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Der Kommandant des Tower 2

Der-Kommandant-des-TowerDer Kommandant des Towers
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Erstes Buch
Das Testament Heinrichs VIII.
Zweites Kapitel

Von der Schlinge, welche der Königin Katharina Parr von ihren Feinden gelegt worden war, und wie sie in dieselbe hineinfiel

Die schönen Damen an Heinrichs Hof waren über sein barbarisches Verfahren gegen seine Gemahlinnen, wie über die ungewöhnliche und beispiellose Bestimmung, die er dem Untersuchungsbefehl gegen Katharina Howard beigefügt hatte, so erschreckt, dass sie alle, als der königliche Blaubart seine Blicke unter ihnen umherschweifen ließ, um nach einer neuen Lebensgefährtin zu suchen, vor der gefährlichen Auszeichnung zurückbebten und sehr geneigt schienen, eine ähnliche Antwort zu geben wie die schöne Herzogin von Mailand, welche Heinrich erwiderte: »Sie habe leider nur einen Kopf. Wenn sie zwei hätte, würde sie gern einen davon Seiner Majestät zur Verfügung stellen.«

Zuletzt jedoch fand sich eine von etwas reiferen Jahren als ihre unmittelbaren Vorgängerinnen, aber von unvergleichlichen persönlichen Reizen, welche hinlängliches Vertrauen auf ihre Klugheit und ihre Lebenserfahrung besaß, um den kühnen Schritt zu wagen. Dies war Katharina Parr, die Tochter des Sir Thomas Parr von Kendal und damals zum zweiten Mal Witwe. Sie hatte zuerst den ältesten Sohn des Lord Borough von Gainsborough und nach dessen Tod den Lord Latimer geheiratet. Aus keiner Ehe waren Kinder hervorgegangen, sodass in dieser Hinsicht ihrer Vermählung mit dem König kein Hemmnis entgegenstand. Heinrich heiratete sie und war wohlzufrieden mit seiner Wahl. Zum Beweis seiner Hochachtung ernannte er sie zur Regentin des Reiches, bevor er 1544, ein Jahr nach seiner Vermählung mit ihr, den Feldzug gegen Frankreich antrat.

So groß war Katharina Parrs kluge Besonnenheit und so vorsichtig ihr Benehmen, dass sie, trotz aller gegen sie angezettelten Intrigen, niemals ihren Einfluss auf ihren wankelmütigen und argwöhnischen Gemahl verlor. Die Königin neigte sich den neuen Lehren zu, und daher wurden die, welche der alten Religion anhingen, ihre Feinde. Sie gewährte ihnen jedoch wenig Anlass zu offenem Angriff, und die Zuneigung des Königs, welche sie sich zu erhalten verstand, schützte sie vor ihrer Bosheit. Alter und körperliche Schwäche hatten die Gewaltsamkeit von Heinrichs Leidenschaften gedämpft. Deshalb hatte Katharina keinen Grund, zu befürchten, sie werde durch eine reizvollere Nebenbuhlerin verdrängt werden. Außerdem war sie verständig genug, die Gelegenheit zur Versuchung aus dem Bereich des Königs zu entfernen, und sie verlieh allmählich und fast unmerklich seinem Hof und seinen Unterhaltungen einen ernsthafteren Charakter. Auf ihre Bitten, obschon Heinrich kaum des Antriebes gewahr worden war, nahmen die Schaugepränge und Festgelage, an denen er einst soviel Gefallen gefunden hatte, ein Ende. Als Heinrichs Leiden sich vermehrten und er gänzlich den Palast hüten musste, wäre Katharina gern seine persönliche Pflegerin geworden, aber das wollte Heinrich nicht gestatten. Und da sie befürchtete, seinen Argwohn zu erregen, bestand die Königin nicht auf ihrem Begehren. Allein sie war häufig bei ihm und stets bereit, seinem leisesten Wink zu gehorchen. In seiner seligen Lage würde ihre Unterhaltung dem König sehr nützlich gewesen sein, wenn er hätte darauf hören mögen. Aber er wollte keine Ermahnungen dulden, und sein finsterer Blick, als sie ein- oder zweimal den Versuch dazu machte, warnte sie, damit fortzufahren. Katharina liebte indes das Disputieren, und da sie in theologischen Materien wohlbelesen war, vermochte sie recht gut über jede vorkommende Streitfrage eine Diskussion zu führen. Obschon sie ihm nie widersprach, argumentierte sie doch häufig mit ihm, indem sie zuletzt, wie es vernünftig war, seinem überlegenen Urteil nachgab.

