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Der Teufel auf Reisen 47

Der-Teufel-auf-Reisen-Dritter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Dritter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Zehntes Kapitel – Teil 2
Ein gebesserter Haustyrann

Als er sich wieder allein befand, setzte er sich an den Tisch, und den Fasan an sich ziehend, sagte er: »Ich bin der beste Mensch von der Welt, man muss mich nur zu behandeln wissen. Jetzt will ich aber auch den Fasan in Angriff nehmen. Oh wie schön ist es doch, im Kreise seiner Familie ein heiteres Mahl zu genießen! … Ja so«, fuhr er sich verbessernd fort, »ich vergaß … Nun, es ist nicht meine Schuld, dass sie sich entfernt haben. Ich fragte sie ja bloß, ob sie gehen wollten. Was kann ich dafür, dass sie in ihrem Trotz fortrannten.«

Bärbeiß hatte bei diesem Monolog einen Schenkel des Fasans auf seinen Teller gelegt und war eben im Begriff, den ersten Bissen in den Mund zu stecken, als sich plötzlich außerhalb des Zimmers ein kurzes, aber lebhaftes Trompetengeschmetter vernehmen ließ.

»Was ist das?«, rief er auffahrend und ließ ingrimmig Messer und Gabel fallen. »Wer wagt es in meinem Haus, wo ich allein zu befehlen habe, einen solchen Höllenlärm zu machen?«

Er war aufgesprungen und stand im Begriff, hinauszueilen, als sich die Tür öffnete und ein junger hübscher Mann in Husarenuniform hereintrat.

»Gott zum Gruß, Alterchen«, rief der Soldat, »da komme ich wohl eben zur rechten Zeit? Nun, nehmen Sie’s nicht übel, dass ich mich etwas laut angekündigt habe, aber ich habe heidenmäßigen Appetit und da blies ich das Signal zum Futtern.«

»Ich verstehe Sie nicht«, knurrte Bärbeiß, »ich weiß überhaupt nicht, was Sie so plötzlich hierher führt.«

»Na, die Sache ist ganz einfach, Alterchen. Ich heiße Fritz Waldhorn, bin Stabstrompeter im 10. Husaren-Regiment und habe ein auf Sie lautendes Quartierbillett erhalten.«

»Gehorsamer Diener«, murmelte Barnabas mit knurrender Stimme.

»Nun, ich sehe, ich bin von Ihnen bereits erwartet worden«, fuhr der Trompeter, einen Blick auf die Tafel werfend, fort. »Aber wie gesagt, ich besitze auch einen wahren Wolfshunger und darum – wie wäre es also, wenn wir die Klingen auslegten und eine Attacke dort auf den Burschen in der Schüssel machten?«

»Das kann ich Ihnen nicht zumuten«, antwortete Bärbeiß heuchlerisch, »das ist ein alter Kapaun, so zäh, dass Sie Gefahr liefen, sich daran die Zähne auszubeißen. Nein, Sie sollen besser bedient werden. Inzwischen ersuche ich Sie aber mir zu folgen, damit ich Sie meiner Familie vorstellen kann.«

Während der Stabstrompeter seinem Wirt ins Gesellschaftszimmer folgte, gab der Letztere Friedrich einen Wink, den Fasan beiseitezuschaffen. Sein Gesicht klärte sich erst wieder auf, als er bemerkte, dass der kostbare Braten wirklich in Sicherheit sei.

