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Gold – Kapitel 6.3

Gold-Band-1Friedrich Gerstäcker
Gold
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 6 Teil 3
Der erste Brand

Hetson schaudere zusammen, als er, ein unfreiwilliger Zeuge dieser furchtbar schnellen Volksjustiz, mitten in den Haufen der Wütenden, ja über den zu Boden getretenen Neger selber hinweg gedrängt wurde, ohne imstande zu sein, sich aus dem Menschenknäuel hinaus zu winden. Wie er sich aber nur frei sah, floh er auch, so rasch ihn seine Füße trugen, der bereits ebenfalls brennenden Häuserreihe zu, in der er seine Frau zurückgelassen hatte.

Aber auch hier Verderben, wohin die Spur des Feuers sich gewandt hatte, sodass er in den schon von der Hitze verkohlten Fronten nicht einmal mehr das früher aufgesuchte Haus erkennen konnte.

So ruhig und selbst kaltblütig Hetson aber bisher der Gefahr begegnet war, so unerwartet und bis ins innerste Mark traf ihn dieser neue Schlag. Wie rasend stürmte er, stürzende, stammende Balken und Bretter nicht beachtend, an der Häuserreihe hin, Jennys Namen rufend, und seinen Leichtsinn, mit dem er die Unglückliche sich selber überlassen hatte, verfluchend. Vergebens aber suchte er Haus für Haus ab, und fand endlich, das eigene Leben in diesem kecken Wagnis mehr als einmal in die Schanze schlagend, den Doctorshop wieder, in dem er sie gelassen hatte. Er kannte den Platz an den niedergeworfenen Regalen und den umhergestreuten Gläsern und Büchsen – aber von den früheren Bewohnern war keine Spur mehr zu entdecken. Diese hatten sich auch in der Tat, dem Feuer ausweichend, durch die Hintergebäude und über niedergerissene Planken hin gerettet. Die Spritzen waren gerade am Eckhaus, einem niederen Lehmgebäude noch aus der spanischen Zeit her, aufgefahren, dieses womöglich zu schützen und dadurch dem Feuer zu dieser Richtung hin Einhalt zu gebieten.

Todesmatt, aber die Erschöpfung in der Angst um die Verlorene kaum fühlend, hielt Hetson atemlos einen Augenblick inne, sich erst zu sammeln, erst zu überlegen, wohin er nun sich wenden, wo er suchen solle. Überlegen – guter Gott, das Hirn brannte ihm in wilderer Glut, als da draußen an den Gebäuden leckte, und er musste sich an dem Rad eines dort haltenden Wasserkarrens stützen, um nicht umzusinken.

»Mr. Hetson!«, rief ihn da eine bekannte Stimme an.

Als er fast mechanisch den Kopf dorthin wandte, sah er den alten Doktor Rascher, der unter einer schweren messingbeschlagenen Kiste keuchend neben ihm stehen geblieben war.

»Das ist ein trauriger Tag für uns und ein schlimmer Anfang in Kalifornien.«

»Doktor!«, stöhnte da der junge Mann, als er ihn erkannte. »Haben Sie … haben Sie meine Frau nicht in diesem Gewirr von Menschen gesehen?«

»Mrs. Hetson? Gewiss«, rief der Doktor rasch. »Eben als ich zurücklief, diese Kiste noch zu holen, sah ich sie, von einem Herrn begleitet, die nächste Straße dort hinauf fliehen. Lieber Gott, das helle Kleid einer Frau ist ein so seltener Anblick in diesem wilden Ort, dass es unwillkürlich die Blicke anzieht. Ich glaubte Sie aber bei ihr und war auch zu viel mit meinem eigenen Verlust beschäftigt, weiter darauf zu achten.«

»Mit einem Herrn? Einem Fremden?«, stöhnte Hetson, vor dessen innerem Geist sich all die furchtbaren Schreckbilder der letzten Zeit aufs Neue sammelten. »Mit ihm?«

»Aber Mr. Hetson«, sagte der alte Mann bestürzt.

Der Unglückliche hörte jedoch nichts weiter.

»Charles Golway«, murmelte er leise vor sich hin und brach bewusstlos, wo er stand, zusammen.

Es war dies allerdings kein Augenblick und kein Ort, sich um einen anderen Fremden zu bekümmern, und die Amerikaner sprangen auch, kaum einen Blick auf den Ohnmächtigen werfend, unbekümmert an ihm vorbei. Der alte wackere Arzt aber, seine Medizinkiste selbst vernachlässigend, die er mitten auf der Straße stehen ließ, dachte gar nicht daran, den armen Mann hier ohne Hilfe zu verlassen. Aber wohin mit ihm? Der angstvolle Blick, den er umherwarf, zeigte ihm nichts als Trümmer und Verwirrung, und doch auch wieder schien es fast, als ob die Menschen hier des Feuers Herr geworden wären.

