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Gold – Kapitel 7.4

Gold-Band-1Friedrich Gerstäcker
Gold
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 7 Teil 4
Nach dem Brand

Das Orchester, das von der Tafel nur eben durch die dünne Leinwand getrennt war, hatte indessen einen, durch keine Pause unterbrochenem wüsten und sogenannten musikalischen Lärm gemacht, den man aber doch, ihm erst einige Zeit ausgesetzt, gar nicht mehr hörte. Trat man erst hinein, so war es wie das schwere Klappern und Rauschen einer Mühle, das uns anfangs betäubt, gegen das sich das Gehör aber doch zuletzt soweit abhärtet, keinen bestimmten Eindruck mehr davon zu empfinden. Ja, man gewöhnt sich zuletzt so daran, dass man nur, um eben von einem anderen gehört zu werden, lauter spricht, und den Lärm selber, der uns dazu veranlasst, ganz vergisst, bis er plötzlich schweigt.

So ging es dem Doktor Rascher. Er saß an dem Tisch, sein Essen erwartend, und dachte an seinen Patienten Hetson, während dieses Chaos von wilden schwirrenden und schmetternden Tönen sein Ohr erfüllte und betäubte, als die »Musik« ganz plötzlich und scharf abgeschnitten schwieg. Ordentlich erschreckt zuckte er da in seinem Stuhl empor und fühlte jetzt erst das Unangenehme des früheren Tobens.

»Gott sei Dank, dass es vorüber ist«, murmelte er leise vor sich hin. »Jetzt werden sie mich doch am Ende die paar Bissen wenigstens ruhig verzehren lassen.«

Der leise zitternde Ton einer Violine antwortete ihm darauf, der fast unmittelbar einsetzte, wie die übrigen Instrumente schwiegen, und der Doktor rückte sich unwillig auf seinem Stuhl zurecht. Dieser Unwille in seinen Zügen wich aber bald einem angenehmen Erstaunen, mit dem er dem Fortgang der Töne lauschte, und als diese immer seelenvoller und mächtiger anschwollen, hörte und sah er nichts weiter um sich her und beachtete sogar nicht einmal, dass Emil das Essen vor ihn hingestellt hatte und hinter seinem Stuhl stehen blieb.

Das war aber auch ohne das leiseste Geräusch geschehen, und der Kellner schien selber in den schwermütigen Klängen des wunderbaren Instruments so ganz verloren, dass er sich dem Genuss, ihnen zu lauschen, ganz und mit voller Seele hingab.

Andere Gäste hatten indes das Zelt betreten und Platz an dem Tisch genommen. Er bemerkte sie gar nicht, und laut- und regungslos horchten die beiden der süßen Melodie.

»Emil! Zum Henker auch, Emil!«, weckte ihn da eine raue Stimme aus seinen wachen Träumen. »Heda! Hat Euch das Gefiedel da draußen so müde gemacht, dass Ihr im Stehen Euren Mittagsschlaf haltet? Was gibt es zu essen heute? Ich habe Hunger wie ein Wolf und den langen Tag noch keinen ordentlichen Bissen über die Lippen gebracht.«

Emil schrak empor, als ob ihn eine Natter gestochen hätte, und schleuderte einen zornfunkelnden Blick auf den Störer. Dieser aber bemerkte ihn nicht, sondern war ganz in den vor ihm liegenden Speisezettel vertieft, bis er diesen, zu einem Resultat gekommen, beiseiteschob und ausrief: »Bringt mir eine Portion Roastbeef und Kartoffeln, und nachher will ich einmal einen Schnitt von dem Grizzlybär versuchen – aber ein bisschen rasch, wenn es gefällig ist, denn ich habe nicht übermäßig Zeit.«

Auch der Doktor war durch die raue Störung wieder zu sich selber gekommen und betrachtete sich den eben gekommenen Mann, der seine Serape über die Stuhllehne geworfen hatte, den Hut, ohne ihn abzunehmen, weiter nach hinten schob, und dann beide Hände, in Erwartung der bestellten Speisen, gegen die Tafel stemmte.

