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Die Gespenster – Erster Teil – Siebente Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil
Siebente Erzählung

Wie die sogenannte weiße Frau – ein für die Großen furchtbarer Todesengel – die Gemahlin des Markgrafen Philipp zu Berlin von der Welt abforderte.1

Die Sage von der weißen Frau, welche in mehreren Residenzschlössern Deutschlands kurz vor dem Absterben einer Person aus dem regierenden Hause sich soll haben sehen lassen, wird unter anderen auch von dem königlichen Schloss zu Berlin erzählt. Man hält diese Erscheinung gemeinhin für ein prophetisches Gespenst, für die Halbschwester der Nachteule. Denn so wie diese, durch ihr nächtliches Geschrei vor dem Haus eines sehr kranken Privatmannes, den nahen Tod desselben anzeigen soll. Ebenso kündigt, nach einer sehr gangbaren Meinung, das Sichtbarwerden der weißen Frau, der kranken fürstlichen Person das herannahende Lebensziel an. Man mag nun von dieser ziemlich alten Sage halten, was man will: Immer muss man zur Steuer der Wahrheit gestehen, dass der Tod der hohen Kranken nicht selten wirklich bald darauf erfolgt ist, nachdem die Schlosswache oder andere Personen des Nachts die weiße Frau gesehen haben wollten. Zwar ist diese vorgebliche Ankündigerin des Todes auch zuweilen nicht erschienen, und dennoch ereignete sich ein hoher Todesfall. Aber was weiß ich’s, warum es dem Todesengel dann nicht beliebt hatte, zu erscheinen? Was weiß ich’s, warum viel Tausend Kranke wieder gesund werden, vor deren Fenster sich das weissagende Käuzchen nächtlich hören ließ?

Zwar ließ sich die weiße Frau auch zuweilen sehen, wenn entweder niemand vom königlichen Haus krank war, oder wenn wenigstens dem Kranken bald nachher wieder besser ging und noch viele Jahre lebte. Allein eine solche zuschanden gewordene Weissagung war dann des Wiedererzählens nicht wert. Man vergaß sie bald, denn da hätte man viel zu tun, wenn man auch jeden nicht in Erfüllung gegangenen Traum behalten und auf seine Nachkommenschaft bringen wollte!

Es ist genug, dass wir wundervolle Weissagungstalente dann gehörig ins Licht setzen und geschwätzig herausstreichen, wann ihre Prophezeiung zufälligerweise einmal in Erfüllung geht.

Die weiße Frau, von der ich nun eine beurkundete Geschichte erzählen will, war, wie uns Herr Prediger Schwager zu Jöllenbeck in des verdienstvollen D. Bekkers neu übersetzten bezauberten Welt, Band I, Seite 185 berichtet – eine Gräfin von Rosenberg aus Böhmen oder deren Schatten und hieß Perchta. Die Komtesse Perchta – so gewiss sind wir unserer Sache -wurde ungefähr um das Jahr 1420 geboren, hielt mit Johann von Lichtenstein am Sonntag vor Martini Hochzeit und erlebte in ihrem Ehestand vielen Jammer, den ihr Mann allein verschuldet hatte. Da dieser starb, begab sie sich zu ihrem Bruder und erzog, als auch dieser tot war, dessen Kinder, lebte weise und fromm, wurde alt und lebenssatt und erbte, kurz vor ihrem Tod noch die rosenbergischen Güter. Sie wahrsagte nun ihrer Familie und den Fürsten. Zu diesen gehört auch das Haus Brandenburg, an dessen Hof sie sich nicht nur prophetisch sehen ließ, wenn Leichenbegängnisse, sondern auch, wenn Kindtaufen gehalten werden sollten. Sie wohnte bald in London, bald in Kopenhagen, Stockholm, Warschau^ und anderen Residenzen, wie Müller versichert. Doch gefiel es ihr immer am besten auf dem Schloss zu Berlin.

