Die Skalpjäger – Eine schlimme Lage
Thomas Mayne Reid
Die Skalpjäger
Erster Teil
Fünftes Kapitel
Eine schlimme Lage
Einige Tage darauf stieß mir ein zweites Abenteuer zu und ich begann zu denken, dass ich zu einem Helden unter den Gebirgsmännern bestimmt sei.
Eine kleine Abteilung von den Kaufleuten, worunter auch ich mich befand, war der Karawane vorausgezogen. Es war unsere Absicht, ein paar Tage vor den Wagen in Santa Fe anzukommen, um mit dem Gouverneur alles zu ihrem Einzug in die Provinz vorzubereiten. Wir schlugen den Weg über den Cimarron ein.
Unsere Reise führte etwa hundert Meilen durch eine öde Wüste, ohne Wild und fast ohne Wasser. Die Büffel waren bereits verschwunden und die Hirsche ebenso selten. Wir mussten uns mit dem gedörrten Fleisch begnügen, welches wir aus den Ansiedlungen mitgebracht hatten. Wir befanden uns in der Beifußwüste. Dann und wann konnten wir eine einzelne Antilope vor uns aufspringen sehen, aber sie hielten sich stets fern, außer Schussweite. Auch sie schienen ungewöhnlich scheu zu sein.
Als wir am dritten Tag, nachdem wir die Karawane verlassen hatten, in der Nähe des Cimarron hin ritten, glaubte ich, den gehörnten Kopf hinter einer Anschwellung der Prärie verschwinden zu sehen. Meine Gefährten waren zweiflerisch und wollten nicht mit mir gehen, weshalb ich allein vom Weg abschwenkte und aufbrach. Einer von den Zurückgebliebenen – denn Godé war bei der Karawane – nahm meinen Hund an sich, da ich ihn nicht mitnehmen wollte, um die Antilopen nicht aufzuscheuchen. Mein Pferd war frisch und gutwillig, und ich wusste, dass ich, mochte ich auch unglücklich auf der Jagd sein oder nicht, die Gesellschaft bis zur Lagerzeit leicht einholen konnte.
Ich steuerte direkt auf die Stelle zu, wo ich den Gegenstand gesehen hatte, und sie schien nur etwa eine halbe Meile vom Weg entfernt zu sein. Sie war aber weiter, was in der kristallenen Atmosphäre jener hochliegenden Gegend eine gewöhnliche Augentäuschung ist.
Der seltsam geformte Hügelrücken – ein couteau des prairies im Kleinen – zog von Osten nach Westen, quer durch die Ebene. Ein Teil seiner Höhe war mit einem Kaktusdickicht bedeckt. Auf dieses Dickicht ritt ich zu.
Ich stieg am Fuß der Anhöhe ab, führte mein Pferd lautlos unter die Kaktuspflanzen hinauf und band es an einen von den Zweigen. Hierauf schlich ich vorsichtig durch die dornigen Blätter auf die Stelle zu, wo ich das Wild gesehen zu haben glaubte.
Zu meiner Freude war es nicht bloß eine Antilope, sondern ein Paar von diesen schönen Tieren ästen ruhig, aber leider zu weit entfernt, um von meiner Büchse erreicht zu werden. Sie waren volle dreihundert Schritte von mir auf einem glatten, begrünten Abhang. Ich hatte nicht einmal einen Salbeibusch zur Deckung, wenn ich versuchen sollte, mich ihnen zu nähern. Was war zu tun?
Ich lag mehrere Minuten da und dachte über die verschiedenen Kunstgriffe nach, welche die Jäger zum Fangen der Antilope kennen. Sollte ich ihren Ruf nachahmen? Sollte ich mein Taschentuch schwenken und sie heranzulocken versuchen?
Ich sah, dass sie dafür zu scheu waren, denn sie warfen in kurzen Zwischenräumen ihre graziösen Köpfe auf und sahen sich forschend um. Ich erinnerte mich an die rote Decke auf meinem Sattel. Ich konnte diese auf die Kaktusbüsche hängen – vielleicht lockte sie diese an.
Ich hatte keine Alternative und wendete mich, um die Decke zu holen, als plötzlich mein Auge auf einer lehmfarbenen Linie ruhen blieb, die jenseits der Stelle, wo die Tiere ästen, quer über die Prärie lief. Es war eine Unterbrechung der Oberfläche der Ebene, ein Büffelweg – oder das Bett eines Arroyo – und in beiden Fällen gerade die Bedeckung, welche ich brauchte – denn die Tiere waren keine hundert Schritte davon entfernt und kamen ihr immer noch näher. Ich schlich aus dem Dickicht zurück und lief an dem Abhang bis zu einem Punkt, wo ich bemerkt hatte, dass der Hügelrücken bis zu dem Niveau herabgesunken war. Hier sah ich mich zu meiner Überraschung am Ufer eines breiten Arroyo, dessen klares, seichtes Wasser langsam über ein Bett aus Sand und Kalk lief.