»Das ist jener Siftly«, flüsterte ihm da der noch hinter ihm stehende Emil zu, indem er sich zu ihm niederbeugte. Dann aber wandte er sich ab, seine einmal übernommene Pflicht als Kellner zu erfüllen.

»Der also?«, murmelte Rascher leise vor sich hin und vergaß darüber selbst die weiche, noch forttönende Melodie. »Ja, da hat der Baron und Mrs. Hetson allerdings recht. Das Gesicht gefällt mir auch nicht, und so gut ihm der große Bart steht, so tückisch blitzen die kleinen schwarzen Augen unter den dunklen Brauen hervor. Entschlossen genug sieht er übrigens aus, sich seinen Weg hier in dem tollen Land zu bahnen. Ob der aber der rechte Arzt für meinen Kranken wäre, möchte ich bezweifeln.«

Siftly übrigens, der den unter einer der Lampen sitzenden Fremden gar nicht einmal bemerkte, oder wenn so, nicht beachtete, nickte dem eben mit den bestellten Speisen eintretenden Emil zu, griff dann Messer und Gabel auf und schien von nun an für weiter nichts Sinn zu haben, als eben seine Mahlzeit.

Die Violine war indessen draußen verstummt und Emil wieder zu des Doktors Stuhl getreten.

Er fragte leise: »Nun, wie gefällt er Ihnen?«

»Gar nicht«, erwiderte dieser rasch. »Sie haben vollkommen recht. Der Mensch hat ein gefährliches Gesicht und scheint eben nicht gewohnt, einem anderen frei ins Auge zu sehen. Aber sagen Sie mir vor allen Dingen, wer ist jener wunderbare Violinspieler, der sein Instrument auf so meisterhafte Weise behandelt, und welcher unselige Stern hat den in eine dieser verruchten Spielhöllen von San Francisco geführt?«

»Jawohl, ein unseliger Stern«, seufzte da Emil, und zwar viel ernster, als er sich bisher gezeigt hatte. »Und mehr noch würden Sie das sagen, wenn Sie erst erfahren, dass jene Violine ein Mädchen spielt.«

»Ein Mädchen?«, rief der Doktor, sich rasch und erstaunt nach ihm umdrehend.

»Eine Spanierin«, bestätigte Emil, »deren Vater der besten Klasse seines Landes anzugehören scheint, so edel ist sein Äußeres, wie sein ganzes Benehmen, wenn ihn das unselige Spiel nicht zu dem gemacht hätte, was er jetzt ist – ein unglücklicher verlorener Spieler, der sich und sein Kind rettungslos dem nahen Abgrund des Verderbens entgegenzieht.«

»Sie machen mich neugierig, sie zu sehen«, sagte der Doktor.

»Da kommen Sie«, flüsterte Emil.

Wäre Doktor Rascher für den Augenblick nicht so sehr mit dieser neuen Erscheinung beschäftigt gewesen, so hätte ihm die Veränderung, die in seines jungen Freundes Zügen vorging, gar nicht entgehen können. So aber schaute er nur rasch nach dem Einschnitt des Segeltuchs hin, der als Tür diente, und sah hier Manuela, in Schwarz gekleidet wie immer, das bleiche, wundervolle Antlitz halb verhüllt, schüchtern an ihren Vater gelehnt, den Raum betreten.

»Hallo, Don Ronez!«, rief ihm da Siftly, als er nur den inneren Raum betrat, ziemlich ungeniert mit den wenigen spanischen Worten entgegen, die er sich gemerkt und doch noch meistens falsch gebrauchte.

