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Die Macht der Drei – Teil 19

Die-Macht-der-Drei

Dr. Glossin stand im Privatkabinett des Präsident-Diktators. Cyrus Stonard schob einen Stoß Briefe beiseite und ließ seinen Blick einen kurzen Moment auf dem Doktor ruhen.

»Was haben Sie in der Affäre Bursfeld festgestellt?«

»Über den Vater, dass er seit vielen Jahren tot ist.«

»Kennen die Engländer sein Geheimnis?«

»Ich bin überzeugt, dass sie nichts davon wissen. Als Gerhard Bursfeld fühlte, dass ihm sein Geheimnis auf hypnotischem Weg entrissen werden sollte, hat er sich selbst getötet. Ich habe prominente Leute in England befragt … Sie wissen von nichts.«

Ein Schimmer der Befriedigung glitt über die durchgeistigten Züge des Diktators.

»Dann … meine ich, können wir losschlagen, sobald die Unterwasserstation an der ostafrikanischen Küste in Dienst gestellt ist.«

»Wir können es, Herr Präsident, wenn wir es nur mit England zu tun haben.«

Der Diktator blickte verwundert auf.

»Mit wem sollten wir es sonst noch zu tun bekommen?«

Dr. Glossin zögerte mit der Antwort. Nur stockend brachte er die einzelnen Worte heraus: »Mit den Erben Bursfelds …«

Cyrus Stonard zerknitterte den Entwurf einer Staatsdepesche.

»Den Erben … die Sache scheint sich zu komplizieren. Neulich war es nur einer. Der famose Logg Sar, der so merkwürdig aus Sing Sing entwischte und unser bestes Luftschiff mitnahm. Wer ist denn jetzt noch dazugekommen?«

»Zwei Freunde, die auf Gedeih und Verderb mit Silvester Bursfeld verbunden sind.«

»Drei Leute also. Drei einzelne schwache Menschen. Sie glauben im Ernst, dass drei Menschen unserem Dreihundert-Millionen-Volk gefährlich werden könnten? Herr Dr. Glossin, Sie werden alt. In früheren Jahren hatten Sie mehr Selbstvertrauen.«

Die Worte des Präsident-Diktators trafen den Arzt wie Peitschenhiebe. Er erblasste und errötete abwechselnd. Dann sprach er. Erst stockend, dann fließender und schließlich mit dem Feuer einer unumstößlichen inneren Überzeugung: »Herr Präsident, ich habe vor dreißig Jahren gesehen, wie Gerhard Bursfeld mit einem einfachen Apparat, nicht größer als meine Hand, auf große Entfernungen Dynamit sprengte. Ich sah, wie er Patronen in den Läufen weit entfernter Gewehre zur Explosion brachte, und wie er fliegende Vögel in der Luft verbrannte … Ich staunte, ich hielt es für Zauberei, und … Gerhard Bursfeld lachte und sagte, es wäre der erste Anfang einer neuen Erfindung. Ein schwacher Versuch, dem ganz andere, viel größere folgen würden.«

»Gerhard Bursfeld ist seit vielen Jahren tot. Sie sagten es eben selbst. Seine Erfindung wurde mit ihm begraben.«

Cyrus Stonard sagte es. Es sollte abweisend klingen, aber seiner Stimme fehlte die sichere Entschiedenheit, die ihr sonst eigentümlich war.

»Das Geheimnis ist nicht mehr begraben. Es war eingesargt, aber es ist wieder auferstanden. Logg Sar … Silvester Bursfeld hat die Entdeckung von Neuem gemacht und … er muss sie bedeutend vervollkommnet haben. Der Vater sprach von der Möglichkeit, durch telenergetische Konzentration an jeder Stelle des Erdballs Millionen von Pferdestärken auf engstem Raum zu fesseln. Er sprach davon, dass seine Erfindung jedem Krieg ein Ende bereite. Der Sohn tritt in die Fußstapfen des Alten. Zu dritt sitzen sie in Schweden am Torneaelf und bauen an der Erfindung weiter. Gelingt es ihnen, sie so zu entwickeln, wie der Vater es vorhatte, dann …«

Cyrus Stonard hatte sich erhoben. Mit der ausgestreckten Rechten gebot er dem Arzt Schweigen.