Die Ufer waren niedrig – nicht mehr als drei Fuß über der Wasserfläche, außer an der Stelle, wo der Hügelrücken an den Bach stieß. Hier befand sich ein ziemlich hoher Uferrand, um dessen Fuß ich eilte, in das Bett hinabstieg, und aufwärts zu waten begann.
Wie ich erwartet hatte, kam ich bald an eine Krümmung, wo der Bach, nachdem er mit dem Hügelrücken parallel gelaufen war, abbog und eine Schlucht durch ihn gerissen hatte. Hier blieb ich stehen und blickte vorsichtig über das Ufer. Die Antilopen hatten sich dem Arroyo bis auf weniger als Büchsenschussweite genähert, waren aber noch weit über dem Punkt, wo ich mich befand.
Sie ästen fortwährend in aller Ruhe und ahnten keine Gefahr. Ich bückte mich von Neuem und wandelte weiter.
Es war eine schwierige Aufgabe, auf diese Weise vorwärtszugehen. Das Bett des Baches war weich und nachgiebig und ich musste langsam und leise auftreten, um das Wild nicht zu verscheuchen. Aber meine Anstrengungen wurden durch die Aussicht auf frisches Wildbret zum Abendessen angefeuert.
Nach einem langweiligen Waten von mehreren Hundert Schritten lang, kam ich einem kleinen Gebüsch aus Wermutpflanzen, die am Ufer wuchsen, gegenüber an.
Jetzt werde ich wohl hoch genug sein, dachte ich, und dies kann mir zur Deckung dienen.
Ich erhob meinen Körper allmählich, bis ich durch die Blätter sehen konnte. Ich befand mich an der rechten Stelle.
Ich legte meine Büchse an die Schulter, zielte auf das Herz des Bockes und feuerte. Das Tier sprang vom Boden auf und fiel leblos zurück.
Ich war im Begriff, mich darauf zu stürzen und mich meiner Beute zu versichern, als ich bemerkte, dass die Kuh, statt davonzulaufen, wie ich erwartet hatte, zu ihrem gestürzten Männchen heranging und ihre spitze Nase an seinen Körper drückte. Sie war nicht mehr als zwanzig Schritte von mir entfernt und ich konnte deutlich sehen, dass ihr Blick ein fragender und verwirrender war. Plötzlich schien sie die traurige Wahrheit zu begreifen. Sie warf den Kopf auf und begann das kläglichste Geschrei auszustoßen, indem sie im Kreis um den Körper lief.
Ich stand schwankend da. Mein erster Impuls war der gewesen, wieder zu laden und die Kuh zu töten, aber ihre klagende Stimme drang mir ins Herz und vertrieb alle feindseligen Absichten.
Wenn ich mir hätte träumen lassen, dass ich dieses schmerzliche Schauspiel erblicken sollte, so würde ich den Weg nicht verlassen haben.
Das Unheil war aber geschehen.
Ich habe etwas Schlimmeres getan, als sie getötet, dachte ich. Es wird am besten sein, sie sofort niederzustrecken.
Von diesen Gründen der für sie verderblichen Menschlichkeit bewogen, setzte ich den Kolben meiner Büchse auf und lud. Mit bebender Hand erhob ich die Waffe von Neuem und feuerte. Meine Nerven waren fest genug, um das Werk zu verrichten.
Als sich der Rauch verzog, konnte ich das kleine Geschöpf, blutend auf dem Gras, mit an dem Körper seines ermordeten Männchens ruhendem Kopfe liegen sehen.
Ich nahm meine Büchse auf die Schulter und wollte auf sie zugehen, als ich zu meinem Erstaunen fand, dass ich an den Füßen festgehalten wurde.
Es war, als ob meine Beine in einen Schraubstock gespannt wären.
Ich machte einen Versuch, um mich zu befreien, einen zweiten, noch heftigeren und ebenso erfolglos, und beim dritten verlor ich das Gleichgewicht und fiel rückwärts in das Wasser.
Halb erstickt erlangte ich meine aufrechte Stellung wieder, aber nur, um zu finden, dass ich noch ebenso festgehalten wurde wie vorher.
Abermals rang ich, um meine Beine zu befreien. Ich konnte sie weder rückwärts noch vorwärts, weder zur Rechten noch zur Linken bewegen, und bemerkte, dass ich allmählich hinabging, und erst jetzt wurde mir die furchtbare Wahrheit klar – ich versank im Treibsand.
Ich wurde von einem Gefühl des Entsetzens ergriffen. Ich erneuerte meine Anstrengungen mit der Energie der Verzweiflung, ich lehnte mich auf die eine Seite und dann auf die andere, dass ich beinahe meine Knie aus den Gelenken riss – meine Knie blieben aber fest – ich konnte sie keinen Zollbreit bewegen.
