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Das Steppenross – Kapitel 7

Das-SteppenrossEduard Wagner
Das Steppenross
Eine Erzählung aus dem Jahr 1865 zu den Zeiten des amerikanisch-mexikanischen Krieges, nach dem Englischen des Kapitän Mayne Reid

Kapitel 7
Mexikanische Guerilleros

Dieses Manöver hatte doch einige Augenblicke erfordert, und die Reiter waren noch in weiter Ferne. Sie waren regelmäßig formiert und ritten zu zweien.

»Wenn sie Indianer sind, so bin ich ein Schwarzer«, rief Rube, nachdem er sie aufmerksam betrachtet hatte. »Sie haben Bärte und Strohhüte, das sind durchaus keine indianischen Zeichen. Nein, es ist eine Bande gelbhäutiger Mexikaner!«, setzte er mit lauter Stimme hinzu.

Wir waren alle zu gleicher Zeit zu dem Schluss gekommen, dass die Reiter Mexikaner seien. Bisher waren sie gerade auf uns zugeritten und befanden sich in gerader Linie zwischen uns und dem Hügel.

Als sie noch ungefähr eine halbe Meile von uns entfernt waren, wandten sie sich scharf nach Westen und ritten, als ob sie uns umzingeln wollten. Dadurch kamen wir natürlicherweise in ihre Flanke und konnten ihre Gestalten, ihre Bekleidung und die Bewaffnung deutlich am klaren Himmel abgezeichnet sehen. Sie konnten keine reguläre Truppe sein, dass sah man an ihrer Kleidung und ihren unregelmäßigen Schwenkungen. Auch trugen sie ihre Lanzen etwas gesenkt, teils auf dem Steigbügel, teils wie eine Flinte auf der Schulter.

Nachdem sie in einem Halbkreis herumgeritten waren, wobei sie sich in gleicher Entfernung hielten, machten sie plötzlich gegen uns Front. Wir blieben bis zu dem Augenblick, wo sie Halt machten, im unklaren darüber, weswegen sie uns in den Rücken geritten waren. Jetzt wurde ihre Absicht klar, sie hatten zwischen uns und der Sonne Halt gemacht.

Es blieb jetzt wenig Zeit zum Überlegen. An den Bewegungen der Reiter merkten wir, dass sie sich zu einem Angriff vorbereiteten. Einer, der auf einem größeren Pferd saß als die Übrigen, wahrscheinlich der Anführer, redete zu ihnen. Er ritt an der Linie hin, sprach mit lauter Stimme, machte heftige Bewegungen und erhielt zur Antwort, wie wir deutlich hörten, lauten Beifallsruf. Wir erwarteten jeden Augenblick, dass sie vorwärts galoppieren würden.

»Sie täten besser, wenn sie uns nicht zu nahe kämen, ohne uns zu sagen, was sie wollen«, meinte Garey. »Ich sehe einen Sattel, den ich leer machen werde, sobald sie über jenes Kraut hinweg sind.«

Trotz der Ungleichheit der Zahl standen wir unseren Feinden doch nicht gänzlich nach. Wurden wir nicht von ihren Karabinern niedergeschossen, so fehlte keine von unseren Büchsen ihren Mann. Ich vertraute meinem Gewehr und noch mehr den Waffen meiner Begleiter. Sie waren Männer, die nie fehlten, nie aufs Geratewohl schossen und nie den Drücker berührten, ehe sie sicher gezielt hatten. Sollten uns daher die Reiter angreifen, so war ich überzeugt, dass nur neun von ihnen auf Pistolenschussnähe herankommen würden. Darauf waren wir gut vorbereitet. Ich hatte einen sechsläufigen Revolver im Gürtel und Garey besaß einen zweiten, den ich ihm vor vielen Jahren zum Geschenk gemacht hatte. Rube führte ein paar tüchtige Einzelläufer, welche gute Dienste versprachen.

»Siebzehn Schuss und die Bowiemesser als letzte Zuflucht!«, rief Garey triumphierend, nachdem wir unsere Waffen überprüft hatten.

