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Die Gespenster – Erster Teil – Zweite Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil
Zweite Erzählung

Von einer unleugbaren Ahndung, welche zu Charlottenburg von vielen Menschen gehört worden ist1

Der verstorbene Bürger und Chirurgus Vierthaler zu Charlottenburg bei Berlin bewohnte daselbst während des Siebenjährigen Krieges ein Haus in der Schlossstraße, welches damals allgemein in dem Ruf stand, dass es außerordentlich darin spuke. Nicht einmal, sondern sehr oft hörten seine erwachsenen und nicht erwachsenen Kinder in dem gewöhnlich verschlossenen Zimmer über der Wohnstube ein Poltern und männliche Fußtritte. Anfangs pflegte man, gewöhnlich auf frischer Tat, alles zu durchsuchen, in der Vermutung, dass man aus Versehen vielleicht eine Katze oder einen Hund in dem Zimmer eingesperrt habe. Allem man fand nicht nur deren keines, sondern konnte auch keine andere Ursache von dem deutlich vernommenen und oft wiederkehrenden Geräusch entdecken. Selbst von Katzen und Mäusen zeigten die in dem Zimmer verschlossenen Esswaren nicht die geringste Spur.

Die bisher dreisten Kinder der Familie wurden nun bange und graulich, und das schöne Julchen – eine der älteren Töchter des Hauses -fing an zu glauben, dass ihr verlobter Bräutigam – der damalige preußische Feldjäger Mertens – auf dem Kriegsschauplatze jedes Mal lebhaft an sie denke, so oft sie die rätselhaften Fußtritte über sich höre. Sie hielt also das Geräusch für eine sogenannte Ahndung und sah es bald gar nicht ungern, dass sie, außer den Briefen, welche sie mit ihrem Geliebten wechselte, sich auch noch auf eine andere Art gewissermaßen mit ihm unterhalten könne.

Auffallend war es, dass es in diesem Haus, ganz wider die Gewohnheit der Gespenster, nur bei Tage und des Abends umging. Zur Nachtzeit hingegen ließ sich der Spuk niemals hören. Das gute Julchen und die übrigen Kinder des Hauses waren darüber sehr froh, denn sie schlossen in ihrer Unschuld daraus, dass der Polterer wenigstens kein schwarzes Nachtgespenst sein könne.

Dem Hausherrn Vierthaler war es indessen sehr unangenehm, zu erfahren, dass es in seinem Haus umgehe, und dass nicht nur seine Kinder, sondern auch die zuweilen hinzugerufenen Nachbarsleute, das Gespenst gehört zu haben, versicherten. Er war ein verständiger Mann und wusste wohl, dass hinter allen Spukgeschichten entweder Selbstbetrug oder absichtliche Täuschung anderer Menschen verborgen zu sein pflegt. Daher sagte er oft zu seinen Kindern: »Es ist sonderbar, dass sich der Polterer immer nur dann hören lässt, wenn ich in meinen Amtsgeschäften außer Haus bin. Möcht’ ich doch auch einmal so glücklich sein, die Fußtritte des Ungebetenen über mir zu hören. Ich wollte gewiss bald hinter das Geheimnis kommen.«

Wenige Tage darauf wurde sein sehnlichster Wunsch erfüllt. Er hörte über sich die unverkennbaren Fußtritte eines auf- und abgehenden Mannes und griff in dem nämlichen Augenblick mit der einen Hand nach dem Schlüssel zur Spukstube und mit der anderen nach seiner Hetzpeitsche. So eilte er nun die Treppe hinauf, öffnete die verschlossene Stube, die zwar auch eine Kammer, aber nur diesen einzigen Zugang hatte, durchsuchte alles und fand … niemanden. Er stutzte, und seine Kinder, die ihn begleiteten, sahen ihn forschend an, und meinten, dass nun auch ihr ungläubiger Vater von der Wirklichkeit der Ahndung und dem Dasein des Spukes überzeugt worden sei.

