranzog und sich wie ein Leichentuch über den Himmel ausbreitete.

Die Mondscheibe wurde vollständig bedeckt und die Prärie lag düster und beschattet da.

Die Erde selbst war nicht sichtbar, noch weniger die leitenden Hufspuren. Wir konnten daher die Fährte nicht weiter verfolgen. Wir machten Halt, ritten aneinander und berieten, was zu tun sei.

Die Beratung war nur kurz. Die Männer, welche zum Trupp gehörten, waren mit allen Verhältnissen der Steppe und des Waldes genau bekannt. Es bedurfte nur kurzer Zeit, um über das nötige Verfahren einig zu werden. Blieb der Himmel bewölkt, so mussten die Verfolgungen bis zum Morgen eingestellt oder die Fährte bei Fackelschein weiter verfolgt werden.

Natürlicherweise entschlossen wir uns zu Letzterem. Es war früh in der Nacht und viele Stunden konnten vergehen, ehe der helle Tag anbrach. Diese Stunden konnten wir nicht in Untätigkeit versäumen. Selbst durch ein langsames Vorrücken wurden unsere peinlichen Gedanken verscheucht.

Aber woher sollten wir eine Fackel bekommen? Es gab kein Holz in der Nähe, wir befanden uns mitten auf der kahlen Steppe und hatten kein Mittel, eine Fackel herzustellen. Nirgends in der Nähe zeigte sich die Mesquite, welche zu solchem Zweck ausgezeichnet ist. Selbst Rubes Scharfsinn reichte nicht aus, eine Fackel aus Nichts zu machen.

»Hören Sie, Captain!«, rief ein alter, reisender Kanadier, mit Namen Leblanc. »Ich will zurückreiten und aus der mexikanischen Stadt eine Laterne bringen.«

Der Gedanke des Kanadiers war gut, denn wir befanden uns nur erst ein paar Meilen weit von dem Dorf.

»Ich weiß«, fuhr er fort, »wo zwei bis drei große, prächtige Lichte von Wachs versteckt sind. Wenn mein Captain erlaubt, dass Monsieur Quackenboß mit mir geht, so werden wir sie holen.«

Der Kanadier sprach dies in seinem Kauderwelsch, aber ich verstand ihn recht gut. Er kannte den Aufbewahrungsort der Wachskerzen. Es wurde beschlossen, den Vorschlag auszuführen, und Leblanc und Quackenboß traten unverzüglich den Rückweg zum Dorf an.

Wir anderen stiegen ab, banden unsere Pferde im Gras an und legten uns nieder, um ihre Rückkehr zu erwarten.

Während ich dalag, zogen in meiner Einbildungskraft furchtbare Bilder vorüber. Ich sah, wie das weiße Ross von Wölfen und schwarzen Geiern verfolgt wurde, wie es, um diesen hungrigen Feinden zu entgehen, über die Ebene galoppierte, sich in das Dickicht stürzte. Aber hier traf es auf den roten Panther oder den wilden Bären, die scharfen Dornen der Akazie, die widerhakigen Spitzen des Kaktus und die rückwärts gebogenen Krallen der wilden Aloe. Ich sah, wie das rote Blut an seinen Flanken herunterströmte,

nicht sein Blut, sondern das des hilflosen Opfers, welches auf seinem Rücken ausgestreckt lag.

Ich sprang auf und lief wie wahnsinnig auf der Steppe hin und her. Der gutmütige Trapper trat näher und versuchte, mich zu trösten.

Er meinte, es würde nicht schwer sein, das Pferd wieder einzufangen. Es sei jetzt halb gezähmt und würde vor mir nicht entfliehen. Falls es dennoch davonliefe, könnten wir es einholen. Sobald wir es erst erblickt hätten, könnten wir es nicht wieder aus den Augen verlieren. Auch die Señorita konnte nicht so leicht Schaden nehmen, Wölfe, Bären und Panther wären nicht so leicht zu fürchten. Vor dem folgenden Abend würden wir sie schon einholen und sie vielleicht hungrig und ermüdet, aber hoffentlich unverletzt finden.

Ich musste trotz seiner rauen Worte die freundliche Absicht würdigen.

Quackenboß und der Kanadier blieben nicht lange fort. Wir hatten ihnen zwei Stunden Zeit zur Ausführung ihres Auftrages gestattet, aber wir hörten sie schon viel früher über die Ebene galoppieren.

Nach wenigen Minuten kamen sie herbeigeritten und wir bemerkten drei weiße Gegenstände in den Händen Leblancs, welche sich an Länge und Stärke mit tüchtigen Spazierstöcken vergleichen ließen.

