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Die Gespenster – Erster Teil – Vierte Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil
Vierte Erzählung

Etwas von Sonntagskindern und von einem mit Erbsen vertriebenen Poltergeist1

Man will bemerkt haben, dass die Gespenster, in Absicht ihrer Macht, gar sehr voneinander verschieden sind, sodass man sie nach ihrer besonderen Natur und Beschaffenheit in mehrere Klassen einteilen könnte. Da gibt es zum Beispiel einige, deren Natur vielleicht alles, nur das nicht ertragen kann, wenn man ihnen ins Angesicht leuchtet und sie in der Nähe betrachtet. Andere treiben ihr Unwesen bloß vor weiblichen Personen, desgleichen vor kleinen und großen, das heißt, vor eigentlichen und uneigentlichen Kindern. Noch andere verschwinden plötzlich, und auf immer, so bald ihnen ein beherztes und verschlagenes Sonntagskind, d. h., ein Mann in den Weg tritt, der das Glück gehabt hat, an einem Sonntag geboren und ohne grobe Vorurteile erzogen zu werden.

Zu dieser letzten Klasse von Gespenstern schien auch dasjenige zu gehören, welches sich eine Zeit lang auf dem Kornboden des von Windheimischen Landguts zu Wilsleben im Fürstentum Halberstadt hören ließ. Zu der Zeit nämlich, als Herr Hauptmann von Koch dieses Gut noch besaß, wurde das Hausgesinde nachts zuweilen durch ein spukhaftes Geräusch beunruhigt. Man hörte unter und neben dem Kornboden allerlei Töne, deren Ursprung man sich nicht natürlich zu erklären wusste. War man unter dem Boden, so schien es, als ob das Gespenst oben mit einer sogenannten Kumpkarre hin und her fahre. Ging man hinauf, um zu sehen, wer da in der Nacht mit einer Karre fahre, so hörte man das Geräusch selbst noch auf der Kornbodentreppe sehr vernehmlich, und oft sogar deutlicher als vorher. Untersuchte man hierauf die Kornbodentür selbst, so fand man sie, wie es sich gehörte, gut verriegelt und verschlossen. Schloss man sie auf, um zu sehen, ob etwa jemand darauf eingesperrt sei, so fand man weder einen Menschen noch Hund oder Katze.

Auch konnte kein menschlicher Betrüger entsprungen sein, denn man fand alles verschlossen und nirgend eine Öffnung, durch welche er hätte entwischen können. Dieser Umstand setzte auch diejenigen in keine geringe Verlegenheit, welche anfangs diese Spukerei für den Hokuspokus eines verschmitzten Korndiebes hielten. Zwar bemerkte man allerdings hier und da eine kleine Veränderung an den wohlgezeichneten Kornhaufen, allein ein Korndieb konnte doch unmöglich durch ein Mauseloch entwischen!

In einer bloßen Einbildung einiger Furchtsamen bestand nun die Sache wohl nicht. Und doch blieb sie nach wie vor insofern rätselhaft, als man bis diese Stunde noch nicht hinter ihren wahren Zusammenhang hat kommen können. Da das Gut damals bereits verkauft war, so mochte Herr Hauptmann von Koch, der das abergläubige Geschwätz gemeiner Leute verachtete, es umso weniger der Mühe wert finden, der ursprünglichen Quelle des spukhaften Polterns mit der höchstmöglichen Genauigkeit nachspüren zu lassen. Vielmehr überließ er es dem Käufer, der von Windheimischen Familie, sich den lästigen Polterer, im Fall ihr daran gelegen sein sollte, so gut wie möglich vom Hals zu schaffen. Herr Landdrost von Windheim und dessen Wirtschaftsverwalter, Herr Germar, waren auch viel zu ausgelernte Wirte und viel zu helle Köpfe, als dass sie sich von kornlüsternen Gauklern länger hätten sollen zum Besten haben lassen. Vielmehr dachten sie ernstlich darauf, wie man dem allerdings rätselhaften Poltern auf dem Kornboden bald, und wenn möglich, auf immer ein Ende machen könnte.