Inzwischen wusste sich der junge Husar, durch sein artiges, zuvorkommendes Benehmen und durch seine Bescheidenheit bald bei den Damen beliebt zu machen. Besonders bei Clotilde stieg er von Tag zu Tag immer mehr in Gunst, und wenn sie, wie dies häufig geschah, zwischen ihm und dem widerwärtigen Goldfisch eine Parallele zog, dann seufzte sie wohl leise und murmelte: »Oh, dürfte ich mein Herz nur entscheiden lassen, dann wüsste ich wohl, was ich täte, und die Wahl würde wir nicht schwerfallen.«

Herr Waldhorn zeigte sich aber auch nicht bloß von der galanten, sondern auch von der ritterlichen Seite. Indem er sich der unterdrückten Frauen offen annahm, geriet er zwar darüber mit Herrn Bärbeiß mehrere Mal in heftige Konflikte, gewahrte aber auch bald, dass er es eigentlich mit einem Hasenfuß zu tun hatte, welcher furchtsam die Hörner einzog, sobald ihm ein entschiedener Ernst gezeigt wurde.

Auch Herr Goldfisch war sehr misslaunig, als er bemerkte, welche Fortschritte der Husar bei Clotilde machte. Da er indessen wusste, dass er unter allen Umständen auf den Beistand von deren Vater rechnen konnte, und da es ihm bei seiner Eitelkeit und seinem Hochmut überdies ein Leichtes dünkte, den simplen Soldaten beiseitezuschieben, so beschloss er, bei der nächsten Gelegenheit durch ein entschiedenes Auftreten das verlorene Terrain wiederzugewinnen. Eines Vormittags war die Familie gerade im Gesellschaftszimmer versammelt, als Friedrich den Besuch des Börsenspekulanten ankündigte. Bärbeiß zuckte bei dieser Nachricht freudig zusammen, während Clotilde beklommen aufseufzte. Waldhorn aber warf ihr heimlich einen so ermutigenden Blick zu, dass sie dadurch ihre Fassung wiedergewann und sich nun auch ihrerseits vornahm, dem widerwärtigen Bewerber entschlossen entgegenzutreten.

Dieser tänzelte auch bald in aller Glorie des Selbstbewusstseins herein und verbeugte sich namentlich mit der Miene eines Siegers vor Clotilde.

»Ergebenster Diener, mein Fräulein«, rief er mit der ihm eigenen Dreistigkeit, nachdem er vorher einen Blick des Einverständnisses mit dem Herrn Papa ausgetauscht hatte. »Ergebenster Diener! Lege mich zu deren Füßen! Befinden sich wohl? Schön, freut mich! Hoffe, werden zusammen ein gutes Geschäft machen! Hä, hä, ein sehr rentables Geschäft, parole d’honneur!«

»Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen, mein Herr«, bemerkte Clotilde kalt und abstoßend.

Goldfisch lächelte pfiffig. »Naivität! Unschuld! Ist heutzutage selten, besonders das Letztere! Ha, ha, exzellenter Witz! Freut mich! Halte mir die schönsten Pferde, werde mir auch eine schöne Frau halten – bin freigebig – auch nicht eifersüchtig – ha, ha, famos! Werden zusammen eine glückliche Ehe führen – freut mich!«

»Freuen Sie sich nur nicht zu sehr«, rief Clotilde, über dieses unverschämte Auftreten empört, »es könnte Ihnen am Ende doch noch ein Strich durch die Rechnung gemacht werden.«

»Strich durch die Rechnung?«, wiederholte der Börsenspekulant. »Gut, sehr gut! Vortrefflich, köstlich! Kaufmännische Anlagen – Geschick, ein gutes Konto zu führen – freut mich!«

»Mein Herr«, bemerkte die junge Dame mit dem Ausdruck des Ekels und der Verachtung. »Sie führen eine so lächerliche und gleichzeitig so unverschämte Sprache, dass ich es meiner Würde angemessen erachte, mich zu entfernen.«

»Halt! Hiergeblieben!«, schrie aber Bärbeiß rücksichtslos, indem er die Tochter bei der Hand ergriff.

Indessen trat auch der Husar vor und sagte: »Das Fräulein hat recht, die Achtung vor ihr selbst gebietet ihr zu gehen.«

»Herr!«, knurrte Bärbeiß und stampfte mit dem Fuß, während er gleichzeitig eine Faust machte.

