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Der Marone – Die geheime Triebfeder

Der-Marone-Zweites-BuchThomas Mayne Reid
Der Marone – Zweites Buch
Kapitel 29

Die geheime Triebfeder

Der ursprüngliche Grund, weshalb der Myalmann den Tod des Custos Vaughan betrieb, wäre gewiss allein schon stark genug gewesen, ihn zu dieser Tat auch ohne diesen neuen Antrieb zu bringen, denn diese war eine einfache, leicht zur begreifende Rache.

Nicht so leicht war die eigentliche Triebfeder des Juden zu begreifen. Er hatte seine Absichten stets so geheim gehalten, dass kein Lebender, selbst nicht einmal Chakra, darum wusste. Bis zu dieser Zeit mussten sie jedenfalls höchst geheimnisvoll erscheinen, doch nun dürfte es wohl an der Zeit sein, sie aufzudecken. Ihre Erläuterung wird zeigen, dass sie ganz natürlich, vollkommen in Übereinstimmung mit dem Charakter dieses verschmitzten und unbarmherzigen Mannes war.

Dabei ist es wohl kaum nötig, zu bemerken, dass Jakob Jessuron keineswegs ein eigentliches Urbild seines, noch eines anderen Stammes war. Obwohl von Geburt ein portugiesischer Jude, so machte ihn dies doch nicht zum Sklavenhändler oder Sklavenstehler. Christen haben stets an diesem schmachvollen Handel teilgenommen und haben sich zugleich mit Juden und Mohammedanern die schauderhaften Schändlichkeiten zu Schulden kommen lassen. Nicht weil Jakob Jessuron zufällig ein Jude war, machte er Handelsgeschäfte in menschlichem Fleisch und Blut und war ein durch und durch schändlicher Mann, sondern lediglich, weil er Jakob Jessuron, ein Vertreter keines besonderen Stammes oder Volkes, sondern ein ganz eigentümlicher Charakter war.

Ohne bei seinen allgemeinen Freveltaten zu verweilen, wollen wir zu den ganz besonderen Triebfedern zurückkehren, die ihn dazu brachten, seinen Nachbar Vaughan zum Opfer, ja zum Totenopfer zu machen, denn seine Unterredung mit Chakra hatte bereits deutlich genug gezeigt, dass dies das eigentliche Ziel seiner hinterlistigen Absichten war.

Vor allem war er mit der häuslichen Geschichte des Pflanzers sehr bekannt, mindestens mit einem Teil derselben, den er erfahren hatte, seitdem dieser in Besitz von Willkommenberg gekommen war. Er wusste außerdem auch noch einiges über Herrn Vaughan, als dieser noch Wirtschaftsführer von Schloss Montagu gewesen war. Allein erst nachdem der Custos sein näherer Nachbar geworden war, hatte der Jude alle seine Privatangelegenheiten ganz genau und bis ins Einzelne kennengelernt.

Diese Kenntnis hatte er in verschiedener Weise erlangt, teils in Folge eines freilich nie sehr herzlichen und freundschaftlichem geselligen Verkehrs, teils bei geschäftlichen Verhandlungen, und dann vor allem, mindestens was einige geheimere Teile der Lebensgeschichte Vaughans betrifft, von dem Myalmann Chakra.

Trotz seiner außerordentlichen Hässlichkeit war der Koromantis nämlich mit einem seltenen, wenn auch höchst gefährlichen Scharfsinn begabt. Er wusste alles ganz genau, was sich auf der Pflanzung Willkommenberg seit länger als vierzig Jahren zugetragen hatte. Wie schon früher einmal bemerkt, er wusste nur zu viel, und diese lästige und unbequeme Mitwisserschaft hatte hauptsächlich seine Verurteilung zum Jumbéfelsen herbeigeführt.

Zu mehr als einem Zweck hatte der Jude bereits oftmals den Myalmann benutzt, und wenn dieser ihm jetzt bei seinen schwarzen Absichten zu Hilfe kam, so war dies sicherlich nicht die erste dunkle Tat, an der Chakra einen hervorragenden Anteil nahm. Im Geheimen waren sie schon seit sehr langer Zeit Verbündete gewesen.

Des Juden Kenntnis der Angelegenheiten Loftus Vaughans erstreckte sich auch auf manche, selbst Chakra unbekannte Tatsachen. Eine solche war die, dass sein Nachbar mit einem Bruder in England gesegnet sei, der einen einzigen Sohn besäße.

Dieser englische Bruder sei ein Künstler ohne Vermögen und auch ohne besonderen Ruf. Noch andere sich auf diesen beziehende Umstände waren zur Kenntnis Jessuron gekommen, unter anderen, dass der stolze Custos nur sehr wenig von seinen armen englischen Verwandten wusste, sich wenig um sie bekümmerte und auch nur höchst selten mit ihnen in Briefwechsel stand.

