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Gold – Kapitel 7.3

Gold-Band-1Friedrich Gerstäcker
Gold
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 7 Teil 3
Nach dem Brand

Der Abend brach an, und das Parkerzelt, in dem ein geschäftiges, wildes Leben herrschte, war hell erleuchtet. Allerdings prangten an den einfachen Leinwandwänden nicht mehr jene frivolen Bilder, die bis jetzt dazu gedient hatten, die lüsternen Abenteurer heranzulocken. Die rauen, eingerammten Pfosten, an denen die Lampen aufgehangen waren, dienten ebenfalls nicht dazu, dem Platz die frühere Eleganz zu geben. Aber hell erleuchtet wie je war der innere Raum. Von dem aus rohen Brettern aufgeschlagenen Orchester wirbelte wieder die rauschende Musik. Um die mit grünen Tüchern bedeckten Tische scharten sich die Spieler, soviel deren nur Platz fanden. Hatte doch schon die Neugierde eine große Zahl von Fremden hereingeführt, den Platz wieder eingerichtet und in Tätigkeit zu sehen, über dem noch vor wenigen Stunden die Flammen zum Himmel geschlagen. Waren ja auch außerdem eine Menge Spielhäuser, für den Augenblick wenigstens, außer Tätigkeit gesetzt, die nicht die Mittel besaßen, mit Gold den raschen Wiederaufbau ihrer Behausungen so plötzlich zu erzwingen. Spielen mussten aber die Leute, womit sollten sie sonst den langen Abend hinbringen, und was nur Platz gewinnen konnte, drängte hinzu.

Nur der hintere Raum des Zeltes war, wie schon vorhin erwähnt, für die Speisetafel freigehalten und durch eine hölzerne Barriere, und gegen Abend auch noch durch einen Vorhang von Zelttuch von dem Spielerplatz getrennt und abgeschieden worden. Der Ertrag hiervon deckte allerdings kaum die Kosten der Herrichtung. Aber hier galt es besonders die Leute, die ihr Geld verspielen wollten, festzuhalten, dass sie nicht außer dem Haus ihr Abendessen aufzusuchen brauchten, und dann vielleicht, von anderen Spielzelten angelockt, nicht mehr zurückkehrten.

Auch der Champagner floss dort reichlich. Da sich der Wirt die Flasche mit 5 Dollar bezahlen ließ, ersetzte das in etwas den geringen Verdienst, den die Speisen brachten.

Die fertig gedeckten Couverte waren auch fast sämtlich besetzt, und so wie hier und da Einzelne aufstanden, nahmen andere wieder ihre Sitze ein, sodass die Kellner fortwährend in Atem gehalten wurden. Erst mit einbrechender Dunkelheit verloren sich die Gäste mehr und mehr, in der benachbarten ^ Abteilung jetzt ihr Glück zu versuchen, und die Zeit zwischen Mittagessen und Abendbrot trat ein, in der nur Einzelne hereinkamen und rasch abgefertigt wurden. Unser alter Bekannter, der Kellner Emil, war ebenfalls den ganzen Tag außerordentlich beschäftigt gewesen, und erst jetzt, als sich die Zahl der Esslustigen vermindert hatte, fand er Zeit und Gelegenheit, auch an sein eigenes Mittagsmahl zu denken.

Das holte er sich denn selber aus der Küche, an einen gerade unbesetzten Teil des Tisches, schenkte sich ein Glas Wein dazu ein, und aß in voller Ruhe, aber doch mit einem dann und wann flüchtig zum Eingang geworfenen Blick, ob nicht eine größere Anzahl von Gästen gerade jetzt wieder eintreten würde, denen er dann natürlich Raum geben musste.

Da hob ein bekanntes Gesicht – Doktor Rascher – die Leinwand auf, und Emil sprang mit einem Satz von seinem Stuhl empor.

»Hallo, Doktor, wie geht es Ihnen? Haben Sie bei dem Brand viel von Ihren Sachen verloren?«

»Vor allen Dingen bleiben Sie sitzen und verzehren Sie Ihr Abendbrot, bester Baron«, sagte der alte Arzt, indem er die dargebotene Hand nahm und schüttelte, und den jungen Mann zu seinem Sitz zurückschob.

»Wenn Sie mich nicht mehr Baron nennen wollen«, lächelte dieser, seinen Platz wieder einnehmend und Messer und Gabel aufgreifend. »Sie werden mir zugeben, dass der Titel und meine Beschäftigung nicht zusammenpassen – wenigstens nicht nach unseren alteuropäischen Ansichten. Nennen Sie mich Emil, und wäre es nur der anderen Leute wegen, und treffen wir uns später einmal wieder zu Hause, was hoffentlich der Fall sein wird. Dann mögen Sie mich wieder nennen, wie Sie wollen.«

»Wenn Sie es denn nicht anders haben wollen, meinetwegen.«

»Und ist Ihnen in der vorigen Nacht viel verbrannt?«

»Gott sei Dank, nein. Die Apparate zu meinen Sammlungen waren glücklicherweise noch an Bord. Nur meine kleine Medizinkiste und einige Wäsche hatte ich an Land, und bin glücklich genug gewesen, das zu retten.«