»Nein, liebe Kinder!«, sagte er, » der Spuk hat mich bloß davon überzeugt, dass er seine Täuschungen viel klüger bewerkstelligt, als ich es danach angefangen habe, den Betrüger mit einer Tracht derber Peitschenhiebe für seine Bemühungen zu belohnen. Hätte ich den Christian – dies war sein ältester Sohn, der als Barbiergeselle bei ihm in Diensten stand – hätte ich den mutwilligen Christian nicht soeben, mit dem Barbierzeug unter dem Arm zum Haus hinausgehen sehen, so würde ich glauben, dem jucke der Buckel. Aber ich hoffe, des Polterns soll bald ein Ende werden. Holt mir einmal gleich ein brennendes Licht, Siegellack und Petschaft herauf!«

Das leichtfertige kleine Suschen – seine damals zehnjährige Tochter, und die Einzige, welche sich, nebst Christian, unter allen Geschwistern gar nicht vor dem Gespenst fürchtete – sprang die Treppe hinab und kam im Nu mit dem Verlangten wieder. Der ernsthafte Vater versiegelte nun innen sämtliche Fenster der Stube und Kammer, und dann außen auch die zuvor verschlossene Tür.

»Nun will ich doch sehen«, sagte er darauf, »ob das Gespenst auch durch das Schlüsselloch in die Stube kommen und mich noch ferner zum Besten haben wird.

Es vergingen wohl vier Wochen, ohne dass man das Geringste wieder von dem Polterer hörte. Vater Vierthaler glaubte schon, über das Gespenst den Sieg davon getragen und seine Kinder von der Torheit des Gespensterglaubens überzeugt zu haben. Allein eines Tages, als der damalige Prediger des Ortes zum freundschaftlichen Besuch da war, wurden alle plötzlich abermals aufgeschreckt. Nicht nur die sämtlichen Kinder, von denen diesmal auch der in Verdacht geratene Christian nicht fehlte, sondern auch der Prediger und Herr Vierthaler selbst glaubten wieder, die rätselhaften Fußtritte in dem Spukzimmer zu hören. Zwar war es diesmal, und nachher immer, als ob der Polterer absichtlich leiser zutrete als sonst. Aber genug, sie alle hörten das Tappen, in völlig gleichen zeitlichen Zwischenräumen, so ganz deutlich, dass niemand von ihnen die Wirklichkeit des vernommenen Geräusches in Zweifel zu ziehen wagte.

Die ganze Familie, samt dem Prediger, schritt nun zur genauesten Untersuchung. Man fand die versiegelte Tür völlig unverletzt, öffnete sie, durchsuchte alles und fand abermals weder in der Stube noch in der Kammer irgendetwas Lebendiges. Vater Vierthaler ging nun erwartungsvoll zu den Fenstern, weil er gewiss glaubte, eines davon gewaltsam geöffnet zu finden. Allein er fand zu seinem Erstaunen sie alle wohl verschlossen, und die Siegel, welche er vor vier Wochen darauf gedrückt hatte, noch ganz unbeschädigt. Er stutzte, und alle sahen einander mit großen Augen an. Selbst Christian, der bisher immer leichtfertig gelächelt hatte, so oft man sich den Kopf über das Poltern zerbrach – selbst Christian wurde nun mit einem Mal sehr ernsthaft und gestand, dass auch ihn zu grauen anfange. Sein Vater, der es nicht leiden konnte, wenn sich seine Kinder fürchteten, nannte ihn deshalb zwar einen erwachsenen dummen Jungen. Allein Christian schien nur nicht sagen zu dürfen, warum gerade er am meisten Ursache habe, sich vor dem Gespenst zu fürchten, welches selbst bei versiegelten Türen und Fenstern sein Wesen noch treiben könne.