Die zurückkehrenden Boten brachten zugleich Nachricht aus dem Dorf. Man vermutete, dass Don Ramon nicht tot, sondern nur von den Guerillas als Gefangener fortgeschleppt sei. Die Jäger befanden sich noch in der Niederlassung, viele waren willens gewesen, mit Leblanc und Quackenboß zurückzukehren. Ich hatte aber den Befehl überschickt, dass sie alle zum Lager zurückgeführt werden sollten. Ich hielt die Zahl, welche ich bei mir hatte, für genügend, und diese konnte nicht so leicht vermisst werden wie eine stärkere Truppe.

Wir zündeten die Lichter an und verfolgten die Fährte weiter.

Glücklicherweise wehte der Wind nur schwach, eben hinreichend, um die Wachsfackeln zu einer helleren Flamme anzufachen. Bei dem hellen Schein waren wir fähig, die Fährte ebenso schnell wie bei Mondschein zu verfolgen. An dieser Stelle war das Pferd noch immer im gestreckten Galopp gelaufen. Wir konnten seinem Lauf leicht folgen, da es in gerader Richtung lief.

Es war zwar dunkel, aber wir sahen doch, dass wir auf einen Ort hineilten, der uns allen wohl bekannt war, nämlich auf den Steppenhügel, und wir hegten zugleich die schwache, aber freudige Hoffnung, das Pferd könne dort Halt gemacht haben.

Nach einem Ritt von einer Stunde sahen wir den weißen Felsen in unserem Gesichtskreis, und das Licht unserer Kerzen wurde von dem schimmernden Stein wie von einer Diamantenwand zurückgeworfen. Wir folgten immer der Fährte und näherten uns vorsichtig.

Das Pferd musste dort Halt gemacht oder wenigstens in seinem wilden Lauf eingehalten haben. Die Fährte zeigte, dass es im Schritt herumgegangen war. Aber in welcher Richtung war es weiter gegangen? Die Hufspuren waren nicht mehr zu erblicken. Es war über den Kies geschritten, welcher die Ebene in der Umgebung des Felsens bedeckte, aber weiter hinaus war keine Fährte sichtbar.

Mit unseren Fackeln leuchtend, gingen wir mehrere Male um den steinigen Kies und den äußersten Rand desselben umher, aber es war keine Fährte zu finden. Wir suchten eine lange Stunde vergebens. Bei besserem Licht hätten wir die Fährte vielleicht gefunden , vielleicht auch jetzt mit Wachslichtern, aber es trat plötzlich ein hindernder Umstand ein. Die großen Tropfen, die von Zeit zu Zeit einzeln auf die Felsen fielen, waren nur die Vorläufer eines heftigen Regensturmes, bei dem das Wasser wie aus Kübeln herabstürzte. Dieser Regensturm brach los, während wir noch nach der Fährte suchten. Augenblicklich erloschen die Lichter und unser vergebliches Suchen hatte ein Ende erreicht.

Dumpf schweigend, stellten wir uns nebeneinander unter den Felsen.

Meine Leute waren ermüdet, einige ganz erschöpft. Nur wenige blieben mit dem Zügel in der Hand unter dem vorspringenden Felsen stehen, die anderen sanken, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, nieder und schliefen fast augenblicklich ein. Für

mich gab es weder Schlaf noch Ruhe. Einige Worte, die zu meinen Ohren drangen, zeigten mir, dass zwei von meinen Leuten der Müdigkeit nicht nachgegeben hatten. Sie unterhielten sich, und ich erkannte die Stimmen der Trapper. Diese Männer, die an unermüdlichen Kampf, an fortwährenden Krieg gegen die Natur selber gewöhnt waren, dachten nicht daran, sich für besiegt zu halten, bevor der letzte Versuch menschlichen Scharfsinns misslungen war. Aus ihrer Unterhaltung ersah ich, dass sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatten, die Fährte wiederzufinden. Sie sannen bereits über einen Plan nach, wie sie dieselbe verfolgen konnten. Mein Eifer erwachte und ich hörte ihnen, obgleich sie leise sprachen, zu. Garey hatte eben das Wort.

»Du magst recht haben, Rube. Das Pferd muss dorthin gegangen sein, und wenn dies der Fall ist, so müssen wir auch seine Fährte aufsuchen. Erinnere ich mich recht, so ist der Teich von Schlamm umgeben. Wir können das Licht unter einem Hut tragen.«

»Ja«, antwortete Rube in näselndem Ton, »und wenn ich nicht irre, so werden wir weder das Licht noch den Hut brauchen. Sieh nur dort die lichte Wolke. Ich will eine hübsche Summe wetten, dass sich der Schauer mit einem Ziegenschwanz messen lässt. Pah, du wirst sehen, dass keine zehn Minuten vergehen, bis wir den Mond wieder so hell wie vorher erblicken.«

Meine Augen richteten sich auf die helle Stelle am Himmel, welche Rube gezeigt hatte, und mein Herz hüpfte vor Freude, als ich bemerkte, dass sie allmählich größer und heller wurde. Noch immer strömte der Regen herab, aber der Rand der Wolken am östlichen Himmel hob sich, wie von einer unsichtbaren Hand gezogen, höher und höher. Wenn dies fortdauerte, so musste der Himmel, wie Rube gesagt hatte, wieder klarer werden und der Mond so hell wie vorher scheinen. Dies war eine freundliche Hoffnung.

