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Sagen- und Märchengestalten – Der Adept zu Berlin – Teil 7

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Der Adept zu Berlin – Teil 7

Don Caëtano hatte in jener denkwürdigen Nacht auf eine wunderbar schnelle Weise den Grund der Talschlucht erreicht, welche der steilen Wand des Burgberges zur Basis diente, und war unverletzt entkommen.

»Was den Galgen zieren soll, ertränkt nicht im Wasser!«, sagte der alte Ignaz, der am nächsten Morgen vergebens den gefährlichen Abhang durchspähte, zu seinen Gefährten und kehrte verdrießlich in den Turm zurück.

Als der Flüchtige nach tagelanger mühseliger Wanderung durch die Schluchten des Böhmer Waldes, gespeist und zurechtgewiesen von mitleidigen Holzfällern, endlich das ebene Land erreicht hatte, begann er sogleich in der ersten bedeutenderen Stadt, die ihm aufstieß, die Zauberkraft der Phiole zu prüfen. Der Erfolg sicherte ihn nicht nur gegen Mangel, sondern gab ihm reichliche Mittel, zu Prag in einem glänzenden Aufzug zu erscheinen. Nachdem er das Gerücht mit seinen Wundertaten sattsam ausgerüstet, ihm gefällig vorauszueilen, begab er sich nach Wien, wo Kaiser Leopold ihn auf das Leutseligste empfing. Leider aber zog fast gleichzeitig mit ihm ein anderer geschickter Verwandler in die Kaiserburg ein, der des Monarchen Gestalt zu jenem ursprünglichen Bestandteil zurückzuführen unternahm, aus dem der Schöpfer aller Dinge ihn erzeugte. Kaiser Leopold segnete das Zeitliche, und Don Caëtano, der seinen neuen Schauplatz als Graf Ruggiero beschritten hatte, sah seine hochstrebenden Pläne in Nichts zerfließen.

Glücklicherweise war der Verblichene nicht der einzige Fürst, der am Schmelztiegel sich von den Beschwerden des Lebens zu erholen suchte. Es lebte damals zu Wien Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz, der den verwaisten Adepten großmütig aufnahm.

Mit hochtönenden Worten versprach der Graf, goldene Berge aus verachteten Metallen zu schaffen. Zum Beginn des Zauberwerks ließ er sich gegen zweitausend Dukaten von seinem hohen Beschützer zahlen, wofür er binnen sechs mal sieben Tagen zweiundsiebzig Millionen Taler guten, lauteren Goldes zu erschaffen versprach.

Als aber die letzte Woche anhob und Graf Ruggiero seine Mischungen begann, entdeckte er mit unangenehmer Überraschung, dass der Inhalt der Phiole viel geneigter war, sich selbst zu verändern, als Blei in Gold zu verwandeln, fasste sich daher kurz und entwich in einer dunklen Nacht. In der Eile vergaß er, dem Kurfürsten seine Dukaten wieder zuzustellen.

Dieser glänzende Komet schwang sich, ungeachtet der bedenklich entkräfteten Phiole, im Vertrauen auf die Leichtgläubigkeit des menschlichen Geschlechtes, gen Norden und zog im Jahr 1705 als Graf Caëtano in die Hauptstadt Preußens ein. Ehe er nun dorthin gelangte, trug sich eine andere, nicht minder wichtige Begebenheit zu.

Aus weiter Ferne zwar, doch mit geschickten Händen, leitete der Grieche Laskaris die Befreiung des Doktors Pasch, welche Fides mit weiblichem Takt zu Ende führte. Sie stand in mancherlei Beziehungen zu dem kühnen Abenteuer, bis Gelneck ihres Herzens und damit auch ihres Tuns sich bemächtigte und dadurch alle anderen Verbindungen abbrach. Ihm zum Trotz knüpfte sie die zerrissenen Fäden aufs Neue, deren Gewebe eine sichere Brücke für die Rettung des wackeren Mannes bilden sollte, der auf dem Sonnenstein nach Erlösung schmachtete.

