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Das Steppenross – Kapitel 9

Das-SteppenrossEduard Wagner
Das Steppenross
Eine Erzählung aus dem Jahr 1865 zu den Zeiten des amerikanisch-mexikanischen Krieges, nach dem Englischen des Kapitän Mayne Reid

Kapitel 9
El Zorro

Der Gegenstand, welcher unsere Befürchtung erregte, war eine große Flinte, welche wahrscheinlich El Zorro, der sogenannte Fuchs, mitgebracht hatte. Sie schien eine lange Muskete oder Elefantenflinte zu sein, wie sie die südafrikanischen Jäger gebrauchen. Wir bemerkten bald zu unserer Bestürzung, dass sie eine Unze Blei fast ebensoweit wie eine von unseren Büchsen trug. Dabei traf sie so genau, dass es wahrscheinlich wurde, El Zorro würde noch vor Sonnenuntergang unsere Pferde und vielleicht uns selbst niedergeschossen haben. Es musste noch eine halbe Stunde dauern, ehe die Dunkelheit uns in ihren freundlichen Schutz nehmen konnte, und er hatte schon seine Arbeit begonnen. Der erste Schuss war gefallen. Die Kugel traf dicht bei meinem Kopf den Felsen, dass nur die Kreidestücke um die Ohren flogen, und fiel dann platt gedrückt vor meinen Füßen nieder. Der Knall war lauter als der eines Karabiners. Als Rube die Wirkung des Schusses sah, ließ er sein gewöhnliches bedeutungsvolles Pfeifen und dann einen Ausruf hören, welcher anzeigte, dass der alte Trapper diese neue Waffe für nicht wenig schädlich ansah. Ebenso Garey. Seine Miene verriet, was wir alle drei dachten, dass uns diese Angriffswaffe wahrscheinlich in eine noch schwierigere Lage versetzen werde. El Zorro konnte uns nach Belieben niederschießen. Wir vermochten mit unseren Büchsen sein Feuer nicht zum Schweigen zu bringen. Die Gefahr zeigte sich bald. Der Räuber hatte seinen ersten Schuss aus freier Hand getan, denn wir sahen ihn die Büchse erheben. Ein Glück war es, dass er nicht mit einer Stütze gezielt hatte. Dieses Glück sollte uns indes nicht länger günstig sein. Wir sahen, dass Ijurra zwei Lanzen in die Erde steckte, sodass sie sich in gehöriger Höhe kreuzten und eine so bequeme Unterlage bildeten, wie sie sich nur ein Schütze wünschen konnte.

Als die Flinte geladen war, kniete El Zorro hinter der Lanze nieder, legte sein Gewehr in die Gabel und zielte wieder.

Ich war überzeugt, dass er nach mir oder meinem Pferd zielte. Dies würde mir schon die Richtung des schwarzen Rohres verkündet haben, wenn ich nicht noch gesehen hätte, dass Ijurra ihm wiederholte Anweisung gab. Ich war genügend geschützt und hatte nicht für mich zu fürchten, aber ich war für mein tapferes Pferd besorgt, das mich beschirmte.

Ich wartete mit pochendem Herzen. Ich sah den Blitz des abgebrannten Zündkrautes, die rote, aus der Mündung schießende Flamme und fühlte zu gleicher Zeit, dass die schwere Kugel das Pferd traf. Die Holzsplitter, die Bruchstücke des Sattels flogen mir um das Gesicht. Die Kugel war durch den Sattelknopf gegangen, mein edles Ross stand noch unverletzt da. Der Schuss war aber zu gut, als dass ich mich hätte freuen können.

Ich wurde ebenso ärgerlich wie Rube, als dieser durch einen ausdrucksvollen Ruf plötzlich meine Aufmerksamkeit von El Zorro und seiner Flinte ablenkte.

