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Mit den Konquistadoren ins Goldland Teil 24

Gustav Dittmar
Mit den Konquistadoren ins Goldland
Eine Erzählung aus der Zeit der Welserzüge
Teil 24

Sie fanden die Stadt in einem Zustand trostloser Verwahrlosung. Die meisten Hütten, an denen sie vorüberschritten, waren verfallen, die Ansiedlungen der mit Hohermut und Federmann Ausgezogenen verwildert und verwachsen. Zum Teil hatten sich die Zurückgebliebenen ihrer bemächtigt. Niemand glaubte, dass die ursprünglichen Besitzer noch einmal Ansprüche auf ihr Eigentum erheben würden.

»Das schlimmste Übel«, erzählte Wetz, »ist dieser Dr. Navarro, diese Laus, die uns die löbliche Kolonialverwaltung in Santo Domingo in den Pelz gesetzt hat, und seine spanischen Beamten, dieses bestechliche Gesindel, diese heimlichen Sklavenhändler. Seit die Kerle da sind, ist die Kolonie in zwei Parteien gespalten. Die eine hält es mit den Spaniern, die andere mit den Welsern. Ja, wenn Hohermut noch lebte oder wenigstens Federmann da wäre …«

»Und die Welser?«, fragte Hans.

Wetz zuckte die Achseln. »Landsmann, die Welser sitzen in Augsburg, und das ist weit. Und wisst Ihr, sie wollen verdienen, verdienen, Geld herausschlagen aus dem Handel mit der Kolonie. Ob wir Ansiedler dabei zugrunde gehen oder nicht, das kümmert sie nicht viel. Und der Melchior Grubel, den sie hier als Faktor haben, ist halt auch nicht der Mann, um sich gegen die Spanier durchzusetzen. Halt ein Schreiber!«

Wetz’s Ansiedlung war eine wahre Oase in der Wüste. Inmitten ausgedehnter Felder lag im Schatten einiger Palmen die saubere Hütte nebst dem Stallgebäude. Neben einem Feld, das mit Bataten bestellt war, hatte der rührige deutsche Landwirt sogar eine Zuckerrohrpflanzung angelegt. Die Setzlinge dazu stammten von den Kanarischen Inseln. Er hatte sie, natürlich durch Vermittlung der Welsergesellschaft, für teures Geld kaufen müssen. Den auf die Hütte zuschreitenden Freunden sprangen jauchzend zwei blonde Buben entgegen, und in der niedrigen Tür erschien Barbara Wetz, die Hausfrau, den Ankömmlingen ein freundliches »Grüß Gott!« zurufend. Ein wenig später saßen die Freunde mit der Familie ihres Wirtes um den Tisch, auf dem die Milchsuppe dampfte. Es war ihnen seltsam feierlich und andächtig zumute, als der Hausvater im treuherzigen Pfälzer Deutsch das Tischgebet sprach.

Dann saßen die Freunde vor Wetz’s Hütte und sahen auf das Meer hinaus, wo soeben am Horizont das Segel der flämischen Brigg verschwand. Was sollten sie nun beginnen?

»Vielleicht, dass wir uns als Matrosen anheuern lassen«, meinte Hans. »Nimmt uns ein Schiff mit nach Europa, so kann ich ja wieder Kaufmann werden, du, Fabricius, Magister, Doktor.«

Auf der Siedlung begann ein herzhaftes und fröhliches Arbeiten. Das notwendige Kulturland musste dem Busch mit Äxten und Feuer abgewonnen werden. Es war ein ständiger Kampf mit der wild wuchernden tropischen Pflanzenwelt, aber der Boden vergalt die Mühe. In wenigen Wochen spross der Mais auf, mehr als hundertfach die Aussaat vergütend. Andere Felder wurden mit Bataten, Maniok und Yams bestellt. Ein kleines Feld lieferte Tabak. Schließlich machten sie auch einen Versuch mit der Baumwollkultur, der überraschend gelang. Kressel zog auch Hülsenfrüchte aller Art, Bohnen vor allem, dann auch Erbsen und Linsen. Wetz, der Pfälzer, half nachbarlich mit Samen aus.