Der weiche Sand stand bereits über meinen pferdeledernen Stiefeln und zwängte sie um meine Knöchel ein, sodass ich sie nicht auszuziehen vermochte. Ich konnte fühlen, dass ich immer noch langsam, aber sicher sank, als ob ein unterirdisches Ungeheuer mich gemächlich hinabziehe.
Dieser Gedanke erfüllte mich mit neuem Entsetzen und ich rief laut nach Hilfe.
Von wem sollte ich sie erwarten? Mehrere Meilen von mir war kein Mensch – kein lebendes Wesen – ja, das Wiehern meines Pferdes antwortete mir vom Hügel und spottete meiner Verzweiflung. Ich beugte mich vorwärts, so gut es meine gezwungene Lage gestattete, und begann rasend den Sand aufzureißen. Ich vermochte kaum die Oberfläche zu erreichen und die kleine Höhlung, welche ich machte, füllte sich fast ebenso schnell wieder auf.
Plötzlich fiel mir etwas ein. Meine Büchse konnte mich, wenn ich sie horizontal legte, stützen. Ich sah mich nach ihr um – sie war nirgends zu gewahren. Sie war bereits in den Sand gesunken.
Konnte ich meinen Körper flach niederwerfen und mich am Tiefersinken verhindern? Nein, das Wasser war zwei Fuß tief, ich würde sofort ertrunken sein.
Diese letzte Hoffnung verließ mich fast ebenso schnell, als ich sie gefasst hatte. Ich konnte mich auf keinen Plan zu meiner Rettung besinnen, ich konnte keinen weiteren Versuch machen. Eine seltsame Betäubung bemächtigte sich meiner, selbst meine Gedanken wurden gelähmt. Ich wusste, dass ich wahnsinnig wurde – für den Augenblick war ich wahnsinnig.
Nach einiger Zeit kehrte meine Besinnung zurück. Ich machte einen Versuch, meinen Geist von seiner Lähmung zu befreien, um dem Tod, den ich jetzt für gewiss hielt, entgegenzutreten, wie es einem Mann geziemt.
Ich stand aufrecht, meine Augen waren bis auf das Niveau der Prärie gesunken und ruhten auf den noch blutenden Opfern meiner Grausamkeit. Mein Herz tadelte mich. Beim Anblick erlitt ich eine Vergeltung Gottes.
Mit gedemütigten und reuigen Gedanken wendete ich mein Gesicht zum Himmel und fürchtete beinahe, dass ein Zeichen des Zorns des Allmächtigen von dort auf mich herabschauen werde. Aber nein, die Sonne schien noch eben so heiter wie sonst und die blaue Decke der Welt war wolkenlos.
Ich blickte aufwärts und betete mit einer Innigkeit, welche nur den Herzen von Männern, die sich in Lagen der Gefahr wie die meine befanden, bekannt ist.
Während ich aufblickte, erregte ein anderer Gegenstand meine Aufmerksamkeit.
Am Himmel unterschied ich die Umrisse eines großen dunklen Vogels. Ich wusste, dass er der Abdecker der Ebene, der Aasgeier, war. Woher war er gekommen? Wer weiß es. Weit jenseits des Bereichs des menschlichen Auges hatte er die getöteten Antilopen gesehen oder gespürt und senkte sich nun auf den breiten stummen Schwingen zum Schmaus der Getöteten herab.
Kurze Zeit später erschienen ein Zweiter und ein Dritter und noch viele andere an dem blauen Himmelsfeld und sie schwenkten und kreisten schweigend der Erde zu. Hierauf kam der Vorderste auf den Rasen nieder und flatterte, nachdem er sich einen Augenblick umgeschaut hatte, zu seiner Beute.
Nach wenigen Sekunden war die Prärie von schmutzigen Vögeln geschwärzt, die auf den toten Antilopen umher kletterten und mit den Flügeln gegeneinander anschlugen, während sie mit ihren stinkenden Schnäbeln die Augen der Beute aufrissen.
Und nun kamen magere Wölfe, feige und hungrig, aus dem Kaktusdickicht geschlichen und liefen über die grünen Wellen der Prärie daher. Diese trieben nach einer kurzen Schlacht die Geier davon und zerrissen die Beute, knurrend und tückisch nacheinander schnappend.
Dem Himmel sei Dank! Davon wenigstens werde ich verschont bleiben.
Ich wurde bald von dem Anblick erlöst. Meine Augen waren unter das Niveau des Ufers gesunken. Ich hatte zum letzten Mal auf die schöne grüne Erde geblickt. Ich konnte jetzt bloß noch die lehmigen Wände sehen, zwischen welchen der Fluss dahin strömt, und das achtlos an mir vorübergleitende Wasser wahrnehmen.