Rube stand zu meiner Rechten und ich sah ihn auf einen Gegenstand am Fuße des Felsens zeigen. Ich konnte nicht sehen, was er meinte, da mir sein Pferd im Wege stand. Im folgenden Augenblick bemerkte ich jedoch, wie er mir und Garey zuriet, nachzukommen, und den Felsen entlang eilte. Unverzüglich setzte ich mein Pferd in Bewegung, und auch Garey trabte so schnell wie möglich nach. Nach wenigen Schritten verstanden wir das Unternehmen unseres Gefährten. Etwa dreißig Schritte von dem Ort, wo wir zuerst gehalten hatten, lag ein großer Felsblock auf der Erde. Es war ein von Felsen herabgestürztes Bruchstück, das mehrere Fuß vom Grund entfernt lag. Sein Umfang und seine Lage gewährten hinlänglichen Raum für uns alle, sowohl zum Schutz der Menschen als auch der Pferde. Es war leicht erklärlich, dass wir es nicht früher bemerkt hatten, denn seine Farbe glich genau der des Felsens und ließ sich in einer Entfernung von dreißig Fuß nicht von Letzterem unterscheiden. Außerdem waren unsere Augen von Anfang an in einer anderen Richtung gelenkt gewesen.

Wir hielten uns daher nicht mit weiteren Betrachtungen auf, sondern eilten unter Freudengeschrei mit unseren Pferden hinter den Felsen. El Zorros Tätigkeit war zu Ende und wir sahen ihn und Ijurra zornig hin- und herlaufen.

Auf der ganzen Steppe hätten wir keinen passenderen Zufluchtsort finden können. Bei unseren Feinden erweckte unser plötzliches Verschwinden eine Art von Verwunderung, denn von ihnen aus konnte der Raum zwischen dem Felsen und der Wand nicht bemerkbar sein. Es mochte seltsam erscheinen, dass sie von diesem vorgeschobenen Felsblock nichts wussten und uns den Weg dahin freigelassen hatten, denn die Mehrzahl von ihnen waren Eingeborene dieser Gegend und mussten den Fels, der zu den Merkwürdigkeiten der Gegend gehörte, häufig besucht haben. Die Sache ließ sich dadurch erklären, dass diese Stelle ein beliebter Halteplatz für die Comanchen war, welche vielleicht durch den nahen Quell darauf gelenkt worden waren. Aus diesem Grund war der Fels seit Jahren ein gefährlicher Ort und wurde von Neugierigen wenig besucht. Keiner von den Helden, die wir vor uns sahen, mochte sich seit vielen Jahren so weit auf die Ebene hinausgewagt haben.

Unsere Flucht verlor jedoch bald in den Augen unserer Feinde ihren wunderbaren Charakter. Unsere Gesichter und die dunklen Läufe unserer Büchsen, welche sich am Rande des weißen Felsens zeigten, mussten sie die Lage der Dinge erkennen lassen. El Zorro feuerte noch eine Zeitlang seine große Flinte ab, aber die bleiernen Kugeln fielen, ohne eine Wirkung zu erzielen, zu unseren Füßen nieder. Als der Räuber endlich zu feuern aufhörte, ritt er mit einem anderen zur Niederlassung ab, wahrscheinlich um einen Auftrag auszurichten.

Die Belagerer konnten jetzt von einem einzelnen Mann beobachtet werden. Dies übernahm Garey und überließ Rube und mir, auf einen Fluchtplan zu sinnen.

Wollten wir uns einen Weg durch sie bahnen, so mussten wir immer mit der ganzen Bande Mann gegen Mann kämpfen. Nach kurzer Überlegung sahen wir jedoch einen anderen Ausweg. Wir konnten einen Fluchtversuch in der Dunkelheit machen. Gelang es uns, die ausgebreitete Linie der Feinde durch einen kühnen Angriff zu durchbrechen, so konnten wir leicht in der Verwirrung und unter dem Schutze der Nacht entkommen.

Als ich den Anführer der Mexikaner zuerst erkannte, wurde ich schon von einem unangenehmen Argwohn erfasst. Ich hatte seitdem nicht weiter darüber nachgedacht, da die Verteidigung alle meine Gedanken in Anspruch nahm. Jetzt kehrte der düstere Zweifel zurück. Wusste Isolina de Vargas, dass Ijurra der Anführer von Guerillas war? Sie sonnte kaum unbekannt damit sein, denn er war ihr Vetter und der Bewohner des nämlichen Hauses. Hatte sie ihn auf unsere Fährte geschickt? War die Jagd des wilden Rosses nur eine List, ein wohlüberlegter Plan, um mich von meinen Truppen zu trennen und dieselben auf diese Weise leichter zur Beute für die mexikanischen nicht regulären Truppen zu machen? Vielleicht waren meine wenigen Begleiter jetzt abgeschnitten, vielleicht war der Posten von einem überlegenen Feind angegriffen und genommen worden. Ich sollte nicht allein meine Ehre, sondern auch mein Leben verlieren. Ich, der Kapitän eines berühmten Trupps, hatte mich durch die List einer Frau verlocken lassen?

