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Der Schwur – Zweiter Teil – Kapitel 2

Der-SchwurDer Schwur
Historischer Roman aus dem mexikanischen Unabhängigkeitskrieg

Zweiter Teil
Ein moderner Odysseus

Kapitel 2
Der Student der Theologie will nach Madrid marschieren

Um den Verlauf der Ereignisse zu folgen, haben wir die Abenteuer des Don Cornelio übersprungen. Hier aber, während er und Costal das Resultat des Verrats des Spaniers abwarten, ist es an der Zeit, unseren Lesern zu zeigen, wie die väterliche Sparsamkeit, über die wir ihn schon ursächlich klagen hörten, aufs Neue in eine Reihe von Gefahren zu stürzen, gegen welche die früheren, in denen er in seiner Hängematte unter Tigern und Klapperschlangen gebettet, nur ein Kinderspiel waren.

Der Student hatte sich, durch die Freigebigkeit Don Marianos, mit einem tüchtigen Pferd versehen, auf den Rückweg begeben und kam in seinem väterlichen Haus zu früh an, denn wenn diesmal, wie das Erste, seine Reise zwei Monate gedauert hätte, würden die Umstände für ihn ganz anders sein.

Seine Studien waren schon lange beendet. Da er sich vorgenommen hatte, nach Valladolid zu gehen, um sich die Weihen erteilen zu lassen, achtete es sein Vater für geraten, ihm ein scheues und widerspenstiges Maultier zur Verfügung zu stellen, das er mit einem tüchtigen Gewinn für das von Don Mariano gegebene Pferd eingetauscht hatte.

Der Student machte sich auf den Weg, mit dem Segen seines Vaters versehen und einer Masse von Empfehlungen, das Maultier zu schonen und sich wohl vor dem Schmutz der Insurrektion in acht zu nehmen.

Die wenigen Häuser des Flecken Caracuaro erschienen schon deutlich in der Entfernung vor ihm, als er sich mit den Gedanken, die Elemente der Theologie wieder durchzugehen, beschäftigte, die ihm vollständig auf seinen Reisen entfallen waren, sich plötzlich vor drei Reitern sah. Das war zwei Tage nach seiner Abreise.

Durch den plötzlichen Anblick der Herren erschreckt, bäumte sich das Maultier gerade in dem Augenblick, als Lantejas es sich am wenigsten vorgestellt hätte, auf und warf ihn so unsanft zur Erde, dass er, mit dem Kopf gegen einen Stein fallend, vollständig die Besinnung verlor.

Als er wieder zu sich kam, saß er am Rand der Straße mit halb gespaltener Hirnschale und als Zugabe noch ohne Maultier, dass, als es sich von seinem Reiter befreit sah, es für angemessen hielt, im gestreckten Galopp den heimischen Stall wieder zu suchen.

Von den drei Reitern schien der eine der Herr und die beiden anderen die Diener zu sein.

Der Erstere wandte sich an den Studenten. »Hört, mein Sohn, Eure Lage erfordert, ohne gerade gefährlich zu sein, dennoch Vorsicht und Pflege, die Ihr nicht in dem armen Dorf Caracuaro finden werdet. Übrigens habt Ihr bis dahin noch zwei Stunden. Es wäre das Beste, Ihr setzt Euch in Ermangelung eines eigenen Pferdes hinter einem meiner Diener aufs Pferd und begleitetet uns zur Hazienda San Diego, die nur eine Stunde von hier entfernt ist. In dieselbe Richtung hat auch Euer Maultier Reißaus genommen. Ich werde dem Viehhirten Auftrag geben, es wieder einzufangen, dann werdet Ihr nach Verlauf von drei Tagen Euren Weg wieder fortsetzen können. Wohin wollt Ihr?«

»Nach Valladolid, mir die heiligen Weihen erteilen zu lassen.«

»Prächtig! Gleiche Brüder, gleiche Kappen«, sagte der Reiter lachend. Ich bin der Pfarrer von Caracuaro, José Maria Morelos, von dem Ihr freilich noch nichts gehört haben werdet.«

Zu dieser Zeit war auch wirklich der große Name Morelos noch vollkommen unbekannt. Der Student konnte seine Verwunderung über den seltsamen Aufzug des Reiters nicht unterdrücken. Sein Anzug war im höchsten Grade abgetragen. Am Sattelknopf hing eine doppelläufige Büchse, an der nur das eine Schloss instand zu sein schien, und in einem Lederüberzug steckte ein Degen, dessen Stichblatt gänzlich verrostet war.

