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Sagen- und Märchengestalten – Die Magie – Teil 1

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Die Magie – Teil 1

Dem Menschen allein ist es gegeben, mit aufwärtsgerichtetem Angesicht dem Quell des ewigen Lichtes zu nahen. Ihn allein treibt ein nie befriedigtes Sehnen nach inniger Verschmelzung mit der Gottheit, nach einem Erfassen des ewig Unfassbaren.

Wie eine Göttermutter in hehrer klassischer Schönheit, doch verhüllt in tausend keusche Schleier, birgt das Geheimnis der Natur sich vor dem Blick des Staubgeborenem der umso feuriger sie zu umarmen trachtet, je mächtiger sie sich ihm entsteht. Dieser zweifachen Sehnsucht, die in ihrem Grund und Wesen eine und dieselbe ist, gesellt sich das gleich mächtige Bewusstsein der Vergänglichkeit, das wie ein riesiger Schatten sich über des Menschen Leben herabsenkt, ihn dann aber von Neuem aufstachelt zu nimmer ablassendem Kampf um das, was er zu ergründen sucht und nicht ergründet, bis ihm das Auge bricht und die fragende Lippe verstummt.

Schon bei den ältesten Völkern des Orients, Parsen, Indern, Medern, Ägyptern, begann der Kult der Magie, jenes Zauberwissens im edelsten und höchsten Sinn. Diejenigen, welche in die verborgene Werkstätte alles Lebens einzudringen suchten, nannte man Magier, d. h. Große und Weise. Später zerfiel der Begriff in weiße und schwarze oder gute und erlaubte, böse und verbotene Magie. Doch wie Tag und Nacht nicht nur neben, sondern auch mit- und durcheinander entstanden, so gingen aus dem alten wunderreichen Stamm beide Arten der Magie in gleicher mächtiger Fülle hervor.

Schon Cham, der Sohn Noahs, zauberte Funken aus den Sternen herab, ebenso der weise Zoroaster, dessen Name lebendiger Stern bedeutet. Doch in jenen frühesten Vorstellungen scheidet sich bereits das Wesen des Ersteren als unheilig von dem des Letzteren. Salomo, der Herr der Geister, zwang die guten unter ihnen, ihm zu dienen, während er die bösen in ein enges Gefängnis bannte und dort festhielt, bis eine vorwitzige Hand sie befreite und neue Plage sich über die Welt ergoss.

Fast jede Nation neigte zu einer besonderen Seite der Magie und bildete dieselbe aus. Während die Chaldäer Tote heraufbeschworen und aus Träumen, Stellung, Lauf und Farbe der Gestirne Zukünftiges vorherverkündeten, richteten Ägypter und Perser ihre Sinne auf das Studium geheimer Kräfte und ihrer Wirkungen in der Natur.

Sehr früh, schon vor dem Erscheinen Christi, bildete die Theurgie (aus dem griechischen, eigentlich: Gottestat; daher: was mit göttlicher Hilfe Wunderbares geschieht, Zauberkunst) eine der wichtigsten Unterabteilungen der Magie. Sie lehrte gewisse geheimnisvolle Worte, Zeichen und Gebräuche, deren Macht die Geisterwelt beherrschen und einen wirklichen Verkehr zwischen ihr und den Kindern des Staubes vermitteln sollte. Diese magische Verbindung mit dem höchsten der Geister, mit Gott selbst anzuknüpfen, schwebte wohl nur einzelnen Theurgen als das Ideal ihres Strebens vor. Die Gesamtheit vermochte schwerlich zu so kühnem Flug sich zu erheben und bildete dafür die Vorstellungen von guten und bösen Geistern aus, deren Natur sie die ungeheure Kluft vermitteln ließ, welche Gott und Menschen trennt.

Einer der ältesten Schriftsteller über diesen Stoff war der jüdische Philosoph Philo, der Abkömmling einer angesehenen priesterlichen Familie, der um das Jahr 40 unserer Zeitrechnung von den Einwohnern seiner Vaterstadt Alexandrien in Ägypten an den römischen Kaiser entsendet wurde. Durch die Platonische Philosophie gebildet, erinnert er vielfach an Stil und Lehrmethode derselben. Er bezeichnet den Zustand der Ekstase, in welchen die Seele eines Menschen durch den Umgang mit höheren, geistigen Wesen verfällt, als eine nüchterne Trunkenheit. Nach ihm bedarf der Theurg einer vollkommenen Einsamkeit, in welcher er sich durch Fasten und Enthaltung von sinnlichen Genüssen für die Offenbarungen seines Genius würdig und geschickt macht. Außer diesem Schutzgeist nahen sich dem Auserwählten andere Genien, sogar der Herr derselben, der Logos. Gleich wie der menschliche Leib eine sichtbare Hülle der unsichtbaren Seele ist, umkleideten jene wundersamen Geister sich mit einem Körper von strahlender überirdischer Natur und Schöne.