»Ob es auch wahr ist?« Haben sie doch Keller- und Küchenmeister, Köche, Bäcker und Wächter gesehen! Und hat doch Slavata sogar im Jesuiterkollegio sie mehr als einmal gesehen!

Doch ich eile zur versprochenen Geschichte!

Auf dem Schloss zu Berlin ließ sich diese weiße Frau unter anderen auch in den letzten Regierungsjahren Friedrich Wilhelm des Ersten sehen, während die Gemahlin des Markgrafen Philipp selbst krank daniederlag. Ganz Berlin war davon voll, und wie hätte das anders sein können, da die Markgräfin bald nachher, auf das verhängnisvolle Geheiß der weißen Frau, wirklich zu Grabe getragen wurde?

Man sprach darüber so allgemein, so zuversichtlich und so laut, dass es einen von den Regimentschefs der Berliner Garnison, der ein vorurteilsloser, vernünftiger Mann war, verdross. Er bezeigte laut seine Verwunderung darüber, wie selbst viele aus den höheren Ständen noch an einem so albernen Märchen Geschmack finden könnten.

Einmal gab man ihm in einer großen Gesellschaft zur Antwort, dass Soldaten von seinem eigenen Regiment, welche in jenen spukenden Nächten die Schlosswache gehabt hätten, beschwören wollten, dass sie kurz vor dem Sterbetag der Markgräfin die weiße Frau mit eigenen Augen zu verschiedenen Malen gesehen, ja selbst angeredet hätten.

Der General erwiderte, wie daraus noch keineswegs folge, dass die gesehene und angeredete weiße Frau ein übernatürliches Wesen, ein Gespenst, mit dem Weissagungstalent begabt, gewesen sei. Indessen ließ er den Auditeur und jene Burschen seines Regiments rufen und ein förmliches Verhör über den Hergang der Sache anstellen. Wahrscheinlich traf der Wahrheitsfreund diese Maßregel in der Hoffnung, dass er auf diese Art irgendeinen dabei obwaltenden Betrug entdecken würde, wodurch er die Leichtgläubigen zum beschämenden Stillschweigen bringen könnte. Allein er täuschte sich, indem der Ausgang des Verhörs jene Abergläubischen vielmehr in ihren irrigen Meinungen bestärkte.

Der Auditeur überbrachte dem General das bei dem Verhör aufgenommene Protokoll, und dieses besagte, zu seinem großen Leidwesen, unter anderem, dass diejenigen von der Schlosswache, welche in drei verschiedenen spukenden Nächten zwischen zwölf und ein Uhr in der von der Markgräfin bewohnten Gegend des Schlosses Schildwache gestanden haben, folgende übereinstimmende und eidlich erhärtete Aussage getan hätten.

»Wir sehen in den namhaft gemachten Nächten, also kurz vor dem Tod der Markgräfin, nahe bei deren Zimmern im inneren Schlossraum, die weiße Frau in einer ganz weißen weiblichen Gestalt, wie sie in unserer Nähe mit einem brennenden Wachsstock in der Hand und einem Bund Schlüssel an der Seite, rasch vor uns vorüberging.

In der ersten und zweiten Nacht geschah dies bald nach zwölf Uhr. In der dritten und letzten aber kurz vor ein Uhr.«

Auf die Frage der Regimentsgerichte, warum sie die Erscheinung nicht angerufen und soldatisch examiniert hätten, antworteten zwei Burschen, dass ihnen beim Anblick des Gespenstes Furcht und Entsetzen angekommen wären und sie darüber diese ihre Pflicht entweder vergessen oder vielleicht nicht das Herz gehabt hätten, sie zu erfüllen, weil sie wohl wüssten, dass böse Geister keinen Scherz mit sich treiben ließen. Die dritte Schildwache aber sagte auf diese Frage aus, »dass er das Gespenst allerdings einmal herzhaft mit seinem ›Wer da?‹ angebrüllt habe. Allein es sei keine Antwort darauf erfolgt, und die weiße Frau wäre sogleich verschwunden!«

Der General musste sich mit diesen Aussagen begnügen und leider auf näheren Aufschluss über diese dunkle Sache Verzicht tun.

