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Die Macht der Drei – Teil 28

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Maitland Castle war in der Tudorzeit erbaut. Spätere Umbauten hatten im Inneren mehr Luft und Licht geschaffen, ohne das Äußere bemerkenswert zu verändern. Vor der Südfront des Schlosses lag eine breite Terrasse, gegen den Garten durch eine Sandsteinmauer begrenzt, mit Efeu und Monatsrosen übersponnen.

Die Wasserkünste des Schlosses spielten. Aus gewaltigen Löwenrachen schossen die breiten Strahlen in Muschelschalen, fielen regenbogensprühend von Kaskade zu Kaskade die Mauerhöhe hinab, füllten ein großes Bassin, um schließlich in Form eines schilfumrandeten Baches dem See zuzufließen.

Im Schatten einer Ulme saß Lady Diana in einem bequemen Korbstuhl. Das Buch, in welchem sie gelesen hatte, lag lässig in ihrer Hand.

Ihr gegenüber saß Dr. Glossin.

»Herr Doktor … Ihr Interesse für meine Person versetzt mich in Erstaunen. Es geht weit über das hinaus, was meine anderen Gäste mir entgegenbringen, und … was ich entgegengebracht haben möchte. Mein Gemahl sagte mir, dass Sie im Interesse unseres Vaterlandes nützliche Arbeit tun, den Frieden zwischen beiden Ländern erhalten helfen. Das ist in meinen Augen ein großes Verdienst. Es gibt Ihnen manche Freiheit. Aber jede Freiheit hat Grenzen …«

Diana Maitland zeigte Bewegung, als sie von der Erhaltung des Friedens sprach. Zum Schluss klang ihre Stimme kalt abweisend.

»Eure Herrlichkeit legen meinen Worten einen falschen Sinn unter. Was ich sagte, hängt mit dem Wohlergehen unserer beiden Länder eng zusammen.«

»Herr Doktor, Sie sprechen in Rätseln. Ich kann beim besten Willen keinen Zusammenhang zwischen meiner Mädchenzeit in Paris und dem Wohlergehen unserer Länder finden. Aber ich bewundere Ihre Quellenforschung. Sie sind wirklich recht genau über meine Vergangenheit unterrichtet …«

»Ich bin es in der Tat, Lady Diana. Ich bin es noch genauer als Sie glauben.«

»Bitte, Herr Doktor, ich habe nichts zu verbergen …«

Diana Maitland sagte es hart und spöttisch, um einen Überzudringlichen ein für allemal abzuweisen.

»Ich sagte Eurer Herrlichkeit, dass unsere beiden Länder durch einen mächtigen und gefährlichen Feind bedroht sind.«

»Ich hörte es bereits, Herr Doktor.«

»Der Feind ist Erik Truwor.«

Langsam brachte Dr. Glossin die Worte hervor. Und konnte ihre Wirkung Wort für Wort verfolgen.

Lady Diana, eben noch das Bild sarkastischer Überlegenheit und kalt abweisender Ruhe, erblasste. Ihre Augen weiteten sich bei der Nennung des Namens Truwor, als ob sie ein Gespenst sähe. Ihr Gesicht war sehr bleich. Viel mehr als die heitere Ruhe offenbarte die leidenschaftliche Erregung, deren Spiegel es jetzt war, alle Wunder dieses schönen Antlitzes. In dem prachtvollen Rahmen des reichen dunkelbraunen Haares, mit den halbgeöffneten Lippen und den bebenden Nasenflügeln hatte es etwas Dämonisches. Aus ihren Augen sprühte die Glut eines flammenden Zornes, eines tödlichen Hasses.

»Erik! … Erik Truwor …?«, rief sie heftig.

Sie warf den Kopf zurück und sah Glossin mit durchdringenden Blicken an.