Seine beiden Diener steckten in einer wo möglich noch abgetrageneren Kleidung als ihr Herr. Sie waren jeder mit einer kupfernen Donnerbüchse bewaffnet.

»Und Ihr, Herr Patre«, fragte Lantejas seinerseits, »wohin wendet Ihr Euch?«

»Ich gehe«, erwiderte der Pfarrer, noch immer lachend, »zuerst, wie ich Euch schon gesagt habe, zur Hazienda San Diego und dann will ich mich in Ausführung der Befehle, die mir erteilt worden sind, der Zitadelle von Acapulco zu bemächtigen suchen.«

So war die Ausrüstung des Generals beschaffen, dessen Name einen so ungeheuren Ruf erlangt hat, und dies waren seine kriegerischen Hilfsmittel, welche die Geschichte übrigens getreulich auf ihren Blättern verzeichnet hat.

Bei dieser Antwort riss Cornelio die Augen so weit, wie es ihm möglich war, auf. Er wollte aber lieber annehmen, dass sein erschüttertes Gehirn ihn habe falsch verstehen lassen, als voraussetzen, der ehrwürdige Pfarrer leide an Geisteszerrüttung.

»Dann seid Ihr ein Insurgent?«, rief er nicht ohne Schrecken aus.

»Ohne Zweifel, und zwar seit langer Zeit.«

Lantejas stieg hinter dem einen Diener auf und blieb die ganze Zeit über stumm. Da er aber nach Verlauf einer halben Stunde weder auf der Stirn des Pfarrers noch auf denen der beiden Diener irgendeine jener schrecklichen Zierraten, deren der sehr ehrwürdige Don Antonio Bergosa Erwähnung getan hatte, hervorwachsen sah, fing er an zu glauben, dass nicht gerade alle Insurgenten eine sichere Beute des Teufels sein könnten. Nichtsdestoweniger gab er sich doch das Versprechen, seine Reise mit dem Pfarrer nur bis in die Hazienda San Diego zu machen und den allerkürzesten Aufenthalt in einer so verdächtigen Gesellschaft zu nehmen.

Soweit hatte der Student die Sache mit seinem Gewissen abgemacht, als er plötzlich unter den glühenden Sonnenstrahlen eine sonderbare Verwirrung seiner Gedanken wahrnahm. Es erschien ihm nämlich nicht allein diese durch Priester begonnene Insurrektion ganz natürlich, sondern er fing auch sogar an, aus voller Kehle, ohne sich halten zu können, einen kriegerischen Gesang anzustimmen, den ihn eben die patriotische Begeisterung eingab, in dem der kriegerische Sänger den König von Spanien gar arg mitnahm.

Er wusste nicht, in welchem Zustand er später in der Hazienda San Diego angekommen war und wie viele Tage er unter dem Schauer eines durch die Anstrengung des Marsches und seiner Verwundung eingetretenen hitzigen Fiebers dort zugebracht hatte. Es war ihm allein eine dunkle Erinnerung von schmerzhaften Träumen geblieben, in denen er beständig Waffengetöse hörte. Durch all dieses hindurch fühlte er sich wie auf einem stürmischen Meer hin- und her geschaukelt.

Eines Tages erwachte er ganz erstaunt in einem ziemlich armselig möblierten Zimmer. Nach und nach erinnerte er sich nun seines Falls und seines Zusammentreffens mit dem Pfarrer von Caracuaro. Da er sich stark genug fühlte, um sein Bett zu verlassen, schleppte er sich bis zum Fenster, um sich Gewissheit über einen großen Lärm zu verschaffen, den er vernahm.