»Sprechen Sie es nicht aus, was mein Ohr nicht hören darf. Sie nannten den Ort, an dem die Erfinder ihre … bedenklichen Künste treiben. Sie kennen ihn genau?«

»Genau. Ein abgelegenes Haus an den Ufern des Tornea … Acht Kilometer von Linnais entfernt.«

»So befehle ich Ihnen, diese drei Erfinder zu vernichten … Aber gründlich. Das bitte ich mir aus. Nicht wieder Pfuscharbeit wie neulich in Sing Sing. In vierzehn Tagen ist die Unterwasserstation kriegsbereit. Ich erwarte bis dahin Ihre Meldung, dass mein Befehl vollzogen ist. Unauffällig … und gründlich.«

Doktor Glossin war entlassen. Die Gebärde des Diktators war nicht misszuverstehen. Er ging mit schwerem Herzen. Ein unklares Gefühl lastete auf ihm.

Während das Regierungsschiff ihn in eiliger Fahrt von Washington nach New York brachte, versuchte er des dumpfen dunklen Gefühles dadurch Herr zu werden, dass er seine narkotischen Pillen nahm und einen halbstündigen künstlichen Schlaf genoss. Aber als er durch die Straßen New Yorks schritt, war das Gefühl wieder da und wurde von Minute zu Minute stärker.

Der Doktor betrat das Haus in der 317ten Straße. Der Lift brachte ihn in das zehnte Stockwerk. Sein Diener nahm ihm Stock und Hut ab, und dann saß er in dem bequemen Schaukelstuhl seines Wohnzimmers und begann zu überlegen. Mit einer Objektivität, als ob es sich um eine dritte fremde Person handle, analysierte er seine Empfindungen und kam nach zehn Minuten zum Ergebnis, dass er Furcht habe.

Dr. Edward Glossin, der Mann mit dem weiten Gewissen, der über Leichen hinweg sich jeden Weg erzwang, hatte zum ersten Mal in seinem Leben Furcht. Cyrus Stonard hatte ihm den Auftrag gegeben, drei Menschen zu beseitigen. Ein einfacher Auftrag im Vergleich mit so manchem anderen. Das Rezept war simpel und oft bewährt. Man nahm ein Luftschiff mit einem Dutzend kräftiger Polizisten oder Soldaten, fuhr bei Dunkelheit nach Linnais, umstellte das Haus, verhaftete die Gesuchten und schlug sie bei der Verhaftung tot, weil sie Widerstand leisteten. Ganz einfach war die Sache. Der Doktor hatte sie öfter als einmal praktisch ausprobiert.

Doch diesmal hatte Dr. Glossin Angst. Ein inneres Gefühl warnte ihn, mit Silvester Bursfeld und seinen Freunden anzubinden … Aber der Befehl des Diktators. Wenn Cyrus Stonard befahl, gab es nur zwei Möglichkeiten: zu gehorchen oder die Strafe für den Ungehorsam zu erleiden.

Dr. Glossin sann hin und her, wie er sich aus dem Dilemma ziehen könne. Ausgehoben musste das Nest in Linnais werden. Die Gefahr, dass man sich die Finger dabei verbrannte, war nach seiner sicheren Überzeugung vorhanden. Aber nur ein inneres Gefühl sagte ihm das. Äußerlich sah das Unternehmen ziemlich harmlos aus. Man musste es einem Dritten plausibel machen. Aber wem? Wer hatte noch ein Interesse, die Erfindung und die Erfinder vom Erdboden zu vertilgen?

So würde es gehen! Eine Möglichkeit tauchte in seinem Gehirn auf.

Natürlich! Das war der richtige Weg. Die Engländer hatten genau soviel Interesse am Untergang Silvester Bursfelds und seiner Freunde wie die Amerikaner.