Unbestrittener Herr und Meister war jetzt Martin Kressel, der Bauer. Bereitwillig ordneten sich Fabricius und Hans dem Vielerfahrenen unter. Oft genug tat ihnen der Rücken von der ungewohnten Arbeit gewaltig weh, aber sie waren zu stolz, um es Kressel merken zu lassen, an dem alle Anstrengungen spurlos vorüberzugehen schienen. Allerhand Ärger hatten die Freunde mit den »schutzbefohlenen« Caquetio. Die Wilden konnten es einfach nicht begreifen, dass die Weißen mehr anbauten, als sie selbst verzehren konnten. Sobald sie sich unbeobachtet glaubten, legten sie sich träge in die Sonne und – um bei der Wahrheit zu bleiben – es bekam auch auf der Siedlung der Freunde dann und wann einmal ein brauner Faulpelz seine Tracht Prügel.

Eine Sonderstellung nahm Zischende Viper ein. Er sah mit steinernem Gesicht den Freunden zu, die sich im Schweiße ihres Angesichts abmühten, und tat nur gerade so viel, wie ihm passte. Im Übrigen ging er auf die Jagd und zum Fischen, was den anderen, die dazu keine Zeit mehr hatten, nur recht war. Gewöhnliche Feldarbeit aber verschmähte der Xidehara durchaus.

»Er ist halt ein Fürstensohn«, sagte Kressel gutmütig und ließ ihn gewähren.

Das Vorbild der Wetzschen und Kresselschen Siedlung – so hieß sie allgemein – machte Schule. Da und dort entstanden kleinere Siedlungen nach ihrem Muster. Aber der größte Teil der Bewohner Coros war für harte Arbeit nicht mehr zu gebrauchen, am allerwenigsten diejenigen, die schon an Eroberungszügen in das Innere des Landes teilgenommen hatten. Tagaus, tagein saßen sie rauchend am Strand, sahen auf das Wasser hinaus und redeten von nichts anderem als von Abenteuern und vom Goldland.

Sie waren alle grenzenlos enttäuscht. Was war ihnen von den welserischen Agenten nicht versprochen worden, um sie zur Auswanderung ins indianische Land zu bewegen! Der heimatlichen Enge und Dürftigkeit zu entgehen, waren sie ausgezogen, und nun waren sie tausendmal elender daran als daheim, ständig bedroht vom nackten Hunger und vom Küstenfieber, das selten einmal einer überstand, den es ergriff. Dazu sollten sie Vorschüsse zurückzahlen, die die Welsergesellschaft ihnen für die Kosten der Überfahrt und die Ausrüstung gewährt hatte. Es gab ja vielleicht noch ein Mittel, um aus dem Elend herauszukommen: den Sklavenhandel. Man durfte zwar die christlichen und friedlichen Untertanen der spanischen Krone nicht in Sklaverei schleppen. Nun, so hetzte man einfach einen Indianerstamm gegen den anderen auf und kaufte dem siegreichen Stamm die Gefangenen ab, die er gemacht hatte. Dann war alles dem Buchstaben des Gesetzes nach in Ordnung. Man bewahrte wohl gar noch die Gefangenen vor dem Schicksal, von ihren Überwindern gemartert zu werden.

Juan de Carvajal wurde nicht müde, den Ansiedlern die Vorzüge dieses Verfahrens in den hellsten Farben zu schildern, und hatte dabei auch einigen Erfolg. Die Deutschen freilich verachteten den Spanier insgeheim, der sich in der verwaisten Kolonie als ungekrönter König aufspielte und dabei nicht einmal richtig schreiben konnte. Doch er hatte im Stadtrat ein großes Mundwerk. Er verstand es, gegen die »schändlichen Ausbeuter« zu wettern, und stand ausgezeichnet mit den spanischen Beamten.