Der Hof unter seinem Fenster war mit bewaffneten Männern angefüllt, die einen zu Fuß, die anderen zu Pferd. Lanzen mit Fähnlein von verschiedenen Farben geschmückt, Degen, Flinten glitzerten von allen Seiten in der Sonne. Die Pferde standen stolz und wieherten unter ihren Reitern, kurz, man war versucht, dies für den Sammelplatz einer Armee zu halten. Die Schwäche nötigte dem Verwundeten, wieder das Bett aufzusuchen. Er erwartete mit Ungeduld, dass jemand ihm Auskunft über seine Lage geben möchte.

Nach Verlauf von etwa einer halben Stunde erschien ein Mann im Zimmer des Kranken, den er als einen der beiden Diener Morelos’ wiedererkannte. Der Diener kam von seinem Herrn, um sich nach dem Befinden des Kranken zu erkundigen.

»Wo bin ich, mein Freund, ich bitte Euch?«, fragte er ihn, ohne auf seine Fragen Rede gestanden zu haben.

»In der Hazienda San Luis.«

Der Student raffte seine Gedanken zusammen und sah sich im Geist nach der Hazienda San Diego zurückversetzt.

»Ihr irrt Euch, dies ist die Hazienda San Diego«, erwiderte er.

»Die haben wir gestern verlassen, wir waren dort nicht mehr recht sicher – zum Teufel aber auch, man hat es doch nicht nötig, man mag ein noch so guter Patriot sein, seine Meinung überall auszuposaunen …«

»Ich verstehe Euch nicht, mein Lieber«, unterbrach ihn Lantejas, »das ist vielleicht noch die Nachwirkung des Fiebers.«

»Mein Gott! Ich spreche doch ganz deutlich«, antwortete der Diener. »Wir waren genötigt, die Hazienda zu verlassen, weil die königlichen Truppen unterwegs waren, uns wegen der wilden Überspannung eines gewissen Cornelio Lantejas auszuheben.«

»Cornelio Lantejas!«, rief der Student mit Entsetzen, »das bin ja ich!«

»Das weiß ich leider zu wohl! Ehrwürdige Herrlichkeit haben keinen Anstand genommen, es zu den Fenstern hinauszuschreien und zugleich mit allen Kräften meinen Herrn zum Generalissimus aller Insurgenten auszurufen. Wir hatten sogar unsere Not, Euch daran zu verhindern, nach Madrid zu marschieren.«

»Madrid in Spanien?«

»Bah! Zweitausend Seemeilen waren für Euch eine Kleinigkeit, Ihr sagtet dann: ›Ich Cornelius Lantejas unternehme es, den Tyrannen zu stürzen!‹ Wir waren nun genötigt, aus Furcht unseren Aufenthaltsort ohne Versäumnis zu verlassen, indem wir Euch in einer Sänfte mitschleppten, da mein Herr es nicht übers Herz bringen konnte, einen so warmen Anhänger, der sich aus Liebe zu ihm bloßgestellt hatte, im Stich zu lassen. Wir gelangten dann hier an, wo Ihr Euch, dank den Leuten, die sich uns angeschlossen haben, der ganzen Glut Eures Patriotismus hingeben könnt.«

Der junge Mann hatte mit Schrecken und vollständiger Betäubung seine Heldentaten mit angehört.

Dann fügte der Diener hinzu: »Unter anderen hat mein Herr, um nicht hinter dem, der ihn zum Generalissimus ausgerufen hat, zurückzubleiben, Ew. Herrlichkeit zum Unterleutnant und zu seinem Adjutanten ernannt, Ihr werdet Euer Patent unter dem Kopfkissen finden.«

Mit diesen Worten verließ ihn der Diener.

Als dieser das Zimmer verlassen hatte, fuhr Don Lantejas eilig mit der Hand unter sein Kopfkissen. Das fatale Patent lag da.

