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Der Teufel auf Reisen 50

Der-Teufel-auf-Reisen-Dritter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Dritter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Elftes Kapitel – Teil 1
Das verwechselte Bild

»Was fangen wir nun an?«, fragte der Doktor eines Tages den Teufel, als sich beide gegenübersaßen und in einem Anfall von Langeweile einander ziemlich prosaisch angähnten.

»Ja so«, antwortete dieser, »das sehe ich doch, wenn man hier auf Erden keine Sorgen und dabei immer gut zu Essen und zu Trinken hat, so kommt man unwillkürlich in Gefahr, ein Faulenzer und Tagedieb zu werden. Na, lassen Sie mich einmal in meinem Notizbuch nachsehen. Aha, jetzt habe ich’s schon! Da kenne ich einen verschlagenen, durchtriebenen, mit allen Hunden gehetzten Burschen, der imstande wäre, selbst mir ein X für ein U zu machen, wenn ich ihm nicht so genau auf die Finger sähe. Entschlüpfen kann er mir zwar nicht, denn er steckt schon zu tief in der Kreide, aber jetzt eben steht er im Begriff, eine neue Spitzbüberei auszuführen und wischt sich bereits wegen des fetten Bissens den Mund. Da ich den Kerl nun einmal nicht leiden mag, so wollen wir ihm den Appetit verderben und einen Querstrich durch seinen sauber angelegten Plan machen.«

»Ja, wie fangen wir das aber an?«

»Wie wir es bisher immer angefangen haben, indem wir nämlich teilweise die stillen Beobachter spielen, teilweise selbst eine Rolle übernehmen.«

»Gut. Und wann soll das Stück beginnen?«

»Das Vorspiel schon diesen Abend, halten Sie sich nur bereit.«

Schwalbe hatte dieses Gespräch beinahe schon vergessen, als sein Reisegefährte ihn wieder daran erinnerte.

»Kommen Sie«, sagte er, »es ist Zeit. Wir wollen uns nunmehr auf den Weg machen.«

»So spät?«, fragte dieser. »Es geht ja bereits stark auf neun.«

»Es gibt aber gewisse Dinge, die sich am Tage nicht gut abmachen lassen. Alle Diebe benutzen zum Beispiel die Nacht, um ihre Hand nach dem Eigentum anderer auszustrecken.«

»Es handelt sich also darum, einen Dieb zu belauschen?«

»Ja, aber diesmal ist es ein kleiner lustiger Geselle, welcher zwar schon manchen schweren Einbruch begangen hat, der sich aber trotzdem nicht abschrecken lässt, immer wieder von Neuem Unheil anzustiften. Er spielt bei euch Menschen eine wichtige Rolle und rechnet bei allen seinen losen Streichen auf seine Unentbehrlichkeit.«

»Aber wie soll ich denn das verstehen?«, bemerkte der Doktor. »Ein Dieb unentbehrlich? Erklären Sie mir doch den Sinn dieser Worte.«

Schwefelkorn lachte. »Nun, ich glaubte, das wäre Ihnen schon längst durch Ihre Phöbe erklärt worden, die jetzt dem blöden Schäfer Gottlieb Schnorpel so zusetzt. Kennen Sie denn den kleinen liebenswürdigen Knaben mit den goldenen Flügeln nicht, welchen die Alten zu einem Sohn des Zeus und der Aphrodite gemacht haben und dem sie den Namen Eros oder Amor gaben?«

Jetzt lachte auch Schwalbe. »Ja, ja«, rief er, »das ist ein loser Schelm, der häufig schon den ernsthaftesten Mann zum Narren gemacht hat. Es handelt sich also um ein Liebesabenteuer, dem wir beiwohnen wollen?«

»Wenigstens um ein Rendezvous, welches sich zwei bedrängte Herzen geben. Ich kann zwar solchen Tändeleien keinen großen Geschmack abgewinnen, aber bei dieser Gelegenheit lernen wir gleich die Hauptpersonen kennen, welche in dem kleinen Stück, dem wir beiwohnen wollen, mitspielen.«

»So lassen Sie uns aufbrechen.«

»Gemach, mein Lieber«, bemerkte der Baron, seinen Mantel hervorholend und sich diesen umhängend. »Dieses Mal müssen wir unsichtbar bleiben, wenn wir nicht das Pärchen verscheuchen wollen. Halten Sie sich nur fest an mich an – so ist es gut! Und nun kommen Sie, wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.«

Leisen Schrittes stiegen sie die Treppe hinunter und befanden sich bald auf der Straße. Die Nacht war ziemlich dunkel, und je mehr sie sich aus dem Zentrum der Stadt entfernten, desto weniger Menschen begegneten ihnen. Endlich gelangten sie in eine Vorstadt, in ein Quartier, das augenscheinlich nur von der ärmeren Volksklasse bewohnt war. In einen Seitenweg einbiegend kamen sie an einen geräumigen, mit hohen Bäumen besetzten Platz, die ihre breitästigen Arme zeltartig ausstreckten und das Dunkel noch vermehrten.