Zufälligerweise hörte der Beichtvater der verstorbenen Markgräfin, der damalige Hofprediger Gronau, von dieser Spukgeschichte und dem deshalb angestellten gerichtlichen Verhör. Er bat sich die darüber verhandelten Akten von den Regimentsgerichten zur Ansicht aus und hatte sie kaum durchgelesen, als die Auslösung des ganzen Rätsels klar und deutlich vor seinen Augen stand. Er erinnerte sich nämlich dabei dessen, was ihm seine Nichte, Mamsell Adler, Kammerfrau der Markgräfin, kurz vor dem Tod der Letzten beiläufig einmal erzählt hatte.

»Denken Sie sich – dies waren damals ihre Worte – welch einen fürchterlichen Schreck ich in der vergangenen Nacht hatte. Ich holte kurz vor ein Uhr mit einem Licht in der Hand aus einem benachbarten Zimmer Erfrischungen für die leidende Kranke. Da brüllte mir die unvernünftige Schildwache, an welche ich gar nicht dachte, ihr ›Wer da?‹ in einem so fürchterlichen Ton entgegen, dass ich vor Schreck fast in die Knie gesunken und von der Schlosstreppe hinabgestürzt wäre. Ich begreife auch nicht, warum sie gerade diesmal mich anrief, da sie es doch in den beiden vorhergehenden Nächten nicht getan hatte, ungeachtet ich damals in ähnlichen Geschäften eben daselbst von ihr gesehen worden sein muss. Ich war aber auch so böse auf sie, dass ich ihr gar nicht antwortete, sondern meinen Gang fortsetzte.

Der Hofprediger eilte nach dem Lesen der Akten sogleich zu Mamsell Adler, legte ihr zum näheren Vergleich der kleinen, ihm wieder entfallenen Umstände ihrer Erzählung, mehrere Fragen vor, hielt deren Beantwortung mit den Aussagen der verhörten Schildwachen zusammen und fand zu seiner und des Generals Freude, dass alles auf das Genaueste miteinander übereinstimmte. Mamsell Adler versicherte, dass sie ein ganz weißes Nachtzeug getragen und ein Bund Schlüssel an der Seite gehabt habe. Auch waren es genau die nämlichen Nächte und Stunden, wo sie in den erwähnten Geschäften auf der Schlosstreppe gewesen war, und wo die Wachen die spukende weiße Frau gesehen haben wollten. Kurz, es blieb auch nicht der kleinste Zweifel mehr übrig, dass Mamsell Adler und das vorgebliche Gespenst ein und dieselbe Person gewesen waren.

Der Hofprediger ließ nun zwar seine gemachte Entdeckung über den wahren Zusammenhang mit dem diesmaligen Erscheinen der berüchtigten weißen Frau ebenfalls gerichtlich niederschreiben und, zur Minderung des Glaubens an dergleichen abergläubischen Weissagungen, hier und da bekannt machen. Allein dergleichen hinterher entdeckte Selbsttäuschungen und natürlich erklärte Begebenheiten sind selten imstande, alle die Samenkörner des Wahnglaubens und der Gespensterfurcht noch in der Geburt zu ersticken. Die menschliche Vorliebe für das Wunderbare ist viel zu groß, und der Hang zum Glauben an das Übernatürliche in unseren Tagen eines gefährlichen Zwischenlichts viel zu überwiegend, als dass sich jene Samenkörner ebenso leicht wieder vernichten ließen, wie geschwind sie Wurzel fassten und in die Höhe schossen. Wie leicht konnte dies Märchen von der weißen Frau, die, selbst nach eidlich erhärteten Versicherungen mehrerer Augenzeugen, den nahen Tod der Markgräfin angekündigt haben sollte, den Anstrich einer übernatürlichen, wunderbaren Spukgeschichte behalten und auf immer unerklärt bleiben! Die Entdeckung des ganzen Geheimnisses hing einzig von dem kleinen, unbedeutenden Umstand ab, dass Mamsell Adler jemanden von dem in der letzten Spuknacht gehabten Schreck erzählte, und zwar gerade einem vorurteilslosen, wahrheitsliebenden Mann erzählte, der sich gerne die verdienstliche Mühe gab, dem Publikum den gefundenen Schlüssel zum Rätsel mitzuteilen.