Märchenhafter noch bildete der ungefähr zu Philos Zeit lebende Inder Nagar seinen Schutzgeist, der ihn sogar mit himmlischem Trank erquickte. Sichtbar erwies der Genius sich in Gestalt einer herrlichen Jungfrau.

Die einmal gegebenen Anknüpfungspunkte wurden durch die Mitglieder der Alexandrinischen Schule, deren Gründer der berühmte Plotinus war, mannigfach ausgesponnen. Sein Schüler und Biograf Porphyrius nennt das Jahr 205 als dasjenige seiner Geburt, eine Angabe, welche auf Mutmaßungen beruht, da Plotin es verschmähte, Mitteilungen über die Zufälle seines sterblichen Daseins zu machen. Er selbst und viele seiner Anhänger glaubten, dass er ein menschgewordener Gott sei. Das stolze Bewusstsein dieser hohen Abstammung führte ihn zu einer Verachtung seines Leibes, die von gefährlichen Folgen für ihn war. Als eine Kolik ihm viele Schmerzen bereitete und Freunde ihm das übliche Mittel zur Beruhigung derselben anrieten, entgegnete er ihnen, dass dieses sich zu der Würde eines Philosophen nicht schicke. Hinfälligkeit des Alters, Fasten und unermüdlicher Fleiß bereiteten ihm im Jahre 270 den Tod, der ihn in Gestalt einer überaus ekelhaften Krankheit ereilte. Sterbend sagte er: »Ich strenge eben meine letzten Kräfte an, um das Göttliche demjenigen wieder zuzuführen, was in dem ganzen Universum Göttliches ist.« Da wand sich plötzlich eine geisterhafte Schlange unter dem Lager hervor und glitt geräuschlos durch eine Öffnung in der Wand hinaus, – der von sterblicher Umhüllung befreite Gott!

Die Theurgie ist insofern mit der weißen Magie übereinstimmend, als die Geister nur zu erlaubten Werken berufen werden durften. Doch unterließen die ernsten und schweigsamen Ägypter nicht, den Beschwörungen jene düstere Färbung zu geben, welche alle ihre mystischen Gebräuche auszeichnen. Furchtbare Drohungen wurden dabei ausgesprochen, um die Götter und Engel empfänglicher für ihre Wünsche zu machen.

Die Geister offenbarten sich nicht gleich mächtig. Die Gewaltigen unter ihnen erschienen in fabelhafter Größe, erderschütternd, strahlend von himmlischem Licht, in deutlich ausgeprägten Umrissen, die Seele, der sie nahen, reinigend von allen Schlacken ihrer irdischen Natur. Dann stuften Gestalt und Wirkung sich allmählich ab, bis zu den niedrigen, die Begierden der Sinne erregenden Dämonen. Ein wohlausgearbeitetes System bestand über Licht, Stärke und Dauer, über gute und böse Eigenschaften derselben, und jeder Theurg strebte, es zu verbessern.

Die zauberhaften Worte, deren die Theurgen sich bei ihren Beschwörungen zu bedienen pflegten, waren vorzugsweise der hebräischen, arabischen und indischen Sprache entnommen.

Die ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung veränderten schnell die Einheit, unter welcher bis dahin das Ganze begriffen worden war. Dem heißen Verlangen, sich die unbekannten Kräfte oder Geister dienstbar zu machen, gleichviel, ob man sie ersehnte oder fürchtete, trat die Kirche streng entgegen und gliederte also: »Erlaubt ist nur der Umgang mit himmlischen Geistern, verdienstlich das Austreiben böser Gewalten durch Segen und Kraft der Kirche, alles andere ist verboten und verwerflich.«

Indessen lässt eigentlich keine Bezeichnung sich bestimmt festhalten. Wenn man Hilfsmittel und Wirkungen betrachtet, möchten sich vier Hauptgattungen herausstellen, die weiße Magie, deren Zweck Erforschung der geheimen Kräfte der Natur und ihrer Gesetze ist; die Schwarze Magie, welche durch die Hilfe höherer, dämonischer Gewalten sich zum Gebieter der Welt zu machen sucht; die theurgische Magie, gleiche Macht durch Heranziehung reiner Geister, ja Gottes selbst erstrebend; und die gemeine Magie, eine Halbschwester der Hexerei, deren Wissen in allerlei seltsamen Kunststücken bestand, die ihre Anhänger, durch Planetengeister unterstützt, ins Werk zu setzen vorgaben.

Zahllos waren die Bücher über Magie. Fast allen lag eine arabische Handschrift zu Grunde. Jedes Werk beschreibt genau Breite und Ausdehnung des aus Jungfernpapier gebildeten Zauberkreises, der zu jeder magischen Handlung unumgänglich nötig erschien. Dieses Papier musste aus der zarten Haut totgeborener Kinder gefertigt und mit wunderbarem Spruch gesegnet sein.