Unter dem Dach einer dieser alten Linden stand ein langer Mann und blickte unverwandt in eine Richtung hin. Er wollte offenbar sein schützendes Versteck nicht verlassen, um nicht gesehen zu werden. Bereits befanden sich Schwefelkorn und Schwalbe eine Weile dicht neben ihm, als sich eine weibliche Gestalt mit flüchtigen Schritten näherte und die Kapuze, welche ihr Gesicht fest verhüllte, zurückschlagend, dem ihrer offenbar Harrenden mit weicher Stimme einen guten Abend zuflüsterte und ihm gleichzeitig ihre Hand zärtlich entgegenstreckte.

Wie man erkennen konnte, war es eine schlanke Brünette im Alter von etwa achtzehn Jahren, mit feingeschnittenen Lippen, angehaucht von einem zarten, aber mit frischem Rot vermischten Teint und begabt mit ein paar dunklen seelenvollen Augen, deren Glanz aber augenblicklich durch einen Zug der Schwermut getrübt wurde.

»Ich komme nur auf einen Augenblick«, sagte sie, sich scheu umsehend, »ich werde von allen Seiten beobachtet. Der alte garstige Quirks schleicht mir wie ein Kobold auf Schritt und Tritt nach. Jetzt habe ich die Zeit benutzt, wo ich mir aus dem Laden neue Arbeit holte, um dir einen flüchtigen guten Abend zu sagen und dir mitzuteilen, wie unglücklich ich mich fühle.«

»Meine gute teure Rosa, harre nur mutig aus, es wird doch endlich einmal besser werden.«

»Nein, Otto, so sehr ich dich auch liebe, so ist meine Kraft doch gebrochen! Habe ich denn jemand, der mir beisteht? … Niemand, niemand! … Im Herzen meiner Mutter hat die Geldgier die Stimme der Natur erstickt. Mein Vater, – oh, dass ich es sagen muss! – ergibt sich immer stärker dem Trunk. Beide umstrickt der garstige Quirks, täglich mehr und mehr. Man dringt in mich mit Vorwürfen und Drohungen, seine Werbungen anzunehmen und doch, wenn ich einmal geopfert werden soll, so will ich dieses Opfer selbst vollbringen. Findet sich schließlich gar kein Ausweg, so stürze ich mich lieber ins Wasser, ehe ich mich diesem Menschen, vor dem ich Furcht und Ekel empfinde, überliefere.«

»So nimm doch nur deinen Mut zusammen«, bat Otto Werner. »Es wird sich ja wohl noch ein Rettungsweg finden lassen. Eben jetzt beginnen sich mir einige Aussichten zu eröffnen. Der Baurat Lauterbach, welchem die Ausführung der neuen Hauptkirche übertragen ist, hat mich gegen ein gutes Gehalt in sein Büro genommen. Er weiß, dass ich etwas gelernt habe, er besitzt ein teilnehmendes Herz. Wenn ich sein Vertrauen zu gewinnen verstehe und ihm unsere Not klage, dann wird er sich auch weiter meiner annehmen. In ein paar Jahren hoffe ich mich dann selbstständig als Baumeister etablieren zu können.«

Dem jungen Mädchen traten die Tränen in die Augen. »Ich habe den Mut, für unsere Liebe in den Tod zu gehen, aber ich besitze nicht die Kraft, diesen fortwährenden Quälereien noch lange Widerstand zu leisten. Oh, welche Schmach, mich an ein solches Ungeheuer zu verhandeln, um sich dadurch ein bequemes Leben zu verschaffen! … Nein, Otto, mein Mut ist gebrochen, aber ehe ich diesem grinsenden Kobold die Hand reiche, eher gebe ich mir den Tod!«

»Das sollst du nicht«, rief der junge Architekt Werner. »Bevor es so weit kommt, schieße ich das Ungetüm über den Haufen!«

»Damit du dann wegen Mordes verurteilt würdest! … Nein, das ist so ein schlechter Mensch nicht wert, dass ihn die irdische Gerechtigkeit noch rächt! Gott weiß, was er treibt, aber das Licht scheut er, und seine Handlungen sind ins Dunkel gehüllt.«