Eines Tages wurde sie plötzlich zum König befohlen und rüstete sich ohne die geringste Besorgnis, in Begleitung ihrer vertrauten Hofdame, der Lady Herbert, zu ihm zu eilen. Katharina Parrs Reize waren von einer Art, die sich mehr im Sommer als im Frühling des Lebens zu entfalten pflegen. Mit fünfunddreißig Jahren war sie weit schöner als zehn Jahre zuvor. Ihr Teint war von durchsichtig schimmernder Weiße und ihre Haut seidenweich. Ihr Gesicht war von ovalem Schnitt, die Nase leicht gebogen, ihre Augen waren groß, dunkel und von schmachtendem Ausdruck, mit schweren Lidern und von schön geschwungenen schwarzen Brauen überwölbt. Ihre schwarzen Flechten waren über der marmorweißen Stirn zusammengebunden und zum Teil unter dem reichen Kopfputz verborgen. Ihre Figur war schlank und von vollkommenstem Ebenmaß – voll, aber nicht zu stark. Ihre Haftung war majestätisch, und wie es einer Königin zukam, ihr Benehmen ruhig, besonnen, fast kalt. Aber trotz der Würde ihrer Erscheinung und trotz ihres gesetzten Wesens lag etwas in Katharinas Aussehen, das anzudeuten schien, sie könne lächeln und sich harmloser Lustigkeit hingeben, wenn sie allein unter ihren Frauen sei, oder nicht von ihrem herrischen Gemahl eingeschüchtert werde.

Bei der jetzigen Gelegenheit war sie reich gekleidet, wie es ihre Gewohnheit war. Ein goldener Reif, mit Diamanten, Rubinen und kleinen Perlen geschmückt, umrahmte ihre Stirn. An dieses Diadem war ein Netzhäubchen von Golddraht geknüpft, während eine gestickte Spitzengarnitur, die daran herabhing, ihren Kopfputz vollendete. Ihr Kleid war von Golddamast mit eingewirkten Silberperlen, mit einem langen, fest anliegenden Leibchen und Ärmeln, welche an der Schulter dicht anschlossen, aber lang herabhängende Pelzpuffe hatten, untere denen aufgeschlitzte bauschige Unterärmel von hochroter Seide hervorblickten. Ein Hyazinthhalsband zierte ihren Hals, und ihre Taille umspannte ein Gürtel von Goldschmiedearbeit mit einer schwarz emaillierten Spange von der Form eines Mönchordens. Ein Parfümdöschen hing an der Gürtelkette, die fast bis zu den Füßen hinabreichte.

Ihre Begleiterin, Lady Herbert, die Schwester von Heinrichs dritter Gemahlin Jane Seymour, und selbst eine sehr schöne Frau, war gleichfalls reich gekleidet in einem Gewand von buntgewürfeltem Muster und nach dem Schnitt des Kleides der Königin.

Bei Katharinas Eintritt in des Königs Gemach saß Heinrich in seinem schwerfälligen Lehnstuhl. Von jeher ein Liebhaber stattlicher Gewänder hatte er selbst unter dem Einfluss der tödlichen Krankheit seine Vorliebe bewahrt. Ein zobelverbrämter Überwurf von ostindischem Purpurdamast, mit einer gestickten Borte und Goldfransen, hing über seine Schultern hinab. Sein aufgedunsener Leib war in ein rings mit Perlen besticktes Wams von Purpurseide gekleidet, und seine Füße waren mit einer dunklen Decke von Goldbrokat umhüllt. Auf dem Haupt trug er ein samtenes, reich mit Perlen und kostbaren Edelsteinen besetztes Barett. Aber diese Zierraten und Insignien des Königtums dienten nur dazu, das Aussehen des kranken Monarchen noch widerwärtiger zu machen. Es war schon schrecklich, ihn zu betrachten, wie er dasaß, mit seinen so aufgedunsenen Zügen, dass sie kaum noch ein menschliches Aussehen trugen, und mit seiner unmäßig feisten Gestalt. Niemand hätte in diesem grauenhaften Scheusal den einst so schönen und majestätischen Heinrich VIII. erkannt. Das Einzige, was im Antlitz des Königs nichts verändert erschien, war sein Blick. Obschon jetzt tief eingesunken in ihre Höhlen, waren seine Augen so scharf und furchtbar wie je und bewiesen, dass seine Geistesfähigkeiten nichts an Kraft eingebüßt hatten.