Der Wind, der nur für kurze Zeit geschwankt, hatte sich nämlich wieder in seine vorherige Richtung gewandt, und das allein rettete den Stadtteil der California Street zu, der sonst ebenfalls verloren gewesen wäre. Von den kaum erfassten Gebäuden schlug die Flamme wieder der offenen Plaza zu, und durch Niederreißen der nächsten Baracken und volles Spritzen auf das Eckhaus gelang es den angestrengtesten Bemühungen der Massen in der Tat, die Glut hier zurückzuscheuchen.

Wie der alte Mann dort noch unschlüssig stand, sah er in dem letzten Gebäude die Flamme verlöschen, sodass selbst die Wände mit einem Teil des Daches stehen geblieben und gerettet waren. Menschen eilten dort sogar schon wieder mit Lampen hin und her. Dorthin als dem nächsten, wenigstens in etwas geschützten Platz beschloss er seinen Kranken zu tragen.

Hoch in den Jahren war der alte Doktor doch noch ein ganz rüstiger und kräftiger Mann, und mit einiger Schwierigkeit hob er sich den Körper des Ohnmächtigen auf und zog ihn dem Eckhaus zu. Hier aber fand er sich bald von anderen unterstützt, die, mit gerade keiner weiteren Beschäftigung, als dem Feuer zuzusehen, die vermeintliche Leiche des vielleicht von einem Balken Erschlagenen mit aus dem Weg schaffen halfen.

So erreichten sie bald das Eckhaus, aus dem die Bewohner, wie es schien, keineswegs geflüchtet, ober wenn so, doch schon zurückgekehrt waren, denn der Besitzer des Eckladens, der bis dahin einen Schankstand gehalten und alkoholische Getränke feilgeboten hatte, war selbst unter den noch rauchenden und hier und da glühenden Trümmern der an der einen Seite niedergebrochenen Decke emsig beschäftigt, neue Lampen aufzuhängen und zu entzünden, und Gläser und Flaschen wieder herbeizuschaffen.

War dies doch die Zeit, seine Ware zu guten Preisen an den Mann zu bringen. Der Bursche selber viel zu sehr Yankee, sich die Gelegenheit entgehen zu lassen.

Der Doktor nahm sich allerdings keine Zeit, dem Schaffen des Mannes noch eigentlich mitten im Feuer zuzuschauen. Als er den Ohnmächtigen, so gut das gehen wollte, in eine Ecke gebettet hatte, eilte er zurück auf die Straße, seine Medizinkiste ebenfalls hereinzuholen. Wie aber hatte sich schon das Aussehen dieses Grogshops verändert, als er nach kaum zehn Minuten mit der noch glücklich gefundenen Kiste dorthin zurückkehrte.

Rechts und links waren Lampen und Laternen angezündet, die den Platz mit der von der anderen Seite der Plaza noch herüberflammenden Lohe hell beleuchteten. Hinter dem nur notdürftig von Schutt gereinigten Ladentisch, dessen eine Ecke überdies angebrannt war, standen zwei junge Burschen, den hereinströmenden Gästen die Gläser zu füllen. An der halb durchbrochenen Rückwand unter dem Sternenhimmel, der sich als Decke darüber spannte, angesichts des noch tobenden Elements, das Tausende von Menschen um Eigentum und Obdach brachte, standen auf einem großen Bogen weißen Papiers frisch und rau mit Kohle die frevelnden Worte schrieben:

Go ahead young California!
Who, the hell, cares
for a fire!
1

Und doch war es der volle Geist des kalifornischen Volkes, der aus den Worten sprach. Und nun sollten sie zum ersten Mal ja auch beweisen, welcher Elastizität im Unglück sie eigentlich fähig wären.

Drüben über der Plaza stiegen noch rotleuchtende Flammen- und Rauchsäulen zum dunklen Nachthimmel empor. Hier aber war man, allerdings mit des Windes Hilfe, des Feuers Herr geworden. Noch eigentlich im Brand, unter verkohlten Balken und qualmenden Schutt, unter dem Arbeiten der Spritzen und Zischen der Flammen, hatte die Industrie schon wieder ihre Werkstätte mit dem Motto aufgeschlagen: Who, the hell, cares for a fire!

Who cares! könnte das Motto für ganz Kalifornien sein.

Der alte Doktor Rascher hatte schon manches in seinem bewegten Leben gesehen und erfahren. Dieser Übermut des kecken Menschenvolkes, dem losgelassenen furchtbaren Element gegenüber, fesselte aber doch für einen Augenblick seinen Blick und machte ihn in dem wilden Ort staunend umherschauen. Aber es war kein Traum, sondern wahre, nackte Wirklichkeit, die ihn umgab. Draußen brannte noch die Stadt, und hier in dem qualmenden Eckgebäude, in den ein plötzlicher Wechsel des Windes jeden Augenblick aufs Neue die Fackel schleudern konnte, klebte der Besitzer die Herausforderung an das Schicksal mit keckem Finger an die verkohlte Wand: Who, the hell, cares for a fire!