Und nun trat die ersehnte Nacht ein, in welcher Michael den wichtigen Punkt zu bewachen hatte, an dem der Gefangene, wenn er entfliehen wollte, von jedem anderen gesehen und ergriffen werden musste. Dunkel und stürmisch war diese Nacht, nicht unähnlich jener, in der Pasch gefangen worden war. Dichter nur sank der Regenschauer herab, in wilderen Stößen heulte der Wind. Mit angstvollem Blick suchte der Verbündete von unten auf die Nacht zu durchdringen. Endlich sah er eine dunkle Masse sich herabbewegen. Doch das Seil, an welchem Pasch herniederschwebte, mochte unter der Unbill des Wetters gelitten haben. Es entglitt plötzlich seinen Händen, er stürzte auf die Mauer, deren schlüpfrige Glätte seinen erstarrten Gliedmaßen keinen Halt gewährte, und fiel, ein anscheinend lebloser Körper, zu den Füßen des entsetzten Michael nieder.

Der Pole verlor keinen Augenblick. Mit Riesenkraft ergriff er die vor ihm liegende Gestalt, schlich die Mauer entlang und erreichte glücklich das geheime Ausgangspförtchen, dessen Schlüssel er an sich zu bringen gewusst hatte. Draußen empfing ihn ein handfester Gefährte, den der schwarze Ignaz zu seiner Hilfe entsendet hatte. Fides, in männlicher Tracht, harrte bei den Pferden. Es war unmöglich, zu entscheiden, ob der Gefangene noch lebe oder nicht. Sie hüllten ihn daher sorgsam in Decken, luden ihn auf das Stärkste unter den Rossen und zogen dem Gebirge zu, denn nur in verborgenen Schluchten und finsteren Wäldern konnten sie hoffen, unentdeckt zu bleiben. Und so geschah es. Die veränderte Richtung, welche sie eingeschlagen hatten, entfernte sie auf das Entschiedenste von ihren Verfolgern.

Als die Wachen des Sonnensteins abgelöst wurden, fand man gerade den wichtigsten Posten unbesetzt und ordnete zunächst eine genaue Durchsuchung der Festungswerke selbst an. Dann krachte der bedeutsame Kanonenschuss, welcher der erschrockenen Bürgerschaft im Städtchen die Desertion eines Soldaten kundtat. Unverzüglich wurden zur Verfolgung desselben Reiter entsendet. Mit Tagesgrauen entdeckte sich auch die Flucht des preußischen Gefangenen, und ein neuer Reitertrupp folgte dem ersten, um die Verbrecher zu ereilen, ehe sie die Landesgrenze überschreiten konnten.

Indessen zogen die Flüchtigen ungehindert weiter, und bald umfing sie der Wald mit schützenden Armen. Zwischen den ersten Felsblöcken hielten sie an.

»Hier müssen wir absteigen«, unterbrach Michaels Gefährte die peinliche Stille. »Um des Doktors willen und um unsere Pferde zu schonen. Folgt mir und achtet genau auf jede Wendung, damit die ermüdeten Tiere nicht fehltreten, denn wir werden ihrer hoffentlich in wenigen Tagen von Neuem bedürfen.«

Dies sagend, ergriff er selbst den Zügel jenes Rosses, welches den noch immer regungslosen Körper des Geretteten trug, und leitete es vorsichtig in eine schmale Einsenkung, die allmählich bis auf den Grund eines kleinen versteckten Felsenkessels führte.

An einem mächtigen überhängenden Steinblock, der eine Art von trockener Bucht bildete, hielt er an und hob mithilfe des Polen die Last von dem Rücken des Pferdes. Dann raffte er trockenes Gestrüpp zusammen und entzündete ein Feuer, bei dessen Schein er den Leblosen zu entkleiden und an allen Stellen seines Körpers kunstgerecht zu untersuchen begann.

Er fand keines der Glieder gebrochen, sondern führte den Zustand des Verletzten auf die Erschütterung zurück, die ihm der Fall gebracht hatte. Unverweilt ließ er sich aus dem Sattel seines Pferdes ein Futteral durch den Polen geben, welches ein Fläschchen mit dunkelgelber Flüssigkeit enthielt. Mit dieser befeuchtete er Schläfen und Stirn des scheinbar Entseelten, öffnete die festverschlossenen Lippen und flößte ihm einige Tropfen des Wunderbalsams ein, die in Verbindung mit der wohltätigen Flamme die entflohenen Lebensgeister zurückzurufen vermochten.

