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Felsenherz der Trapper – Teil 10.1

Felsenherz-der-Trapper-Band-10Felsenherz der Trapper
Selbsterlebtes aus den Indianergebieten erzählt von Kapitän William Käbler
Erstveröffentlichung im Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1922
Band 10
Das Geheimnis des Gambusinos
Erstes Kapitel

Das Flachboot auf dem Pecos

Dort, wo der Rio Pecos sich durch die Ostausläufer der Guadalupe-Berge windet und dichter Urwald seine felsigen Ufer umgibt, lagerten in einer schmalen Schlucht in einer dunklen, stürmischen Sommernacht am Westufer des Pecos zwei Männer, ein Weißer und ein schlanker, kräftiger Indianer, in dessen Haarschopf ein paar Adlerfedern befestigt waren.

Im Hintergrund der Schlucht standen drei Pferde und knabberten das Laub von den Büschen ab. Der Schein des kleinen Feuers, an dem die beiden Männer saßen, reichte gerade hin, zu erkennen, dass das eine der Tiere ein prachtvoller Rappe, das andere ein starkknochiger und gut gebauter Brauner und das Dritte ein Fuchs war.

Der Weiße, der die übliche Tracht der Westläufer trug, sagte leise zu dem schweigsamen Gefährten: »Felsenherz bleibt recht lange aus, Häuptling. Hoffentlich ist ihm nichts zugestoßen.«

Der Indianer machte nur eine beruhigende Handbewegung und gab weiter auf die Hirschkeule acht, die am Spieß über der Glut langsam gar briet.

Der andere, von gedrungenem, breitschultrigem Wuchs, stopfte sich die kurze Holzpfeife aufs Neue und setzte den Tabak mit einem glimmenden Aststück in Brand. Sein bärtiges, mageres Gesicht mit den von buschigen Brauen beschatteten, lebhaften Augen hätte recht sympathisch gewirkt, wenn es nicht in dem Gesamteindruck etwas wie Grausamkeit und unbeugsame Härte verraten hätte.

Dieser Mann, ein geborener Mexikaner, war im Wilden Westen überall als Sancho, der Indsmenfresser, bekannt und bei den Rothäuten, insbesondere den Apachen, als unerbittlicher Feind überaus verhasst. Er mochte an die fünfundvierzig Jahre alt sein. Bis vor fünf Jahren hatte er als Gambusino, als Goldsucher, die Einöden der Sonora und Neumexikos durchstreift, war dann aber nach einem neuen harten Strauß mit den Apachen, der ihn seinen Skalp und fast das Leben kostete, ein friedlicher Vaquero auf einer in Westtexas gelegenen Hazienda geworden, wo er vor drei Wochen mit den beiden berühmtesten Westmännern, dem Trapper Felsenherz und dem Comanchenhäuptling Schwarzer Panther eine Begegnung hatte, die die beiden Letzteren veranlasste, Sancho hinauf zu den Guadalupe-Bergen, also in das Jagdgebiet der Apachen, zu begleiten.

Am Abend nun hatten die drei, als sie bei anbrechender Dunkelheit von Osten kommend über den Rio Pecos gesetzt waren, auf dem Fluss weiter nördlich ein an einer Felseninsel verankertes Flachboot bemerkt, dessen Deck von Apachen geradezu gewimmelt hatte. Nachdem sie dann hier in dieser unzugänglichen Schlucht ihr Lager bezogen hatten, war Felsenherz abermals zum Pecos aufgebrochen, um festzustellen, was es mit dem Flachboot auf sich habe. Dieses konnte ja nur einem Händler gehören, der bei den Apachen Pulver, Blei und Flinten gegen Felle und Goldkörner eintauschen wollte.

Felsenherz war nun bereits drei Stunden abwesend, sodass Sanchos Sorge um dessen Sicherheit wohl berechtigt schien.

Und doch hatte sein langes Fernbleiben einen ganz anderen Grund.

Der blonde Trapper, ein geborener Deutscher, war am Rande des Uferwaldes entlanggeschlichen und hatte sich dann, als er sich auf einer Höhe mit dem Inselchen und dem Flachboot befand, hinter ein paar Felsblöcken zusammengeduckt, da auf dem Deck des plumpen Fahrzeugs ein hellloderndes Feuer brannte und die Klänge eines Schifferklaviers, einer Ziehharmonika, von dorther herüberschallten.