»… ‘sta bueno … aqui … aqui esta … damn it, wie heißt das nun gleich auf Spanisch … Heh! Hier ist der Platz, setzt Euch hierher mit der Señorita.«

Don Ronez schien aber die Einladung überhört zu haben oder nicht zu beachten, denn er neigte sich nur leicht gegen den Amerikaner, zu dem Manuela nicht einmal aufschaute, und ließ sich dann mit der Tochter an der anderen Seite des Tisches nieder.

Siftly schien indes die Unterhaltung nicht so bald aufgeben zu wollen. Mit dem wenigen Spanisch, das er radebrechte, suchte er ein Gespräch mit dem jungen Mädchen anzuknüpfen, deren Spiel er sich zu preisen bemühte.

Manuela gab ihm aber keine einzige Antwort, sah nicht einmal von ihrem Teller auf und wies so hartnäckig jede Annäherung zurück, dass der Amerikaner endlich, einen eben nicht freundlichen Blick auf die Spanierin werfend, seine Unterlippe zwischen die Zähne kniff und mit dem vor ihm liegenden Messer sein Brot zerstieß.

Emil war nun zu ihnen getreten. Ein leichtes Rot färbte die bleichen Wangen der Jungfrau, als sie seine Nähe mehr fühlte als sah. Aber gewaltsam bezwang sie jede, etwa in ihr ansteigende Bewegung.

Sich zu dem jungen Mann wendend, sagte sie mit leiser, aber gar so weich und herzlich klingender Stimme in ihrer Muttersprache: »Señor, Sie haben uns in den letzten Tagen einige Male verpflichtet, indem Sie meinem Vater die Speisen ohne bare Bezahlung abließen.«

»Señorita«, erwiderte der Kellner, dem das Blut in Strömen in das Gesicht schoss, »das ist … das ist eine Sache, die allein meinen Prinzipal betrifft.«

Die Jungfrau sah ihn groß und forschend an. Es war das erste Mal, dass sie die langen dunklen Wimpern hob, seit sie den Raum betreten hatte.

Dann aber sagte sie, leise mit dem Kopf schüttelnd, aber nicht unfreundlich: »Ich weiß, dass Monsieur Rigault keinem Menschen borgt, und wenn deshalb einer seiner Leute Speisen ohne Bezahlung ablässt, tut er es nur auf seine eigene Gefahr. Wir haben Ihnen deshalb dankbar zu sein. Diese kleine Summe wird das gerade decken. Bitte, nehmen Sie.«

»Señorita«, bat Emil wieder in aller Verwirrung, ohne die Hand nach dem dargebotenen Geld auszustrecken.

Das junge Mädchen sah aber so ernst, ja staunend zu ihm auf, dass er sich nicht länger weigern konnte.

Er nahm das Geld und sagte zögernd: »Ich hoffe nicht, dass die Schuld dieser wenigen Dollar Ihnen drückend gewesen ist, Señorita. Dass es mir selber Freude gemacht hat, Ihnen für kurze Zeit gefällig zu sein, mögen Sie wir wohl glauben.«

Das Mädchen erwiderte nichts hierauf, verneigte sich nur leicht gegen ihn und nahm ihren Platz wieder ein.

Indessen hatte ein anderer Kellner die von Emil bestellten Speisen für Señor Ronez und seine Tochter gebracht, und schweigend verzehrten beide das ihnen vorgesetzte Mahl.

Doktor Nascher aber behielt dabei Zeit, die Züge des jungen Mädchens zu beobachten und musste sich eingestehen, in seinem ganzen Leben noch kein edleres, schöneres Antlitz gesehen zu haben. Dabei konnte die Jungfrau nur höchstens siebzehn Jahre zählen, und wie furchtbar musste ihr da, wenn sie sich nur im Geringsten ihrer Stellung bewusst war, die Lage sein, in der sie sich hier unter dem Auswurf der Menschheit – unter den Spielern – befand, als Lockvogel ihnen Opfer für ihre Tische herbeizurufen. Aber vielleicht fühlte sie das nicht in seiner ganzen Schärfe – der gute alte Mann überredete sich wenigstens dazu – und dann ertrug sie auch ihr Los mit viel leichterem Herzen. Konnte er doch nichts von den heißen Tränen wissen, mit denen die Unglückliche jede Nacht ihr hartes Kissen benetzte.