Dr. Glossin durchdachte die weiteren Schlussfolgerungen und Ausführungen des Planes mit immer größerer Schwierigkeit. Es wollte ihm nicht mehr recht gelingen, die Schlüsse der Kette richtig aneinanderzureihen. Er spürte ein fremdartiges Ziehen in den Nackenmuskeln. Ein dumpfer Druck legte sich um seine Schläfen. Er hatte das Gefühl, als ob sein Wille ihm nicht mehr selber gehöre, sondern einem fremden Zwang folgen müsse. Mit Gewalt suchte er sich zusammenzuraffen. Er wollte aus dem Lehnstuhl aufstehen. Aber schwer wie Blei waren ihm Hände und Füße.

Mit verzweifelter Anstrengung gelang es ihm schließlich, die Hand von der Stuhllehne loszulösen und bis zum Kopf zu bringen. Er fühlte, dass seine Stirn mit feinen Schweißperlen bedeckt war.

Der Stuhl stand in der Ecke des Arbeitszimmers. Die Türöffnung zum Nebenraum befand sich unmittelbar daneben. Sie hatte keine Türflügel, sondern war durch einen dichten Vorhang von Perlenschnüren geschlossen. Die Besucher, welche zu Dr. Glossin kamen, wurden von seinem Diener immer zuerst in dieses Zimmer geführt.

Der Arzt spürte, wie ein übermächtiger fremder Wille seinen eigenen zu unterjochen drohte. Und er fühlte auch, dass der Strom des fremden Fluidums von jener Türöffnung her auf ihn eindrang. Verschwommen und dunkel erinnerte er sich, die Hausglocke vor irgendeinem nicht messbaren Zeitraum läuten gehört zu haben. Ein Willenstrom, viel stärker und mächtiger als sein eigener, stand im Begriff, ihn zu unterjochen.

Der erste Angriff musste in jenen Minuten erfolgt sein, in denen er so ganz in seinen Plänen und Kombinationen über den Befehl des Diktators versunken war. Während sich seine Gedanken auf diesen Plan konzentrierten, hatte er dem fremden Angriff eine gute Fläche geboten. Sonst hätte er die Wirkung wohl früher spüren müssen, hätte sich sofort dagegen zur Wehr setzen können. So war sie ihm erst zum Bewusstsein gekommen, als es schon beinahe zu spät war. Erst das Erlahmen seiner eigenen selbständigen Schlussfähigkeit hatte ihn den fremden Angriff deutlich fühlen lassen, aber da war die Lähmung durch den fremden Willen schon weit gediehen.

Dr. Glossin kämpfte wie ein Verzweifelter. Alles, was er noch an Willensfähigkeit besaß, ballte er in den einzigen autosuggestiven Befehl zusammen.

»Ich will nicht … Ich will nicht …«

Unaufhörlich formte er den kurzen Satz im Gehirn, und empfindlich beinahe wie ein körperlicher Schlag traf ihn jedes Mal der Gegenbefehl der fremden Kraft.

»Du sollst … Du musst … Du wirst …«

Die Minuten verstrichen. Die feine Porzellanuhr auf dem Kaminsims schlug ein Viertel. Dr. Glossin hörte den Schlag deutlich und raffte sich zu erneuter Anstrengung zusammen. Wenn es ihm nur gelingen wollte, aufzustehen … Ganz unmöglich.

Dr. Glossin strengte sich an, freie Bewegungen zu machen. Er blickte auf seine Knie. Er versuchte, den Muskelgruppen seiner Beine den Befehl zu geben, dass sie seinen Körper erheben sollten. Und spürte schon im gleichen Augenblick, dass der fremde Befehl »Du musst« mit verstärkter Heftigkeit auf sein Ich hämmerte, dass er seine ganze Persönlichkeit ohne Deckung ließ, sobald er ein Einziges seiner Glieder besonders beeinflussen und zur Bewegung zwingen wollte.

Stärker wurde das schmerzliche Ziehen in der Gegend des Genicks. Der körperliche Schmerz griff weiter und verbreitete sich über die ganze linke Gesichtshälfte, über die Seite seines Körpers, welche dem Perlenvorhang zugewendet war. Dr. Glossin fühlte, dass er bald erliegen müsse, wenn es ihm nicht gelänge, den Körper zu drehen und Angesicht zu Angesicht dem fremden Willen entgegenzutreten.