Aber nun wiederholte auch der Stabstrompeter dieses Manöver und entschlossen vor den Tyrannen des Hauses tretend, rief er: »Himmeltausend Element, haben Sie mich nicht verstanden? … Gehen Sie, meine Damen, ich werde Ihnen den Rückzug decken.«

Während die Letzteren das Zimmer verließen, trat Goldfisch zu Bärbeiß heran. Auf den Husaren zeigend, sagte er: »Eine schöne Dividende, die Sie da erhalten haben, Freund! Aktien ohne Wert – ein fressendes Kapital! Solche Leute quartiere ich auf dem Speicher ein! Da sehen Sie, was man davon hat, wenn man im Patriotismus macht!«

»Sie sollen Genugtuung haben, Freund«, antwortete Bärbeiß prahlerisch. »Ich werde … ja wahrhaftig, ich werde …« Indem er die Hände zusammenpresste, lief er herausfordernd in der Stube auf und ab. Endlich schien er einen Entschluss gefasst zu haben, denn indem er plötzlich vor Waldhorn trat, rief er: »Ich begreife wirklich nicht, wie Sie sich eines solchen Vergehens haben schuldig machen können! Wissen Sie, wer dies ist, mein Herr? Dies ist mein Freund Goldfisch, ein Mann von ausgezeichneten Verdiensten, ein Mann von eminenten Talenten, von erschrecklich viel Verstand, von unwiderstehlicher Liebenswürdigkeit, denn er besitzt Geld, sehr viel Geld!«

»Hat für mich gar keinen Wert, kann nicht mehr tun, wie andere ehrliche Leute, das heißt, sich satt essen und einen ordentlichen Rock tragen«, erwiderte trocken der Stabstrompeter.

»Besitzt kein Geld, ist also ein Mensch ohne Erziehung – hat keine Aktien – kann also auch nicht beleidigen«, murmelte Goldfisch wegwerfend, zu Bärbeiß gewandt.

»Ich aber bin Herr in meinem Hause und leide eine solche respektwidrige Sprache gegen meine Freunde nicht«, polterte dieser heraus.

»Sachte, sachte, Alterchen«, erwiderte der Husar, gutmütig lachend.

»Der Mensch macht sich erschrecklich familiär«, bemerkte der Börsenspekulant, die Nase rümpfend. »Ein bloßer Soldat … ich begreife in der Tat nicht, wie Sie dies leiden können!«

»Ich muss mir doch die beiden Wichte vom Halse zu schaffen suchen«, murmelte der Stabstrompeter. Und rasch auf den Börsenspekulanten zutretend, fragte er mit barscher Stimme: »Sie heißen Goldfisch?«

»Freut mich!«, antwortete dieser, einen Schritt zurücktretend, »indessen nicht so vertraulich, mein Bester, – immer in gehöriger Entfernung – haben Sie Respekt vor dem Kapital!«

»Donnerwetter!«, rief Waldhorn, mit dem Fuß stampfend, »jetzt bin ich Ihrer Unverschämtheit müde, meine Herren. Sie haben mich beleidigt und für Beleidigungen fordert ein Soldat mit dem Säbel oder der Pistole in der Hand Genugtuung! Zur Sache also. Da Sie keine Waffen bei sich führen, so soll ein ehrliches Spiel gespielt werden.«

»Man sieht, dass Sie nichts vom Geschäft verstehen«, bemerkte Goldfisch.

