Detektiv Schaper – Falsches Geld – 5. Kapitel
M. v. Neuhof
Detektiv Schaper
Erster Teil
Falsches Geld
5. Kapitel
Sagnalis böser Geist
Inzwischen waren die fünf Ausflügler längst in Potsdam angelangt, wo sie in einem bescheidenen Restaurant gespeist hatten, um dann ihre Fußwanderung sofort wieder nach dem vereinbarten Plan in Richtung Caputh-Goldow fortzusetzen, von wo aus sie mit einem der Tourendampfer bis Wannsee zurückfahren wollten.
Horst-Günther hatte auf der mitgenommenen Karte glücklich einen schattigen Weg entdeckt, der mitten durch den Wald führte und den man auch, obwohl er eine ziemliche Verlängerung des Marsches bedeutete, zu benutzen beschloss.
Astrid, Mariette und Horst-Günther waren bald ein weites Stück voraus, während Maximiliane und Sagnali ihnen in angeregter Unterhaltung folgten.
Die ältere Molnar, die in ihren Mußestunden selbst ein wenig den Pinsel führte, hatte das Gespräch bald auf künstlerisches Gebiet hinübergespielt, wodurch Sagnali wieder veranlasst wurde, über seine eigene Tätigkeit als Maler einige sich notwendig ergebende Andeutungen zu machen.
Bald redete er sich, wie immer, wenn er auf die Tage seines Hoffens und Ringens zu sprechen kam, in eine gewisse leidenschaftliche Erregung hinein. Immer mehr nahmen seine Worte die Gestalt einer rückhaltlosen Beichte an, immer offener entblößte er vor seiner schweigend lauschenden Begleiterin seine von so widerstreitenden Empfindungen zerrissene Seele.
»Damals, als man mir »Die Sünde« zurückschickte, als ich einsah, dass mein jahrelanges, tiefernstes Streben mich auch nicht einen Schritt vorwärts gebracht hatte, da zerriss eine Saite in meinem Innern, die bis dahin die Harmonie in den Tönen meines Seelenlebens hervorgebracht hatte. Was dann folgte, war nur noch handwerksmäßige Ausübung der Kunst, war nur die Arbeit, die jemand leistet, um den Schmerz der Enttäuschung zu betäuben.«
»Und Sie haben sich nie wieder an ein größeres Werk herangewagt?«, fragte Maximiliane leise, indem sie das in der Erregung noch anziehendere Gesicht ihres Weggefährten mit scheuem Blick musterte.
»Nie wieder! Ich hatte eben das Vertrauen zu mir verloren. Und was das bei einem Künstler bedeutet, vermag eben nur ein Künstler richtig einzuschätzen.«
Maximiliane fühlte plötzlich, dass tiefes Mitleid ihr zum Herzen quoll wie eine heiße Welle.
»Oh, ich kann das ebenfalls begreifen, obwohl ich einen prosaischen Beruf ausübe«, meinte sie herzlich. »Sehen Sie, Herr Sagnali, damals, in jener schweren Zeit, da hat Ihnen ein Freund gefehlt, der Ihnen tröstend zur Seite stand, der Sie aufrichtete, ein redlicher Freund, wie …«
»Ja … wie man ihn so selten findet!«, sprach er rau lachend. »Freundschaft! Ich halte nicht viel davon!«, fuhr er schnell fort. »Das einzige Band, das uns Menschen ohne egoistische Nebenmotive umschlingt, ist und bleibt die Liebe, dieses Gefühl völligen Ineinanderaufgehens, völliger Zusammengehörigkeit. Liebe hilft alles überwinden!
Ich weiß, andere denken anders hierüber. Mögen sie! Das Beglückende, Erhebende der Freundschaft – das sind ja alles nur Phrasen, die sich schnell als solche enthüllen, wenn diese Freundschaft einmal auf eine etwas härtere Probe gestellt wird.«
»Sie sind bitter, Herr Sagnali«, meinte Maximiliane mit leisem Vorwurf.
»Vielleicht mehr verbittert«, erwiderte er, einen leichteren Ton anschlagend. »Nun, es ist ja nicht ausgeschlossen, dass auch für mich wieder bessere Tage kommen. Habe ich erst so viel Geld zusammengescharrt, dass ich meine Malstudien wieder aufnehmen kann, und zwar bei ersten Lehrern, dann werde ich der Welt beweisen, dass Ernesto Sagnali doch kein Stümper war.«
Schweigend schritten sie eine Zeitlang dahin. Vor ihnen hatten die drei Wanderer ein heiteres Wanderlied angestimmt. Aber aus dem Dreiklang der Stimmen hob sich immer wieder ein schmetternder, glockenreiner Sopran hervor – der Mariettes, die über ein selten kräftiges, modulationsfähiges Organ verfügte.