Zuweilen warf ich einen Blick auf die Steppe hinaus und horchte nach irgend einem Laut. Ich hoffte entweder die Stimmen der Trapper oder den Schall ihrer Schritte zu vernehmen. Keiner dieser Laute war zu hören.

Schon wurde ich ungeduldig, als ich plötzlich auf der fernen Ebene einen lichten Streifen bemerkte, der bald wieder zu erlöschen schien. Im Augenblick darauf zeigte sich aber an demselben Ort ein feststehendes Flämmchen, gleich einem einsamen Stern, der durch graue Nebel blinkt. Eine Zeitlang schien sich das Licht, welches ich für ein angezündetes Licht der Trapper erkannte, hin und her zu bewegen. Es wandte sich in gleichen Strecken oder in unregelmäßigen Kreisen oder im Zickzack. Zwischen ihm und unserem Aufenthalt sahen wir ein Wasser schimmern. Es mochte ein Teich oder vielleicht ein Stück der Steppe sein, das der Regen überschwemmt hatte.

Es währte nicht lange, so stand das Licht still. Ein lauter Ruf ließ sich über die Ebene vernehmen. Wir erkannten alle die Stimme des Trappers Rube. Bald setzte sich das Licht wieder in Bewegung, als ob es in gerader Richtung über die Steppe getragen würde. Wir folgten ihm mit aufmerksamen Blicken und sahen, dass es sich immer weiter entfernte. Meine Gefährten vermuteten daher, die Trapper hätten die Fährte wieder gefunden.

Dies wurde bald durch Garey bestätigt, dessen lange Gestalt wir im Nebel zurückkehren sahen. Wir konnten zwar den Ausdruck seines Gesichts im Dunkeln nicht erkennen, aber seine Haltung zeigte doch, dass er uns gute Nachricht brachte.

»Rube hat die Fährte gefunden, Captain«, sagte er in ruhigem Ton. »Dort geht er, wo das Licht scheint. Er wird aber bald nicht mehr zu sehen sein, wenn wir ihm nicht eilig folgen.«

Ohne ein Wort zu sprechen, nahmen wir die Zügel, sprangen wieder in den Sattel und ritten dem flimmernden Stern nach, der uns über die Ebene winkte.

Bald hatten wir Rube eingeholt und sahen ihn trotz des Regens schnell auf der Fährte forteilen, indem er das Licht durch einen großen Hut schützte.

Der alte Trapper war jedenfalls auf diesen neuen Beweis seines Scharfsinns stolz und er antwortete unseren zahlreichen Fragen immer mit einem undeutlichen Laut. Garey erklärte jedoch den Neugierigen, während wir weiterritten, in welcher Weise die Fährte von seinem Kameraden Rube wieder aufgefunden worden sei.

Rube erinnerte sich der Quelle am Felsen, und dies war das Wasser des Baches, das wir im Schein des Lichtes hatten schimmern sehen. Mit Recht vermuteten die scharfsichtigen Trapper, das Pferd würde dort Halt machen, um seinen Durst zu löschen. Es war über den steinigen Kies, welcher den Hügel umgab, geeilt, um den nächsten Weg zum Wasser zu nehmen, und folgte der trockenen Erhöhung, welche geraden Wegs von dem Felsen zum Teich hin führte. Da es langsam lief, hatten seine Hufe auf dieser Erhöhung keine solche Spuren hinterlassen, die sich beim Fackelschein erkennen ließen. Daher hatten wir die Fährte eine Zeitlang verloren. Rube erinnerte sich jedoch, dass der Teich von einem weichen sumpfigen Boden umgeben war. In diesem mussten die Hufe einen tiefen Eindruck zurückgelassen haben.

Die Trapper fanden, was sie vermutet hatten. Das Ross hatte seinen Durst gelöscht und war sodann wieder in westlicher Richtung von dem Hügel im Galopp entflohen. Weshalb hatte es wieder die Flucht ergriffen? War es durch etwas erschreckt worden? Oder hatte die seltsame Reiterin auf seinem Rücken es beunruhigt?

Ich fragte Garey, denn ich wusste, dass er die Ursache kannte.

Ich drang in ihn, und er gab endlich mit sichtbarem Widerwillen die Antwort.

»Es sind Wolfsspuren auf der Fährte.«