Pasch stöhnte schwer und schmerzlich auf, doch seine Augen blieben geschlossen, und eine schwarze Blutmasse drang über die bläulichen Lippen. Sanft emporgehoben von dem Arm seines Helfers, schien er alsbald in Schlaf zu versinken, während ihn Michael und Fides lautlos und voll ängstlicher Erwartung beobachteten.

Als der Horizont sich mit einem dämmernden Lichtstreifen zu gürten begann, ließ der Regen nach, die Sonne tauchte aus dem düsteren Wolkenbett glänzend empor, und ihre Strahlen schimmerten rosig und Hoffnung erweckend auf den Spitzen der Tannen, welche die Schlucht umgaben. Fides hatte mit Besorgnis die zunehmende Helle betrachtet, welche sie den Verfolgern, sobald sie sich dem Gebirge zuwendeten, so leicht verraten konnte. Jetzt vermochte sie nicht länger zu schweigen.

»Hört, Wenzel«, begann sie flüsternd, »der Tag ist angebrochen und wir sind noch immer in gefährlicher Nähe des Sonnensteins. Wie leicht können wir entdeckt werden!«

Wenzel warf einen flüchtigen Blick auf die Sprecherin. »Habt Ihr Sinn für Örtlichkeit?«, fragte er kurz. Und als sie bejahend nickte, fuhr er fort: »Ich darf den Kranken nicht verlassen, aber es ist zu wünschen, dass die Pferde in Sicherheit gebracht werden. Gebt wohl acht auf das, was ich Euch sage: Ihr müsst genau denselben Weg mit ihnen zurückgehen, den wir gekommen sind, jenen Hohlweg empor bis zum Rand der Schlucht. Dort wendet Ihr Euch nach Südosten und beschreibt einen Halbkreis um den Felsenkessel, der Euch zu einem Föhrenwäldchen bringt. Dann zieht rechts an dem Saum dieses Gehölzes weiter, das sich ungefähr nach einer Stunde an hohe und starke Laubbäume schließt. Achtet genau auf den Ersten derselben, eine vielhundertjährige Eiche. Das Zeichen, welches Ihr am Stamm bemerkt, führt Euch von Baum zu Baum, bald rechts, bald links, tief in das Dickicht hinein zu einer rußigen und verfallenen Hütte. Sagt dem Mann, den Ihr dort finden werdet, Wenzel harre einer Tragbahre im kleinen Kessel. Im Übrigen vertraut Euch unbesorgt seiner Leitung und tut, was er Euch heißt. Nun geht, die steigende Sonne lockt die Raben zur Verfolgung aus. Seid Ihr erst dort, wohin ich Euch rate, gleicht Eure Spur jener, welche der Fisch im Wasser lässt.«

 

König Friedrich I. von Preußen ruhte in seinem Armsessel und lauschte aufmerksam der Erzählung eines hochgewachsenen bleichen Mannes, der vor ihm stand: »Setze Er sich, lieber Pasch, unterbrach er ihn mit gütigem Ton, »ich sehe, Er fühlt sich angegriffen.«

Der Erzähler ließ sich auf eines der kleinen Tabourette nieder und fuhr fort: »Ich erwachte aus meiner Betäubung durch die Strahlen der Sonne, welche meinen Körper, der auf einer Bahre von zwei Männern getragen wurde, mild erwärmten. Wo bin ich? Wer seid Ihr? Wohin bringt Ihr mich?, fragte ich mit gebrochenem, mattem Ton. Die Männer hielten an. Indem sich der Vorangehende nach mir umwendete, erkannte ich in ihm augenblicklich den Böhmen wieder, den mir Laskaris zu Böttichers Befreiung zugeschickt hatte. ›Dank der Heiligen Jungfrau, dass Ihr lebt!‹, rief er freudig aus. ›Wir bringen Euch in bessere Pflege, als sie der alte Felsblock, der Euch und uns vor den Verfolgern schirmte, zu bieten vermochte. Ihr werdet das Nähere erfahren, sobald wir an Ort und Stelle sind. Jetzt beruhigt Euch und atmet ungestört die würzige Luft des Waldes.‹