Denjenigen, der dort auf dem Flachboot, umgeben von einem dichten Kreis von Apachen, seltsamerweise deutsche Volkslieder spielte, konnte der heimliche Lauscher nicht sehen. Die Musik hier in der Wildnis, deren Klänge der scharfe Oststurm bald lauter, bald leiser dem Trapper über die etwa achtzig Meter weite Strecke vom Boot zum Ufer zutrug, rief in des blonden Mannes Brust notwendig allerlei Jugenderinnerungen an die deutsche Heimat hervor.

Volkslieder! Wer mochte wohl der Harmonikakünstler sein, der mit seinen Weisen selbst die blut- und beutegierigen Apachen, dieses wildeste Reitervolk der Indianergebiete Nordamerikas, in Bann hielt?

Felsenherz’ Neugier steigerte sich immer mehr. Er wollte unbedingt erfahren, ob der Flachbootmann -denn nur der konnte der Künstler sein – etwa wirklich ebenfalls ein Deutscher sei. So harrte er denn geduldig auf den Abzug der Apachen, deren Zahl vielleicht zwanzig betrug.

Endlich schickten sich diese an, das Boot zu verlassen, bestiegen ein Floß aus Baumstämmen und landeten vielleicht sechzig Meter weiter flussabwärts am selben Ufer.

Der blonde Trapper folgte ihnen. Er musste sehen, wohin sie sich wandten.

Die Rothäute benahmen sich ganz so, als rechneten sie auch nicht im Entferntesten mit der Nähe irgendeines Menschen, der in ihrem Gebiet nichts zu suchen hatte.

Im Gänsemarsch durchschritten sie ein sanft ansteigendes Tal, passierten eine kleine Hochebene und vereinten sich an einem Waldrand mit zehn anderen Apachen, die an zwei Feuern gelagert und die Pferde ihrer Stammesgenossen mit bewacht hatten.

Felsenherz konnte sich ohne Mühe ganz dicht heranschleichen und vernahm so einen Teil der lebhaften Unterhaltung zwischen den soeben Zurückgekehrten und dem Anführer der Abteilung, den die Krieger mit Wathama (Nachtfalke) anredeten.

Das, was der Trapper hörte, bestärkte ihn noch in seinem Entschluss, dem Flachboot sofort einen Besuch abzustatten.

Nach einer halben Stunde hatte er das Westufer des Rio Pecos wieder erreicht und verband nun zwei angetriebene Baumstämme mit Schlingpflanzen, stellte so ein einfaches Floß her, das ihn dann, durch einen starken Baumast gelenkt, mit der Strömung abwärts auf die kleine Felseninsel zuführte, wo er ohne Schwierigkeiten landete.

Das Flachboot lag auf der anderen, der Südseite des bewaldeten Inselchens. Als der Trapper die Stelle erreicht hatte, wo ein breites Brett die Verbindung zwischen der Insel und dem vertäuten Fahrzeug bildete, war auf dem Deck des vier Meter breiten und zehn Meter langen Bootes weder ein Mensch noch sonst ein Lebewesen zu bemerken. Auch das Feuer, das in der Mitte neben dem kurzen Mast gebrannt hatte, war längst erloschen. Felsenherz sah nur noch die flachen Steine, die den Feuerbränden als Unterlage gedient hatten.

Vorsichtig glitt er nun über das Brett auf das Boot, blieb dann lauschend stehen und unterschied auch zwei Männerstimmen, die unter Deck nicht allzu leise ein Gespräch führten.

Das Rauschen der Bäume und das Plätschern des Wassers verhinderten jedoch, dass er etwas von dieser Unterhaltung verstand.

Das Deck des schwerfälligen Fahrzeuges war bis auf eine große Luke hinter dem Mast völlig glatt. Diese

Luke, durch einen Holzdeckel verschlossen, bildete offenbar den einzigen Zugang zum Innern des Bootes.

Felsenherz wollte gerade mit dem Fuß aufstampfen und sich so bemerkbar machen, als das Gespräch mit einem Mal verstummte. Dann schien es dem Trapper, als ob irgendwo im Innern die Angeln einer Tür leise quietschten.

