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Gold – Kapitel 6.2

Gold-Band-1Friedrich Gerstäcker
Gold
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 6 Teil 2
Der erste Brand

Dort hatte sich aber eine solche Masse von Neugierigen und Müßiggängern versammelt, und solche Haufen von Gepäck waren ebenfalls da aufgeschichtet worden, dass Hetson dem Wind entgegen nach der linken Seite der Plaza hinüberhielt, um dort vielleicht in einem der nächsten Häuser ein augenblickliches Unterkommen wenigstens für seine Frau zu finden.

Jene Seite schien auch in der Tat außer aller Gefahr zu liegen, denn der Wind trug Flammen und Funken nach der entgegengesetzten. Hier hatte ein englischer Arzt einen sogenannten Shop. Das Schild war hell von der Glut beleuchtet. Hetson besann sich nicht lange, diesen um Hilfe anzusprechen. Gern wurde ihm dieselbe auch zugesagt, soweit es in diesem Wirrwarr überhaupt möglich war. Freilich riet ihm der Besitzer des kleinen Ladens selber, lieber einen entfernteren Schutzort aufzusuchen, denn die Plaza war wahrlich in diesem Augenblick kein Aufenthalt für eine zarte Frau. Hetson aber drängte es, noch einmal in das Parkerhaus zurückzukehren, dort wenigstens das Nötigste von seinen eigenen Kleidungsstücken zu retten. Er bat deshalb Jenny nur mit flüchtigen Worten, seiner hier einen Augenblick zu harren und eilte dann, so rasch ihn seine Füße trugen, zu dem schon in Flammen gehüllten Parkerhaus zurück.

In voller Hast vorwärtsdrängend, erreichte er auch die Schwelle desselben wieder, aber ein Betreten desselben war nicht mehr möglich. An ihm vorbei stürmten ein paar rauchgeschwärzte Gestalten, in deren einer er Siftly zu erkennen glaubte. Aber ihm blieb keine Zeit, selbst nur den Kopf nach jenen umzudrehen, denn prasselnd, krachend brach in diesem Augenblick das Sparrenwerk des Parkerhauses zusammen, schlug durch die leichte, schon überdies hier und da vom Feuer angegriffene Saaldecke und füllte im nächsten Moment die noch stehenden äußeren Wände mit einer einzigen Flammensäule an.

Turmhoch wirbelte dabei ein wahrer Schauer von glühenden Funken und brennenden Stücken Holz in die Nacht hinein. Aber die Richtung des Windes hatte sich in dem Augenblick geändert. Nicht mehr die Straße hinab zog die lohende Glut, sondern gerade über die Plaza hinüber und der anderen Häuserreihe zu warf es den glühenden verderblichen Regen.

Furchtbare Verwirrung entstand aber dadurch auf der Plaza selbst, wo man indessen all die geretteten Güter und Habseligkeiten aufgeschichtet hatte. Dort mitten hinein fielen die lodernden Brände, und ein Haufen dort übereinander geworfener leichter Kleider fing zuerst Feuer. Die nächst Stehenden, anstatt sie zusammenzupressen, und die Glut zu ersticken, rissen sie in jähem Schreck auseinander und fachten den Brand dadurch nur rascher an. In wenigen Sekunden hatten sich die nächsten Gegenstände ebenfalls entzündet, und nur Minuten später loderte alles, was man dort sicher und gerettet geglaubt hatte, luftig und hoch empor, die fernen Häuserreihen selbst gefährdend.

Dieses Entsetzen hatte dadurch unter den Bewohnern von San Francisco den höchsten Grad erreicht, und mit ihm stieg zugleich die Wut und Rachbegier gegen die Missetäter, denn dass das Feuer böswillig angelegt sei, bezweifelte niemand mehr.