Maximiliane lauschte. »Schade, eigentlich sollten Sie Ihrem Schwesterlein Gesangstunden geben lassen. Diele Stimme dürfte nicht verkümmern. Gold steckt in ihr, Schätze, die leicht zu heben sind.«
Aber Sagnali schüttelte den Kopf.
»Nie werde ich das zulassen, nie«, entgegnete er ernst. »Mariette würde dann fraglos bald auf die Idee kommen, zur Bühne zu gehen. Und das soll sie nicht. Dazu ist sie mir zu schade.«
»Sie lieben Ihre Schwester sehr, nicht wahr?«, fragte Maximiliane lächelnd.
»Sehr«, bestätigte er einfach.
Und weiter gingen sie durch den sonnendurchleuchteten Wald, beide wie im halben Traum. Immer fester schlang ein Gefühl gegenseitiger Sympathie seine gefährlichen Bande um die beiden, immer fester. In Maximilianes bisher so unberührtem, verschlossenem Herzen war nichts als heimlicher Jubel. Sie schrieb dies lediglich dem Reiz dieses wunderbaren Sommertages zu, ahnte nicht, dass etwas anderes hier mitsprach, dass auch sie nun den gefunden hatte, an den sie ihr starkes Herz unwiederbringlich verlieren sollte.
Und da sagte Sagnali plötzlich: »Hätte ich Sie damals bei mir gehabt in Mailand – ich wäre geblieben, was ich war …«
Unwillkürlich hatte er ihre Hand ergriffen und presste sie zwischen seinen heißen Fingern. Von diesen Fingern ging es wie ein Strom ungezügelter Leidenschaft auf das junge Mädchen über. Ihre Augen, diese großen, ernsten Augen, verschleierten sich immer mehr.
Und dann – dann lag sie an seiner Brust, seine heißen Lippen suchten die ihren, wild presste er sie an sich …
»Liebst du mich auch wirklich. Maximiliane?« Wie ein Jubelruf war diese Frage.
Und stark und selbstbewusst, wie sie immer war, erwiderte sie nur, sich noch näher an ihn schmiegend: »Ich liebe dich. Noch nie hat mein Herz schneller um einen Mann geschlagen, noch nie. Ich bin dein, und dein bleibe ich.«
Da ging es ihm wie ein schmerzhafter Stich durch das Herz.
Er erwachte. Und sah vor sich nur die Wirklichkeit, sah sich selbst. Durfte er, gerade er, denn überhaupt um eine Frau freien, durfte er dieses reine Wesen an sich ketten – er, ein Verbrecher, über den jeden Tag das Verhängnis hereinbrechen konnte?
Und doch. Er konnte nicht anders! Wie hilfe- und schutzsuchend hielt er sie umfangen, bog den Kopf etwas zurück und schaute ihr tief in die leidenschaftlichen Augen.
»Und du bleibst bei mir, komme, was kommen mag?«, fragte er kaum hörbar.
Sie nickte nur.
Wieder fanden sich ihre Lippen. Ihre Küsse waren sengend, begierig, wie von Dürstenden. Sie hörten, sahen nichts. Ihre Seelen drängten sich ineinander, nahmen voneinander Besitz. Der enge Weg in der Tannenschonung hatte selten solche Seligkeit zweier Menschenkinder gesehen.
Dann schritten sie weiter, Arm in Arm.
Und als sie vorüber waren, löste sich aus einer Baumgruppe die Gestalt eines Mannes heraus, der heimlicher Zeuge dieser Szene geworden war.
Ein hässliches Lachen lag um die Lippen dieses Menschen, der in Maximiliane von Molnar nur eine neue Feindin witterte, die der Durchführung seiner Pläne hindernd in den Weg treten konnte.
Eine halbe Stunde später saßen die fünf Ausflügler in der Glasveranda des Fährrestaurants in Caputh beim Kaffee.
Ernesto und Maximiliane waren sehr schweigsam. Zum Glück merkten die anderen nichts. Denn vorläufig wollten die beiden ihr Geheimnis noch für sich behalten.