Und dann dieser Dr. Navarro! Mit seinen riesigen Pluderhosen aus rosa Seide und seinem lächerlich kurzen spanischen Mäntelchen stelzte er durch den braunroten, unergründlichen Sand, hochnäsig und eingebildet und doch nur eine Puppe in den Händen des Ränkeschmieds Carvajal.

»Ich werde Ordnung schaffen«, verkündete er laut, »und jedermann zur Verantwortung ziehen, der sich gegen das königliche Gesetz vergangen hat.« Doch jeder wusste, dass er selbst insgeheim Sklavenhandel trieb.

Carvajal schlich oft um die Ansiedlung der Freunde herum. Eines Abends trat er ein und begrüßte sie mit kriecherischer Freundlichkeit.

Die Freunde empfingen ihn eisig. Carvajal holte weit aus. Er schalt auf Ambrosius Ehinger, den »Bluthund«, auf Federmann, der immer nur in seine eigene Tasche wirtschafte. Vor ein paar Monaten war er, Carvajal, noch begeisterter Parteigänger Federmanns gewesen. Schließlich kam er auch auf Hohermut zu sprechen.

»Ein Kaufmann«, meinte er, »der sich auf Geschäfte versteht, aber kein Führer, kein Soldat. Da ist schließlich Federmann noch …«

Fabricius’ Augen glühten bedenklich. »Señor«, sagte er, sich mühsam beherrschend, »nun ist es genug. Wo wart Ihr denn, Ihr und Euresgleichen, als wir Soldaten unter Hohermut in der Wildnis kämpften und darbten? Ihr, die Ihr mit den armen Indios wie mit Warenballen Handel treibt, Ihr wollt uns vorwerfen, dass wir Bluthunde seien, weil wir im ehrlichen Kampf die Indianer besiegten, die sich uns mit den Waffen in der Hand in den Weg stellten? Dass wir sie zwangen, unsere Lasten zu tragen, damit wir nur rasch die fetten Länder erreichten, darin Ihr Euch zu mästen gedachtet? Und Ihr, Carvajal, nehmt Euch heraus, unseren Führer zu schmähen und ihn einen Krämer zu schelten? Carvajal!« – Fabricius’ Stimme bebte – »Ihr seid nur einer und wir sind zu dritt, ganz abgesehen davon, dass ein jeder von uns allein stärker ist als Ihr. Ich rate Euch, geht nun den Berg wieder hinunter nach Coro, schnell, schnell, dass wir Euch nicht Beine machen.«

Carvajal sprang auf. »Das werdet Ihr mir büßen!«, schrie er mit wutverzerrtem Gesicht.

Statt aller Antwort stand Kressel auf, packte den Spanier am Kragen und setzte ihn vor die Tür.

Er kam nicht wieder! Aber den Freunden war nicht wohl zumute.

»Passt auf«, sagte Hans, »der spielt uns noch einen bösen Streich!«

Was nun geschah, hatten die Freunde aber doch nicht erwartet. Ein paar Tage später kam, den weißen Stab in der Hand, der Gerichtsbote den Berg herauf. Im Namen des großmächtigen hispanischen Königs, des Schützers der Christenheit und Verteidigers des Glaubens, verkündete er den Freunden einen Beschluss des Bevollmächtigten einer hohen Audiencin in Santo Domingo, des Lizentiaten Dr. Navarro. Im schrecklichsten Kanzleistil war in dem Schriftstück nicht mehr und nicht weniger gesagt, als dass er – Dr. Navarro – die Untersuchung ausdehne auf zwei deutsche Offiziere und einen Soldaten aus dem Expeditionskorps Georg Hohermuts von Speyer, des königlichen Statthalters, die »feige und verräterischerweise« die Truppe verlassen und nach Coro zurückgekehrt seien, wobei sie die Wahrheit durch lügenhafte Berichte zu verschleiern versucht hätten. Auch seien sie verdächtig, freie Indianer, Untertanen des Königs, auf der ihnen überlassenen Siedlung ohne Grund grausam misshandelt zu haben. Des weiteren habe einer der Beschuldigten betrügerischerweise unterlassen, von Perlen, über deren rechtmäßigen Erwerb er sich nicht ausweisen könne, den königlichen Fünften zu entrichten. Das Allerschlimmste kam zuletzt.

