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Schwäbische Sagen 24

Schwäbische-Sagen

Viertes Kapitel
Riesen- und Teufelsgeschichten

Der Riese Erkinger
Mündliche Überlieferungen aus Hirschau und Liebenzell

1.

Den gewaltigen Turm bei Liebenzell, den man im Volk das »Schloss« nennt, hat der Riese Erkinger erbauen lassen. Der Kalk oder »Speis« soll mit Wein angemacht sein. Andere sagen mit Milch, welche die umwohnenden Bauern liefern mussten. Dieser Turm hatte unten ehedem keinen Eingang. Erst spät hat man die ungeheure Mauer, die aus dicken Quadern besteht, durchbrochen, sodass man wenigstens hineinkriechen konnte. In ganz neuer Zeit kann man bequem hineingehen.

In diesem Turm nun sollen große Schätze verborgen sein, die ein Pudel hütet. Andere sagen, das Geld liege in dem verfallenen Keller der Burg. Gewiss ist, dass einst ein »fahrender Schuler« gesagt hat: »Wenn Liebenzell nur wüsste, wie reich es wäre und wie viel Geld in dem Turm noch liege!« Der Schatz jedoch muss tief liegen und braucht seine bestimmte Zeit, wo er gehoben werden kann. »Indes schafft er sich alle Jahre etwas höher herauf.« Aber noch keiner hat ihn gesehen. Der Geist des Riesen geht auch noch immer dort um.

2.

Der Riese Erkinger war ein Räuber und Menschenfresser und hauste mit zwei Gesellen auf seiner Burg bei Liebenzell. Eine besondere Vorliebe hatte er, den Bauern im Schwarzwald die Bräute zu stehlen, wenn sie gerade Hochzeit hielten, und dieselben dann zu verzehren. Gewöhnlich aber kam dann Merkinger, der Tyrann von Merklingen, und sagte ihm die Braut ab und führte sie dem Bräutigam wieder zu.

3.

Einst hatte jemand gewettet, er wolle dem Riesen Erkinger seinen Löffel stehlen und schlich sich, während in der Nähe eine Hochzeit war und Erkinger auf die Braut Jagd machte, in die Burg hinein. Wie er nun eben mit dem Löffel fort wollte, kam Erkinger zurück und schleppte eine junge Frau daher.

Da hatte er kaum noch Zeit, sich in den Ofen zu verstecken, und konnte von da mit ansehen, wie der Riese nebst seinen Gesellen die Frau an den Beinen ergriff, mitten durchriss und sie auffraß. Dann kam er an den Ofen und sagte immer »Ich rieche Menschenfleisch!«, sodass es dem Mann Höllenangst wurde. Indes ist er nachher mit genauer Not noch davon gekommen.

4.

Die Gebeine von den Menschen, welche Erkinger gefressen hatte, warf er immer eine gute Viertelstunde weit von seiner Burg weg.

Daraus ist endlich ein ganzer Berg geworden, den man diesem Ursprung gemäß »Beinberg« nannte. Ebenso heißt auch ein kleines Dorf, das auf dieser Höhe liegt.

5.

Wegen der Gräuel, welche Erkinger weit und breit verübte, kam endlich ein Markgraf von Baden und belagerte mit vielen Leuten seine Burg. Weil Erkinger nun weder sich ergeben noch verhungern wollte, so machte er seinem Leben selbst ein Ende und stürzte sich von dem hohen Turm herab.

Nach einer anderen Erzählung aber soll es Merkinger, der Tyrann von Merklingen, getan haben. Dieser war zwar schwächer als Erkinger, kam aber sonst gut mit ihm aus, obwohl er ihm manche Braut absagte. Endlich aber trieb er es ihm zu arg. Bei einem Besuch fasste er ihn unten an den Füßen und warf ihn zu der mittleren Öffnung des Turms hinaus, dass er zerschmettert unten lag.

6.

In der schönen »Riesenkapelle« zu Hirschau, die an der nördlichen Seite der Klosterkirche gelegen und auf barbarische Weise vor etlichen Jahren abgebrochen worden war, bewahrte man das Kleid des Riesen Erkinger, das 14 Fuß lang war, auf; außerdem einen ungeheuren Hosenträger und einen Schuh desselben. Anstatt der Knöpfe hatte das lederne Kleid eiserne Ringe.

An dem Tor zu Liebenzell, aus welchem man ging, wenn man die Burg besuchen wollte, war sonst der Erkinger in riesiger Gestalt mit einer gewaltigen Stange in der Hand abgebildet. Das Tor ist abgebrannt. Bei jenem Brand fand man übrigens ein Buch, das leider fast ganz versengt war. Nur die Aufschrift konnte man noch lesen: »Franz Erkinger, der große Tyrann, gebürtig aus Merklingen.« Das ist alles, was man über seine Herkunft weiß.