Flüche und Verwünschungen, Gott und die Erde, was sie trug und barg, lästernd, strömten von tausend Lippen, und dass ihnen für alles dies ein bestimmtes Ziel fehlte, dass niemand ihnen entgegenstand, an dem sie diese mit jeder Sekunde wachsende Wut auslassen konnten, mehrte, vergrößerte den wilden Ingrimm nur desto mehr.

Durch das Umschlagen des Windes war dabei die ganze Stadt bedroht, und schon fingen dort drüben die bisher verschonten und nur von der Hitze gedorrten Häuser an zu brennen, sowie nur die ersten Funken darauf niederfielen. Zwei Spritzen kamen allerdings gerade von dort herüber. Von der Bai herauf führten die Karrenleute unablässig Wasser, aber wie durften sie hoffen, das zornige, übermächtige Element zu besiegen.

Hetson sah im Augenblick, dass jeder weitere Versuch, in das seinem Geschick verfallene Haus einzudringen, Wahnsinn gewesen wäre, und wollte jetzt nur so rasch wie möglich zu seiner Frau zurückkehren.

Aber selbst das war nicht so bald geschehen. Zu seinem Entsetzen bemerkte er, wie auch dort schon die Flammen aufstiegen, während das Gewirr und Gedränge von Menschen auf der Plaza selber seinen Höhepunkt erreicht hatte. Durch diesen Knäuel hin und her wogender Massen, durch die dazwischen vom Feuer erfassten Güter selber schien es für den Einzelnen unmöglich, einer bestimmten Bahn zu folgen.

Unter den Tätigsten an dem Abend, soviel wie möglich vom Eigentum zu retten, und als das nicht ging, dem Feuer wenigstens Einhalt zu gebieten, war ein großer, breitschultriger Farbiger – ein freier Neger aus den Vereinigten Staaten – gewesen, und nun nur herbeigeeilt, seine Hilfe bei der neuen Gefahr auf der Plaza anzubieten.

Hier aber sah er bald, dass die Leute, in ihren Bemühungen die aufgeschichteten Güter auseinanderzureißen, das Übel eher noch schlimmer machten, als verbesserten, und gar nichts dabei nützten, während sie drüben durch Einreißen an den meist bedrohten Stellen die Flammen doch vielleicht auf einen gewissen Raum beschränken konnten.

Vor Schweiß triefend, seine Kleider schon in Fetzen um sich her hängend, aber noch voll guten Mutes in seinem Rettungswerk, sprang der Bursche, gerade als Hetson dort hindurch sich Bahn zu brechen suchte, dann auch zwischen die bestürzte Menge, die zum großen Teil den Kopf verloren hatte, oder ihre

Kräfte wenigstens unzweckmäßig benutzte und schrie dazwischen: »Lasst doch den Plunder da brennen. Was liegt an den paar Kisten und Stühlen? Da drüben …«

»Zum Teufel auch!«, schrien andere dazwischen, deren ganzes Eigentum vielleicht hier aufgeschichtet lag. »Plunder brennen? Die schwarze Kanaille freut sich wohl gar über das Feuer!«

»Aber ich sage euch …«, rief der Schwarze in das Toben hinein, indem er vergebens versuchte, sich verständlich zu machen. »… dass ihr da drüben nötiger seid. Wenn das Feuer …«

»Der gehört wohl gar mit zu den verdammten Brandstiftern, die sich noch freuen, dass hier unser Eigentum zugrunde geht!«, rief eine Stimme.

»Was ist da los? Wen haben sie dort? Einen von den Brandstiftern? Nieder mit dem Hund! Schlagt ihn zu Boden! Reißt ihm das Herz aus dem Leib!«, tobten die ferner Stehenden, die nicht deutlich gehört hatten, was da vorging.

»Zurück da, seid ihr wahnsinnig?«, rief aber der Neger lachend aus, indem er sich Bahn zu machen suchte und über einige der dort aufgehäuften Gegenstände hinüber sprang.