»Auch sind die erwähnten Deutschen verdächtig«, so schloss das Dokument, »von der Kirche und vom rechten Glauben abgefallen zu sein und der verderblichen Lehre des abtrünnigen Mönchs und Erzketzers Martin Luther anzuhängen.«

Die Freunde wussten, was eine solche Anschuldigung aus spanischem Mund bedeutete.

Der niederträchtige Angriff auf die Ehre der drei Siedler erregte in der Stadt, namentlich bei den Deutschen, großes Aufsehen, aber keine Stimme erhob sich zu ihren Gunsten. Es war ja nicht der erste Übergriff des famosen Doktors, den man erlebte. Den Freunden war doch nicht zu helfen. Man konnte sich höchstens den Hass der allmächtigen spanischen Behörden zuziehen, wenn man für die Verfemten eintrat.

Nur Nachbar Wetz schäumte. »Da seht ihr wieder einmal die tückischen, falschen Welschen!«, sagte er. »Das spreizt sich, dumm, eitel, hochmütig und fühlt sich als Herr der Welt. Keine andere Nation darf sich in der Neuen Welt blicken lassen, kein Franzose, kein Engländer, kein Deutscher, gleich fallen sie über den Eindringling her und beißen ihn hinaus wie der Hahn, der keinen anderen auf seinen Mist lässt. Was haben sie denn vor uns voraus? Sind sie tapferer, fleißiger, frömmer als wir?«

»Sie haben nur etwas, was wir nicht haben«, versetzte Fabricius, »sie haben die Macht, sie haben ein Reich und einen König. Wir Deutsche aber – dass Gott erbarm! – wir haben ein paar Hundert Herren, geistliche und weltliche, und ein jeder guckt nur in seinen eigenen Suppentopf und denkt nur an sich, und um Glaubensdinge schlagen sie sich die Schädel ein.«

»Ist der Römische Kaiser Deutscher Nation nicht mehr als der König von Spanien?«, nahm Wetz wieder das Wort. »Warum wählen die Deutschen einen Spanier zum Kaiser und keinen Landsmann? Und warum kämpfen, bluten und leiden wir für das Spanien, das uns nichts angeht, und nicht für unsere Heimat, unsere Frauen und Kinder?«

»Recht habt Ihr«, versetzte Hans. »Manchmal dünkt mich, wir Deutsche seien wohl gar keine Nation. Wir sind bloß Stämme, elende Häuflein, die einander zerfleischen, wie hierzulande die Indianer. Gebe Gott, dass nicht einmal der Feind über uns kommt, wie wir über die Indianer!«

»Ich glaube nicht, dass die deutsche Nation je untergehen wird«, sagte Kressel bedächtig. »Einmal wird sie sich besinnen. Vielleicht werden noch viel Blut und Tränen fließen bis dahin, aber die Zeit wird kommen.«

»Wir müssten einig sein«, sagte Hans, »dann wären wir unüberwindlich. Ein Reich, ein Kaiser, ein Glaube, ein Recht! Haben nicht die aufrührerischen Bauern geschrien im Fränkischen: ›Für den Kaiser, wider die Fürsten und Pfaffen, der deutschen Zwietracht mitten ins Herz!‹? Recht haben sie gehabt!«

»Und da unten«, versetzte Fabricius, im Innersten erregt, und wies zum Strand, »müssten zwei oder drei Karavellen liegen mit einem Dutzend guter Stücke an Bord und mit der Fahne des Reichs am Heck.«

»Hohermut«, sagte Hans, »wenn er noch lebte, er würde uns helfen.«

Das Verfahren gegen die Freunde wurde mit ebenso viel kleinlicher Gehässigkeit wie Umständlichkeit geführt. Es war eine harte Aufgabe für sie, dem dicken spanischen Doktor sowie Carvajal, dem öffentlichen Ankläger, Rede und Antwort stehen zu müssen. »Beweise« wollten sie haben, immer nur Beweise, dass Hohermut sie ausgesandt habe, dass sie auf Befehl Esteban Martins allein weiter in das Gebirge vorgedrungen seien, dass die Chibcha sie »wider ihren Willen« gefangen hätten.