Schon wieder war über dem stummen, erbitterten Ringen eine Viertelstunde verstrichen. Die Uhr schlug zweimal. Dr. Glossin hörte sie nur noch wie aus der Ferne, so wie man etwa beim Einschlafen noch undeutlich und nur verworren die letzten Geräusche empfindet. Mit einer verzweifelten Anstrengung konzentrierte er den Rest der ihm noch gebliebenen Willensenergie in einen einzigen Befehl. Und der schon zu drei Vierteln gelähmte Körper gehorchte diesem Aufgebot an Willenskraft. Mit einem einzigen kurzen Ruck warf der Arzt sich in dem Stuhl herum, sodass sein Antlitz in voller Breite dem Perlenvorhang zugewendet war. Einen Augenblick schien es, als wolle die Muskelbewegung und die eigene Aktion den fremden Einfluss brechen. Aber nur einen Augenblick. Während Dr. Glossin seinem Körper den Befehl erteilte, sich umzudrehen, war sein ganzes Ich dem fremden Angriff schutzlos preisgegeben. Der Moment ohne Deckung hatte genügt. Mit einem Seufzer ließ er den Kopf auf die Brust sinken, die Augen weit geöffnet.

Durch den Perlenvorhang trat Atma in das Zimmer bis dicht an den Schlafenden heran. Auch er sah erschöpft aus. Silvester Bursfeld, der ihm auf dem Fuße folgte, bemerkte es mit Erschrecken. Der Inder trat an den Schlafenden heran und strich ihm über die Augen und die Stirn. Silvester bemerkte, wie der Inder seiner eigenen Erschöpfung Meister zu werden versuchte, wie er sich selbst gewaltsam zwang und von Neuem ganze Ströme seines eigenen Willenfluidums in den Körper des Schlafenden gleiten ließ. Dann trat er zurück und ließ sich auf einen Sessel fallen. Auf einen Wink von ihm trat Silvester Bursfeld hinter eine Portiere, sodass er den Blicken Glossins entzogen war.

Wieder verstrichen Minuten. Die Uhr hob an und schlug dreimal. Da kamen Bewegung und Leben in die schlummernde Gestalt. Dr. Glossin richtete sich auf wie ein Mensch, der aus tiefem Schlaf erwacht. Er fuhr sich über die Stirn, als müsse er seine Gedanken sammeln. Dann begann er mit sich selbst zu sprechen.

»Was wollte ich … Ach ja … den Ring muss ich holen. Er ist im Banktresor …«

Er warf einen Blick auf die Uhr.

»Dreiviertel … Ich komme gerade noch vor Kassenschluss zurecht. Aber ich muss mich eilen.«

Straff und rüstig erhob er sich aus dem Stuhl und schritt durch den Vorhang hindurch. Er ging an Atma vorüber, als ob der Inder Luft wäre, und verließ die Wohnung.

Silvester hörte die Tür ins Schloss fallen und trat hinter dem Vorhang hervor.

»Wo geht er hin? … Was hat er vor?«

»Er geht zu seiner Bank. Er wird den Ring holen und hierher bringen.« Atma sprach es leise und mit matter vibrierender Stimme. Die Anstrengung dieses hypnotischen Duells zitterte noch in ihm nach.

»In einer halben Stunde wird er wieder hier sein. Bis dahin haben wir Ruhe.«

»Und der Diener?«

»Er schläft in seiner Ecke auf dem Flur. Glossin hat Befehl, ihn nicht zu vermissen.«

»Du glaubst, dass Dr. Glossin gutwillig hierher zurückkommt?«

Atma blickte gleichmütig vor sich hin.

»Der Körper Glossins ging hinaus. Seine Seele ist gefesselt. Mein Wille lenkt seinen Körper.«

»Warum hast du nicht nach dem Aufenthalt von Jane gefragt?«

»Erst den Ring und dann das Mädchen. Lass mir Ruhe. Ich bin erschöpft. Ich brauche neue Kräfte, wenn Glossin zurückkommt.«

Der Inder lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Die Muskeln seiner Glieder erschlafften. Er schien jetzt selbst ein Schlafender zu sein. Es blieb Silvester Bursfeld nichts anderes übrig, als zu warten.