Fast unwillkürlich schweifte dabei sein Blick nach dem ihr gegenübersitzenden Amerikaner hin, und nicht möglich war es, größere Verschiedenheit des Ausdrucks in zwei menschliche Gesichter zu legen, als diese beiden trugen.

Margareth und Mephisto – der Gedanke drängte sich ihm, ohne dass er ihn suchte, auf: die verkörperte Unschuld auf der einen, Laster und wilde ungezähmte Leidenschaft auf der anderen Seite.

Und fühlte jener etwas Ähnliches, dass sein Blick so stier und finster auf der Jungfrau haftete? Nein, in den Zügen lag keine Reue über begangene Missetat, über ein verworfenes Leben. Und wenn der Ausdruck irgendetwas verriet, so war es wilde Lust und sträfliches Verlangen nach dem engelreinen Kind.

Das Anstarren des schönen kalten Frauenbildes schien ihn aber selber zuletzt zu langweilen, denn er beugte sich plötzlich noch einmal über den Tisch hinüber und sagte: »Manuelita!«

Trotzdem erwiderte das Mädchen keine Silbe, verzehrte schweigend ihr Abendbrot und sah still vor sich nieder.

Don Alonso, wie ihr Vater gewöhnlich genannt wurde, war indessen aufgestanden und hinten an die Kasse gegangen, das Geld, das er kurz vorher von der Tochter empfangen hatte, für ihre Abendmahlzeit zu zahlen.

Mit einem leise gemurmelten Fluch stand da der Yankee auf, und Doktor Rascher folgte ihm ängstlich mit den Augen, denn er ging um den Tisch herum, gerade auf die dort jetzt allein sitzende Jungfrau zu.

Dieser war die Bewegung ebenfalls nicht entgangen, denn scheu blinzelte sie unter den langen Augenwimpern zu der sich nähernden Gestalt hinüber, ohne sich jedoch auf ihrem Stuhl zu regen.

Jetzt war der Amerikaner dicht hinter ihr, beugte sich zu ihr nieder, und seine Hand um ihre Taille legend, sprach er in englischer Sprache, von der er wusste, dass sie wenigstens etwas verstand: »Komm mein sprödes Täubchen, das hilft dir alles nichts. Wir gehören einmal zusammen zum Handwerk. Du spielst oben und ich unten und …«

»Señor«, rief die Jungfrau, sich rasch in ihrem Platz emporrichtend, und die Hand des Frechen mit einem Blick tödlichen Hasses von sich stoßend.

Der zudringliche Bursche war aber nicht so leicht abgeschreckt, schämte er sich doch auch vielleicht vor einzelnen, gerade anwesenden Kameraden, so heimgeschickt zu sein. So also das Mädchen rasch wieder mit seiner eisernen Hand fassend und sie trotz allem Sträuben an sich ziehend, rief er lachend aus: »Ei so will ich doch sehen, ob ich von dieser kalten schwarzen Nachtigall nicht wenigstens einen Kuss …«

Er kam nicht weiter, und zwar infolge einer so eigentümlichen wie gewaltsamen Unterbrechung. Der Kellner Emil nämlich hatte – ob zufällig oder nicht – gerade in diesem Augenblick dort in der Nähe einige leere Teller vom Tisch genommen, als der freche Bube das Mädchen umschlang. Blitzschnell aber drehte sich jener gegen ihn und schlug ihn mit aller Kraft den eben nicht ganz leichten Teller dermaßen auf den Kopf, dass er in tausend Stücke sprang, der Getroffene seine Beute losließ und zurücktaumelte. Hätte der Filzhut den Schlag nicht in etwas gemildert, wer weiß, ob er ihm nicht gefährlich geworden wäre.