Er zerknitterte es wütend und schleppte sich von Neuem an das Fenster, um alle Beteiligungen an der Insurrektion zu widerrufen, wie die ersten Christen, die inmitten der Götzenanbeter den heiligen Namen Gottes bekannten. Sein Debakel aber wachte über ihm.

In dem Augenblick, als er den Mund öffnen wollte, um mit lauter Stimme aus zuschreien, dass er jede Gemeinschaft mit den Feinden Spaniens von der Hand wies, verwirrten sich abermals seine Gedanken, indem er schrie: »Es lebe Mexiko, Tod dem Tyrannen!« Dann fiel er kraftlos auf sein Bett.

Die Ohnmacht war diesmal von geringerer Dauer. Nach kurzer Zeit war er seiner Sinne wieder Herr und sah, dass sein Bett von bewaffneten Leuten umgeben war, die, aus einigen untereinander gewechselten Worten zu schließen, mit Spannung den Zustand, in dem er sich befand, zu untersuchen schienen. Er erkannte unter diesen Stimmen die des Generals Morelos selbst, der sagte: »Wie soll man sich diese plötzliche Sympathie für unsre Sache erklären? Der junge Mann ist von fieberhaften Phantasiegebilden umgaukelt.«

»Wenn nicht der glühendste Patriotismus in den Tiefen seiner Seele gärte, würde der Schaum nicht bis an die Oberfläche kommen«, sagte eine andere Person mit Namen Don Rafael Valdovinos.

»Was tut’s?«, erwiderte Morelos, »ich kann nicht glauben, dass mein Einfluss …«

Ein Eintretender unterbrach den Pfarrer von Caracuaro in dem Augenblick, als der Student die Augen öffnete, ohne dass er aber der Meinung, die man über ihn ausgesprochen hatte, Lügen zu strafen wagte. Der Neuankömmling war ein Mann von kräftigem Wuchs, mit kriegerischem Ansehen, dessen Bart- und Kopfhaar schon anfing, sich hier und da mit Grau zu untermischen. Sein Aussehen verriet einen Fünfziger.

»Warum, mein General«, sagte der Unbekannte, die Hand, die ihm Morelos entgegen, hielt, freudig ergreifend, »warum sollte dieser brave junge Mann nicht auch wie ich dem Einfluss Eurer Person auf den ersten Blick erlegen sein? Ich kenne Euch erst seit heute und nie werdet Ihr einen ergebenen Diener haben, als mich. Ich stehe für den jungen Mann ein, er ist ohne Widerrede einer der unseren.«

Bei diesen Worten blickte der Unbekannte Don Cornelio zu gleicher Zeit so sanft und auch so furchtbar an, dass es den jungen Mann in demselben Augenblick von Kopf bis zu den Füßen durchschauerte und auch ein unüberwindliches Wohlbehagen ihn durchzuckte, sodass er sich nicht enthalten konnte, mit einer Gebärde die Verpflichtungen, die man in seinem Namen übernahm, zu bestätigen.

Der Unbekannte war derselbe, den die Geschichtsschreiber den furchtbaren, den großen, den unbesiegbaren Don Hermenegildo Galeana, den mexikanischen Murat nennen, den man wohl in hundert Gefechten mit eingelegter Lanze auf den Feind wie den Erzengel der Schlachten losstürzen sah, sein furchtbares Kriegsgeschrei Aqui esta Galeana (Galeana kommt) ausstoßend. Ein furchtbarer Feind und ein zärtlicher und ergebener Freund unterjochte er alle seinem unwiderstehlichen Einfluss.

Glücklicher als Murat blieb Galeana auf dem Schlachtfeld von Leichnamen umgeben, die seine Faust aufgetürmt hatte, und glücklicher als der französische Held starb er treu dem Mann, dem er geschworen hatte, sein Leben zu weihen.

»Wie dem auch sei«, fuhr Valdovinos fort, »ich weiß, dass der General Calleja auf den Kopf dieses jungen Mannes einen Preis gesetzt hat, wie auf den unseren.«

»Nun, Don Cornelio!«, fügte Galeana hinzu, »bereitet Euch vor, morgen abzugehen und Euch des Postens, zudem Ihr erhoben worden seid, würdig zu machen. Die Gelegenheit dazu wird Euch nicht fehlen.«

Plötzlich erscholl der Donner einer Kanone unter seinem Fenster.