»Meine gute, liebe süße Rosa«, bat der junge Mann, »zeige dich nur noch eine Weile stark. Ich hoffe immer noch ein Mittel zu unserer Rettung zu finden. Und, schlägt alles fehl, lassen sich deine Eltern durch nichts erweichen, nun dann fliehen wir und gehen nach Amerika, um uns dort eine neue Heimat zu gründen. Aber die Beute eines solchen Kerls, wie der Quirks ist, sollst du nicht werden, das schwöre ich dir hoch und teuer!«

»Nun so will ich versuchen, mein Leid auch noch weiter entschlossen zu tragen. Oh, Otto, ich zeige mich mitunter recht kleinmütig, aber wenn man so verlassen ist, – ich bin ja am Ende doch nur ein schwaches Mädchen, die unter der Gewalt ihrer Eltern steht! …«

»Gewiss, meine gute Rosa, ich unterschätze nicht deine Lage, aber einigen Halt muss auch der Mensch in sich selbst finden und auch die Gewalt eines Vaters und einer Mutter hat ihre Grenzen.«

»Nun, habe nur mit mir Geduld, ich werde mich suchen, so tapfer wie möglich zu halten. Und jetzt lebe wohl. Ich hielt mich schon zu lange hier auf, man misstraut wir und Gott weiß, was ich wieder für ein scharfes Examen werde aushalten müssen.«

Unter einer innigen Umarmung trennten sich die Liebenden, das Mädchen lief rechts der Vorstadt zu, der Architekt bog links ab.

Schwefelkorn folgte der Ersteren unmittelbar mit seinem Begleiter.

»Eine bequeme Sache, so ein Mantel, nicht wahr?«, sagte er lachend. »Dinge bekommt man da zu sehen, von denen ihr Sterblichen euch nichts träumen lasst.«

»Aber wo begeben wir uns denn jetzt hin?«, fragte Schwalbe.

»Geduld! Haben Sie doch etwas auf sich Acht, Sie treten ja der armen kleinen Rosa beinahe auf die Hacken!«

Diese hatte bereits die ersten Häuser erreicht und beflügelte nun noch mehr ihre Schritte, als plötzlich eine Gestalt hinter einem Pfeiler hervorstürzte und sich an sie herandrängte.

Das ohnedem schon geängstigte Mädchen richtete scheu den Blick zur Seite und stieß unmittelbar darauf einen kurzen Ruf der Bestürzung aus.

»Gelt, vor dem Quirks ist niemand sicher?«, grinste der Kobold, denn ein solcher war in der Tat die Erscheinung, welche so plötzlich im Dunkel der Nacht auftauchte, – eine kleine gedrungene Gestalt mit einem tief in den schiefen Schultern steckenden Kopf, mit ein paar Augen, welche wie die eines Raubtieres leuchteten, mit einem Mund, der sich zu einem boshaften Grinsen fletschte und aus welchem in ekelhafter Weise zwei lange gelbe Zähne hervorragten.

Rosa war freilich erschrocken, aber der Abscheu vor dem Ungetüm gab ihr doch den Mut, sich ihm entschlossen gegenüberzustellen.

»Weshalb treten Sie mir in den Weg, was wollen Sie von mir?«, fragte sie.

»Was das Täubchen sich unschuldig stellt!«, entgegnete der Unhold lachend. »Oh, der Quirks hat die Augen eines Luchses und das Gehör eines Fuchses! … Stand ja keine zehn Schritte hinter Ihnen, als Sie meiner in so liebevoller Weise gedachten! … Ja, ja, so ein verliebtes Pärchen ist total blind – ‘s ist eine wunderbare Krankheit. Man kann es beschleichen, wie der Jäger den Auerhahn, wenn er am Balzen begriffen ist!«

Rosa ging stumm weiter, ihr Herz pochte laut, ihre Füße versagten ihr fast den Dienst.

»Na, ich bin nicht so schlimm, wie ich aussehe«, grinste Quirks von Neuem, »will auch gerade nicht behaupten, dass ich zu den Schönsten gehöre! Aber deswegen kann ich doch ein nettes niedliches Mädchen heimführen, die mir das Nest warmhalten soll. Hui, soll das eine lustige Ehe werden! Alle Tage Kuchen und Wein, schöne Kleider und goldenes Geschmeide und ein Schnäbeln und Küssen wie im Paradies!«

Rosa fand sich doch über diese unverschämten Äußerungen zu verletzt, als dass sich ihr jungfräuliches Gefühl nicht dadurch aufs Tiefste hätte empört fühlen sollen.