Er stand nun mit dem Rücken zum Vorderteil des Bootes hin, hatte die lange Büchse lose in der linken

Hand und hob schon den rechten Fuß, um kräftig auf die Deckplanken zu stampfen, als ihm die Doppelbüchse mit jähem Ruck von hinten entrissen wurde.

Gleichzeitig rief jemand mit einer hohen Fistelstimme: »Bleibt stehen, Fremder! Oder, so wahr ich Gottlieb Bulle heiße, ich brenne Euch ein Stück Blei auf Euren Jagdrock!« Der Angreifer hatte englisch gesprochen. Aber man hörte doch heraus, dass er kein Engländer oder Amerikaner war, worauf ja auch schon der poetische Name Gottlieb Bulle hindeutete.

Felsenherz drehte sich gelassen um.

Vor ein paar Minuten war der Mond hinter den dichten Wolkenmassen hervorgetreten. So konnte der Trapper denn diesen verwachsenen, hakennasigen Zwerg, der ihm die Büchse so keck weggenommen hatte, recht deutlich erkennen.

Felsenherz sagte freundlich: »Wenn ich mich nicht irre, seid Ihr ein Landsmann von mir, ein Deutscher?«

Diese in Felsenherz’ Muttersprache gestellte Frage übte jedoch auf den Kleinen, der in einem Frack mit bis auf die Fersen reichenden Schößen steckte, nur die Wirkung aus, dass er noch einen Schritt zurücktrat und des Trappers Büchse schnell spannte.

»Schert Euch zum Teufel«, rief er grob. »Ich mag mit keinem Fremden etwas zu tun haben! Sobald Ihr mein Boot verlassen habt, werde ich Euch die Büchse wiedergeben. Früher nicht!«

»Landsmann«, meinte der blonde Jäger ernst, »ich weiß nicht, wofür Ihr mich haltet. Ich bin kein weißer Desperado. Man nennt mich allgemein Felsenherz, der Trapper. Mein richtiger Name lautet Harry Felsen.«

»Ach was!«, polterte der kleine Bucklige. »Felsenherz hin. Felsenherz her. Ich liebe keine Gesellschaft. Ich fühle mich so allein auf meinem Boot sehr wohl. Da, nehmt Eure Büchse zurück. Gute Nacht!«

»Noch einen Augenblick«, sagte der Westmann ruhig. »Zunächst seid Ihr gar nicht allein. Ich hörte Euch doch mit jemand sprechen. Und …«

»He … he … sprechen!«, kicherte Gottlieb Bullen. »Ja … mit meinem Bruder Innerlich!«

»Mag sein. Ich will Euch zweitens nur vor den Apachen warnen, die vorhin hier mit Euch Geschäfte gemacht haben. Ihr kennt die Hinterlist der roten Bande offenbar noch nicht. Ich bin ihnen nachgeschlichen. Sie wollen Euch kurz vor Sonnenaufgang ermorden, um in Besitz Eurer Waren zu gelangen. Ihr Anführer, der Unterhäuptling Wathama oder Nachtfalke, der nicht mit an Bord hier war, hat den feinen Plan ausgeheckt.«

Der Zwerg meckerte höhnisch. »Mich ermorden … he, he … mich? Na, da kann der ganze Apachenstamm meinetwegen sich hierher auf die Strümpfe machen! Werden den Gottlieb Bulle umsonst suchen! Also gute Nacht, Herr Felsenherz! War mir eine Ehre!«

Der Trapper verließ daraufhin wortlos das Flachboot und schritt der Nordspitze des Inselchens wieder zu, bestieg sein Baumfloß und landete gleich darauf am Westufer, stieß das Floß in die Strömung zurück und verbarg sich abermals der Insel gegenüber hinter den Steinblöcken.

Da der Mond in kurzen Zwischenräumen immer wieder von den dahinjagenden Wolken enthüllt wurde, konnte der Trapper beobachten, wie der Zwerg auf dem Flachboot ein Segel hisste, das Boot von der Insel losmachte und dann langsam stromaufwärts fuhr.

Felsenherz konnte am Ufer bequem mit dem Flachboot Schritt halten. Nach einer Stunde etwa glitt das Fahrzeug in einen seeartigen Nebenarm des Pecos hinein und wurde hier hinter überhängenden Baumästen im Schilfrohr an der Ostseite von dem Zwerg vertäut.

Der Trapper begab sich zu der Schlucht zurück, wo seine Gefährten lagerten.