Zur Rechten des Königs und dicht hinter ihm stand der schlaue und gelehrte Stephen Gardiner, der, obschon er Heinrichs Scheidung von Katharina von Aragon unterzeichnet und die berüchtigte Rede De vera obedienta geschrieben hatte, doch insgeheim dem römischen Glauben zugetan und ein entschiedener Gegner der neuen Lehren war. In seine Stola, eine scharlachrote Chimära, ein weißes Chorhemd und einen schwarzen Überwurf gekleidet, trug er eine schwarze Kappe, deren Flügel Hals und Ohren verdeckten, tief über die Stirn gerückt. Gardiner war von der Natur seltsam ungünstig bedacht. Er hatte einen sehr schmutzigen Teint, stark hervorstehende Augenbrauen und eine krumme Habichtsnase, dazu noch breite Nasenflügel wie die Nüstern eines Pferdes und einen verschmitzten Schelmenblick. Von Natur war er roh, von großer Frechheit, außerordentlich tätig und unermüdlich und stand in hohem Ansehen bei seinem königlichen Herrn, den er, wie man sich allgemein erzählte, gegen die Reformatoren eingenommen hatte.

Auf der anderen Seite des Monarchen stand der Lordkanzler Wriothesley – ein finster blickender Mann mit harten Zügen und einer hohlen kahlen Stirn. In ein schwarzes, mit Zobelpelz verbrämtes Gewand gekleidet, hatte er ganz das Aussehen eines Großinquisitors. Als Ritter des Hosenbandordens trug er die Georgsdekoration und die Ordenskette um den Hals. Wie Gardiner hing auch der Lordkanzler dem alten Glauben an und war ein bitterer, obschon heimlicher Feind der Gegner desselben. Sie hegten beide die Meinung, dass mit dem Tod des Königs dem Fortschreiten der Reformation Einhalt getan und die römische Religion siegreich wiederhergestellt werden würde. Zum Ende hatten sie miteinander komplottiert, die Königin als eins der Haupthindernisse des Gelingens ihrer Pläne auf irgendeine Art zu entfernen. Sie brachten das Gemüt des Königs wider sie auf, indem sie ihm vorstellten, dass Ihre Majestät heimlich religiöse Bücher und Schriften lese, die durch königliches Dekret verboten seien, und sie erklärten sich bereit, nötigenfalls die Wahrheit ihrer Versicherungen zu beweisen.

Katharina selbst arbeitete ihnen unwissentlich in die Hände, durch die Unüberlegtheit, mit welcher sie sich über gewisse Glaubensätze ihrem intoleranten Gemahl gegenüber ausließ und mit Kühnheit Ansichten verteidigte, die den seinen widersprachen. Das Missfallen des Königs hierüber bemerkend, wurde es den Verschwörern leicht, die Flamme, welche schon in seiner Brust entzündet war, anzufachen, bis sie zu hellem Brand emporloderte. Er stieß zornige Drohungen aus und sprach von dem Haftbefehl, der sie zum Tower senden würde. Er wollte ihr indes noch eine Gelegenheit lassen, sich womöglich vor ihm zu rechtfertigen. Sie wurde, wie mitgeteilt, zu ihm befohlen, und von ihrem Benehmen bei dieser Zusammenkunft hing ihr Schicksal ab.

Als Katharina eintrat, erblickte sie ihre Feinde und fürchtete schon, es möchte etwas Böses am Werke sein, aber der Anschein einer ungewöhnlich guten Laune in den Zügen des Königs täuschte. Als sie vorwärtsschritt und sich demütig verneigte, streckte Wriothesley die Hand aus, um sie emporzuheben, aber sie wies mit stolzer Gebärde das Anerbieten zurück.