»Bestie!«, zischte der Getroffene zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch und riss den unter dem Rock verborgen gehaltenen Revolver vor. Zugleich floh alles, was hinter oder dicht neben dem jungen Deutschen stand, zur Seite, denn rücksichtslos abgefeuerte Schüsse aus eben solcher Waffe hatten in den letzten Wochen schon mehrere Unschuldige getrosten. Niemand wollte sich deshalb dem aussetzen, eben nur aus Versehen eine Schusswunde zu bekommen.

Nur Emil, eine gleiche Waffe unter seiner Weste vorreißend, behauptete seinen Platz und trat allein etwa einen Schritt zur Seite und von Manuela fort, um diese aus der möglichen Richtung der Kugel zu bringen. Er würde auch unter anderen Umständen schwerlich lange auf den Schuss seines Gegners gewartet haben, denn Siftly war nicht der Mann, eine Beleidigung ohne tödliche Antwort hinzunehmen. Im Nu aber zuckte dem Spieler der Gedanke an den Kameraden durchs Hirn, denn wurde er nach seinem Schuss nur einen Tag hier festgehalten, so wusste er recht gut, dass jener die Zeit rasch benutzt hätte, mit dem Geld durchzugehen. Hatte er ihn doch schon in diesem Augenblick im Verdacht, dass er etwas Ähnliches beabsichtige. Seine Rache musste er deshalb auf eine andere, günstigere Zeit verschieben. Der Bursche lief ihm überdies nicht fort. Den Revolver zurückstoßend, trat er zu Emil heran und sagte drohend: »Sir, Ihr habt die Frechheit gehabt, nach mir zu schlagen, als ich Euch den Rücken drehte. Das tut nur ein Feigling. Ich hoffe, Ihr werdet mir dafür Rechenschaft geben, sobald ich sie verlange.«

»Mit Vergnügen«, sprach trotzig der junge Mann, der nicht einen Zoll von seiner Stelle wich und dabei lachte. »Den Schlag mit dem Teller würde ich allerdings nur als Strafe für Euer nichtswürdiges Überfallen der jungen Dame betrachtet haben, aber das Wort Feigling verdient noch eine besondere Züchtigung, und ich ersuche Euch deshalb, mir auf morgen früh eine Zeit zu bestimmen, in der ich Euch die erteilen kann.«

Siftly knirschte seine Zähne zusammen und griff wieder wie unwillkürlich nach der Waffe. Aber er fühlte auch seine Hände gebunden, denn das Gold, um dessentwillen er alles gewagt hatte, durfte er nicht aufs Spiel setzen.

»Habt keine Angst«, flüsterte er deshalb seinem Gegner zu, »ich werde Euch eine Zeit bestimmen. Darauf könnt Ihr Euch verlassen; vielleicht früher als Euch lieb ist. Und Ihr, Señorita«, wandte er sich dann barsch und rau an das junge Mädchen, das zitternd Zeuge dieses fatalen Auftritts gewesen war, »wenn Ihr denn so entsetzlich kalt und vornehm seid und dabei unter so hohem Schutz steht, wie der Kellner eines Restaurateurs ist, bitte, so veranlasst doch Euren Vater, dass er mir auf der Stelle die sechs Unzen zahlt, die er mir seit heute Morgen schuldet.«

»Was sagt er?«, fragte Don Alonso, der gleich nach dem Angriff zu seiner Tochter getreten war und seinen linken Arm um sie geschlungen hatte.