Sie hoben die Bahre und zogen weiter. Nach geraumer Zeit setzten sie dieselbe vor einer Hütte nieder, wie Köhler und Holzfäller sie zu errichten pflegen, und dort erschienen die, deren entschlossener Hilfe ich die Freiheit zu danken hatte: der Pole Michael und die schöne Fides in Männerkleidung. Der Böhme gestattete uns nun keine Minute Zeit, unsere Gefühle auszutauschen. Wie es geschah, weiß ich nicht. Die Hütte begann sich plötzlich um sich selbst zu drehen und zeigte eine geräumige Öffnung, in welche ich mit starken Seilen hinabgelassen wurde. Dann folgten die anderen an einer Strickleiter bis auf den Köhler, der unseren Fluchtweg durch eine abermalige Wendung seines Häuschens künstlich verdeckte.

Nun erblickte ich in dem matten Dämmerlicht, das seitwärts einzufallen schien, einen kurzen, mäßig hohen, trockenen Gang, in welchem meine Gefährten mich weitertrugen, dem Licht entgegen. Eine umfassende Höhle öffnete sich vor meinen erstaunten Blicken, in der auch unsere Pferde Platz gefunden hatten. Auf diese deutete Michael hin als auf unser kostbarstes Besitztum zu weiterer Flucht, sobald ich imstande sein würde, eines derselben zu besteigen.«

Pasch hielt erschöpft inne, und der König befahl, ihm einen Becher Wein zu reichen. Lächelnd setzte er ihn an die Lippen und schlürfte einige Tropfen des Rebensaftes.

»O, nein«, sagte Friedrich, indem er freundlich drohend den Finger hob. »Er nippt ja nur wie eine Jungfer. Tue Er immerhin einen herzhaften Zug, der Wein ist gut!«

Pasch deutete auf seine mühsam atmende Brust: »Majestät«, erwiderte er, »ich darf nicht trinken. Ein Becher starken Weines würde mein Blut in wilder Empörung durch die Adern treiben, und es würde sich gewaltsam Bahn machen, wie in jener Schreckensnacht nach meinem Sturz.«

»Dann rede Er heut nicht mehr«, unterbrach der König schnell, während seine Augen sich unwillkürlich abwendeten, seine Rührung zu verbergen. »Er mag mir ein andermal den Schluss mitteilen – morgen.«

»Wer kein Morgen mit Sicherheit mehr erwarten kann«, sagte Pasch leise, »darf das Heute nicht unbenutzt verstreichen lassen. Wenn Ihr die Gnade haben wollt, mir zuzuhören, so bitte ich um die Erlaubnis, fortfahren zu dürfen.«

»So fahre Er fort.«

»Es war ein wohlangelegter Felsenkeller«, hob er von Neuem an, »in dem wir uns befanden. Eine schmale, hohe Seitenöffnung ließ das Licht des Tages ungehindert hineinfallen. Von außen war unsere Zufluchtsstätte völlig unzugänglich, denn über und unter uns stieg die Felswand schroff empor.

Wochen vergingen, der Herbst kam heran. Meine Kräfte kehrten langsam zurück, doch meine Gesundheit war unwiederbringlich zerstört. Endlich erachtete der Böhme mich für tüchtig genug, ein Ross zu besteigen und in langsamen Tagesreisen zur Heimat zu lenken. Niemand verfolgte mich, und wäre es geschehen, würde doch keiner unter denen, welche mich fangen halfen, in dem abgezehrten, bleichen Mann mit dem allzu frühen Schnee auf Haupt und Bart mich wiedererkannt haben.

Michael und Fides wendeten sich zum böhmischen Gebirge, wo ihrer ein gastlicher Zufluchtsort harrte. Der treue Wenzel aber schied nicht eher von mir, bis ich in dem Land und in der Hauptstadt meines Königs Schutz und Sicherheit gefunden. Das Wundermittel, dessen stärkende Kraft meine fliehenden Lebensgeister aufgehalten hatte, ließ er mir zurück, und es erleichtert die schmerzhaften Krisen meiner zerrissenen Lunge, wenngleich es die sich lösenden Bande des Daseins nicht wieder in ihre Fugen zu richten vermag.«

Als er geendet hatte, schwieg auch der König tief bewegt. Dann begann er mit gedämpfter Stimme: »Und nun sage Er mir noch eins! Hält Er den Bötticher für einen Adepten oder nicht? Und was denkt Er über die wunderbare Tinktur?«