»Das ist er, haltet ihn, lasst ihn nicht fort!«, gellte da ein wilder Schrei. »Werft ihn in die Flammen und lasst ihn braten!«

»Wo ist der Brandstifter? Wo?«, brüllten jetzt auch die dem Neger Nächsten, die da glaubten, dass man irgendwo anders einen der Missetäter erwischt habe. »Wo ist der Hund?«

»Da springt er, lasst ihn nicht fort! Zum Feuer mit ihm!«, brüllte die Menge, nun ein Ziel vor Augen, an dem sie ihre Wut auslassen konnte.

Der Neger, wohl schon von den Vereinigten Staaten her gewitzt, dass ein Farbiger einem Haufen aufgeregter Weißer gegenüber nicht viel Schonung zu erwarten hat, mochte sein Gewissen so weiß und rein sein, wie es wollte, versuchte den ärgsten Schreiern auszuweichen. Einmal aus ihrem Bereich brauchte er nicht zu fürchten, weiter belästigt zu werden. Eine Kiste aber, auf deren Ecke er sprang, hatte an der Seite keine Unterlage und schlug mit ihm über. Als er sich vor einem Fall retten wollte und zur Seite sprang, knickte er in die Knie.

»Das ist er! Haltet ihn! Nieder mit ihm, zum Feuer mit der schwarzen brandstifterischen Bestie!«, heulte die Schar in rasender Wut.

»Aber Gentlemen!«, schrie der arme Teufel nun wirklich erschreckt, indem er die Nächsten von sich abzuhalten suchte. »Ich habe gerettet, was ich konnte, und bin kein Brandstifter!«

Was halfen die Worte in dem Wutgebrüll der Tobenden, die in ihrer ganzen gewichtigen Masse gegen ihn anpressten und ihn zu Boden rissen. Der Neger fühlte jetzt auch, dass sein Leben, – wenn auch nur durch ein tolles Missverständnis – bedroht sei, und suchte sich mit seiner ganzen riesigen Kraft Bahn zu machen. Was er in seine nervigen Fäuste packte, schrie laut auf vor Schmerz, aber retten konnte ihn das nicht.

»Nieder mit dem Hund, nieder mit ihm«, jauchzten die Rasenden.

Über ihn hin, von den Herzudrängenden gepresst, stürmten die vermeintlichen Rächer.

Ohne Waffen, wie er da unter ihren Füßen lag, blieben ihm allerdings nur seine Arme und Zähne. In grimmer Verzweiflung griff er damit an, was er erreichen konnte – umsonst.

Über ihn hin wälzte die Menschenwoge, und die, die ihn nicht mehr mit ihren Händen erreichen konnten, um ihn, was ihre erste Absicht gewesen war, dem Feuer zuzuschleppen, traten ihn mit den scharfen Hacken nach dem Leben und zermalmten ihn unter ihren Füßen.

Einer Schar von losgelassenen Dämonen glichen, schauerlich von dem flammenden Feuer beleuchtet, die Wütenden, die jauchzend und heulend, und doch im Gefühl ihres Rechts, ein unschuldiges Menschenleben unter ihren Füßen zerstampften. Aber wer wollte hier, in diesem Augenblick der ringsum lodernden Gefahr, von Ruhe, von Untersuchung einer Anschuldigung hören? Das unglückliche Wort, das ihn zum Brandstifter stempelte, ob missverstanden, absichtlich entstellt, war gefallen. Die gereizte Menge tobte es nach, und das Opfer, das sich ihnen so unerwartet bot, wurde vernichtet.

Den leblosen verstümmelten Körper schleppten die Wütenden danach noch in die Flammen – vielleicht in einem unbestimmten Gefühl, den Beweis dieser Rache so bald wie möglich aus dem Weg zu haben.

Von Lippe zu Lippe, bis in die entferntesten Straßen der Stadt flog der Jubelruf:

»Das Feuer war angesteckt worden, und einen der Brandstifter haben sie erwischt und in die Flammen geworfen!«