»Wie können Sie einen Namen aussprechen, dessen Nennung allein eine schwere Beleidigung für mich ist?«

»Ich nannte den Namen eines Mannes, der heute unsere beiden Länder schwer bedroht … und der vor langen Jahren, Lady Diana, auch einmal in Ihr Leben eingebrochen ist.«

»Was sagen Sie? Erik Truwor bedroht … bedroht das große England, bedroht das ganze Amerika? … Ein einzelner Mann die mächtigsten Reiche der Welt? Soll das ein Scherz sein, Herr Doktor …«

Ihre Stimme bekam einen drohenden Klang. »So würde mir Ihre Anwesenheit in Maitland Castle von diesem Augenblick an für immer unerwünscht sein.«

»Die Ungnade Eurer Herrlichkeit würde ich in Kauf nehmen, wenn ich die harte Tatsache zu einem leichten Scherz stempeln könnte. Ich nannte Erik Truwor. Zusammen mit zwei Freunden haust er in Schweden an der finnischen Grenze. Der eine seiner Freunde ist Silvester Bursfeld, der Sohn jenes Gerhard Bursfeld, den ich vor dreißig Jahren in den Tower brachte. Die beiden kennen das Geheimnis des Vaters, und sie entwickeln die Erfindung weiter. Bursfeld weiß, dass sein Vater als ein Opfer englischer Politik im Tower starb. Darum gilt seine Arbeit der Rache an England. Erik Truwor lässt ihn gewähren. Der Dritte im Bunde, ein Inder, hat für sein Vaterland auch eine … kleine Rechnung mit England zu begleichen. Vom Torneaelf droht dem englischen Reich eine Gefahr, viel schwerer, viel größer, als Cyrus Stonard mit seinem Dreihundertmillionenvolk sie jemals sein könnte. Erik Truwor mit seinen zwei Freunden ist mehr zu fürchten als Cyrus Stonard.«

Lady Diana hatte ruhig zugehört. Nur ihre Blässe verriet ihre innere Erregung.

»Wissen Sie, was Erik Truwor mir antat?« Dr. Glossin setzte die Worte vorsichtig und langsam. »Ich weiß, dass er der Verlobte der jungen Komtesse Raszinska war und dass er ihr … den Verlobungsring zurücksandte.«

»Sie wissen viel … vielleicht nicht alles.«

»Ich weiß auch, Lady Diana, dass Sie Erik Truwor hassen. Umso weniger werden Sie sich besinnen, zum Wohl Ihres Vaterlandes zu handeln und Ihren Gemahl auf die Gefahr aufmerksam machen, die von Linnais her der Welt droht. Lady Diana, fassen Sie den korrekten Sinn meiner Mitteilung: Erik Truwor und seine beiden Freunde sind im Besitz des Geheimnisses, um dessentwillen die englische Regierung Gerhard Bursfeld in den Tower brachte. Noch ist es Zeit! Ein einfacher Handstreich! Gut organisiert! Schnell unternommen und durchgeführt! Hat Ihre Regierung die Sache erst einmal beschlossen, wird sie auch wissen, wie sie durchzuführen ist.«

Lady Diana hatte sich aufgerichtet. Widerstreitende Gefühle kämpften in ihr. Die Erinnerung an die glücklichen Monate in Paris wurde lebendig. Die Gestalt Erik Truwors traf ihr geistiges Auge. Die Zeit nach dem brüsken Bruch, die schrecklichste ihres ganzen Lebens, wachte auf Glossin sah ihr Zaudern.

»Hat Diana Raszinska vergessen, was ihr angetan wurde?«

Diana Maitlands Augen flammten auf. Aus fremdem Mund zu hören, was sie im Innersten bewegte …

Dr. Glossin fuhr fort: »Ich sagte Ihnen bei unserer ersten Unterredung, dass Sie mir eines Tages die Hand zum Bündnis bieten würden. Der Tag ist gekommen. Zum Bündnis gegen den Feind unserer beiden Länder, der auch Ihr persönlicher Feind ist. Der Ihnen das Schwerste angetan hat, was ein Mann einer Frau antun kann.«

Dr. Glossin streckte seine rechte Hand vor. Wenige Minuten des Schwankens. Dann legte Diana ihre Rechte in die des Doktors.

»Es sei, Herr Doktor. Mein Gewissen bleibt unbelastet. Hegt Erik Truwor keine feindlichen Pläne gegen England, so wird er frei aus dieser Prüfung hervorgehen. Sonst … Ich tue nur, was ich gegen jeden Feind meines Landes tun würde.«

Lady Diana erhob sich. Ihre Erregung wich einer tiefen Abspannung. Sie hatte das Bedürfnis, aus Glossins Nähe zu kommen, allein zu sein, zu ruhen.

Dr. Glossin begleitete sie bis an die Pforte des Schlosses. Dann kehrte er auf die Terrasse zurück.