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Das Abenteuer einer Nacht

Die-Geister-Zweites-BuchChristoph Wilhelm Meißner
Die Geister
Zweiter Band
Berlin 1805, bei Oehmigke jun., überarbeitet 2016

Das Abenteuer einer Nacht

Don Diego, ein spanischer Kavalier, war einer von jenen Jünglingen, welche den Bacchus und die Venus allein zu ihrer Gottheit machen. Es war daher nichts Seltenes, dass er, um jene Leidenschaften zu befriedigen, oft ganze Nächte in den berüchtigtsten Häusern der Stadt herumschwärmte und im Taumel des Genusses so manche entehrende Tat beging.

Zufälligerweise – wie er glaubte – gelangte er eines Abends, als er eben ein niedliches Mädchen verfolgte, in ein wenig besuchtes Gässchen. Sie schlüpfte hier in ein altes, schwarzes und unbewohntes Gebäude, dessen Tür und Fenster der Zahn der Zeit schon längst zernagt hatten. Dies machte seine Neugierde rege, und sein Vorwitz verleitete ihn, schon halb von Wein und Liebe berauscht, zu dem kühnen Entschluss, diese verödete Wohnung näher zu untersuchen. Er nahm seinen Degen in die Hand und wagte sich vorwärts.

Ein langer, finsterer Gang führte ihn auf einen großen, leeren, aber ebenso finsteren Platz. Diego stand hier still und dachte ernsthafter über sein Unternehmen nach. Seinen Weg weiter zu verfolgen, schien ihm nicht ratsam, und doch mochte er auch nicht gern unbefriedigt umkehren.

Furchtlos tappte er also an den feuchten Wänden umher und fand endlich eine halb geöffnete Tür, die ein kräftiger Stoß sogleich aus ihren Angeln hob. Aber kaum hatte er einen Schritt vorwärts getan, so fiel er plötzlich von einer verborgenen Treppe in einen ziemlich tiefen Keller hinab, wo er im Fallen unglücklicherweise seinen Degen verlor.

Eine dumpfe Stimme rief ihm sogleich ein raues, fürchterlich klingendes »Wer bist du?« zu.

Don Diego, durch dies alles zu sehr in Bestürzung gesetzt, war nicht fähig, eine Silbe zu antworten, bemühte sich vielmehr, seinen verlorenen Degen zu finden. Aber nach einer kleinen Pause wiederholte die unbekannte Stimme ihre vorige Frage.

Er antwortete endlich, durch die Notwendigkeit gezwungen: »Ein Fremder!«

»Komm näher!«, begann nunmehr der Unbekannte, und Diego, der sich einmal in ebenso gefährliches Labyrinth gestürzt sah, ging dem Schall der Stimme nach und gelangte endlich in einen großen Saal, wo ein grauenvoller Anblick seine Sinne fast bis zur Betäubung  überraschte. Vier Lampen, von denen in jeder Ecke des Gewölbes eine hing, gaben zusammen nur einen äußerst schwachen Schein von sich und erleuchteten die Gegenstände um sich her nur dunkel, sodass es fast unmöglich war, sie genau zu unterscheiden. In der Mitte lag, auf einem weißen Tuch ausgestreckt, ein toter Körper, ebenfalls ganz weiß eingehüllt, und zwei schwarz gekleidete Männer saßen als Leidtragende, der eine zu seinen Füßen, der andere zu seinem Haupt.

»Bist du nicht«, begann nach einigen Minuten der eine von den Wächtern, »Don Diego?«

»Ja, ich bin’s!«, erwiderte dieser, nicht ohne inneres Beben. »Aber woher wisst ihr meinen Namen?«

»Das kümmere dich nicht! Jetzt bist du in unserer Gewalt und wirst hoffentlich nicht anstehen, unsere Befehle zu vollziehen.«

Diego fluchte seiner unnützen Voreiligkeit, die ihn in diesen unterirdischen Aufenthalt gebracht hatte, und willigte in alles ein.