In welcher Art vermochte nun eine solche Kenntnis Jakob Jessuron zu interessieren, wie dies wirklich der Fall war? Das werden wir gerade jetzt hören. Vielleicht mag der eigentliche Grund von dem Aufmerksamen auch schon geahnt werden, denn darauf hingedeutet wurde bereits schon früher. Dennoch möge dies noch einmal ausführlicher auseinandergesetzt sein.

Wie wohl bekannt, war Loftus Vaughan niemals mit der Quadrone Quasheba verheiratet gewesen. Dieser Umstand hätte freilich nur wenig Bedeutung gehabt, wäre Quasheba eine Weiße gewesen oder selbst nur eine Quinterone – in Jamaika eine Mestize genannt und von einigen wunderlichen Nachbetern kürzlich auch wohl als Okterone bezeichnet worden – eine Bezeichnung, die nirgends wirklich vorhanden ist, außer in den romantischen Köpfen solcher nicht gut unterrichteter Schriftsteller.

Um es zu wiederholen, wäre die Sklavin Quasheba entweder eine Weiße oder selbst nur eine Mestize gewesen, so würde der Umstand, ob sie wirklich verheiratet oder nicht verheiratet war, eigentlich von keiner wesentlichen Bedeutung insofern, gewesen sein, als es das Erbfolgerecht ihrer Kinder auf die Landgüter des Vaters betroffen hätte. Wohl ist es richtig, dass, wäre sie nicht verheiratet gewesen, die Tochter nach den Gesetzen Jamaikas wie nach denen anderer Länder stets unehelich gewesen sein würde. Aber dennoch hätte sie ihres Vaters Eigentum ganz gut erben können, wenn ihr dies durch letztwillige Verfügung vermacht worden wäre, da es auf Jamaika kein Fideikommiss gab.

So wie die Dinge jetzt standen, war die Sache für die kleine Quasheba – Käthchen Vaughan – in gefährlicher Weise anders. Ihre Mutter war nur eine Quadrone, und ob diese verheiratet oder nicht verheiratet war, die Tochter konnte selbst durch ein Testament nicht mehr erben, als ein armseliges Legat von höchstens 1500 Pfund Sterling.

Käthchen Vaughan war aber nur eine Mestize und es fehlte ihr stets ein von der Sklaverei noch entfernterer Grad, um sie in den schützenden Bereich der vollkommenen Freiheit zu bringen und ihr den ungeschmälerten Genuss aller Rechte derselben zu sichern.

Keine testamentarische Bestimmung, keine von Loftus Vaughan angeordnete Verfügung vermochte seine Tochter in irgendeiner Weise zu seiner Erbin zu machen.

Wohl konnte er sein Eigentum letztwillig irgendeinem anderen nach Belieben vermachen, wenn dieser ein sogenannter Weißer gewesen wäre. Da er aber vielleicht kein solches Testament gemacht hatte, so fiel das Gut Willkommenberg mit allem, was er außerdem noch besaß, rechtlich an den nächsten Verwandten seines eigenen Stammes, also an seinen Neffen Herbert.

Gab es denn aber gar kein Mittel gegen eine solche höchst verhängnisvolle Verlegenheit? Gab es gar keine Auskunft, um die junge Kreolin vor Enterbung zu schinden?

Diese Frage ist bereits schon früher einmal beantwortet worden. Allerdings gab es ein Auskunftsmittel.

Loftus Vaughan kannte dies Mittel ganz wohl und beabsichtigte ernsthaft, es ins Werk zu setzen. Jeden Tag wollte er nach Spanish Town reisen, um die Spezialakte zu erlangen, und jeden Tag wurde die Reise wieder aufgeschoben.

Die Ausführung dieser Absicht war es, die der Jude Jessuron vor allem am meisten fürchtete. Sie zu verhindern, war der Zweck seines Besuchs im Tempel des Obi.

Seine Furcht bedarf kaum einer weiteren Erklärung.

Konnte Loftus Vaughan seinen Entschluss nicht ausführen, so war Herbert Vaughan der unbestrittene Erbe von Willkommenberg, und Herberts Herz lag vollkommen in den Fesseln Judith Jessurons.

So glaubte wenigstens die Jüdin ganz gewiss und auf ihre feste Versicherung hin ebenfalls der Jude.

Der von Judith aus den feinsten Fäden weiblicher Koketterie gewobene Liebeszauber war der erste Schritt gewesen, um die große Erbschaft zu sichern, der Zweite sollte der von Chakra und seiner Gehilfin angewandte Totenzauber sein.