Unruhig schritt er in dem Raum hin und her. Weiter krochen die Minuten. Zehn Minuten … eine Viertelstunde … zwanzig Minuten. Er hörte, wie die Tür geschlossen wurde. Dr. Glossin war zurückgekommen. Er blieb auf dem Flur stehen. Unschlüssig, als ob er etwas suche. Dann hörte Silvester, wie er den Spazierstock hinstellte. Gleich darauf trat er durch den Perlenvorhang in das Arbeitszimmer. Ohne von den beiden Besuchern Notiz zu nehmen, ging er auf den Schreibtisch zu, ließ sich vor ihm auf dem Sessel nieder, zog ein winziges Päckchen aus der Brieftasche und begann, es auszupacken. Das Seidenpapier raschelte zwischen seinen schmalem wohlgepflegten Fingern. Nun kam der Ring zum Vorschein. Ein schwerer goldener Ring. Ein Meisterwerk alter indischer Goldschmiedekunst, genau von der gleichen Form wie derjenige an der Hand Atmas und mit dem gleichen Chrysoberyll geziert. Er hielt den Ring in der Hand und blickte nachdenklich auf den Stein.

Der Ausdruck auf seinen Zügen wechselte. Von Minute zu Minute. Bald glich er einem Träumenden, schien ganz geistesabwesend zu sein. Dann wieder glitt der Schimmer eines Verstehens und Begreifens über seine Züge.

Jetzt machte er Anstalten, sich selbst den Ring auf den Ringfinger der Rechten zu schieben.

Atma sah es, und seine Augen weiteten sich. Mit vorgebeugtem Hals saß er da, und jeder Teil seines Körpers vibrierte vor innerer Spannung.

Dr. Glossin stand im Begriff, die ihm im schwersten Kampf aufgezwungene hypnotische Suggestion aus eigener Kraft zu durchbrechen. Der Befehl lautete, den Ring zu holen und zu übergeben. Schon das Zögern auf dem Flur war nicht ganz in der Ordnung. Er sollte vergessen, dass er einen Diener besaß. Einen Augenblick hatte er dort trotzdem gewartet, ob der Bediente ihm nicht Stock und Hut abnehmen würde. Das kurze Zögern hatte dem Inder die Gefahr verraten.

Jetzt griff er zum stärksten Mittel. Er strich ihm mit beiden Händen über die Schläfen und Augen.

Die Wirkung zeigte sich sogleich.

Die Bewegung der Linken, die den Ring auf den rechten Ringfinger schieben wollte, wurde langsamer. Dicht vor der Fingerspitze kam sie ganz zur Ruhe.

Dr. Glossin saß mit vorgebeugtem Oberkörper an feinem Schreibtisch. Beide Ellbogen waren auf die Tischplatte aufgestützt. Die Rechte streckte den Ringfinger vor. Die Linke spielte kaum einen Zentimeter entfernt mit dem breiten Goldreif vor der Fingerspitze. Es sah aus, als ginge vom Ringfinger eine magnetische Kraft aus, die den Reif heranholen wollen und als wirke um sichtbar, aber gewaltig eine zweite Kraft im Raum, welche die linke Hand immer wieder zurückriss, sooft sie sich zu nähern versuchte. So ging das Spiel leise hin und her, zitternd durch lange Minuten.

Silvester sah es, und siedende Angst kroch ihm zum Herzen.

»Wenn Glossin den Ring auf den Ringfinger schiebt, sind wir verloren.«

Es herrschte vollkommene Stille im Zimmer. Nur das Ticken der Uhr war zu vernehmen. Aber Silvester empfand die Worte so deutlich, als habe sie ihm irgendeine Stimme laut vorgesprochen.

Er versuchte, sich das Unsinnige des Gedankens klarzumachen. Was konnte es denn für eine Wirkung haben, wenn Dr. Glossin wirklich den Ring auf den Finger brachte? Er fasste nach dem Strahler, den er an der Seite trug. Versagte die Kunst Atmas, so besaß er die Macht und das Mittel, den Menschen dort in einer Sekunde in Atome zu zerreißen, zu verbrennen, in ein Häufchen Asche und eine Dampfwolke aufzulösen. Aber dann … ja dann würde er auch niemals erfahren, wohin dieser Teufel die arme Jane verschleppt hätte.