Nochmals heftete ich meinen Blick auf den Himmel und versuchte, mich fromm in mein Schicksal zu ergeben.
Trotz meiner Bemühungen, ruhig zu bleiben, überkamen mich die Erinnerungen an irdische Freuden und Freunde und an die Heimat, und ließ mich von Zeit zu Zeit in wilde Paroxysmen ausbrechen und neue, aber fruchtlose Kämpfe austeilen.
Abermals wurde meine Aufmerksamkeit von dem Wiehern meines Pferdes erregt.
Ein Gedanke machte sich in meinem Geist Raum und erfüllte mich mit neuen Hoffnungen. Vielleicht mein Pferd?
Ich versäumte keinen Augenblick. Ich erhob meine Stimme, so laut ich konnte, und rief das Tier beim Namen. Ich wusste, dass es auf meinen Ruf kommen würde. Ich hatte es nur leicht angebunden. Der Kaktuszweig musste abreißen. Ich rief es abermals und in Worten, die ihm bekannt waren.
Ich lauschte mit hoch klopfendem Herzen. Auf einen Augenblick war alles still, dann hörte ich seinen schnellen Hufschlag, als ob sich das Tier bäumte und freizumachen bestrebe, dann konnte ich hören, wie es in einem taktmäßigen Galopp herankam.
Die Töne kamen näher – näher und immer deutlicher, bis das herrliche Tier auf das Ufer über mich sprang. Hier blieb es stehen, warf seine Mähne zurück und stieß ein schrilles Wiehern aus. Es war verwirrt und schaute sich laut schnaubend nach allen Seiten ringsum.
Ich wusste, dass, wenn es mich einmal gesehen hatte, es nicht eher ruhen würde, als bis es seine Nase an mein Gesicht gesteckt hätte – denn dies war seine stete Gewohnheit. Ich streckte meine Hände aus und rief von Neuem die magischen Worte.
Jetzt blickte es herab, nahm mich wahr, streckte sich und sprang in den Bach. Im nächsten Augenblick hielt ich es am Zügel.
Ich hatte keine Zeit zu versäumen. Ich senkte mich immer noch und meine Achselgruben näherten sich schnell der Oberfläche des Treibsandes. Ich erfasste das Lasso, zog ihn unter dem Sattelgurt durch und knüpfte ihn in einen festen Knoten. Hierauf machte ich aus dem herabschleppenden Ende eine Schlinge, die ich um meinen Leib legte. Ich hatte noch zwischen dem Gebissring und dem Gurt ein Stück, welches lang genug war, um das Tier zu leiten und zurückzuhalten, falls das Ziehen meinem Körper zu schmerzlich werden sollte.
Das Tier schien, während ich das tat, zu begreifen, was ich vorhatte. Es kannte die Natur des Bodens, auf welchem es stand. Denn während der Operation erhob es fortwährend abwechselnd die Füße, um sich am Sinken zu verhindern.
Meine Arrangements waren endlich beendet und ich gab mit einem Gefühl entsetzlicher Angst meinem Pferd das Signal, sich vorwärts zu bewegen. Statt mit einem Sprung davonzugehen, schritt das verständige Tier langsam hinweg, als verstehe es meine Lage.
Das Lasso wurde straff. Ich fühlte, wie sich mein Körper bewegte, und im nächsten Augenblick empfand ich ein wildes, unbeschreibliches Entzücken – als ich bemerkte, dass ich aus dem Sand gezogen war.
Ich sprang mit einem Freudenschrei auf, stürzte auf mein Pferd zu, schlang meine Arme um seinen Hals und küsste es eben so innig, wie ich ein Mädchen geküsst haben würde.
Es beantwortete meine Umarmungen mit einem leisen Winseln, welches mir verkündete, dass ich verstanden wurde.
Ich sah mich nach meiner Büchse um. Zum Glück war sie nicht tief gesunken und ich fand sie bald. Meine Stiefel waren noch dahinten, aber ich hielt mich mit dem Suchen nach ihnen nicht auf, da ich von einer heilsamen Scheu vor dem Ort, wo ich sie zurückgelassen hatte, ergriffen war.
Nach kurzer Zeit war ich aus dem Arroyo gestiegen, schwang mich aufs Pferd und galoppierte auf den Weg zurück.
Die Sonne war untergegangen, ehe ich in das Lager gelangte, wo ich von den Fragen meiner verwunderten Gefährten empfangen wurde.
»Haben Sie die Ziegen geschossen? Wo sind Ihre Stiefel? Haben Sie gejagt oder gefischt?«
Ich beantwortete alle diese Fragen mit der Erzählung meiner Abenteuer und war diesen Abend wieder der Held des Lagerfeuers.