Andererseits hatte Ijurra in seinem bösen Charakter Grund genug, mir nach dem Leben zu trachten, denn ich hatte ihn schon von unserem ersten Zusammentreffen an beleidigt. Überdies stand dort das schöne Geschöpf, das weiße Ross, eingefangen vor meinen Augen. Ijurra konnte leicht ohne Isolinas Willen von dem Unternehmen benachrichtigt worden sein und den Ausgang von den zurückgekehrten Viehhütern erfahren haben. Er hatte Zeit genug gehabt, seine Bande zu sammeln und mich zu verfolgen. Isolina wusste vielleicht nicht einmal, dass er die irreguläre Truppe anführte. Seine Handlungen waren, wie ich gehört hatte, stets in das geheime Dunkel gehüllt. Er hatte die Hinterlist im Dienste Santa Annas gelernt. Isolina konnte daher mit allen seinen Handlungen unbekannt sein.

Während ich diese Betrachtungen anstellte, lehnte ich mich mit dem Rücken gegen das Felsstück und mit dem Gesicht gegen die Wand. Vor mir befand sich in der Klippe ein Spalt, der sich wie eine Rinne nach oben zog und gegen den Gipfel tiefer wurde. Es war eine flache Schlucht, augenscheinlich im Laufe langer Jahre gebildet von dem Regen, der von der glatten Oberfläche des Hügels herabgeflossen war. Der Fels fiel auf allen Seiten senkrecht ab, aber diese Schlucht zeigte nur eine, wenn auch bedeutende Steigung, sodass ich sogleich darauf dachte, die Wand könnte vielleicht an dieser Stelle zu erklettern sein. Ich untersuchte nun den Felsen von unten nach oben genauer und gelangte allmählich zu der festen Überzeugung, dass sich der Gipfel von einem geschickten Kletterer ohne große Schwierigkeit erreichen ließe. Es befanden sich an dem Felsen Vorsprünge, welche dem Fuß als Halt dienen konnten. Hin und wieder hingen aus diesen Spalten kleine Büsche der kriechenden Zedern hervor, womit sich der Hinaufsteigende helfen konnte.

Dabei fiel mir auch auf, dass die Oberfläche des Felsens an verschiedenen Stellen abgeschlurft war. Es waren ganz frische Zeichen, die offenbar nicht von dem Einfluss der Elemente herrührten. Nachdem ich sie genauer besichtigt hatte, erhielt ich die Überzeugung, es seien Spuren von einem menschlichen Fuß, von dick besohlten Schuhen herrührend. Der Felsen musste offenbar schon erklettert worden sein.

Ehe ich die Entdeckung meinen Begleitern mitteilte, wollte ich mich doch überzeugen, ob derjenige, der diesen kühnen Versuch gemacht, wirklich den Gipfel erreicht hatte. Bei der Dämmerung konnte ich das obere Ende der Schlucht nur undeutlich erkennen, glaubte aber dennoch, dass der Versuch gelungen sei.

Es regten sich in mir unklare Erinnerungen, die aber immer deutlicher wurden, sodass ich mir die Frage beantworten konnte, welcher kühne Bursche diesen Versuch gewagt habe und in welcher Absicht dies geschehen sei. Ich kannte den Mann, welcher diesen Felsen erklettert hatte, und wunderte mich jetzt, dass ich nicht schon früher an ihn gedacht hatte.

Unter den vielen seltenen Charakteren des bunten Trupps, dessen Anführer ich war, war ein Mann mit Namen Elijah Quackenboß einer der seltsamsten. Er war halb Nordamerikaner und halb Deutscher und stammte aus einem Gebirgsort in Pennsylvania. Er war in seiner Heimat Schullehrer gewesen und hatte einige Büchergelehrsamkeit erworben. Für mich wurde er dadurch interessant, dass er Pflanzenkunde trieb. Er besaß eine ziemlich schätzenswerte Bekanntschaft mit der Flora des Landes, und dies war um so überraschender, da die Neigung für dieses Studium unter den Amerikanern selten ist.