Er ließ die Hand vom Strahler. Er begriff, dass der Sieg Atmas über Glossin notwendig war, sollte sein weiteres Leben noch Wert für ihn haben.

Tausendfach waren die Fäden der Leben miteinander verflochten. Das hatte ihn Kuansar in Pankong Tzo gelehrt. Äußere Vorgänge, scheinbare Zufälligkeiten waren oft zuverlässige Zeiger, die das Spiel viel größerer Kräfte dem Sehenden deutlich zeigten. Und nun kam ihm klare Erkenntnis. In dem winzigen Raum dort zwischen Ring und Fingerspitze kam der Kampf zweier Mächte um die Weltherrschaft zum Ausdruck. Jeder Versuch, von seiner Seite einzugreifen, war zwecklos. In diesem Kampf musste er ein stiller Zuschauer bleiben, musste abwarten, wie das Geschick sich erfüllen würde.

Der Kampf ging zu Ende. Dr. Glossin ließ den Ring auf die Tischplatte fallen. Silvester wollte hinzutreten und ihn nehmen. Ein Wink Atmas scheuchte ihn zurück. Der Inder hatte sich erhoben und war dicht an den Tisch herangetreten. Silvester sah, dass er den letzten Rest seiner gewaltigen telepathischen Kraft zusammenraffte, um dem Gegner seinen Willen aufzuzwingen. Und nun trat die Wirkung ein. Dr. Glossin wickelte den Ring wieder in das Seidenpapier, verschnürte das Päckchen, erhob sich und trat dicht an Atma heran. Ruhig hielt er ihm das Päckchen hin und sagte mit eintöniger Stimme: »Hier bringe ich den Ring.«

Atma nahm das Päckchen in Empfang und begann es langsam und gemessen wieder aufzumachen. Dr. Glossin war nach der Übergabe an seinen Schreibtisch zurückgegangen. Dort saß er ruhig und schaute wie geistesabwesend auf die Schreibmappe.

Atma nahm den Ring und schob ihn selbst Silvester über den Ringfinger der Rechten. Breit und kühl legte sich das Gold des massiven Reifens um das Fingerglied. Silvester fühlte neue Zuversicht in sein Herz dringen, als er den Ring wieder an der Stelle fühlte, an der er ihn so lange Jahre getragen hatte. Alle Ängstlichkeit war geschwunden. Die Zuversicht auf sicheren Sieg erfüllte ihn.

Die Stimme Atmas riss ihn jäh aus diesen Gedanken und Gefühlen.

»Wo ist Jane Harte?«

Der Inder sprach es, während sein Blick sich in den des Doktors bohrte.

Ein kurzes Zucken durchlief die Glieder des Arztes. Es schien, als wolle er sich noch einmal aufbäumen. Aber sein Widerstand war gebrochen. Der Ausdruck einer trostlosen Müdigkeit trat auf seine Züge, während seine Lippen die Antwort formten.

»Auf Reynolds-Farm in Elkington bei Frederikstown.«

Silvester sog die Antwort Wort für Wort wie ein Verdurstender ein. Frederikstown in Colorado. Den Flecken Elkington kannte er sogar durch Zufall. Die Farm würde sich finden lassen. Jetzt waren alle Schwierigkeiten überwunden Noch eine kurze Spanne Zeit, und er würde Jane wiedersehen, würde sie im schnellen Flugschiff allen feindlichen Gewalten entziehen.

Atma stand vor dem Arzt. Mit zwingender Gewalt gab er ihm seine letzten Befehle.

»Du wirst bis vier Uhr schlafen. Wenn du aufwachst, wirst du alles vergessen haben. Den Ring, Logg Sar und Atma.«

Der Kopf Dr. Glossins sank auf seine Arme und die Tischplatte nieder. Er lag in tiefem Schlaf.

»Um vier weckst du deinen Herrn.« Im Vorbeigehen sagte es Atma zu dem Diener, der auf dem Flur schlummernd in einem Sessel saß. Flüchtig strich er ihm dabei über Stirn und Augen. Dann schlug die Wohnungstür hinter den Freunden ins Schloss.