Ausschreibung
Sternenlicht-Anthologie

Download-Tipp
Band 6

Heftroman der Woche

Archive
Folgt uns auch auf

Die Gespenster – Erster Teil – Achte Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil
Achte Erzählung

Von einem Gespenst, welches sich nach Belieben bald klein, bald groß machte1

Auf dem Kirchhof des brandenburgischen Dorfes Warchau ließ sich vor mehreren Jahren des Nachts zuweilen eine gespenstartige, ganz weiße Gestalt sehen, die einem jeden Vorübergehenden Furcht und Entsetzen einjagte. Sie saß gewöhnlich auf dem Grabhügel des zuletzt Beerdigten. Niemand konnte begreifen, warum die verschiedene Seele des Verstorbenen keine Ruhe habe und bestimmt sei, solange umherzuspuken, bis durch das Sterben des nächstfolgenden Warchauers wieder ein frischer Grabhügel da war.

Die Entschlossensten von denen, welche dieses Gespenst nächtlich erblickten, gingen wohl zuweilen mutig auf dasselbe zu, um seine Natur und Beschaffenheit näher zu prüfen. Allein so wie sie sich dem Spuk näherten, fing dieser zu wachsen an und eine ungeheure Riesengestalt anzunehmen. Sie kam dann Furcht und Entsetzen an, zumal da einige deutlich bemerkt haben wollten, dass der spukende weiße Riese keinen Kopf habe. Wenigstens trage er, meinten sie, den Kopf nicht da, wo er ihn doch eigentlich tragen sollte, sondern unter dem rechten Arm. Erst hatte das Gespenst nur die Größe eines gewöhnlichen sitzenden Menschen. Allein in dem Augenblick, wo die Untersuchenden demselben am nächsten waren, soll es nach ihrer Versicherung beinahe so hoch wie der Warchausche Glockenturm gewesen sein. Wer mag es ihnen daher verargen, dass sie sich wohl hüteten, sich mit dem Ungeheuer ins Handgemenge einzulassen. Sie schlichen vielmehr ebenso schüchtern zurück, wie beherzt sie ihm auf den Leib gegangen waren. Mit jedem Schritt, den sie rückwärts taten, wurde der Unhold wieder kleiner, bis er zuletzt wieder eine gewöhnliche Menschengröße annahm.

Ob nun gleich diese sonderbare Erscheinung niemanden geradezu beleidigte, so erschreckte sie doch alle Vorübergehenden dermaßen, dass zuletzt kein Mensch mehr des Abends und nachts dem Kirchhof sich nähern wollte.

Ein junges Mädchen aus dem Ort entsetzte sich sogar beim Anblick des Gespenstes einmal so sehr, dass es gefährlich krank wurde. Sobald der damalige Prediger des Ortes, Herr Herzlieb, später Prediger zu Zeitz, von dem Unfug hörte, den der erschreckende Riese zu machen begann, so hielt er es der Mühe wert, ihm einmal aufzulauern und sein Unwesen zu steuern. Denn wenn er auch seine damalige Gemeinde schon bei mehreren Gelegenheiten zu überzeugen versucht hatte, dass alles Spuken entweder auf Betrügerei mutwilliger Menschen oder auf Selbsttäuschung hinauszulaufen pflegt, so hatten doch diese seine Zurechtweisungen – wie denn das so zu geschehen pflegt – wenig oder gar nicht fruchten wollen. Auch hatte man seine oft wiederholte Bitte, die spukende Kirchhoferscheinung doch einmal, mit einem derben Knüppel in der Hand, zu fragen, wer sie eigentlich sei, bis dahin noch immer nicht zu erfüllen gewagt, so sehr auch der gute Wille dazu bei einigen beherzten Warchauern da war.

Er beschloss, das Geschäft einer solchen ernstlichen Nachfrage in eigener Person zu übernehmen, sobald sich die Schreckensgestalt einmal wieder sehen lassen würde.

Dies geschah wenig Tage darauf. Man brachte ihm die Nachricht, dass der weiße Riese wieder auf dem frischen Grabhügel sitze. Herr Prediger Herzlieb bewaffnete sich mit einem Besenstiel, nahm eine Laterne und einige handfeste Leute mit sich, die er um den Kirchhof herum postierte, und ging nun in eigener Person ganz kaltblütig auf das Gespenst los. Es wuchs an Höhe bei jedem Schritt, mit welchem er sich ihm näherte. Die größte Höhe, welche es am nahm, war jedoch nur etwa vierzehn Fuß. Es fehlte also noch gar viel, selbst an dem dritten Teil der Höhe des Kirchturms, welche einige mit ihrer aufrührerischen Einbildungskraft, in der Angst gemessen zu haben glaubten.

Der Prediger ließ sich durch dieses schnelle Wachsen des Spukes keineswegs vom weiteren Vordringen abschrecken, sondern dachte bei sich selbst: Einige Fuß kleiner oder größer, darauf kommt bei dieser Untersuchung gerade gar nichts an.