Inzwischen waren wir nicht müßig gewesen und hatten uns in einem Viereck aufgestellt, um den Angriff anzunehmen. Wir hatten wirklich ein Karree formiert – und zwar mit unseren Pferden, das Wildpferd mitgerechnet, waren es ihrer vier. Garey, der wie ein Indianer ritt, hatte den Schimmel in unserem letzten Lager dressierst, und dieser war nun ganz fügsam. Mit dem Schatten eines Lassos konnte man ihn wie ein Lamm leiten. Die vier Tiere wurden Kopf an Kopf und Kruppe an Kruppe gebunden und jedes auf eine Seite des Vierecks gestellt.

Ein wiederholter Beifallsruf verkündigte nun, dass der Guerilla-Anführer seine Rede beendet hatte und der Angriff gemacht werden sollte. Wir sahen ihn mit einem paar anderer Reiter auf uns zukommen, ohne Zweifel in der Absicht, den Angriff auszuführen. Das Kommando »Vorwärts!« und die wilden Töne des Hornes drangen in unsere Ohren. Den folgenden Augenblick setzte sich der Trupp in Bewegung und galoppierte vorwärts.

Sie waren noch nicht weit gekommen, als sie ihre Linie auflösten, denn mehrere der Schnellsten und Mutigsten ritten den anderen voraus. Rube murmelte vor sich hin, bis er plötzlich einen Ausruf des Erstaunens und dann einen langen, leisen Pfiff hören ließ. Die Veranlassung war folgende. Die Guerillas waren dreihundert Schritte von uns entfernt und noch immer im Galopp. Doch bemerkten wir, dass sich ihre Bewegung allmählich mäßigte und wenig Ähnlichkeit mit einem ernsten Angriff hatte. Nachdem sie uns nahe gekommen waren und die blitzenden Läufe unserer bereit gehaltenen Büchsen gesehen hatten, war ihnen wahrscheinlich die Lust zu diesem Unternehmen vergangen.

»Wahrhaftig, sie sind erschrocken«, rief Rube mit verächtlichem Lachen.

»Heda! Was wollt ihr denn?«, fuhr er mit lauterer Stimme, gegen die haltenden Reiter gewandt, fort.

Ob die Frage Rubes verstanden worden war oder nicht, genug, wir vernahmen eine Antwort.

»Wir sind Freunde!«, rief der Anführer des Trupps. »Wir sind Freunde und haben keine böse Absicht gehabt. Um es euch zu beweisen, werde ich meinen Leuten befehlen, zur Steppe zurückzureiten, während mein Leutnant unbewaffnet mit einem von euch auf neutralem Boden zusammentrifft. Dagegen werdet ihr nichts einzuwenden haben?«

»Weshalb denn eine solche Einrichtung?«, fragte Garey in spanischer Sprache. »Wir verlangen nichts von euch, was wollt ihr mit dem ganzen verwünschten Lärm von uns?«

»Ich habe Geschäfte mit euch«, antwortete der Mexikaner. »Ich habe euch etwas zu sagen, das ich andere nicht gern hören lassen möchte.«

Bei diesen Worten drehte sich der Sprechende nach seinen Begleitern um und winkte ausdrucksvoll. Wir beschlossen nach einer kurzen Beratung, dass Garey den Antrag annehmen sollte, da nichts Böses daraus hervorgehen konnte.

Wir gingen also auf die Unterhandlung ein, und man stellte von beiden Seiten die Bedingungen mit großer Vorsicht fest. Die Reiter sollten, mit Ausnahme des Anführers und des Leutnants, eine halbe Meile weit zurückgehen. Der Führer sollte an Ort und Stelle bleiben, Garey und der Leutnant, beide zu Fuß und unbewaffnet, sollten sich auf halbem Weg zwischen uns und dem Feind treffen.

Die Guerillas kehrten auf Befehl ihres Anführers zurück. Der Leutnant stieg ab, legte seine Lanze auf den Boden, schnallte den Säbel ab, zog die Pistole aus dem Gürtel, legte sie neben die Lanze und näherte sich dem festgelegten Ort.

Garey nahm auf gleiche Weise seine Waffen ab, übergab uns seine Büchse und Pistolen und schritt dem Mexikaner entgegen. Nach Verlauf einer Minute standen die beiden sich gegenüber und begannen die Unterhandlungen.