»Ich werde Ihnen schon zeigen, dass ich mein Geschäft verstehe«, rief der Stabstrompetet, seinen Säbel ziehend. »Ich mache jetzt drei Lose. Wer das größte zieht, sticht zuerst den tot, der das kleinste hat, dann ziehen die Übriggebliebenen abermals. Der, welcher das kleinste Los erhält, wird von dem anderen abermals über den Haufen gestochen.«

Nunmehr machten die beiden Herren sehr lange Gesichter. Schließlich fasste aber unser Hauspoltron einen kurzen Entschluss. Sich hinter seinen Freund Goldfisch verkriechend, sagte er zu diesem: »Sie sind vollblütiger als ich und können daher mehr vertragen, wenn es ans Anzapfen geht.«

»Nun, wird’s bald?«, fragte der Husar mit Donnerstimme. »Lebendig kommt hier nur einer davon.«

Nun riss sich Goldfisch von Bärbeiß los und stellte sich hinter diesen, indem er rief: »Wenn Sie wirklich mein Freund sind, so zeigen Sie es jetzt und lassen Sie sich für mich totstechen.«

»Bomben und Kanonen, nun reißt mir die Geduld!«, zeterte der Stabstrompeter, und machte gleichzeitig einige Hiebe in die Luft.

»Mord! Totschlag! Hilfe! Rettung!«, brüllten die beiden Maulhelden und stürzten zur Tür.

»Na nu, was ist denn hier los, das ganze Haus gerät ja in Aufruhr?«, sagte Friedrich, mit einem langen Stallbesen eintretend.

»Decken Sie mir den Rückzug, lieber Freund«, lispelte der Börsenmann, indem er versuchte, zur Tür hinauszuschleichen. Aber Friedrich verstand die Sache anders. Er fällte seinen Besen gegen Goldfisch und rief: »Halt! Hiergeblieben! Ich glaube, Sie wollen sich drücken? Ja prosit, da müsste ich auch dabei sein! Auf der Börse fällt es wohl mitunter vor, dass sich der eine oder der andere drückt, und erst in Amerika wieder auftaucht, aber hier gelten keine Börsenmanöver. Verstanden?«

»Entwaffne diesen Menschen, der uns hat ermorden wollen«, rief Bärbeiß, auf Waldhorn zeigend.

»Guten Morgen«, antwortete Friedrich, »tun Sie das doch gefälligst selbst, ich danke bestens für das Geschäft.«

»Den ungehorsamen Patron müssen Sie noch heute fortjagen«, sagte Goldfisch zu Bärbeiß gewendet.

Nun trat Friedrich neben Waldhorn und brach in ein helles Gelächter aus. »Na hören Sie«, rief er, »dass ich Sie nur nicht fortjage. Hier habe ich einen ganz neuen Besen, der sehr gut kehrt. Verstanden?«

»Im Grunde genommen«, bemerkte Bärbeiß, welcher inzwischen einen Entschluss gefasst hatte, »… ja, in der Tat, ich sehe nicht ein, weshalb wir uns nicht verständigen sollten. Wenn Sie also wollen, Herr Waldhorn?« Er streckte diesem seine Hand entgegen.

»Damit kommen Sie jedenfalls besser fort, wie mit Ihrer Courage«, entgegnete dieser einschlagend. »Und da jetzt der Friede wieder hergestellt ist, so empfehle ich mich Ihnen zum geneigten Andenken.«Er verbeugte sich und verließ das Zimmer.

Die beiden Helden aber machten ihm, als er verschwunden war, drohend eine Faust, nickten sich gegenseitig zu und lispelten:

»Ein anderes Mal wollen wir uns schon besser vorsehen. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Der läuft uns doch noch in die Finger!«

Von diesem Tage an hielt der Stabstrompeter mit dem weiblichen Teil der Familie häufig geheime Beratungen ab. Es handelte sich offenbar um einen angelegten Plan, welcher zur Ausführung kommen sollte und der gegen Bärbeiß gerichtet war. Allein dieser schien davon nicht das Geringste zu ahnen, denn obgleich er zwar dem Husaren vorsichtig aus dem Wege ging, so spielte er doch seine grobe und herrschsüchtige Rolle als Tyrann des Hauses gegen Frau und Tochter auch noch weiter fort.