Doktor Rascher hatte aber auch nach seinem Patienten zu sehen und schleppte deshalb seine ziemlich schwere Kiste, unbekümmert um den ihn umgebenden Lärm der Zechenden, in die Ecke, wo er Hetson niedergelegt hatte. Dieser war aber indessen schon ohne seine Mittel erwacht, und sah sich anfangs wohl etwas erstaunt in dem fremden Raum um, von dem er sich eingeschlossen fand. Bald aber kam ihm die Erinnerung an die durchlebten Szenen, an seinen letzten furchtbaren Verlust zurück, und rasch und erschrocken richtete er sich gerade von seinem harten, schmutzigen Lager auf, als der freundliche alte Mann wieder zu ihm eilte.

»Hallo«, riefen ein paar Amerikaner – Backwoodsmen, die durch die Steppen und über die Felsengebirge herüber Kalifornien erreicht hatten – als sie das Erwachen des Totgeglaubten bemerkten. »Da ist ja noch Leben genug, einem Glas Brandy gefährlich zu werden. Hier, Alterchen, trink das, das wird dir verdammt schnell wieder auf die Strümpfe helfen.« In ihrer rauen Gutmütigkeit boten sie dem jungen Mann ein bis zum Rand mit dem scharfen Trank gefülltes Glas.

Hetson trank eigentlich sonst nie Spirituosen. In diesem Augenblick fühlte er aber doch, dass er irgendetwas bedurfte, ihn geistig, wenn nicht aufzurichten, doch aufzuregen. Mit dankendem Kopfnicken nahm er deshalb das Glas und leerte es fast zur Hälfte.

»Aus damit, Kamerad«, rief aber der eine Bursche lachend. »Der Stoff ist vortrefflich und geht wie Feuer durch die Adern. Wo fehlt es eigentlich? Irgendeinen verkehrten Balken auf den Kopf bekommen? Ja, das kann der Zehnte nicht vertragen.«

»Ich danke Euch, Freund«, sagte aber Hetson, das wieder dargebotene Glas zurückweisend. »Es hat mir schon gut getan. Ich fühle mich wenigstens um vieles besser. Doktor, Ihr kommt zu mir wie ein Engel in der Not. Habt Ihr sie gefunden?«

»Mein bester Mr. Hetson«, sagte der alte Mann kopfschüttelnd, indem er sich etwas ängstlich in dem gedrängt vollen Raum umschaute. »Wir wollen vor der Hand froh sein, dass wir Sie wieder auf den Füßen haben. Das Übrige findet sich alles morgen, bei ruhigem Blut.«

»Morgen?«, flüsterte aber Hetson, indem er auf die Füße sprang und des Doktors Hand wie mit eisernen Fingern umspannte. »Glauben Sie, dass ich bis morgen ruhig warten könnte, ohne wahnsinnig zu werden? Ich muss fort!«

»Aber was um Gotteswillen wollen Sie jetzt, in Ihrem ermatteten Zustand, da draußen tun oder ausrichten?«, bat ihn der alte Mann, indem er ihn zurückzuhalten versuchte. »Warten Sie nur wenigstens das Tageslicht ab, und ich will dann selber gern und mit tausend Freuden …«

»Lassen Sie mich los, Doktor«, rief aber der junge Mann, indem er seinen Arm befreite. »Ich weiß, Sie meinen es gut, aber morgen – morgen? Nein – eine Ewigkeit liegt dazwischen!«

Ehe ihn der alte Arzt daran hindern konnte, drängte er die ihm zunächst Stehenden beiseite und floh zur Tür hinaus ins Freie.

Die Trinker hatten sich schon lange nicht mehr um ihn bekümmert, und wenn sie auch seine Aufregung vielleicht bemerkten, war die in der gegenwärtigen Kalamität zu leicht erklärlich, sich weiter damit zu befassen. Irgendjemand, der vielleicht in diesem Augenblick sein ganzes Vermögen verloren hatte, konnte nicht so ruhig und kaltblütig sein wie sie. Das störte sie aber nicht im Trinken, und wenn ein Teil von ihnen wieder fortgestürmt war, aufs Neue Hand anzulegen, des Feuers Herr zu werden, füllten andere den kleinen Raum im selben Augenblick.

Der Wirt hatte mit seinem Plakat vortrefflich spekuliert. Dieser kecke, ja freche Mut war nach dem Geschmack der Leute, und er verdiente mehr Geld in den wenigen Stunden als sonst in einer Woche.

Show 1 footnote

  1. Nur vorwärts, junges Kalifornien! Wer, zum Teufel, sorgt sich um ein Feuer!