Als Morelos sich scherzend wunderte, dass er schon eine Artillerie unter seinen Befehlen habe, nahm Galeana das Wort und sagte zu ihm: »Herr General, diese Kanone macht einen Teil unserer väterlichen Erbschaft aus. Wenn bei uns ein Sohn geboren wurde oder ein Galeana aus dem Leben schied, diente sie dazu, unseren Jubel oder unsere Traurigkeit anzuzeigen. Heute weihen wir sie zum Dienst der großen mexikanischen Familie, sie gehört Euch wie unsere Personen.«

Dann ging er zum Fenster und schrie mit dieser Stimme, vor der die Spanier bald genug fliehen lernten: »Es lebe der General Morelos!«

Lebhafte aus dem Hof aufsteigende Vivatrufe antworteten dem seinen. Ein Geklirr von aus der Scheide gerissenen Degen, das Geräusch der auf den steinigen Boden gestoßenen Gewehrkolben und das Gewieher der Pferde mischten sich mit den Ausbrüchen der Opferbereitschaft. Die Stube des Kranken war in einem Augenblick leer, der Pfarrer von Caracuaro stieg in den Hof, um seinen neuen Soldaten die Hand zu drücken. Der Student aber empfand, weit davon, diese kriegerische Glut zu teilen, eine schreckliche Herzbeklemmung. Er dachte mit Trauer an seine theologischen Studien, die er inmitten des Feldlagers ganz vernachlässigen musste, und dann war ja auf seinen Kopf wie auf den eines Rebellen ein Preis gesetzt worden. Und alles dies verdankte er der Knickerigkeit seines Vaters bei dem Ankauf dieses verdammten Maultiers, wie einst bei dem des zum Stierkampf bestimmten Pferdes. Lantejas kleidete sich traurig an und warf einen finsteren Blick in den Hof auf das Menschenknäuel, welches sich dort von allen Seiten zusammendrängte. Ein Schwarzer lud die Kanone aufs Neue, mit der er soeben das Signal zum Bürgerkrieg hatte geben hören. Dieser Mann war Clara, der aus eigener Machtvollkommenheit sich das Kommando des ersten Geschützes El Nino genannt, welches Morelos unter seinen Befehlen hatte, aneignete.

Ehe wir weitergehen, ist es nötig, mit einigen Worten zu erwähnen, was während der Zeit stattgefunden hatte, seitdem Lantejas hinter dem Diener aufs Pferd gestiegen und in der Hazienda San Diego angekommen war, bis zu dem Augenblick, er von dort noch immer ohne Bewusstsein in einer Sänfte zur Hazienda San Luis gebracht, so unangenehm erwachte.

In geringer Entfernung von San Diego war Morelos mit einem insurgierten Parteigänger Don Rafael Valdovinos zusammengetroffen, der mit einigen Leuten im Land herumschweifte, sich aber sogleich zur Verfügung des Pfarrers von Caracuaro stellte.

Letzterer, der in Erfahrung brachte, dass das spanische Gouvernement nach Petatlan, einer kleinen Stadt der Umgegend, die zur Errichtung eines Milizionärs nötigen Waffen geschickt hatte, dachte, dass dieselben der Sache seiner zukünftigen Soldaten förderlicher sein würden, und beschloss, sich derselben mithilfe der Leute Valdovinos’ zu bemächtigen, was fast augenblicklich abgemacht war. Dann wurden sie in die Hazienda San Luis geschafft.

Die Nachricht von diesem glücklichen und kecken Handstreich war Morelos hierher vorangegangen. Als er selbst ankam, traf er mit Don Juan José und dem Hermenegildo Galeana, Onkel und Neffen, zusammen, die ihm siebenhundert Mann, die jämmerlicherweise mit zwanzig Flinten und der Kanone el Nino, deren wir soeben Erwähnung getan haben, bewaffnet waren, zuführten.