»Wohlan also!«, fuhr jener fort, »du bewachst diesen Leichnam so lange, bis wir unsere anderen Geschäfte verrichtet haben und dich wieder ablösen. Was du übrigens auch siehst oder hörst, entsetze dich nicht!«

Nach diesen Worten standen jene beide auf, entfernten sich sehr eilig, und – welcher Schreck für unseren Diego – verschlossen hinter sich die Tür.

Ganz allein befand sich dieser nun in Gesellschaft eines Toten. Er betrachtete dies alles als eine gerechte Strafe für seine Ausschweifungen, bekreuzigte und segnete sich und rief die Muttergottes mit allen heiligen Engeln um Hilfe an. Denn die Ermahnung jenes Mannes, sich vor nichts zu entsetzen, füllte seine Fantasie mit den fürchterlichsten und abenteuerlichsten Bildern an.

Noch stand er unbeweglich, als er einige tiefe, traurige Seufzer vernahm, auf welche ein Gerassel mit eisernen Ketten folgte, welches einen so fürchterlichen Schall in diesem Gewölbe verursachte, dass es schien, als ob alles zugrunde gehen solle.

Diego eilte voll Entsetzen zur Tür, versuchte diese zu öffnen und sich durch Flucht zu retten. Allein kaum machte er den ersten Versuch, als eine schwache Stimme ihm zurief: »Wohin, Ungehorsamer! Kehre um! Noch ist es dir nicht erlaubt, dich von mir zu trennen. Kehre um oder ich folge dir!«

Bestürzt blickte Diego sich um und – neues Entsetzen! – erblickte hinter sich den Toten!

»Wisse«, fuhr jener fort, »ich bin der Geist des unglücklichen Marko, dessen Jugend und Unerfahrenheit du in jenem Haus der Freude so schändlich missbraucht und dann im Zweikampf getötet hast. Die Vorsehung des Unerforschlichen leitete deine Schritte hierher. Jetzt fordere ich Genugtuung! Komm, lass uns miteinander ringen. Bezwingst du mich auch diesmal durch persönliche Tapferkeit, so verspreche ich dir, dich nicht nur nie wieder zu beunruhigen, sondern auch zu verhindern, dass dir ein weiteres Leid zugefügt werde. Widrigenfalls aber lege ich es dir zur unverbrüchlichen Pflicht auf, alle Jahre, am Tag meines Todes, eine Nacht an meinem Grab zu wachen!«

Sogleich kam der Geist auf Diego zu und fasste ihn. In diesem Augenblick fielen die vier Lampen herab und verlöschten. Dies beraubte den Überraschten seiner Sinne, und ohnmächtig sank er auf den Boden.

Endlich kam er aus seiner Betäubung zurück und wagte es, wiewohl nur schüchtern, die Augen aufzuschlagen. Neue Verwunderung – er befand sich – auf dem Kirchhof. Neben ihm lag sein Degen und dabei folgender Brief:

Lassen Sie sich die Geschichte dieser Nacht zur Warnung dienen. Schon lange schlich man Ihnen nach. Das Frauenzimmer, welches Sie verfolgten, war mit uns einverstanden und versuchte Sie dahin zu leiten, wo wir es wünschten. Wir kannten Ihre Neigung zum Abenteuerlichen, und Sie gingen glücklich in die gelegte Falle. Ihr Tod würde die unausbleibliche Folge gewesen sein, wenn es den Vorstellungen Ihres unbekannten Freundes nicht gelungen wäre, die von Rache erfüllten Freunde des ermordeten Marko auf günstigere Besinnungen zu bringen. Ändern Sie aber ja, wenn Ihnen Ihr Leben und fernere Ruhe lieb sind, Ihre jetzige Lebensart. Man wird Sie genau beobachten, und davon allein hängt Ihr künftiges Los ab.