Auch sagte er eines Tages ganz im Vertrauen zu Schwester Suschen: »Ich habe bisher immer nicht recht verstanden, was das Sprichwort sagen will, man solle den Teufel nicht herbeizitieren, denn der komme wohl ungerufen – aber nun verstehe ich es leider.«

Die Schwester lächelte über dieses Bekenntnis ihres erwachsenen Bruders; und es war dem kleinen Suschen ungemein schmeichelhaft, außer dem Vater, nun die Einzige im ganzen Haus zu sein, welche nicht im Geringsten furchtsam oder graulich wurde, ungeachtet das Gespenst in der zuletzt beschriebenen Art, jahrelang fein leises Unwesen so forttrieb. Vorurteillose Männer untersuchten nicht ein, sondern unzählige Mal, woher die vernommenen Fußtritte kommen könnten, aber jedes Mal vergeblich. Zwar hat man im Vierthalerschen Haus niemals etwas Gespenstartiges gesehen; zwar hörte man, seitdem die Spukstube versiegelt worden war, auch das anfänglich laute Poltern nicht mehr, sondern nur die leisen Fußtritte eines Gehenden. Aber diese wurden nun auch so oft vernommen, dass sich nach Jahr und Tag fast niemand mehr die doch immer vergebliche Mühe nahm, die in den ordentlichen Kräften der Natur gegründete verborgene Ursache dieser Tritte auszuspüren. Wie man sich an alles zu gewöhnen pflegt, wenn es sein muss, so horchten auch bald die Kinder des Hauses nicht mehr ängstlich auf die fast täglich vernommene Ahndung. Das liebende Julchen freute sich zuletzt sogar über dies Ahnden, weil es in demselben die Zeichen der lebhaften Erinnerung ihres teuren Mertens an sie wahrzunehmen glaubte.

Gegen das Ende des Siebenjährigen Krieges erhielt die Verlobte die erfreuliche Nachricht von ihrem Geliebten aus Schlesien, dass er nun endlich eine Oberförsterstelle bekommen habe, und hoffe, bald in Charlottenburg eintreffen zu können, um dann seine Verbindung mit ihr durch die Hand des Geistlichen vollziehen zu lassen.

Jetzt hörte man die angenehmen Ahndungen auf der Spukstube häufiger als jemals. Aber kaum waren drei Wochen vergangen, so lief für Julchen die schreckliche Botschaft ein, dass Mertens plötzlich erkrankt sei und gefährlich darnieder liege. Wenige Posttage darauf wurde dem Vierthalerschen Haus der Tod des Oberförsters Mertens angezeigt. Das arme Julchen war untröstlich, welkte wie eine Herbstblume dahin und starb vor Gram und Schmerz an der Auszehrung.

Äußerst merkwürdig schien es allen, dass das Gespenst zu eben der Zeit plötzlich und auf immer verschwand, wo die Trauerpost von der Krankheit des Oberförsters hier einlief. Denn niemals hat man von der Zeit an wieder jene rätselhaften Fußtritte über sich in der Spukstube gehört. Aber auch niemals hat bis letzt irgendjemand in Charlottenburg in Erfahrung gebracht, welche geheimnisvolle Bewandtnis es mit diesem Spuk gehabt habe.

Mich, den Erzähler, machte ein glückliches Ungefähr zum Vertrauten dieses Geheimnisses. Mit Vergnügen teile ich es dem Publikum mit, da Mamsell Suschen, fast die Einzige, welche von der beinahe ganz ausgestorbenen Vierthalerschen Familie noch übrig ist und jetzt in Berlin lebt, die menschenfreundliche Güte gehabt hat, mir zu erlauben, zur Minderung des Glaubens an Hirngespinste, öffentlich Gebrauch davon zu machen.