Morelos hatte gerade die Waffen, die für die Miliz von Petatlan bestimmt gewesen waren, unter seine Leute verteilt, als die Szene stattfand, deren Zeuge der friedliche Lantejas, der durch eine Verkettung seltsamer Umstände in einen Soldaten und gewiss in den betrüblichsten, der in beiden Lagern, dem spanischen und dem der Insurgenten, zu finden war, umgewandelt worden.

Er verbrachte, wie sich denken lässt, eine sehr unruhige Nacht. Er hatte die Ehre gehabt, am Tisch des Generals mit seinem improvisierten Stab zu Abend zu speisen. Vielleicht war die Masse der genossenen Speisen, die er mit dem Heißhunger eines Genesenden zu sich genommen hatte, mit schuld an den schrecklichen Träumen, die ihn die Nacht über belästigten.

Als der Morgen anbrach und die ersten Strahlen der Sonne in sein Zimmer drangen, öffnete er die Augen mit Freude, um den Einfluss des quälenden Traums, der ihn beherrschte, abzuschütteln. Aber er schien auch wachend weiter zu träumen. Er vernahm einen gewaltigen Lärm im Hof, der aber von den bald rauen, bald schneidenden und doch immer so durchdringenden Tönen eines namenlosen Instruments übertönt wurde, dass er für einen Augenblick glaubte, Satan selbst stoße in die Trompete, um seine höllischen Scharen zum Aufsitzen zu kommandieren.

In kalten Schweiß gebadet, wachte der Ex-Student endlich auf, ohne sich dabei ganz den Schrecken entziehen zu können, die ihm diese Musik verursachte, von der er sich erinnerte, sie schon einmal in einer schrecklichen Lage gehört zu haben, denn der, welcher diesen Höllenlärm machte, war kein anderer als der Indianer Costal, den Lantejas zu seinem großen Erstaunen in den Reihen der Insurgenten wiederfand. Costal war der erste Trompeter Morelos’ gewesen, wie Clara der erste Artillerist.

Cornelio erkannte ihn in dem Augenblick, in dem er die kriegerischen Töne seiner Trompete hörte, nicht. Er bewaffnete sich mit allem ihm zu Gebote stehenden Mut und ging in den Hof.

Der Erste, dem er begegnete, war der schreckliche Galeana. Er zitterte, dass der durchbohrende Blick des Helden ein Hasenherz unter der Löwenhaut erkennen möchte. Glücklicherweise hatte der tapfere Krieger andere Dinge zu tun, als die Gedanken eines obskuren Unterleutnant zu erforschen, und alle Welt täuschte sich in der kriegerischen Haltung, die Lantejas sich zu geben wusste. Die einzige Kanone donnerte zum letzten Mal und alle verließen in guter Ordnung die Hazienda San Luis.

Auf dem Marsch machten andere Parteigänger, die zu ihnen stießen und deren Anzahl sich wohl auf tausend belaufen mochte, die Armee immer vollzähliger. Dieser ganze Haufen wurde infolge des angeborenen kriegerischen Talents, das in dem Pfarrer von Caracuaro erwachte, so gut diszipliniert, wie niemals irgendeine Insurgentenschar es gewesen war.

Schon schien der Gedanke an die Eroberung Acapulcos nicht mehr die Ausgeburt eines kranken Hirns zu sein. Nach einem langen, mühevollen Marsch finden wir Morelos an den Ufern des Stillen Ozeans, angesichts der Stadt, die man ihn zu erobern aufgetragen hatte.

Zwei Monate ununterbrochenen Kampfes, aus dem Morelos stets als Sieger hervorging, hatten Don Lantejas ein wenig an das Kriegsleben gewöhnt. Er hatte den Ruf eines mutigen Kriegers erlangt, obgleich er oft nahe daran war, das Hasenpanier zu ergreifen.