»Das freut mich herzlich zu hören«, sagte Emil. »Jetzt aber«, setzte er hinzu, indem er aufstand, »bin ich fertig, und nun werden Sie mir erlauben, Sie zu bedienen. Sie wollen doch essen? Nur keine Umstände, wenn ich bitten darf. Ich hoffe doch, dass wir uns verstehen.«

Der alte Mann lächelte. »Sie müssen es dem eingefleischten Deutschen schon zugutehalten«, sagte er dabei, dass er sich von seinen alten Vorurteilen noch nicht so rasch losreißen kann. Da Sie es aber wünschen, lieber Emil, so will ich mich dem gern fügen, Sie auch nachher um etwas zu essen bitten, denn ich bin allerdings fast noch nüchtern. Zuerst aber wollte ich Sie ersuchen, mir Auskunft über einen Mann – einen Amerikaner, glaube ich – zu geben, der im Parkerhaus gewohnt oder sich hier doch ziemlich häufig vor dem Brand aufgehalten haben soll.«

»Mit dem größten Vergnügen, wenn ich ihn kenne. Wissen Sie vielleicht seinen Namen oder können Sie ihn mir sonst irgend beschreiben?«

»Ich weiß nur seinen Namen, Siftly!«

»Siftly?«, sagte der Kellner erstaunt, »und was haben Sie mit dem zu schaffen?«

»Sie kennen ihn?«

»Allerdings. Er gehört zu jener nichtsnutzigen Sorte von amerikanischen Spielern, die schon jetzt der Fluch des Landes geworden sind. Im Ganzen mit einem gewissen Grad von Bildung und gebildeten Wissen, mit einem Gesicht aber, in dem alle Laster der Erde mit deutlichen Zügen eingeschrieben stehen, und rücksichtslos in allem, was ihn seinem Ziel Gold entgegenführt, ist er an diese Küste gestiegen, die er auch jedenfalls nur wieder als reicher Mann verlässt – und wenn er dazu morden und rauben sollte.«

»Sie schildern mit zu schwarzen Farben.«

»Ich schildere Ihnen nicht allein den einen«, sagte der junge Mann. »Ich schildere Ihnen leider Gottes eine ganze Klasse von solchen Menschen, als deren Repräsentant dieser Siftly vortrefflich dienen kann. Wenn Sie deshalb meinen Rat und meiner kalifornischen Erfahrung nur ein klein wenig glauben wollen, so lassen Sie sich mit jenem Menschen in Nichts ein, wozu Sie einen ehrlichen Mann brauchen.«

»Kalifornische Erfahrung«, wiederholte der alte Arzt gutmütig lächelnd. »Wie lange sind Sie denn schon eigentlich im Land?«

»Drei Monate«, lautete die Antwort. »Sie müssen aber wissen, dass unser Jahr hier nur einen Monat hat, oder dass sich vielmehr in Kalifornien die Erlebnisse eines Jahres in diese Zeit zusammendrängen. Wir leben hier entsetzlich schnell, und selbst die Zinsen für Kapital werden nicht wie in anderen Ländern hier nach Jahren, sondern stets nach Monaten gerechnet. Kaufleute zahlen jetzt nicht selten 10 und 12 Prozent monatliche Zinsen für Kapitalien, und 6 Prozent per Monat ist der niedrigste Zinsstand. Vermögen werden dafür aber auch in Monaten, ja Wochen gewonnen, und oft in Tagen oder Stunden verloren. Wer einmal später fünf Jahre in diesem Land zugebracht haben wird, kann sich getrost einen Greis an Erfahrung nennen.«

»Sie mögen vielleicht recht haben«, warf ihm der alte Arzt zu, »das wenigstens, was ich schon in den vierundzwanzig Stunden meines hiesigen Aufenthalts erlebt und gesehen, bestätigt vollkommen, was Sie sagen. Ich selber habe übrigens, um Sie zu beruhigen, mit jenem Herrn Siftly nichts weiter zu schaffen, als dass einer meiner Reisegefährten, der sich sehr leidend befindet, nach ihm verlangt hat. Ist es übrigens wirklich eine solche Persönlichkeit, wie Sie mir eben beschrieben haben, so werde ich mich wahrscheinlich nicht veranlasst finden, ihn zu inkommodieren. Sehen möchte ich ihn aber doch. Ist er hier im Zelt?«

»Gewiss, denn die Spieltische sind das Element, in dem er lebt. Er könnte so wenig ohne das grüne Tuch und die Karten wie ein Fisch ohne Wasser existieren. Jedenfalls kommt er aber auch hier zum Essen herein, da er bei uns abonniert ist und im Voraus bezahlt hat. Wenn Sie also noch ein wenig warten wollen, können Sie ihn sich nachher nach Gefallen betrachten. Sonst gehe ich aber auch einmal mit Ihnen in das Spielzelt und suche ihn dort. Das Gedränge ist nur ein wenig arg.«

»Noch habe ich Zeit«, sagte der Arzt, »und da ich doch etwas genießen muss, kann ich beides gleich vereinigen. Bitte, lieber – Emil, bestellen Sie mir etwas zu essen.«

Der junge Mann verbeugte sich lächelnd, rückte dem Gast Teller, Messer, Gabel und Glas zurecht und verließ dann das Zelt, ihm sein Abendbrot zu besorgen.