Als Sagnali dann die Umfitzenden zufällig musterte, trafen seine Blicke mit denen Merwinskis zusammen, der keine drei Tische von ihnen entfernt Platz genommen hatte.
Merwinski hatte es mithilfe von Schminke und durch die Brille wirklich fertiggebracht, sein Aussehen vollständig zu verändern. Heimlich nickte er Sagnali nun zu. Der aber senkte schnell den Kopf.
Merwinski! Gerade der! Wie eine Bergeslast legte es sich auf des jungen Malers Seele. Der holde Traum, in dem er heute gelebt hatte, zerrann urplötzlich. Die Gegenwart mit ihren Schrecken stand vor ihm.
Nur nicht denken, nur nicht denken! Was würde nur die Zukunft bringen, diese Zukunft, die jetzt so schön hätte sein können, wenn nicht dieses Unabänderliche gewesen wäre, vor dem es kein Entrinnen gab!
Eine trostlose Mutlosigkeit bemächtigte sich Sagnalis.
Da fühlte er seine Hand leise berührt. Maximilianes Finger schmiegten sich scheu in die seinen. Die drei anderen waren gerade aufgestanden, um einen vorüberfahrenden Dampfer zu betrachten.
Und er presste diese Finger wie ein Verzweifelter.
Es musste anders werden, musste! Er würde alles von sich abschütteln, was ihn bisher am Rand eines Abgrundes entlangwandeln ließ – um ihretwillen!
Ernesto Sagnali war noch bis gegen halb eins in seinem Zimmer ruhelos auf und ab gegangen, ein Opfer seiner erregten Gedanken, die ihn nach einem Ausweg aus diesem Labyrinth suchen ließen.
Dann hatte er das Schloss der Flurtür schnappen gehört. Merwinski kehrte zurück.
Gleich darauf erschien dieser bei ihm. Ihre Begrüßung war kühler denn je.
»Schlechter Laune?«, fragte Merwinski, indem er sich in einen der Sessel fallen ließ und sein Zigarettenetui hervorholte.
»Ich wollte gerade zu Bett gehen«, meinte Sagnali kurz.
»Das ist keine Antwort auf meine Frage«, sagte der andere mit einem seltsamen Grinsen. Und fügte dann hinzu. »Wie weit sind Sie eigentlich mit Horst-Günther, Freund Ernesto?«
Sagnali war inzwischen zu einem Entschluss gelangt. Einmal musste diese Aussprache zwischen ihnen ja doch erfolgen. Und warum sollte dies nicht gleich jetzt geschehen, wo er in der doch so lebendigen Erinnerung an Maximilianes Zärtlichkeiten sich frischer und kampfbereiter als vielleicht an einem der folgenden Tage fühlte?
So blieb er denn vor Merwinski stehen und lehnte sich an die Türfüllung.
»Unsere Gemeinschaft muss ein Ende haben«, sagte er schnell und energisch. »Ich mache nicht mehr mit. Sehen Sie zu, wie Sie ohne mich weiterkommen. Ich – ich will ein ehrlicher Mensch werden.«
Merwinski schien etwas Ähnliches erwartet zu haben. Auch nicht die leiseste Überraschung prägte sich in seinen Zügen aus. Er pfiff spöttisch durch die Zähne.
»Ehrlicher Mensch werden! Nicht übel klingt das, lieber Ernesto. Wissen Sie aber auch, wie schwer es fällt, so plötzlich den alten Adam auszuziehen, wie viele Hindernisse sich einer solchen Absicht entgegenstellen?«
»Hindernisse? Ich wüsste nicht, welcher Art diese sein könnten«, meinte Sagnali unsicher.
»Mein Bester, stellen Sie sich doch nicht so harmlos an, als ob Sie erst seit gestern auf dieser schönen Welt wandelten. Nur eins. Wovon wollen Sie denn zum Beispiel Ihren Lebensunterhalt bestreiten? Etwa von den Einnahmen der Schablonenfabrik, die bisher stets mit Verlust gearbeitet hat? Oder wollen Sie wieder als Graveur arbeiten? Ich fürchte nur, Sie werden schwer eine Stellung finden. Vorbestrafte Leute nimmt man ungern – hm, ja!«
Aus Sagnalis Gesicht war jede Spur von Farbe gewichen. Nur zu deutlich merkte er, wie das Verderben wieder auf ihn zugeschlichen kam wie ein hässliches Raubtier.