Manuela aber war totenbleich geworden. Sich an ihn schmiegend, fragte sie mit zitternder, angsterfüllter Stimme: »Vater, um Gotteswillen, spricht der Unglückselige wahr? Bist du ihm Geld, bist du ihm solche Summe schuldig?«

Der Spanier antwortete ihr nicht. Während aber ein tiefes Rot seine Stirn färbte, trat er gegen den Amerikaner vor und sagte: »Ihr sollt bezahlt werden, Señor – ich gebe Euch mein Wort – nur bis morgen Abend werdet Ihr Euch gedulden.«

»Tut mir leid, Señor«, brummte aber Siftly, der von der ganzen Rede nur das Wort mañana – morgen – verstanden hatte.

»Spielschulden sollten nie über Nacht stehen bleiben. Und da ich jetzt finde, dass meine Gefälligkeit doch nicht anerkannt wird, so sehe ich auch nicht ein, weshalb ich hier eine Ausnahme zu machen brauche.«

»Bitte, Sir, wollen Sie dort hinten an den Zahltisch treten?«, unterbrach Emil aufs Neue den Spieler. »Dort werden Sie Ihr Geld erhalten. Ich schulde Don Alonso etwa dieselbe Summe und glaube, dass es ihm angenehm sein wird, durch diese von Ihnen loszukommen!«

Siftly warf ihm einen tückischen Blick zu, erwiderte aber gleich darauf lachend: »Wenn ich nur das Geld bekomme – mir gleich von wem, und aus wessen Tasche.«

»Vater – dulde es nicht«, flüsterte da Manuela, ihn leise bittend. »Der Fremde zahlt für dich das Geld. Er sprach nicht die Wahrheit, als er sagte, dass er es dir schulde.«

Der alte Spanier blieb wie an seine Stelle gebannt. So stolz und edel er sich sonst gefühlt haben mochte, das Spiel und mit ihm die Gier nach Gold hatte all das in ihm getötet oder doch betäubt. Leise nur tröstete er die Tochter.

»Fürchte nichts, mein süßes Herz – ich zahle dem Mann morgen diese Schuld, und viel lieber ihm, als jenem Schuft von Amerikaner, den Gottes Zorn treffen möge.«

Emil war indessen mit dem Mann, in dem er jetzt seinen Todfeind kannte, an den Zahltisch des Wirtes getreten, der sich nicht weigerte, dem Fremden die Summe augenblicklich auszuzahlen. Hatte sein Kellner doch noch viel mehr bei ihm zu gut. Siftly nahm das Gold, besah es flüchtig, schob es in seine Tasche, trat dann wieder zu seinem Stuhl, von dem er die Serape nahm, und verließ, ohne sich auch nur mit einem Blick noch umzusehen, das Speisezelt.

»Monsieur Emil«, sagte indessen der Restaurateur zu dem jungen Mann, mit dem er stets französisch sprach. »Sie fangen an, dumme Streiche zu machen. Anstatt meine Teller und Gäste zu schonen, schlagen sie die einen mit den anderen auf den Kopf und werfen dann auch noch, wie ich fast befürchte, Ihr Geld sehr nutzlos und töricht auf die Straße.«

»Mon capitaine«, sprach aber der junge Mann leichtherzig lachend.

»Sowohl an Gast als auch an Teller war nicht viel verloren, denn beiden fehlte die Glasur. Und was mein Geld betrifft, so glaube ich fast, dass ich noch nie hundert Dollar besser angelegt habe.«

»Sehr schön, das ist Ihre Sache«, sagte der kleine Franzose, die Summe dabei auf Emils Konto abschreibend. »Wenn Sie übrigens – was ich jedoch kaum glaube – einem guten Rat folgen wollen, so nehmen Sie sich vor diesem Spieler in acht. Von Vergessen oder Vergeben ist bei der Art Leuten nie die Rede, und anstatt Ihnen dankbar für das Geld zu sein, das er sonst im Leben nicht bekommen hätte, fürchte ich fast, dass er Ihnen noch einmal einen bösen Streich spielt – was mir leidtun sollte.«

»Ich fürchte ihn nicht,« sprach Emil lachend.