Als er zum ersten Mal ins Feuer kam, geschah dies an der Seite Don Hermenegildo Galeanas. Dieser hatte über ihn eine solche Gewalt gewonnen, dass die Blitze seiner Augen ihn mehr erschreckten als die Gegenwart des Feindes. Sein furchtbarer Argus kämpfte in der ersten Reihe und seine Lanze und sein krummer, kurzer Säbel räumten derartig vor ihm auf und machten eine solche Lücke in den feindlichen Reihen, dass es schien, es wäre für die Waffen der Spanier ein unüberschreitbarer Kreis um ihn gezogen, sodass er dem Schwert Lantejas, das dieser mit zitternder Hand führte, nichts zu tun übrig ließ.

Er war mit dieser ersten Probe so zufriedengestellt, dass er für die Folge immer diesen Platz aufsuchte. Noch einen anderen Mann gab es, der gewöhnlich an der Seite Galeanas focht. Es war Costal, der diesem aber an Mut und physischer Kraft kaum etwas nachgab.

Galeana und Costal waren für Don Cornelio zwei Schutzengel des Krieges. Bei ihnen wohnte er einem Kampf fast in Sicherheit bei, denn er nahm eigentlich keinen Teil daran.

Nichtsdestoweniger schleppte er seinen Ruhm wie eine für seine Schultern zu drückende Last mit sich herum. Den Ausreißer zu machen, war unmöglich. Auf seinen Kopf war ein Preis gesetzt und andererseits hatte Morelos dem Ort am Fluss Sabana, wo sich sein Hauptquartier befand, den furchtbaren Namen Weg zur Ewigkeit gegeben, um damit anzuzeigen, dass diejenigen, welche seine Sache verließen oder sein Lager angriffen, sich zur großen Reise anschicken würden.

Unterdessen empfing Don Cornelio endlich eine Antwort auf mehrere Briefe, die er an seinen Vater geschrieben hatte, um ihn zu benachrichtigen, dass er dank des störrischen Maultiers, das er so billig gekauft hatte, die Weihe in der Eigenschaft eines Leutnants in der Insurgentenarmee genommen habe und dass er seine Thesen mit Säbelhieben unterstützte, was ihm die Ehre verschafft habe, dass sein Kopf bedroht sei, abgeschlagen anstatt abgeschoren zu werden.

Nach großen Lobeserhebungen über seine Unerschrockenheit, die Cornelio bisher so sorgsam verheimlicht hatte, enthielt die Antwort die Nachricht, dass man seine Begnadigung vom Vizekönig unter der Bedingung erlangt habe, dass er Morelos verlasse und seinen Arm dem Dienst Spaniens weihe.

Die letzte Bedingung war nicht nach Cornelios Geschmack. Würde er wohl in den Reihen der Spanier zwei solche Beschützer gefunden haben, wie er jetzt besaß? Abgesehen aber von der mit Bewunderung gemischten Zuneigung zu seinem braven General und der tiefen Erkenntlichkeit für Don Hermenegildo, schauderte er bei dem Gedanken, sich eines Tages der Lanze und dem Säbel des furchtbaren Galeana als Feind gegenüber zu befinden.

Er nahm nun zu dem letzten Mittel seine Zuflucht. Er beschloss, dem General nichts von dem Brief seines Vaters zu sagen und sich darauf zu beschränken, von ihm einen Urlaub zu erbitten, den er, einmal erhalten, bis aufs Nimmerwiedersehen verlängern wollte. Wie es ihm damit glückte, haben wir eben gesehen.

Dies waren die neusten Abenteuer des Studenten der Theologie seit seiner Abreise von der Hazienda las Palmas und bis zu dem Augenblick, wo wir in dem Zelt des Generals Morelos ihn wiedersahen und zu der Hornosbrücke begleiteten.

 

***

 

Costal und Don Cornelio standen noch immer an der Brücke, den Blick auf den Ozean gerichtet und in demselben Schweigen verharrend, wie in dem Augenblick, wo wir sie verlassen haben.

Das Meerweibchen tauchte wieder ins Meer mit einem kläglichen Geschrei, das von einem starken Geknalle übertönt wurde.

»Die Zitadelle ist erobert!«, rief Don Cornelio.