»Mein lieber Ernesto«, begann Merwinski wieder, »Sie mögen es mir glauben oder nicht. Ich meine es nur gut mit Ihnen, wirklich. Zum Ehrlichwerden ist noch immer Zeit, wenn wir beide unser Schäfchen im Trockenen haben. Bedenken Sie auch: Unser Verbrechen bleibt als strafwürdig immer bestehen, auch wenn Sie selbst jetzt nicht weiter bei der Unterbringung unserer schönen Scheine mitwirken wollten. Mit einem Wort. Sie haben all die Mühe, all die Gefahr umsonst auf sich genommen. Außerdem, was wird aus Ihren künstlerischen Plänen, die Sie mithilfe dieses Geldes verwirklichen wollten? Sie werden dann Ihr Leben lang Handwerker bleiben! Nein, Ernesto, arbeiten wir ruhig weiter zusammen, wenigstens so lange, bis … Sie wissen ja!«
Er schaute sein Gegenüber forschend an. Aber Sagnali ließ sich so leicht nicht betören.
»Trotz alledem, ich will nichts mehr damit zu schaffen haben, dabei bleibt’s«, sagte er hartnäckig.
Da glomm in Merwinskis Augen ein böses Flackern auf.
»Mithin sind unsere famosen Banknoten also nur noch Makulatur«, meinte er ironisch. »Für eine runde Million haben wir davon lagern, das wären für jeden fünfmal hunderttausend Mark.«
Er betonte diese letzteren Worte besonders.
»Und die Summe wollen Sie hingeben, nur weil plötzlich Ihr Herz sich von einem Weib hat umgarnen lassen? Lächerlich!«
Sagnali fuhr auf.
»Was … was soll das heißen? Antwort! Reden Sie!«
Er hatte die Arme wie zum Angriff vorgestreckt. Seine ganze Gestalt bebte vor Wut.
»Regen Sie sich nicht unnötig auf«, meinte Merwinski gleichmütig. Ich wurde heute im Wald bei Caputh zufällig Zeuge der Zärtlichkeiten, die – nun, kurz und gut, ich weiß Bescheid und ahnte auch schon, dass Sie plötzlich -Tugendpinsel werden wollen.«
Sagnali lehnte zusammengesunken an der Tür. Seine Arme hingen schlaff herab. Er wusste nun, welche Waffe der andere gegen ihn gebrauchen würde.
Und wirklich. Schon begann Merwinski wieder von Neuem.
»Haben Sie etwa gehofft, Ernesto, dass ich Sie um eines Weibes willen freigeben würden! Dann haben Sie sich gründlich verrechnet. Vergessen Sie nicht, dass wir beide einen feierlichen Vertrag geschlossen haben, in dem jeder von uns bestimmte Verpflichtungen übernommen hat. Ich bin den meinen nachgekommen, Sie aber wollen jetzt – treulos werden! Ehe dieses geschieht, mein Lieber, zertrümmere ich Ihr Liebesidyll, darauf können Sie sich verlassen. Ob die Dame von dem vorbestraften Banknotenfälscher noch etwas wissen will, möchte ich doch stark bezweifeln.«
Er machte eine kurze Pause.
»Nun die andere Seite der Angelegenheit, die praktische. Wenn Sie weiter mit mir Hand in Hand arbeiten, Ernesto, so steht Ihrem Wunsch, das Weib zu freien, das Sie lieben, nichts im Wege. Mit dem Geld, das uns winkt, können Sie sich eine ganz neue, eine ehrliche Zukunft errichten, können Sie durch ein Leben treuester Pflichterfüllung alles das wieder gutmachen, was Sie gefehlt haben. Überlegen Sie sich bis morgen meine Worte genau und sagen Sie mir dann Bescheid. Gute Nacht, Kamerad, und keine Dummheiten, die sich nicht wieder ausgleichen lassen!«
Damit verließ Merwinski das Zimmer.
Noch lange stand Sagnali regungslos an derselben Stelle.
Nur ein Gedanke wogte unaufhörlich durch sein Hirn. »Ich komme nicht heraus aus diesem Sumpf. Mein böser Geist hat mich zu fest in den Krallen.«
Müde, zerschlagen und voll tiefer Hoffnungslosigkeit ging er dann zur Ruhe. Aber noch stundenlang wälzte er sich wach in den Kissen hin und her, nachgrübelnd über einen Ausweg aus dieser verzweifelten Lage.