Besonders angelegen ließ sich es Herr Germar sein, ein Mittel dazu zu ersinnen. Allerdings war er auch am meisten daran interessiert, indem er als Verwalter seinem Herrn, der in eigener Person noch nicht eingezogen war, für die sämtlichen Kornvorräte bürgen musste. Er ließ daher bald, nachdem Herr Landdrost von Windheim das Gut in Besitz genommen hatte, das sämtliche Gesinde und die übrigen zum Gut gehörigen Tagelöhner zu Wilsleben vor sich kommen und hielt folgende Anrede an die Versammlung:

»Man sagt mir von einem Poltergeist, der sich selbst bei fest verschlossenen Türen auf dem hiesigen Kornboden nächtlich hören lasse. Ich bewundere die Einfalt und Dummheit, womit ihr bisher das Poltern eines verschmitzten Korndiebes oder irgendeines anderen Gauklers für die Wirkungen eines spukenden Geistes habt halten können. Da ich nun ein großer Feind von dergleichen nächtlichen Beunruhigungen und zum Glück auch ein sogenanntes Sonntagskind bin, vor welchem die Gespenster, wie euch bekannt sein wird, sich auch in der dicksten Finsternis nicht unsichtbar machen können, so hoffe ich, dass mir dergleichen spukhaftes Poltern nie zu Ohren kommen wird. Sollte aber dessen ungeachtet das Gespenst Lust bekommen, sich wieder hören zu lassen, so versichere ich, dass ich ihm zu jeder Stunde unerschrocken entgegen gehen werde, um ihn mit einer derben Hetzpeitsche für die Zukunft alle Lust zum Spuken zu nehmen. Sollte mich aber das Gespenst durch irgendeine gewaltsame Widersetzlichkeit von der Untersuchung und derben Züchtigung abhalten oder bei meinem Zuruf zu stehen und sich gefangen zu geben auch nur entfliehen wollen, so erkläre ich hierdurch öffentlich, dass ich eine mit Erbsen scharf geladene Pistole auf den Poltergeist abfeuern werde. Hiernach hat sich nun ein jeder zu achten und vor Schaden zu hüten. Entsteht ein Unglück, indem ich dem Gespenst vielleicht die Augen ausschieße, so bin ich außer Schuld. Ihr alle seid meine Zeugen, dass ich gehörig gewarnt habe.«

Hiermit entließ der Verwalter die Herren und Damen, zu denen er so sprach, und erwartete in Geduld die nächste Ankunft des Polterers. Allein das Gespenst verschwand bei dieser ernsten Drohung des entschlossenen Sonntagskindes.

Man hörte von nun an niemals wieder ein unerklärbares nächtliches Geräusch auf dem Kornboden, und Herr Germar sah sich endlich, um den Schuss nicht einrosten zu lassen, genötigt, seine Erbsenladung, die selbst im Lauf der Pistole heilsame Wirkung getan hatte, in die Luft zu verschießen.

Er fragte sich, wer denn nun jener Poltergeist, hinter dessen Schliche man noch bis diesen Tag so eigentlich nicht gekommen ist, war. Höchstwahrscheinlich nicht mehr und nicht weniger als ein schlauer Korndieb! Auch sollte ich nicht glauben, dass irgendeiner meiner Leser noch einen Augenblick daran zweifeln könnte! Denn ein Geist – und ein Gespenst soll doch ein Geist sein – wird sich schwerlich vor einer Hetzpeitsche und einer scharf geladenen Pistole fürchten.

Wir wollen also zweierlei aus dieser Geschichte lernen:

1) Wenn man auch nicht immer den wahren Zusammenhang zwischen einer natürlichen Ursache und einer, dem Anschein nach, gespenstartigen und spukhaften Begebenheit zu finden und aufzudecken imstande ist, so darf man doch daraus noch nicht schließen, dass gar keine natürliche Ursache, kein schlauköpfiger Betrüger, da sei, oder dass alsdann ein wirkliches Gespenst seinen übernatürlichen Unfug daselbst getrieben habe.

2) Wenn Sonntagskinder eine vernünftige Erziehung gehabt haben, nur dann verstehen sie sich auf das Geistersehen, ja ihre Natur ist allen Gespenstern so sehr zuwider, dass diese in der Nähe derselben sogleich und auf immer verschwinden. Wenn hingegen ein Sonntagskind unter allerlei groben Vorurteilen, in Aberglauben und Dummheit aufgewachsen ist, dann freilich gebiert sein Kopf mit fanatischen Wehen geistige Missgeburten und erblickt vorzugsweise auch da Gespenster und Unholde, wo in der Tat keine sind.

Show 1 footnote

  1. Nach einer Erzählung der Frau Landdrostin von Windheim auf und zu Wilsleben