»Ich war ein kleines munteres Wesen«, erzählte mir Suschen, »als sich meine ältere Schwester mit dem damaligen Feldjäger Mertens verlobte, der bald darauf in Dienstgeschäften nach Schlesien ging. Einst sagte sie halb scherzend, sie habe oben ein Geräusch gehört, und glaube, das sei eine Ahndung von ihrem Mertens gewesen. Unser Bruder, der lose Christian, der das hörte, mochte denken: »Wenn du gerne spukende Ahndungen hörst, die Freude will ich dir wohl machen.« So ging er dann zuweilen, mit dem Barbierzeug unter dem Arm, vorn zum Haus hinaus, und, um von uns Mädchen bemerkt zu werden, absichtlich vor der Stube vorbei, in welcher wir gewöhnlich mit unserem Strick- und Nähzeug an den Fenstern saßen. Aber anstatt die Barbierkunden aufzusuchen und seines Amts zu warten, schlich er sich unvermerkt durch eine Hintertür wieder auf den väterlichen Hof und stieg mittelst einer Leiter durch ein offenes Fenster in die Kammer, welche zur Spukstube gehört. Da pflegte er dann im Namen des Feldjägers zu poltern und einmal stark auf- und abzugehen. Unterdessen die Schwestern hinaufgingen, um zu sehen, wer da oben sei, stieg er geschwind wieder zum Fenster hinaus, drückte das Fenster heran, legte die Leiter wieder an den gehörigen Ort, entfernte sich durch die nämliche Hintertür und ging seinen Geschäften nach. Kam er endlich wieder nach Hause, so erzählte man ihm von erfreulichen Ahndungen. Der Bruder lachte oft laut auf, aber Julchen verstand das so, als ob er nicht glaube, dass es am hellen Tag im Haus gespukt habe, und rief uns Schwestern zu Zeugen auf. Wir mussten dann freilich der Wahrheit gemäß ihre Aussage bestätigen.

Da wir indessen nicht von der Liebe verblendet waren wie Julchen, so merkten wir bald, dass der schlaue Christian dahinter stecken müsse. Obwohl wir ihn gleich nicht auf frischer Tat ertappen konnten, so verriet er sich doch bei uns durch sein Lachen. Dem Vater, der sehr streng war, durften wir unsere Vermutungen nicht mitteilen, weil wir uns doch irren konnten, und dann dem Bruder eine derbe Tracht unverdienter Schläge würden zugezogen haben. Die Schwester wollten wir auch nicht gerne in der süßen Träumerei von der vermeintlichen Seelenkorrespondenz ihres Geliebten irremachen, denn wir alle liebten sie sehr und gönnten ihr gerne ein Vergnügen, welches ich damals noch für ganz schuldlos und unschädlich hielt.

Als der Vater nachher die Spukgeschichte selbst einmal ernstlich untersuchte und mit der Hetzpeitsche so eilfertig die Treppe hinauf lief, da schlich ich indessen auf den Hof, um auf Entdeckungen auszugehen. Wie gedacht, so geschehen! Christian kam in größter Eile die Leiter herab und bat mich himmelhoch, ihn dem Vater nicht zu verraten. Dies sollte auch das letzte Mal gewesen sein, dass er den Feldjäger gespielt habe.

Ich versprach es ihm in die Hand und hielt treulich Wort.

Darauf ging ich vergnügt in die Spukstube, wo alles beschäftigt war, das Gespenst zu suchen, holte meinem Vater Licht, Siegellack und Petschaft und sah der Versiegelung der Fenster und der Tür zu. Das Spuken in unserem Haus hatte nun plötzlich ganze vier Wochen lang ein Ende. Wir Mädchen sahen das gar nicht einmal gerne, denn uns währte nun wieder die Zeit lang. So lange Christian spukte, hatten wir von Zeit zu Zeit neugierige Leute bei uns, die verwunderungsvoll die Mäuler aufsperrten, wenn sich über uns etwas ahndete. Uns machte das tausendfach Spaß und Zerstreuungen, wenn sich Vornehme und Geringe von dem Bruder auf der Nase spielen ließen. Und ich insbesondere fand mich sehr geschmeichelt, wenn ich als zehnjähriges Kind glauben musste, die ganze Betrügerei zu durchschauen schauen und richtiger zu beurteilen als die erwachsenen, abergläubigen Leute.

Diese kleine, und, wie ich glaube, einem Kind leicht zu verzeihende Eitelkeit verführte mich, ernstlich daran zu denken, wie ich jene Spielerei mit der Ahndung – dies so vortreffliche Mittel wider die Langeweile – auf irgendeine Art fortsetzen könne, ohne jedoch den Gefahren der Hetzpeitsche ausgesetzt zu sein. Ich machte zu dem Ende Versuche verschiedener Art, die aber alle entweder zu umständlich oder zu gefährlich für mich waren.