Wie leicht hätte also auch jenes gerichtliche Verhör der guten Sache der Vernunft vielmehr nachteilig werden können, da es die wunderbar scheinende Aussage abergläubischer Menschen gleichsam beurkundete, und ihr, solange sie nicht widerlegt blieb, nur eine desto gefährlichere Wichtigkeit gab.

Ich fürchte keinen Vorwurf, keinen Tadel wegen dieser oft wiederholten Fragen und Ausrufungen. Möchten sie nur immer so ganz, wie sie es verdienen, beherzigt und angewandt werdend. Veranlassung und Anforderung dazu – die sich gar zu oft finden – geben uns unter anderen auch die neuesten Sagen von der dem Schloss zu Kleve wohnenden weißen Frau.

Herr Etatsminister von Buggenhagen Exzell. erzählt uns Folgendes von ihr.2

Sie – die Tochter und Erbin Dietrichs, Grafen von Kleve, des Letzten aus dem Geschlecht Ursinus, Beatrix genannt – lässt sich zu Kleve nicht weiter als auf dem Schloss sehen, der Gestalt und dem Bezeigen nach, gerade wie die böhmische Perchta in ihrer guten Laune. Noch kürzlich erschien sie am hellen Tag einer Dame, die, allein in ihrem Zimmer auf eben gedachtem Schloss, an ihrem Nährahmen beschäftigt, saß. Sie stellte sich ruhig vor sie hin, besah die Arbeit, fuhr einige Mal mit der Hand darüber weg, stellte sich vors Fenster, als ob sie die Aussicht, welche eine der schönsten in der Welt ist, betrachtete, kehrte über eine Weile wieder vor den Nährahmen, mit gleicher Bewegung wie vorhin, zurück und ging bald darauf, wie schwebend, zu der von selbst sich öffnenden Tür hinaus.

Wie mancher wird hier eine bedeutende Anspielung auf die Zeichen unserer Zeit finden! Und in der Tat, dieser ominöse Fingerzeig der guten Beatrix auf nahe Ereignisse – auf die Rheingrenze der Neufrankenrepublik hin – ist auch fast unverkennbar! Denn kurz vor dem Teschener Frieden 1779 ließ sie sich gerade in der Dämmerung auf diesem Schloss vor einem Dienstmädchen sehen, welches, in einer Kammer neben dem Zimmer ihrer Herrschaft, etwas zu verrichten hatte. Diesmal sprach sie wider ihre Gewohnheit. »Mache fort!«, sagte sie zu dem Mädchen, welches aber vor Schrecken desto unbeweglicher ward. »Mache fort! Mache fort!«, wiederholte sie etwas stärker.

Das Mädchen lief halb tot in ihrer Herrschaft Zimmer, wo sie ohnmächtig hinfiel.

Wenn selbst jene preußischen Schnurrbärte bei dem grauenvollen Anblick der Gräfin Perchta ihr »Wer da?« vergaßen und zitterten, so muss man es billig jener Dame und dieser Magd zugutehalten, wenn auch sie vergaßen, was sie hätten tun sollen und als vorurteilslose Personen unstreitig würden getan haben!

Show 2 footnotes

  1. Nach der mündlichen Mitteilung Herrn Stadtrats Gronau zu Warschau erzählt
  2. Nachrichten über die zu Kleve gesammelten Altertümer und andere daselbst vorhandene Merkwürdigkeiten. Berlin bei F. Maurer 1795. Seite 20