»Wie befindet sich Eure Majestät heute Morgen?«, fragte sie.

»Nun, ziemlich gut«, antwortete Heinrich. »Wir haben etwas besser geschlafen als gewöhnlich, und Butts meint, wir würden bald wiederhergestellt sein.«

»Nicht so gar rasch, mein gnädigster Herr, sondern langsam und sicher, wie ich überzeugt bin«, bemerkte der Leibarzt, die Königin durch einen Blick, der unglücklicherweise nicht beachtet ward, zur Vorsicht ermahnend.

»Das wolle der Himmel!«, rief Katharina aus.

»Komm und setze dich zu uns, Käthe«, fuhr Heinrich fort und fügte, als sie auf einem Sessel neben ihm Platz genommen hatte, hinzu: »Du sprachst gestern so gut und so überzeugend, dass wir gerne den Lordkanzler und Mylord von Winchester dich möchten anhören lassen.«

»Die Unterhaltung mit Ihrer Majestät kann uns nur nützlich sein«, sagte Gardiner, sein Haupt verneigend.

»Ich wollte, das, was ich sagen werde, möchte Euch nützlich sein, und dem Lordkanzler nicht minder, denn Ihr bedürft beide der Besserung«, erwiderte Katharina mit scharfem Ton. »Wenn seine Königliche Hoheit auf mich hören will, soll keiner von Euch mehr viel Einfluss auf ihn ausüben, denn Ihr gebt ihm verderblichen Rat. Was Euch betrifft, mein Lordkanzler, so ist mir ein Umstand erzählt worden, der, wenn er wahr ist, Eure Hartherzigkeit beweist und das Missfallen Seiner Majestät auf Euch herabziehen muss. Es heißt, dass, als Anna Askew im Tower der Tortur unterworfen ward, und der beeidigte Folterknecht innehielt und sein verhasstes Amt nicht mehr ausüben wollte, Ihr selbst das Rad der Folterbank drehtet und dasselbe zu äußerster Spannung anzogt. Und das bei einem Weib – einem zarten, schönen Weib – Mylord, pfui über Euch!«

»Ich will die Tatsache nicht leugnen«, antwortete Wriothesley. »Ich handelte nur in Übereinstimmung mit meiner Pflicht, indem ich mich bemühte, das Geständnis ihrer Schuld einer schändlichen und verstockten Ketzerin zu entreißen, welche rechtsgemäß unter Seiner Majestät Statut der sechs Artikel überwiesen worden war, worin es heißt, dass jeder, welcher behaupten, öffentlich aussprechen oder beweisen wollte, in dem gesegneten Sakrament des Altars sei unter der Gestalt von Brot und Wein nicht wirklich wieder natürlicher Leib und das natürliche Blut unseres Heilandes gegenwärtig, oder nach dem Segensspruch bleibe irgendeine Brot- oder Weinsubstanz zurück, – dass solch eine Person für einen Ketzer angesehen werden und den Tod durch Verbrennen erleiden soll, ohne dass ihr irgendeine Abschwörung der Irrtümer, Zuspruch seines Geistlichen oder Schutz einer Kirche zu gestatten sei. Und doch würde Anna Askew, wenn sie ihre Irrtümer widerrufen und die Milde des Königs angefleht hätte, zweifelsohne verschont worden sein.«

»Ja, freilich würde sie das!«, rief Heinrich aus. »Der Lordkanzler handelte etwas rau, aber ich sehe nicht ein, dass er Tadel verdient hätte. Du hast keine besondere Sympathie für Anna Askew, meine ich, Käthe?«

»Sie erregt mein tiefes Bedauern, mein königlicher Herr«, erwiderte Katharina. »Sie starb für ihren Glauben.«

»Bedauern für eine Sakramentiererin, Käthe!«, schrie der König. »Nun, bei der heiligen Maria! Du wirst wohl nächstens bekennen, dass du selbst eine Sakramentiererin bist!«

»O nein, mein gnädigster Herr«, bemerkte Gardiner. »Ihre Majestät mag Mitleid für die Irregeleiteten fühlen, aber sie kann sich nimmer zu verkehrten Lehren bekennen.«

»Dessen bin ich nicht so gewiss«, antwortete der König.