Diese dauerte nur kurze Zeit. Das Gespräch wurde mit leiser Stimme geführt, und wir sahen, dass der Mexikaner, welcher der Hauptmann zu sein schien, zu wiederholten Malen auf uns zeigte, als ob von uns die Rede sei. Wir bemerkten, dass Garey ihn plötzlich unterbrach, und in demselben Augenblick wandte sich dieser zu uns um und rief uns auf Englisch zu:

»Heda, Rube, was meinst du, was der Schurke will?«

»Wie sollte ich das wissen?«, antwortete Rube. »Was will er ?«

»Er verlangt«, fuhr Garey entrüstet fort, »dass wir den Jägerkapitän ausliefern sollen. In diesem Fall sollen wir beide, du und ich, frei ausgehen.«

Diese Mitteilung schloss der Trapper mit einem verächtlichen Lachen.

»Steht es so?«, fragte Rube, nachdem er ein leises Pfeifen hatte hören lassen. »Und was für eine Antwort gabst du ihm, Bill?«, fuhr er mit lauter Stimme fort.

»Ich habe ihm noch nicht geantwortet«, erwiderte er schnell. »Aber hier ist die Antwort.«

Bei diesen Worten erhob Garey seine gewaltige Faust wie einen Schmiedehammer und ließ sie auf das Gesicht des Mexikaners hinab fallen, dass dieser zu Boden stürzte.

Dieser unerwartete Schluss der Beratung bewog die mexikanischen Reiter zu einem Zorngeschrei. Ohne Befehl abzuwarten, galoppierten sie auf ihren Anführer los. In weiter Entfernung hielten sie an, schossen ihre Karabiner ab, aber die Kugeln fuhren durch das Gras. Einige, welche vorüberpfiffen, verfehlten das Ziel. Der Leutnant, der nur betäubt worden war, erholte sich bald wieder. Sein Zorn überwog aber seine Klugheit, denn nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte, versuchte er nicht so schnell wie möglich zu seinen Kameraden zurückzueilen, sondern erhob die Arme und schüttelte drohend die Faust gegen uns, indem er einen Strom herausfordernder Worte hören ließ. Kaum hatte er aber das letzte Wort über seine Lippen gebracht, so hatte er aufgehört zu leben.

Ich hörte den Knall einer Büchse, und im nächsten Augenblick stürzte er ohne Laut regungslos auf die Steppe nieder.

Ich wandte mich unwillkürlich nach Rube hin. Seine Büchse rauchte noch aus der Mündung und er war damit beschäftigt, sie wieder zu laden. Merkwürdigerweise ließ man ihm dazu Zeit und unsere drei Läufe ragten nochmals über die Schulter von Gareys Pferd hervor.

Die Guerillas hatten sich in der Eile um ihren Anführer versammelt, schienen sich aber seinem Befehl nicht sonderlich zu fügen. Es sah aus, als dränge man in ihn, dass er sie vorwärts führen sollte. Einige kamen heran galoppiert und feuerten ihre Karabiner ab. Andere schwangen drohend ihre Lanzen. Alle aber hüteten sich sorgfältig, innerhalb der Reichweite unserer Büchsen zu kommen. Das Schicksal ihres Kameraden hatte sie so eingeschüchtert, dass sie zu einem Handgemenge vollends nicht geneigt schienen.

Ich hatte unterdessen über die Forderung des Anführers der Guerillas nachgedacht. Warum hatte man gerade meine Person ausgewählt? Plötzlich erwachte in mir ein Verdacht, der bald zur Gewissheit wurde. Die Sonne, die mir ins Auge schien, hatte mich daran gehindert, mir das Geheimnis schon früher zu erklären. Ich zog den Schirm meiner Feldmütze, soweit wie möglich herab, hielt noch die Hände flach vor und richtete mein Auge auf den Anführer der Bande. Schon während er mit Garey sprach, hatte seine Stimme eine leise Erinnerung in mir geweckt. Diese Stimme hatte ich nur ein einziges Mal gehört, aber sie war mir bekannt. Von Argwohn angetrieben, betrachtete ich das Gesicht des Mannes jetzt genauer, da es mir gerade zugekehrt war. Trotz des Blendens durch die Sonnenstrahlen und trotz dem herabgezogenen Hut erkannte ich das düstere Gesicht Rafael Ijurras. Damit begriff ich meine Lage vollkommen. Er war es, der den Jägerkapitän haben wollte.