»Fort aus meinen Augen, Sie Scheusal!«, rief Sie, »lieber springe ich in den tiefsten Brunnen, ehe ich die Ihre werde!«

Das missgestaltete boshafte Ungetüm brach in ein höhnisches Gelächter aus. »Mit dem Springen hat es so seine Bewandtnis und am Ende – ja man müsste die Frauen nicht kennen, sie fügen sich schließlich in alles!«

»Aber ich gehöre nicht zu dieser Klasse. Und nun entfernen Sie sich, Sie Aufdringlicher, Ihr Anblick flößt mir Ekel ein.«

Abermals schoss Quirks einen seiner Giftblicke auf sein Opfer, aber heimtückisch lächelte er dabei und grinsend antwortete er: »Na, ich habe eine dicke Haut und kann schon etwas vertragen. Bin nicht so ein winselnder Bursche, der vor lauter Liebespein am liebsten gleich in Sirup aufgehen möchte. Und schweigen kann ich auch über das, was ich heute Abend gesehen und gehört habe, aber nichts umsonst – heimliche Naschereien muss man oft teuer bezahlen – also wie wär es mit einem Kuss, wenn ich diesmal großmütig die Augen zudrückte?«

Der boshafte, schiefgewachsene widerliche alte Geselle hatte sich dicht an Rosa herangedrängt und blickte ihr mit unverschämter Lüsternheit ins Gesicht.

»Bleiben Sie mir vom Leibe«, rief diese vor Zorn aufwallend, »ich habe durch Sie genug gelitten. Mag es nun kommen, wie es will, aber Ihre Zudringlichkeiten dulde ich auf keinen Fall länger!«

»Na, Sie sind aber doch mein Bräutchen und werden sich daher schon bequemen müssen, Frau Quirks zu werden«, höhnte der Kobold.

Dem armen Mädchen sank bei dieser Bemerkung wieder das bisschen Mut, mit welchem es sich bisher so künstlich bewaffnet hatte. Von Jugend auf an unbedingten Gehorsam gewöhnt, fühlte Rosa diesen Augenblick ihre ganze Hilflosigkeit, wenn sie an die Habgier und den Eigennutz ihrer hartherzigen Eltern dachte. Ein Abgrund öffnete sich vor ihren Blicken, aus dessen Tiefe der boshafte und widerliche Quirks sie höhnisch angrinste. Es war daher wohl kein Wunder, wenn sich die Augen des geängstigten Kindes mit Tränen füllten.

Sie änderte jetzt ihre Taktik. Bleich und erschöpft bat sie fast demütig den Unhold, sie nunmehr zu verlassen.

»Was würden die Leute denken«, sagte sie, »wenn dieselben mich noch zu so später Stunde mit Ihnen allein auf der Straße erblickten. Gehen Sie, ich bitte darum. Sie sehen ja, wie ich zittere.«

Quirks verzog seinen sinnlich geformten Mund zu einem begehrlichen Lächeln und grinste wie ein Faun, während die beiden gelben Zähne bis über die Unterlippe heraustraten.

»Mein Bräutchen«, schnarrte er mit seiner widerlichen halb heiseren Stimme, »mein holdes süßes Bräutchen, wie steht es mit dem Kuss?«

Ehe es sich Rosa versah, hatte sich der Arm des kleinen missgestalteten Ungetüms dreist um ihre Taille gelegt und er versuchte nun, das junge Mädchen an sich zu ziehen.

Dieses überlief es eiskalt. Ekel und Zorn über solche Frechheit gaben ihm wieder den bereits verlorenen Mut zurück. Mit einer Gebärde des heftigsten Unwillens riss es sich los, und während Quirks ein Schlag im Gesicht traf, wurde er gleichzeitig einen empfindlichen Fußtritt, den ihm Schwefelkorn beigebracht hatte, zu Boden geschleudert.

»Die gemeine Bestie ist es nicht besser wert«, murmelte dieser. »Das sind die Schattenseiten meines Berufs, dass ich mich mit solchen Schuften auch noch abgeben muss!«

Inzwischen hatte sich der Kobold erhoben und ballte racheglühend gegen die davoneilende Rosa die Faust.

»Warte nur«, grunzte er, »ich werde mich schon revanchieren, wenn du erst meine Frau bist! Und Frau Quirks wirst du werden, und mein Bett sollst du mit mir teilen, darauf kannst du dich verlassen! Ha, ha, wird es dann ein Küssen und ein Schnäbeln geben und zwicken will ich dich dann auch, dass du grün und blau wirst, du kleiner Teufelsbraten! Ha, ha, ja das will ich. Und wenn du dich dann vor mir krümmst und vor Schmerz windest, dann soll deine Qual meine Lust sein, du stolzes, hoffärtiges Ding!«