»Gestern noch sprachen wir miteinander über gewisse theologische Fragen, und sie leugnete die Lehre von der Transsubstantiation.«

»Eure Majestät wird das nur gemeint haben«, versetzte Gardiner, seine Hände erhebend. »Das ist ja nicht möglich.«

»Aber ich sage, es war der Fall!«, schrie der König.

»Woher sie ihre Argumente nahm, weiß ich nicht, aber sie bestand fest auf denselben. Bist du eine Ketzerin, Käthe? Bekenne auf der Stelle!«

»Das lautet wie eine Anklage, mein hoher Herr«, erwiderte die Königin, sich erhebend. »Und ich weiß, woher dieselbe kommt«, fügte sie hinzu, indem sie einen Blick auf ihre Feinde warf. »Ich will sogleich darauf antworten. Wie der Bischof von Winchester sehr gut weiß, gehöre ich der rechtgläubigen Kirche an, deren oberstes Haupt und Hohepriester Eure Majestät ist.«

»Und dennoch leugnest du die wirkliche Gegenwart Christi im Sakrament des Altars?«, unterbrach sie der König.

»Ich kann nicht glauben, was ich nicht verstehe, mein königlicher Herr«, antwortete sie.

»Ha, du weichst aus!«, rief Heinrich. »Es ist wahr! Du bist angesteckt, tief angesteckt von diesen verruchten und ketzerischen Lehren. Da du Anna Askew bedauerst und sie für eine Märtyrerin hältst, sollst du ihr Los teilen. Mein Statut der sechs Artikel verschont niemand, wie hoch er auch stehe. Hebe dich hinweg aus meinen Augen und lass dich nicht wieder blicken! – Kein Wort! Geh!«

Und da er allen ihren Bitten gegenüber taub blieb, musste die Königin sich entfernen, und ward in halb ohnmächtigem Zustand von Lady Herbert aus dem Zimmer geführt.

Kaum hatte sie das Gemach verlassen, als Gardiner und Wriothesley, die bei Heinrichs Wuthausbruch Blicke der Zufriedenheit miteinander ausgetauscht hatten, sich Seiner Majestät näherten.

Auch Doktor Butts trat näher an den König heran und sprach: »Ich beschwöre Eure Majestät, ruhig zu sein. Diese Zornausbrüche schaden Ihnen unendlich und könnten sogar Ihr Leben gefährden.«

»Potz Blitz! Mann, wie kann ich ruhig sein, wenn man mich solchergestalt reizt«, brüllte Heinrich. »Es ist weit gekommen, wenn ich mich von meinem Weib schulmeistern lassen soll. Ich muss in der Tat krank sein, wenn man sich mir gegenüber derartige Freiheiten herausnehmen kann, was früher niemand gewagt hat.«

»Ihre Majestät, davon bin ich fest überzeugt, hat Sie unabsichtlich erzürnt, mein gnädigster König«, erwiderte Butts. »Sie wird Sie nicht wieder so verletzen.«

»Darin hast du recht, Doktor«, entgegnete Heinrich finster. »Ihre Majestät wird mich nicht wieder verletzen.«

»Ich flehe Sie an, Sire, übereilen Sie nichts«, rief der Arzt aus.

»Entferne dich, Butts«, erwiderte der König. »Ich bedarf deiner für jetzt nicht mehr.«

»Ich vermag den Zorn Eurer Majestät nicht zu tadeln«, bemerkte Gardiner. »Es ist genug, um den Grimm jemandes zu erregen, wenn man erfährt, dass man getäuscht worden ist. Die Königin hat Ihnen jetzt ihre wahren Ansichten enthüllt. Sie hat offen Ihrem Missfallen getrotzt, und Sie sind es sich selbst schuldig, dass ihre Strafe ihrer Verwegenheit entspreche.«

»Eure Majestät kann nicht im Widerspruch mit Ihren eigenen Dekreten handeln«, versetzte Wriothesley, »und es lässt sich beweisen, dass sie dieselben übertreten. In der Nacht, bevor Anna Askew auf den Scheiterhaufen geführt ward, empfing sie eine tröstliche Botschaft von der Königin, und sie sandte Ihrer Majestät darauf ein verbotenes Buch, das die Königin noch in Besitz hat.«