Endlich entdeckte ich ein eigenes Talent in meiner großen Zehe. Ich habe nämlich, besonders am rechten Fuß, eine ganz ungewöhnliche Gelenkigkeit in dieser Zehe, sodass ich sie durch sich selbst nicht nur in die Höhe heben, sondern auch willkürlich nach allen Seitenrichtungen hin bewegen kann. Wenn ich nun in Abwesenheit des Vaters mit meinen Schwestern am Nähtisch saß und den Feldjäger in der Spukstube hin- und hergehen lassen wollte, so machte ich vor allen Dingen den rechten Fuß durch Röcke und Schürze unsichtbar, legte dann die große Zehe auf ihren nächsten Nachbar, ließ sie von demselben hinabglitschen, und mit einer gewissen Heftigkeit gegen den Fußboden schnellen. Dies wiederholte ich in gleichen Zwischenräumen der Zeit, ungefähr so geschwind, wie die Fußtritte aufeinanderzufolgen pflegen, wenn man langsam hin und her geht. Ich war dann immer die Erste, welche die hohe Ähnlichkeit dieser dumpfen Töne mit den leisen Fußtritten eines Gespenstes über uns herausstrich, obwohl ich gleich bis diese Stunde noch kein Gespenst habe gehen gehört, sintemal jedes Gespenst ein Geist sein soll, und ein Geist mit Füßen ein pudelnärrisches Ding sein müsste.

Als Kind fing ich übrigens meine Sache listig genug an. Im Haus trug ich fast beständig Pantoffeln, die ich leicht ausziehen konnte, wenn ich spuken wollte. Anfangs schnitt ich mir ein Loch vorn in den Strumpf, sodass die große Zehe und ihr Nachbar fast entblößt waren. Nachher strickte ich mir vorne den Strumpf so weit, dass das Loch nicht mehr nötig war. Auch hatte ich gleich im Anfang nicht so viel Kraft in der Zehe, um sie so stark, wie es nötig war, von der benachbarten Zehe gegen den Fußboden schnellen zu lassen. Aber durch das beständige Üben erlangte ich sie bald. Solange indessen in der Übungszeit die vermeintlichen Fußtritte des Gespenstes noch gar zu leise und kaum hörbar waren, widersprach ich denen, die etwas zu hören glaubten. Ich tat das, um die Aufmerksamkeit der Gegenwärtigen von meinen Übungen abzulenken. In der Folge aber sah ich selbst fleißig horchend zur Bodendecke hinauf, und das schon gefasste Vorurteil wider die Spukstube kam mir wohl zustatten. Ich hatte meine innige Freude daran, wenn meine Schwestern nicht nur, sondern auch alle Fremden, die uns besuchten, durch mich verführt, ebenfalls einen langen Hals machten und aufmerksam horchend den Ursprung des Tones oben an der Bodendecke zu finden glaubten, den sie unter meinen Füßen hätten aufsuchen sollen.

Wie ist es möglich, dachte ich mutwilliges Kind zuweilen bei mir selbst, dass sich so viele erwachsene Menschen von mir, einem so jungen Mädchen auf der Nase spielen lassen! Wie können doch Leute, die so klug und beherzt sein wollen, vor einer großen Zehe zusammenschaudern und vor diesem Nichts sich fürchten!

Wie ich nach mehreren Jahren endlich der Spieler überdrüssig geworden war, legte ich es zuweilen recht darauf an, dass der Spaß sein Ende erreichen möchte. Ich steckte die Fußspitze unter der Schürze hervor und ließ so die große Zehe ihr Künstchen ganz sichtbar machen. Aber es war, als ob man nun einmal mit Blindheit geschlagen wäre. Gerade zu konnte und durfte ich auch niemanden mit der Nase darauf stoßen. Denn wenn ich gleich, aus kindlicher Liebe und Achtung für meinen Vater, bloß am Anfang einige Mal, aber nachher nie wieder in seiner Gegenwart gespukt hatte, so hätte er den so lange fortgesetzten und soweit getriebenen Spaß mit anderen Leuten, doch übel aufnehmen können. Ich musste daher das Geheimnis wider meinen Willen bei mir behalten.