Seltsamer als seine geistige Befähigung war seine körperliche Beschaffenheit. Seine Gestalt war groß, aber gebogen und ungeschickt. Seine Arme und seine Beine waren in ungleichen Verhältnissen und sahen aus, als ob sie nur zufällig zusammengetroffen seien. Ebenso stand es mit seinen Augen, die niemals in dieselbe Richtung sahen. Mittels des rechten konnte Elijah Quackenboß jedoch mit der Büchse zielen und einen Nagel auf eine Entfernung von hundert Schritten treffen. Wegen seiner eigentümlichen Gewohnheit hielten ihn seine Kameraden für etwas verrückt, umso mehr, als ihnen seine Beschäftigung mit botanischen Forschungen einfältig vorkam. Da er jedoch das Schwarze zu treffen wusste und sich als ein tapferer Bursche zeigte, so verschonten sie ihn mit ihrem Spott.

Ich habe nie einen eifrigeren Botaniker gesehen als Quackenboß. Er ließ sich durch keine Anstrengung von seiner Beschäftigung abhalten. Gleichviel, ob er durch den Dienst ermüdet war ober nicht, er machte sich in der freien Zeit zur Aufsuchung seltener Pflanzen auf, wanderte weit vom Lager weg und geriet nicht selten in eine gefährliche Lage. Seit seiner Ankunft auf texanischem Boden hatte er sich dem Studium der merkwürdigen Kaktusgewächse gewidmet, und jetzt in Mexiko, wo diese heimisch sind, war er ordentlich toll nach diesen Pflanzen geworden. Jeden Tag seiner Nachforschungen fand er eine neue Form der Kaktusgeschlechter. Die Ähnlichkeit unserer Neigung führte uns oft in Unterhaltung, und ich erinnerte mich, dass er mir gesagt hatte, er habe vor wenigen Tagen eine neue, merkwürdige Art auf einem Hügel der Prärie entdeckt. Dabei setzte er hinzu, er sei auf diesen Hügel geklettert und hätte die Pflanzen auf dem Gipfel desselben und sonst nirgends in der Umgegend bemerkt. Der Hügel war unser Fels. War Elijah Quackenboß hinaufgestiegen? Wenn dieser es imstande gewesen war, warum sollten wir dann nicht die Höhe erklettern können?

Ohne erst zu überlegen, welche Vorteile uns aus diesem Verfahren erwachsen könnten, teilte ich meine Entdeckung den Kameraden mit, und beide schienen darüber entzückt. Garey glaubte leicht, den Weg hinaufkommen zu können, auch Rube meinte, seine Knochen seien dazu noch nicht zu steif, denn er habe erst vor einigen Monaten einen viel schlimmeren Felsen erklettert.

Nach wenigen Augenblicken zeigten sich jedoch meine Gefährten enttäuscht. Weswegen sollten wir hinaufsteigen, wenn wir nicht auf der anderen Seite hinunterkommen könnten? Freilich wären wir auf dem Gipfel vor einem Angriff des Trupps sicher gewesen, aber nicht vor einem schlimmeren Feind, dem Durst, den wir jetzt fürchteten. Wir konnten auf dem Gipfel des Felsens kein Wasser finden. Wir würden dadurch unsere Lage nicht verbessert, sondern nur verschlimmert haben. Dieses meinte Garey. An unserem jetzigen Aufenthaltsort hatten wir für den Fall der Not ein überflüssiges Pferd zu verzehren, und die anderen konnten uns bei unserer Flucht behilflich sein. Erkletterten wir den Felsen, so mussten wir die Tiere zurücklassen. Der Gipfel war zwar noch so hoch, dass wir sie durch unsere Büchsen gegen den Feind hätten schützen können, aber sie mussten mit der Zeit vor Hunger und Durst umkommen.

Der plötzlich in uns erwachte Hoffnungsschimmer erlosch also ebenso schnell. Es nutzte uns nichts, den Felsen zu erklettern. Wir befanden uns an unserem jetzigen Ort wohler und konnten diesen solange behaupten, wie der Durst es gestattete. Eine unüberwindliche Festung hätte doch nicht bessere Dienste geleistet.

Garey und ich, wir waren gleichzeitig zu dem Entschluss gekommen. Rube sprach sich anfänglich nicht aus. Er stand mit den Händen auf der langen Büchse, den Kolben auf die Erde gestützt, ruhig da, während er aufmerksam in den Lauf des Gewehres zu blicken schien. Auf diese Art pflegte er eine schwierige Frage zu lösen, und wir, die wir diese Eigentümlichkeit des alten Trappers kannten, blieben stumm und überließen seinem Instinkt, wie er es nannte, sich zu entwickeln.