»Wir wollen diese Ketzereien ausrotten, bevor wir sterben«, sprach Heinrich. »Und wenn uns nur noch wenige Stunden vergönnt sind, so sollen sie durch die Gnade des Himmels dazu verwandt werden, das Land von der Pest, die es heimsucht, zu reinigen. Nicht umsonst sind wir zum Bikar und Oberpriester des Himmels ernannt worden, wie diese Ketzer sich überzeugen sollen. Wir wollen ihnen Schrecken einflößen. Wir wollen mit der Königin beginnen. Ihr sollt einen Haftbefehl gegen sie erhalten. Geht beide zu Sir Anthony Denny, um das Papier dort abzuholen, und heißt ihn, es durch unseren Geheimsiegelbewahrer stempeln zu lassen.«

»Es soll nach Eurer Königlichen Hoheit Willen geschehen«, sagte Wriothesley. »Soll der Haftbefehl gleich ausgeführt werden?«

»Ich beschwöre Eure Majestät, warten Sie bis morgen«, rief Doktor Butts, der trotz des Königs Befehl, sich zu entfernen, noch an der Tür gezögert hatte. »Gönnen Sie sich ein paar Stunden Bedenkzeit, ehe Sie so streng handeln.«

»Wie? Bist du noch da, Schurke«, schrie der König. »Mich dünkt, ich hieß dich gehen.«

»Zum ersten Mal habe ich gewagt, Ihnen ungehorsam zu sein«, erwiderte der Arzt. »Aber ich flehe Sie an, mich anzuhören.«

»Wenn ich mir erlauben dürfte, Eurer Majestät einen Rat zu erteilen, würde ich Sie ermahnen, Ihre gerechten Entschlüsse ungesäumt auszuführen«, bemerkte Gardiner. »Ein gutes Werk kann nicht schnell genug vollbracht werden.«

»Du hast recht«, sagte der König. »Ihre Majestät soll heute Nacht – wenn sie überhaupt Schlaf findet – im Tower schlafen. Besorgt den Haftbefehl, wie ich Euch geboten, und kehrt dann mit einigen Soldaten der Leibwache zurück, um ihn zu vollziehen. Und vergesst mir nicht, Sir John Gage, den Kommandanten des Towers, von der vornehmen Gefangenen in Kenntnis zu setzen, die er zu erwarten hat, damit er seine Vorbereitungen treffe.«

»Ihre Befehle sollen erfüllt werden«, sagte Wriothesley, der seine Freude kaum zu verbergen wusste.

»Sir John Gage befindet sich gerade im Palast«, bemerkte Butts. »Wenn Eure Majestät ihn sprechen will.«

»Ein glücklicher Zufall«, antwortete der König. »Führe ihn sogleich her!«

Mit einem halbverborgenen, trotzigen Lächeln die Feinde der Königin messend, entfernte sich Butts, um seinen Auftrag zu vollziehen.

Als Gardiner und Wriothesley das Gemach verließen, flüsterte Letzerer seinem Gefährten zu: »Die Königin ist so gut wie aufs Schafott gebracht.«

»Ja, wohl ist sie das«, versetzte Gardiner in demselben leisen Ton, »wenn Gage nicht unser Werk verdirbt. Er wird höchst wahrscheinlich versuchen, unsere Pläne zu durchkreuzen. Der König hat Vertrauen zu ihm und versichert, er habe ihn um seiner unbestechlichen Ehrlichkeit willen zum Oberaufseher des königlichen Haushalts und zum Kommandanten des Towers gemacht. Gage unbestechlich, haha! Als wenn irgendein Lebendiger – uns selbst ausgenommen – unbestechlich wäre!«

»Gages gepriesene Ehrlichkeit wird ihn nicht verleiten, sich dem König zu widersetzen«, erwiderte Wriothesley. »Aber lass es ihn versuchen, wenn er Lust dazu hat! Er mag gerade so gut versuchen, die Steinmauern des Towers niederzubrechen wie Heinrichs Entschluss zu erschüttern. Und jetzt besorgen wir den Haftbefehl!«