»Pepe Gago hat uns verraten«, sagte der Indianer, »ich vermutete es.«

Ein heftiges Gewehrfeuer ließ sich vernehmen und verkündete, dass Costal recht hatte.

Die beiden Männer verließen eiligst ihren bisher innegehabten Posten. Angekommen in einem Engpass, bot sich ihnen ein schrecklicher Anblick dar.

Die mexikanischen Truppen befanden sich in der größten Verwirrung.

Ein Mann, der sich quer über den Weg geworfen hatte, rief in demselben Augenblick: »Viva christo! Ihr Feiglinge, kein anderer Weg, als über den Leichnam Eures Generals!«

Es war Morelos, der die Flucht seiner Soldaten nicht anders zu hemmen wusste, als dass er ihnen mit seinem Körper den einzigen Weg des Rückzuges versperrte.

Die Flüchtlinge stutzten und kehrten um, aber nach einem vergeblichen Sturm ließ der General zum Rückzug blasen. Das war sein erster Gefechtsverlust seit drei Monaten.

Das Kommando war nämlich, von einer starken Reserve unterstützt, bis in die Nähe des Tors gelangt, das der Artillerist bewachte und das er ihnen nach Auswechselung des verabredeten Losungswortes in die Hände spielen wollte.

Plötzlich erscholl die Stimme des Artilleristen durch das Tor, indem er fragte, ob der General, wie man übereingekommen war, gegenwärtig sei. Morelos ließ aus Furcht vor irgendeinem heimtückischen Streich gegen seine Person antworten, dass er sich beim Nachtrab befinde.

Der Artillerist erwiderte durch diesen widrigen Zufall in seiner Erwartung getäuscht, nichts, Aber die spanischen Soldaten, die schon im Voraus unterrichtet waren, gaben auf die Insurgenten durch ihre Schießscharten eine unvorhergesehene Salve, die eine Menge von ihnen tötete und sie in die Flucht jagte.

Der Tag war noch nicht angebrochen, als zwei Männer auf der Brücke erschienen; der eine von ihnen war Costal, der andere, der ihn begleitete, aber diesmal der Schwarze Clara.

Die Harzfackel brannte noch immer in der Laterne, verbreitete aber schon einen blasseren Schein um sich, da das Grau der Dämmerung auf das Schwarz der Nacht folgte.

»Ihr seht diese Laterne, Clara«, sagte der Indianer, »Ihr wisst, wozu sie dienen sollte, aber noch kennt Ihr den Eid nicht, den ich dem Verräter geschworen habe, der mit uns sein schändliches Spiel getrieben hat.«

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich weiß, wie Ihr es anfangen wollt, diesen Eid zu halten!«, gab der Schwarze zur Antwort, auf das, was ihm der Indianer eben gesagt hatte.

»Ich auch nicht«, sagte Costal, »da ich aber Gago versprochen habe, dass er sich an die Laterne Hornos erinnern sollte und dass ich mich sehr freuen würde, sie ihm im Notfall vor die Augen zu bringen, so darf ich sie nicht den Launen des ersten besten Vorübergehenden überlassen. Jedenfalls ist das Signal überflüssig.«

Mit diesen Worten nahm Costal die Laterne ab und löschte sie aus.

»Hilf mir ein Loch graben, das groß und sicher genug ist, sie zu verbergen und sie wiederzufinden, wann es mir beliebt«, fügte der Indianer hinzu.

Beide Gefährten gruben mithilfe ihrer Messer ein Loch in die Erde, das genügende Tiefe hatte, um die Laterne zu verbergen, die Costal dort sorgsam mit dem Harzlicht, das darin war, versenkte.

Nachdem die Arbeit beendigt war, sagte der Indianer: »Lass uns hier niedersetzen, Clara, mein Freund, und uns über die Mittel beraten, wie wir uns der Festung mitsamt des Schurken, der darin ist, bemächtigen.«

»Sehr gern«, erwiderte der Farbige.

Beide setzten sich mit ernsthafter Gebärde nieder und die Beratung begann.