Den großen, fragenden Augen des Monarchen begegnete Pasch mit einem klaren, weitschauenden Blick. »Der Stein der Weisen ist ein Schattenbild von trügerisch lebendigen Farben«, sagte er ernst. »Habsucht und Eitelkeit allein waren es, die den Glauben daran erweckten. Es ist unwahr, dass die Kraft eines so geringen Mittels die Bestandteile der Natur umzugestalten vermag, unwahr, dass berühmte Transmutationen gelangen. Und auch Bötticher vermag nichts in dieser eingebildeten Kunst. Selbst die stärkende Essenz, welche ich aus der Hand des Böhmen empfing …«, er nahm die Kristallphiole aus seiner Brusttasche und reichte sie dem König hin, »… beruht nur auf einer Zusammensetzung von heilsamen Kräutern, wie sie in den Gebirgen wachsen und welche die Einwohner als ein Mittel gegen bestimmte Übel anwenden. Wenn Ihr befehlt, dass Versuche mit diesem Elixier angestellt werden, bürge ich mit den wenigen Tagen, welche mir noch übrig sind, dafür, dass sie kein Metall verwandeln.«

»Behüte Gott«, rief der König abwehrend aus, »dass Wir ihm entziehen sollten, was sein Leben stärkt, nur um eine kindische Neugier zu befriedigen! So hält Er also auch nichts von dem Wundermann, der sich uns in den nächsten Tagen vorzustellen wünscht, dem Caëtano?«

»Nein, Majestät«, entgegnete Pasch; »dieser Italiener ist ein abgefeimter Betrüger, wie der Böhme mir sagte, der ihn zu kennen vorgab.«

»Nun, nun«, rief der König, »Wir werden ja sehen! Er muss doch zeigen, was er kann.«

Der Winter hatte das Land mit weißen Flocken bedeckt und manche Hoffnung zu Grabe getragen. Auf dem Friedhof schimmerte der Stein, dessen goldene Inschrift verkündete, dass hier Doktor Pasch seine irdische Ruhestätte gefunden hatte.

 

 ***

 

Die schöne Elisabeth von Fürstenberg verweilte noch immer in der Pfalz, auf dem Stammgut des altberühmten Geschlechts der Grafen von Erbach, mit deren einem ihr Vater sie zu vermählen wünschte. Doch trug die edle Dame kein Verlangen, sich an einen Gatten zu binden. Vielleicht lebte in ihrer Erinnerung noch allzu frisch das Andenken jener verhängnisvollen Ballnacht und des bösen Geschenkes, das die Maske mit den schwarzen glühenden Augen ihr dargereicht hatte. Neue und dringende Anmahnungen ihres Vaters versetzten sie in eine bittere Stimmung. Sie schaute von dem Fenster des Gemachs unmutig hinaus in die wirbelnden Schneeflocken, deren Spiel nur zu sehr mit ihren eigenen unsteten Gedanken im Einklang war.

Ein Diener des Grafen Erbach unterbrach das Grübeln der schönen Elisabeth. Ihre Wangen erbleichten, als sie ein Kästchen in seinen Händen erblickte, denn dieses Kästchen glich auf das Genaueste jenem, welches ihr im Palast der Gräfin Königsmark die Todesdrohung brachte. Als der Mann es auf ein Tischchen niedersetzte und hinzufügte, ein Fremder habe es ihm übergeben, besaß sie kaum noch Kraft genug, ihm durch ein Zeichen anzudeuten, dass er sich entfernen möge. Dann schlug sie beide Hände vor ihr Angesicht und überließ sich einem Ausbruch des Schmerzes, der um so heftiger war, je mehr die Ursachen ihres Kummers sich häuften.

Endlich folgte den Tränen ein Ausdruck trotziger Entschlossenheit. Sie ergriff das Kästchen, um es zu öffnen. Allein der Schlüssel fehlte. Elisabeth erinnerte sich, dass derjenige, welcher ihr früher ausgehändigt worden war, sich noch in ihrer Verwahrung befinden müsse, und suchte ihn hervor.