»Herr«, sagte Kressel einmal zornbebend, »Ihr bemüht Euch vergebens, einen ehrlichen Deutschen zum Schurken zu machen. Ich habe Euch erzählt, wie sich alles zugetragen hat, und ich lüge nicht.«

Auf die Frage nach ihrem Bekenntnis schwiegen die drei Deutschen hartnäckig, auch Hans, der ein treuer Sohn der katholischen Kirche war. »Wir sind Christen.« Das war alles, was sie dem spanischen Doktor antworteten.

Die Siedlungsarbeit führten die Freunde weiter, als sei kein Prozess auf Leben und Tod gegen sie anhängig.

»Wer weiß, ob wir noch ernten, was wir jetzt säen und pflanzen!«, sagte Kressel. »Aber sie sollen nicht sagen, dass sie uns kleingekriegt haben. Solange ich lebe, schaffe ich.«

Einmal deutete Fabricius an, dass sie leicht entfliehen könnten, nach Cubagua, der kleinen Insel vor der Küste. Dort hauste ein Haufen wilder Perlenfischer und Sklavenhändler. Kein spanischer Beamter ließ sich dort sehen.

»Nein«, sagte Kressel und sah zärtlich über die grünen Felder, »ich bleibe hier.«

So vergingen Regenzeit und Trockenzeit und abermals nahte die Regenzeit. Man schrieb den Monat Mai des Jahres 1538.

Eines Tages gegen Mittag erhob sich Lärm in der Stadt. Die Bewohner liefen auf der Straße zusammen und das Glöckchen im Turm der Kirche fing heiser an zu bimmeln. Die Freunde, die auf dem Feld gearbeitet hatten, trafen sich, von verschiedenen Seiten herbeieilend, vor der Hütte, von wo man einen guten Überblick über die Stadt und einen großen Teil des Strandes hatte.

»Was ist los?«, fragte Hans.

Kressel und Fabricius konnten ihm keine Antwort geben. Ein Indianerangriff?

Das war wenig wahrscheinlich. Ein Überfall spanischer Freibeuter? Es wäre nicht das erste Mal, dass Coro von einer Räuberbande heimgesucht wurde.

Fabricius wies zum Strand. »Seht doch nur, seht doch!«

Ein Haufen weißer Männer, zu Fuß und zu Pferd, bewaffnet und von einer Anzahl Indianer begleitet, näherte sich der Stadt. Es hatte nicht den Anschein, als ob sie feindliche Absichten hegten. Eher schien es, als seien sie erschöpft, todmüde, wie eine Truppe, die aus verlorener Schlacht heimkehrt.

»Fabricius, Kressel«, schrie Hans und die Stimme versagte ihm fast, »was sind das für Männer? Kehrt Federmann zurück? Ist es womöglich Hohermut?«

Die Freunde stürmten den Berg hinunter. Sie stoßen auf den Zug, der gerade die ersten Hütten der Stadt erreicht. An der Spitze ritt ein großer Mann. Der verwilderte blonde Bart umrahmte ein eingefallenes, hageres Gesicht. Die Kleidung, zerrissen und beschmutzt, verriet den hohen Offizier. Nun wendete er den Kopf und seine Augen streiften die Freunde, die am Wegrand stehen.

»Hohermut!«, schrie Hans. »Hohermut!« Und er sank neben dem Pferd des Führers in die Knie.

Hohermut stutzte. Erstaunt sah er auf den Knienden. Dann begriff er allmählich. Ein Lächeln ging über seine Züge. Er grüßte Hans, indem er den Arm erhob.

»Ihr hier, Kornett Hauser, und Ihr, Leutnant Fabricius, Ihr, Kressel? Ich freue mich, euch zu sehen. Ich hatte nicht mehr damit gerechnet, dass ihr noch am Leben wärt.« Noch einmal winkte er mit freundlicher Gebärde den Freunden zu, dann ritt er vorüber.