Innerhalb des Kreises, der einen magischen Ring gegen das Anstürmen unreiner Mächte bildete, las man seltsame Worte und Zeichen. Die Zeichen der guten Geister wurden mit dem Blut einer weißen Taube geschrieben, die der bösen Genien hingegen mit Rabenblut. Von außen umgaben die Siegel der Dämonen, welche beschworen werden sollten, das Rund. Auf diese führte der Magier, um das Erscheinen der düsteren machtvollen Gestalten zu beschleunigen, Schläge mit einer Haselgerte oder mit einem Eibenholzstab, oder er näherte, um ihnen Pein zu bereiten, die züngelnde Flamme den mystischen Zeichen.

Unerlässlich war der Duft gewürzreichen Krautes verschiedener Art, welches, zu ungleichen Teilen gemischt, auf glühende Kohlen verstreut wurde. Der aufwallende Dampf sollte, einem Rauchopfer gleich, die beschworenen Geister mild und günstig stimmen.

Man zitierte das Heer der flüchtigen Erscheinungen ungern in Häusern, weil ihr ungestümes Wesen eine Gefahr heraufbeschwor, gegen welche die geöffneten Fenster nicht immer ausreichenden Schutz zu bieten vermochten. Als besonders passend für das seltsame Werk galten abgelegene, einsame Orte und die stille Mitternacht bei heiterem Himmel, denn trübes Gewölk, Sturm und Regen erweckten den Zorn der Dämonen.

Wer mit in den Kreis trat, musste sich schweigend verhalten, weil sonst die bösen Geister Macht über ihn gewannen und ihm ans Leben gingen. Manche Beschwörer gestatteten nur solchen Personen den Eintritt in ihren Zauberkreis, deren Namen gleichlautend mit den ihren waren. Zuweilen genügte auch derselbe Anfangsbuchstabe. Wie tief der Glaube an die sympathische Kraft gleicher Namen wurzelte und noch wurzelt, möge folgende Geschichte erweisen.

Ein junges Ehepaar, welchem nacheinander fünf Knaben starben, empfing den Rat, einen alten wohlerfahrenen Jäger im Tiroler Gebirge zu befragen, der sicher ein Mittel wisse, dem Verderben Einhalt zu tun. Als der Alte von dem trauernden Vater erfährt, dass ihm noch ein Kind lebe, das erstgeborene, Emma geheißen, wiegt er bedächtig das Haupt und erteilt ihm den Rat, die Namen aller Knaben, die ihm noch geboren würden, mit einem E zu beginnen, wie Ernst, Emil, und dabei das zweisilbige Maß nicht zu überschreiten. Dem Paar wurden nach dieser Zeit noch viele Kinder geboren, denen es sämtlich einen ein- oder zweisilbigen Taufnamen mit dem Anfangsbuchstaben E gab, und diese alle blieben am Leben.

Der Beschwörer selbst musste über dem Talar, der bis auf die Knöchel hinabreichte, ein sauber gewaschenes Erbhemd tragen. Der Hauptschmuck aus Jungfernpapier war mit Charakteren bemalt, zu welchem Zweck nur das Blut einer weißen Taube benutzt werden durfte. Er wurde nach orientalischem Muster gebildet, die arabische Inschrift später willkürlich in eine christliche verwandelt.

Die beschwörenden Formeln glichen überaus langen, deutlich gesprochenen Gebeten, und man pflegte sie so lange zu wiederholen, bis die Geister erschienen. Beschworen wurde durch die Erde, den Himmel und durch Gott. Am Sonntag erlangte man vorzugsweise Gold, am Montag und Freitag Silber.

Besonders störrisch und von wunderlicher Laune zeigten sich die spiritus familiares, die eigentlichen Fratznarren unter den niederen Geistern, weil sie durch unzeitige Späße gern die Beschwörung vereitelten.

Vielfach gestalteten sich Art und Weise der sich über alle Teile der Erde verbreitenden Magie. Wie ein Riesenbaum mit den gewaltigen Wurzeln sich tief in den mütterlichen Boden senkt, als wolle er bis in den Mittelpunkt der Erde hinabdringen, und wiederum die mächtigen Äste hoch in die blaue Luft emporsteigen lässt, dem Sturm und dem Blitz zum Trotz, so streckte auch der Wunderglaube sichtbar und unsichtbar sein vielästiges Gezweig, aus dem grauesten Altertum hervorgegangen, mit immer neuen und frischen Blüten über alle Jahrhunderte aus. Und wie mit dem Spruch Rüttle dich und schüttle dich und streue Gold und Silber über mich! regten Magier und Weise, Geisterbanner, Sternkundige und Adepten die blütenschweren Äste des Wunderbaumes, bis es herabflatterte in buntem, prangendem Gemisch: reiche Saat für die Geschichte der Völker und ihre Dichtung, für Natur und Kunst, für das stille Haus wie für den lauten Markt des Lebens.

Eine Antwort auf Sagen- und Märchengestalten – Die Magie – Teil 1