Ihre Voraussetzung trog nicht, der Schlüssel schloss. Mit bebenden Händen öffnete sie, und ein glänzendes Geschmeide, mit edlen Steinen besetzt, funkelte ihr entgegen. Ein zusammengerollter Brief, den eine goldgrünseidene Schnur umspannte, schien bestimmt, darüber Erklärung zu geben. Sie entfaltete ihn zitternd, und je mehr sie den Inhalt erfasste, desto höher röteten sich ihre bleichen Wangen, desto seltsamer leuchtete ihr von Tränen ermüdetes Auge.

Sie sank in den Sessel zurück. »Nein, nein!«, rief sie aus und ballte das Papier in ihrer Hand. »Ich liebe ihn noch, aber ich kann ihm nicht folgen. Welch eine Wahl er mir stellt! Wie eine fahrende Dirne soll ich um Mitternacht am Schlosstor auf ihn harren, soll mit ihm in seine ferne Heimat fliehen, deren Reize er mit glühenden Farben schildert. Wer ist er? Was kann er mir bieten? Nichts, als den Namen eines Abenteurers. Wäre er ein Fürst!« Sie stockte vor dem Gefühl der Beschämung, das sie durchglühte. »Er kennt meine Schwäche«, fuhr sie fort, »das macht ihn so kühn. Und wenn ich in einer der nächsten drei Mitternächte nicht komme, soll ich den Willen meines Vaters ehren, des Grafen Erbach eheliches Gemahl werden und vergessen, was hinter mir liegt!«

So klagte und zürnte die schöne Elisabeth abwechselnd, indessen zu Dresden sich wunderliche Dinge zutrugen. Dort hatte ein anderer Bote des mächtigen Griechen, der alle geheimen Kräfte der Natur zu beherrschen schien, eine neue Flucht Böttichers vorbereitet, und diesmal sollte und musste sie gelingen.

Die lockende Aussicht auf reichen Gewinn verblendete selbst den klug berechnenden Blick Gelnecks, der seine Mitwirkung im großen Drama zugesagt hatte, weil er sich für allzu sicher hielt.

Der Tag brach an, welcher zur Ausführung des schlaugesponnenen Planes bestimmt war. Doch ein ungünstiges Geschick schwebte über dem Alchemisten. Ein geheimnisvoller Warner gab dem König Nachricht von dem Verlust, der ihn bedrohte, und vereitelte so das Unternehmen. Gelneck wusste zwar den Anschuldigungen, welche sich gegen ihn richteten, mit kecker Stirn und frechen Worten zu begegnen. Allein er vermochte nicht, den einmal erweckten Verdacht in dem Geist seines gnädigsten Herrn zu verlöschen. König August, der manchen hellen Blick hinter den Schleier getan haben mochte, der das innerste Wesen seines Geheimen Rates verhüllte, entließ kurze Zeit darauf den ehemaligen Günstling Fürstenbergs in Gnaden. Das geringe Jahresgehalt, welches man ihm aussetze, wurde in jenen unruhigen Zeiten nur kümmerlich gezahlt. Der intrigante Hofmann erachtete es für angemessen, aus dem vertrauten Kreis zu verschwinden, um in der Fremde eine neue Laufbahn zu beginnen.

Nur einmal bei seinen abenteuerlichen Umschwingungen traf er bekannte Züge inmitten des wunderbaren Getriebes, das man den Lauf der Welt zu nennen pflegt.

Es war in einer norddeutschen Stadt, in einem Moment seines Lebens, dessen Gewicht ihn mit innerem und äußerem Elend auf die unterste Speiche des großen Schaukelrades hinabgedrückt hatte, als er der gekränkten Fides und ihrem Gatten Michael begegnete. Der Pole durchzog das Land als ein Apostel der gewaltigen Scheidekunst, deren Beherrscher ihn freigebig mit dem mystischen Pulver ausgestattet hatte.

Wer vermochte in dem reichgekleideten vornehmen Mann, der sich Baron Dierbach nannte und als Obrist von der Armee geschieden war. Wer wagte es, in ihm jenen gemeinen Soldaten wiederzuerkennen, der einst, mit dem Speisekorb seines Offiziers beladen, von Pirna hinaufstieg zu dem Sonnenstein?

Wie tief musste der stolze Geheime Rat von Gelneck gesunken sein, dass er die volle Börse, welche Fides ihm im Vorübergehen zuwarf, wie ein Almosen aufhob und scheu davonschlich, während eine leise Blässe das Gesicht der schönen, jungen Frau bedeckte und ihre glühenden Augen in verhaltenen Tränen schimmerten.