Da die Erscheinung bemerkte, dass es ihr diesmal mit dem Furchteinjagen durch das bloße Größerwerden nicht gelingen wollte und sie es einmal mit einem Mann zu tun habe, mochte ihr bange werden. Sie begann ein dumpfes Geheul, wahrscheinlich, um zu versuchen, ob dies den ankommenden Feind nicht vertreiben könne. Aber so schreckhaft diese Töne auch den entfernteren Zuschauern sein mochten, so machten sie den Herrn Prediger Herzlieb vielmehr noch gewisser davon, dass hier ein menschliches Wesen, Betrugs halber, die Rolle eines Gespenstes spiele.

Da er nur noch wenige Schritte von der schlanken weißen Gestalt entfernt war, blieb er sehen, um sie anzureden.

»Ich bin der Prediger des Ortes«, sagte er, »und will im Namen dieser Gemeinde wissen, wer Ihr seid und was Ihr für einen Beruf habt, diese Betrügerei zu spielen und die Furchtsamen zu beunruhigen.

Anstatt zu antworten, fuhr das Gespenst fort, unverständliche Töne zu brummen.

»Ich verlange augenblicklich eine verständliche Antwort von Euch«, sagte der Prediger laut und ernsthaft, »oder die handfesten Gehilfen, welche ich rund um den Kirchhof gestellt habe, damit Ihr uns nicht entwischen könnt, werden Euch sogleich gehorchen lehren.«

Das Gespenst gab abermals keine Antwort, sondern fuhr zu brummen fort. Aber es war, als ob es diesmal mit zitternder Stimme brumme – ein Umstand, den vielleicht die Ankündigung bewirkte, dass der Kirchhof besetzt und an kein Entfliehen zu denken sei.

Dem Prediger kam diese zitternde Stimme gar nicht unerwartet. Er hatte vielmehr darauf gerechnet, dass es ihm gelingen werde, auch dem bisher bange machenden Gespenst einmal einen Schreck einzujagen. Er wusste zu gut, dass man in der Regel jeden mutwillig Spukenden in die größte Verlegenheit bringt, wenn man zwar vorsichtig, aber auch beherzt und entschlossen auf ihn einwirkt.

Da indessen der Riese noch immer keine Rede stehen wollte, und die um den Kirchhof postierten Personen, welche der Prediger herbeirief, aus Furchtsamkeit zauderten, so blieb diesem nichts übrig, als sich seiner mitgenommenen Waffen zu bedienen. Diese taten dann auch, wohl angebracht, herrliche Wirkung. Denn zur großen Freude der um ihren Prediger ängstlich besorgten Zuschauer teilte sich die vierzehn Schuh hohe Gestalt auf die erste fühlbare Berührung des Besenstiels in zwei Hälften, von denen die obere, so lang und dick sie war, zur Erde stürzte, die untere aber davonlaufen wollte. Indessen gelang ihr der Rückzug in bester Ordnung keineswegs. Vielmehr musste sie, da sie den ganzen Kirchhof besetzt fand, notgedrungen sich gefangen geben. Die Gehilfen des Predigers empfingen sie mit einer derben Tracht Schläge und brachten sie dadurch dermaßen zum Sprechen, dass sie flehentlich um Schonung und Verzeihung bat.

Es war ein junger Bursche aus Warchau, der hier auf dem Kirchhof mit seiner Braut nächtliche Zusammenkünfte hatte. Um ungestört mit ihr allein sein zu können, ohne dass sein Vater, der die verabredete Heirat nicht zugeben wollte, etwas von dem verbotenen Umgang erführe, hatte er geglaubt, den Kirchhof in bösen Ruf bringen zu müssen, und sich dazu eines ganz einfachen Mittels bedient. Er hüllte sich nämlich vom Kopf bis zu den Füßen in sein Bettlaken, nahm eine Harke mit einem sehr langen Stiel zu sich und setzte sich damit jedes Mal auf den frischen Grabhügel. Sah seine Braut hier die Harke mit dem weißen Laken behangen aufgepflanzt, so war das für sie das Aufforderungszeichen zum Kommen, für alle übrige Vorübergehende hingegen eine Warnung zum Wegbleiben. Denn was hätte diese schlanke weiße Kirchhoferscheinung anderes sein können, als die abgeschiedene Seele des zuletzt Begrabenen? Wagte es so einmal ein kühner Neugieriger, dem Gespenst sich zu nähern, so hatte dann der Spukende nichts Eiligeres zu tun, als sich aufrecht auf das Grab hinter die Harke mit dem Laken zu stellen und mittels derselben die lange weiße Leinwand nach und nach über sich zu erheben, um durch die so hervorgebrachte ungeheure Höhe des Gespenstes den Neugierigen desto gewisser zu verscheuchen.

Show 1 footnote

  1. Nach der mündlichen Überlieferung des Herrn Predigers Böldike zu Vieritz