»Desto schlimmer für Sie«, sagte der Franzose. »Derartiges Gesindel ist stets gefährlich, noch dazu, da die Amerikaner hier die Herren sind und uns Fremde sämtlich nur als Eindringlinge betrachten. Aber ich habe Sie gewarnt, und Sie mögen tun, was Sie nicht lassen können.«

Emil verneigte sich lächelnd gegen ihn und schritt zu dem Doktor zurück, der ein stummer aber lebhaft interessierter Zuschauer der ganzen Szene gewesen war. Ehe er ihn erreichte, trat ihm jedoch der Spanier entgegen, ergriff seine Hand und sagte:

»Señor, ich danke Ihnen für Ihre Gefälligkeit. Ich werde Ihnen diesen Dienst nie vergessen, und seien Sie versichert, dass Ihr Geld nicht verloren ist. Ich wollte nur, ich könnte Ihnen auf irgendeine Art beweisen, wie sehr ich fühle, was ich Ihnen schulde.«

»Das können Sie, werter Herr«, sagte da Emil mit weit mehr Herzlichkeit, als er bisher gezeigt hatte, »und noch dazu ohne große Mühe.«

»Aber wie?«, fragte Don Alonso erstaunt.

»Wenn Sie nicht mehr spielen«, sagte der junge Deutsche.

»Mein Herr, Sie wissen nicht …«

»Ich weiß, dass Sie mit jenen Schuften nicht mit gleichen Waffen kämpfen«, unterbrach ihn aber der junge Mann. »Gegen falsche Karten und falsches Spiel, gegen ihre abgefeimten Kunstgriffe können Sie nichts ausrichten, und das Geld, das Sie auf ihren Tisch legen, ist rettungslos verloren.«

»Ich danke Ihnen,« entgegnete der Spanier lächelnd, »ich werde Ihrem Rat insofern folgen, dass ich von jetzt an aufmerksamer spiele.«

»Aber doch spiele.«

Don Alonso erwiderte nichts hierauf, nickte ihm aber grüßend zu und verließ dann, von seiner Tochter begleitet, das Zelt, sie auf das Orchester zurückzubringen.

»Sagen Sie einmal, lieber Baron«, rief dem jungen Mann der Arzt entgegen, »denn Sie erlauben mir wohl heute, Sie wieder so zu nennen, indem Sie als Kellner viel zu sehr aus der Rolle gefallen sind. Pflegen Sie gewöhnlich Ihre Gäste auf diese Art zu bedienen? Dann werde ich mich doch wohl nach einem anderen Kosthaus umsehen.«

Emil errötete und sagte dann: »Sie haben recht. Ich hätte mich nicht an dem gemeinen Burschen vergreifen sollen, denn so etwas kann einem nicht zur Ehre gereichen. Die Galle lief mir aber über, und – ich vergaß mich in dem Augenblick. Die Lektion kann ihm übrigens nichts schaden, und er hatte sie tausendfach verdient.«

»Schön, sehr schön«, erwiderte, mit dem Kopf nickend, der Arzt. »Das also sind die Früchte Ihrer dreimonatlichen – oder, nach Ihrer Zeitrechnung, dreijährigen Erfahrungen in Kalifornien? Ihr Leben geben Sie in die Hände eines Raufbolds und Ihr Geld in die eines Spielers. Da bleibt Ihnen dann nichts übrig, als Ihr Herz, und darf man fragen, wo Sie das indessen deponiert haben? Doch jedenfalls auch an einem ganz zweckentsprechenden Platz, nicht wahr?«

Emil wurde feuerrot und wollte dem Doktor eben etwas erwidern, als Monsieur Rigault seinen Namen rief.

Dem Ruf musste der Kellner Folge leisten, und hatte das vielleicht nie williger getan. Der Doktor aber stand auf, bezahlte einem anderen Kellner seine Zeche und verließ gleich darauf kopfschüttelnd das Zelt, zu seinem Kranken zurückzukehren.