Die Truppe folgte. Es waren wenig mehr als hundert Mann mit kaum noch zwei Dutzend Pferden. Die Infanteristen, die Reiter auf den müden, abgemagerten Gäulen schleppten sich mühsam fort. Fast alle waren von Krankheiten und schlecht verheilten Wunden entkräftet. Vielen flackerte das Fieber aus den eingesunkenen Augen. Die Kleidung bestand aus Fetzen, und an Waffen waren nur noch schartige Schwerter und Spieße vorhanden, die nicht viel besser waren als die der Indianer. Die Freunde sahen da und dort ein bekanntes Gesicht. Andere suchten sie vergebens. Wo ist Estéban Martin, wo der lustige Kölner Barbier?

Am Schluss ritt ernst, aber in aufrechter, stolzer Haltung der Ritter aus dem Frankenland, Philipp von Hutten. Auch er grüßte im Vorüberreiten die Freunde. Ganz zuletzt kam auf einem Rösslein, das so dürr war, dass man alle Rippen zählen konnte, Pater Severinus. Er sah nicht wohlgenährt aus wie ein Pfäfflein daheim am Rhein, aber aus seinen ruhigen Augen strahlte noch immer die verstehende und verzeihende Güte.

Die spanischen Behörden kümmerten sich nicht um die Heimkehr der Expedition. Dr. Navarro war nicht zu sehen, und Bischof Bastidas vermied es, Partei zu ergreifen. Als Hohermut nach ihm schickte, ließ er ihm bestellen, dass er unpässlich sei und den edlen und tapferen Führer leider nicht persönlich begrüßen könne.

Hohermuts Gesicht verfinsterte sich und auch die Landsknechte – die Spanier und die Deutschen – murrten. Mittlerweile war der Zug auf der Plaza vor der Kirche angekommen. Einige schlugen vor, in das Stadthaus einzudringen und den widerspenstigen spanischen Pfaffen herauszuholen, damit er ihnen die Messe lese. Die Deutschen widersprachen, zumal es schon Nachmittag und also keine Zeit für das Messopfer war, aber die ganze Schar drängte in die Kirche. Man rief nach Pater Severinus. Dem verwilderten Mann, der in seinem ledernen Koller mit der eisernen Sturmhaube viel eher einem Landsknecht glich als einem Priester, legte der spanische Küster nur zögernd Chorhemd und Pluviale um die Schultern.

Und dann stand, zum ersten Mal wieder priesterlich geschmückt, demütig vor dem allmächtigen Gott, der gute Mainzer Pater vor diesem wilden Haufen sündiger Landsknechte, die, das ganze Kirchenschiff füllend, in die Knie gesunken waren. Auf dem Altar hatte der Küster die Kerzen entzündet und Weihrauchwolken stiegen auf. In die tiefe, feierliche Stille hinein klang von des Priesters Lippen der ehrwürdige Gesang, mit dem seit Jahrhunderten die katholische Kirche lobt und dankt:

»Te Deum laudamus.«

Dumpf murmelten die Landsknechte im Wechselgesang:

»Te dominum confitemur.«

In der ersten Reihe, die Häupter tief und voll Andacht gesenkt, knieten die Führer Hohermut und Hutten, nicht weit von ihnen entfernt sah man Hans Hauser und neben ihm die in Freud und Leid erprobten Freunde, Joachim Fabricius und Martin Kressel, die Protestanten.

Nach dem Lobgesang sprach Pater Severinus noch ein kurzes lateinisches Gebet und spendete den Segen.

Die Landsknechte drängten aus der Kirche ins Freie. Sie suchten ihre Heimstätten auf und fanden sie verwildert und verwüstet.

So endete die Expedition Georg Hohermuts von Speyer in das unentdeckte indianische Land. Viel deutsches und spanisches Blut haben die Felsengebirge und die Ebenen Südamerikas in den Jahren 1535 bis 1538 getrunken. Unschuldiges Indianerblut aber floss in Strömen.