Zum vierten Mal seit jenem Winter, der den Engel des Todes an das Lager des wackeren Pasch schweben sah, hüllte die Erde sich in ihr Sterbekleid. An der Apotheke Zum Elefanten wallte ein unheimlicher Zug vorüber, dem Tor zu. Der Apotheker, dessen Angesicht die Zeit, wohl mehr noch Sorge und Unfriede mit sich selbst in tiefe Furchen gezogen hatte, stand unter der Tür und schaute unverwandten Blicks auf den Mann im flitterverbrämten Gewand, der von Bewaffneten geleitet wurde.

»Ja, ja«, rief er und streckte seine dürre Rechte den Davoneilenden nach, »geht nur, geht, mit dem neuen Opfer jenes furchtbaren Götzen, dem die törichten Menschen in Scharen zuströmen. Wie der Wendengott (Radegast zu Rhetra ist gemeint) die ihm Dargebrachten in feuriger Umarmung erstickte, so würgt dein Geist, du höllischer Trismegistus, alle, welche dir nahen, diesen heute, morgen jenen!«

»Herr Nachbar«, fragte ein freundlicher Mann, dem zornigen Apotheker näher tretend, »verdrießt es Ihn denn gar so sehr, dass dem Betrüger sein Recht geschieht?«

Der Angeredete erwiderte mit bitterem Lächeln: »Dem gönne ich es nicht mehr als jedem anderen. Soll es mich aber nicht betrüben, wenn ich denkende Wesen so ohne alle Vernunft sich ins Unglück stürzen sehe? Ich habe den Johannes nicht vergessen in den acht Jahren, seit er nach Wittenberg entwich!«

»O«, rief der Dicke verwundert aus. »Wie mag er nur die beiden miteinander vergleichen wollen? Dieser Caëtano, oder wie er sonst heißen mag, ist ein Bösewicht, der unserem gnädigsten König und Herrn die ungeheuersten Lügen glaubwürdig zu machen wusste. Ließ er sich nicht hohe Ehre erweisen für die sechs Millionen Taler, die er dem König binnen zwei Monaten aus schlechtem Blei hervorzuzaubern versprach, und suchte sich vor den Folgen zu retten durch feige Flucht? Nun sie ihn wieder haben und der Schurke durchaus nichts leisten kann, ist er hier vergoldet worden und in Küstrin werden sie ihn hängen, wenn er bis dahin den Stein der Weisen nicht wiederfindet.«

»Es hat ihn niemand gefunden«, sagte der Apotheker wie zu sich selbst. »Dieser sicherlich nicht, auch Johannes nicht.«

»Nun«, unterbrach der Dicke, »Johannes Bötticher ist doch ein großer Herr geworden. Gold konnte er freilich nicht mehr schaffen, wie er es uns hier gezeigt hat. Aber ich habe Briefe aus Dresden, die mir für ganz gewiss melden, dass ihm eine gar wichtige Entdeckung gelungen sein soll. Als Kurfürst August, der König, wollte ich sagen, ihn auszeichnen lassen wollte, wie wir es eben an Caëtano sahen, trat Bötticher vor und sprach: ›Gold kann ich nicht erzeugen, Majestät, aber Porzellan vermag ich Euch aus dem Ton herzustellen, wie er mir hier zu meinen Schmelztiegeln geliefert worden ist, und es soll werden wie chinesisches Porzellan, – das Beste, was es gibt.‹ Da lachte dem Kurfürsten das Herz und er ließ ihn Proben anstellen, die zwar erst misslungen, aber endlich doch geglückt sein sollen. Nun wird in Sachsen eine Fabrik errichtet werden, und der Herr von Bötticher als Direktor derselben geehrt sein wie keiner.«

»Mag sein«, brummte der Apotheker, »dass sie ihm die Kette, welche seinen Fuß zurückhält, vergoldet haben, auch wohl ein wenig verlängert. Bei alledem ist er aber doch ein Gefangener.«

»Er muss über alles seinen Wermut ausgießen!«, versetzte der Dicke ärgerlich, kehrte dem Apotheker den Rücken und schritt brummend seiner Haustür zu.