Spuren von diesem Riesen findet man noch häufig bei Liebenzell, nämlich dicke Steinkugeln, die etwa anderthalb Schuh im Durchmesser haben. Diese soll er bei verschiedenen Gelegenheiten, besonders bei Belagerungen, auf die Menschen herabgeschleudert haben.


Der Leichenstein des Riesen
Eine mündliche Überlieferung aus Kalmbach

Auf einer Bergebene im kleinen Enztal, eine halbe Stunde von Kalmbach entfernt, liegen die Ruinen des »Schlössle«, woselbst ein riesiger Geist umgeht, den man früher oft auf der Mauer gesehen hat. Auch eine Schlange hauste hier, die einen Schlüssel am Hals trug und sich oftmals in der kleinen Enz badete, zuvor aber immer den Schlüssel ablegte.

In der Nähe dieser Schlosstrümmer ragt unter wildzerstreuten Felsmassen ein mächtiger Stein hervor, unter welchem die Gebeine eines Riesen begraben liegen sollen und der allgemein der Leichenstein eines Riesen genannt wird.


Der Teufelsberg
Eine mündliche Überlieferung aus Kalmbach

Im kleinen Enztal zwischen Wildbad und Raislach liegt eine Sägmühle, die man gewöhnlich »Eisenmühle« oder Eisensägmühle nennt. Dabei befindet sich ein Fels mit mehreren Einschnitten, die der Teufel hineingesägt haben soll. Die ganze Umgebung heißt der »Teufelsberg«. Auch das Haus des Teufels, eine Höhle, darin er die Steine zersägt haben soll, befindet sich in der Nähe von Raislach.


Die Riesenkirche

Die große Kilianskirche auf dem Markt zu Heilbronn sollen Riesen erbaut haben. Innen, an der einen Seite des Chors, hängt noch ein mächtiger Knochen, die Rippe eines dieser Riesen. Nach anderen soll es ein Mammutknochen sein.


Der Bau des Reiffenstein
Eine mündliche Überlieferung aus Beuren bei Neuffen

Dem Heimenstein gegenüber erheben sich auf einer Felsenkrone des Neidlinger Tals die Ruinen des Schlosses Reiffenstein, das ein Riese sich hat erbauen lassen. Einst erhob er sich nämlich aus seiner Höhle und rief in das Tal hinab, dass es weithin vernommen wurde: »Wer arbeiten wolle, der möge zu ihm kommen und ihm ein Schloss bauen.« Da entstand alsbald ein großes Gewimmel, und aus der Nähe und Ferne strömte allerlei Volk herbei, Maurer, Schlosser und Zimmerleute, um für den Riesen zu arbeiten, und erbauten ihm auf hohen Felsen ein mächtiges Schloss. Als es fertig war und der Riese es besah, fand er, dass an einem Fenster ganz oben noch ein Nagel fehlte, worauf er erklärte, dass keiner eher seinen Lohn bekomme, bis der Nagel eingeschlagen sei. Der aber, welcher das Wagstück unternehme, solle noch einen ganz besonderen Lohn erhalten. Da stieg nun mancher Schlosser, Schmied und Zimmermann auf das Schloss und hätte den Lohn wohl verdienen mögen. Wie sie aber in den tiefen Abgrund hinabschauten, vergingen ihnen alle Lust und aller Mut.

Da war auch ein junger Schlossergeselle, der liebte seines reichen Meisters Töchterlein. Weil er aber arm war, wollte der Vater ihm die Tochter nicht geben, dass ihm schier das Herz brach und das Leben ihm verleidet war. Der dachte: »Du sollst den Nagel einschlagen, vielleicht gelingt dir’s. Sonst aber ist es ja eins, ob ich hier oder dort zugrunde gehe.« Er begab sich zu dem Riesen und meldete sich zu der Arbeit. Und wie der Riese den jungen Mann so entschlossen ans Fenster treten sah und er sich hinauswagen wollte, da ergriff ihn der Riese mit einer Hand und hielt ihn frei zum Fenster hinaus, worauf der Geselle den fehlenden Nagel so keck hineinschlug, dass es den Riesen freute und derselbe ihn reichlich beschenkte. Darauf hat der alte Schlosser gern sein Töchterlein dem kühnen Gesellen zur Frau gegeben.

Andere sagen, der Riese habe seine eigene Tochter dem Schlossergesellen zur Frau gegeben und dazu noch große Schätze.