Ich entwuchs damals allgemach den Jahren der Kindheit und des Leichtsinns, wurde verständiger und lernte schon einigermaßen die Schädlichkeit solcher spukhaften Täuschungen einsehen. Ich fing sogar an, zu wünschen, dass ich nie auf den kindischen Einfall gekommen sein möchte, jenes Talent meiner großen Zehe zu entwickeln, denn mit Bedauern bemerkte ich, dass ich dadurch gewisse Menschen in ihren Träumereien von Ahndungen und in ihrer törichten Gespensterfurcht kräftig gestärkt hatte.

Dazu kam noch, dass plötzlich die traurige Nachricht von der Krankheit und dem Tod des Oberförsters Mertens bei uns einlief. Wir liebten die untröstliche Schwester viel zu zärtlich, als dass ich von nun an nicht geflissentlich alles hätte vermeiden sollen, was ihre Schwermut nähren und sie an den Gegenstand ihres tödlichen Harms erinnern konnte.«

Die Erzählerin sagte mir noch, sie habe die natürlichen Ursachen der Charlottenburgischen Ahndungsspukerei bisher noch niemanden entdeckt, außer einigen ihrer Freundinnen, die entweder schon tot sind, oder sie doch niemals der Welt bekannt machen werden. Wie leicht hätte auch sie, die einzige Besitzerin des Geheimnisses, seit dem Siebenjährigen Krieg sterben und die Aufschlüsse jener Geschichte mit sich ins Grab nehmen können! Wer hätte es dann wagen dürfen, jene spukhaften Fußtritte für eine ganz natürliche Sache, für das unschuldige Spielwerk eines Kindes auszugeben, das sich die Langeweile angenehm vertreiben wollte. Alle, denen dies Kind einst auf der Nase spielte, würden bis an ihr Ende behaupten, »dass ihr Glaube an Ahndungen keineswegs in Leichtgläubigkeit und Einfalt, sondern in jenen selbst erlebten, ernstlich untersuchten und unleugbaren Tatsachen begründet sei.« Tatsachen freilich, aber wollte nur der Himmel, es wäre kein seltenes Ungefähr, wenn wir einmal so glücklich sind, hinter ihren wahren Zusammenhang zu kommen. Auch wissen allerdings wir armen Menschen noch gar nicht viel und kennen noch lange nicht alle die wundervollen Kräfte, die für uns bis diese Stunde noch im Schoß der Natur, in der großen Schöpfung unseres Gottes verborgen liegen! Und in einem gewissen Sinn hat Shakespeare vollkommen recht, zu sagen: »Es sind noch viele Dinge noch mancherlei Naturkräfte zwischen Himmel und Erde, wovon sich unsere klugen und gelehrten Herren nichts träumen lassen.«

Allein, liebe Leser! Lassen Sie uns weder diesem hierin missgedeuteten Engländer noch irgendeinem dem Irrtum unterworfenen Sterblichen trauen, der uns überreden will, dass der Weltenregierer ein Wunder tun werde, so oft zum Beispiel ein sterbender Freund und Geliebter aus der Ferne lebhaft an seine Geliebten denke. Sie aber, meine Herren, die Sie Shakespeares Worte bei allen Gelegenheiten im Munde führen, entweder, um Ihrer Blöße schamhaft ein Mäntelchen umzuhängen, oder – was nach zehnmal schlimmer ist – um dadurch jedem Wahnglauben Tür und Tor zu öffnen. Auch Sie mögen aus dieser Geschichte lernen, dass allerdings viele Dinge zwischen Himmel und Erde sind, wovon sich unsere Philosophen bisher nichts träumen ließen. Denn wer in aller Welt hätte es sich je träumen lassen, dass sogar in unserer großen Zehe noch unentwickelte Talente liegen!

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  1. Nach der mündlichen Mitteilung der Demoiselle Vierthaler zu Berlin