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Das Steppenross – Kapitel 4

Das-SteppenrossEduard Wagner
Das Steppenross
Eine Erzählung aus dem Jahr 1865 zu den Zeiten des amerikanisch-mexikanischen Krieges, nach dem Englischen des Kapitän Mayne Reid

Kapitel 4
Kampf mit dem grauen Bären

Der Bär war einer der Größten seiner Art. Überdies war mir der wilde Charakter dieses Tieres zu wohlbekannt, als dass ich nicht in Furcht hätte geraten sollen. Ich kannte die Gewohnheiten desselben recht wohl, denn ich war schon öfter mit ihm zusammengetroffen. Dennoch wunderte ich mich, einen in dieser Gegend zu erblicken, da sein Wohnort in den Schluchten der Felsengebirge liegt. Zuweilen wandern Einzelne nach Osten bis an den Mississippi. Ich sah aber den langen, zotigen Pelz, die große Stirn, das breite Gesicht, die gelben Augen, die großen von den Lippen nur halb bedeckten Zähne und die furchtbaren Angriffswaffen, die langen, gebogenen Tatzen – an diesem allen erkannte ich den grauen Bären.

Das Tier kam im Augenblick, als ich es erblickte, an derselben Stelle aus der Schlucht, wo ich herausgeklettert war. Die beim Erklimmen der Klippe bemerkte Fährte war also die seine.

Als er die Ebene erreichte, machte er ein paar Schritte vorwärts, hielt dann an und richtete sich auf den Hinterbeinen auf, indem er einen schnaubenden Laut ausstieß, wie die wilden Schweine, wenn sie plötzlich im Wald aufgescheucht werden.

In dieser aufrechten Stellung blieb er ein paar Sekunden stehen und rieb sich gleich einem Affen den Kopf mit den Vorderpfoten.

Dass ich durch die Anwesenheit dieses unwillkommenen Gastes gewaltig erschrocken war, kann ich nicht leugnen. Auf dem Rücken meines Moro würde ich dieses Geschöpf nicht sehr beachtet haben, denn der graue Bär ist zu langsam, um ein Pferd einzuholen. Ich war jedoch zu Fuß und wusste wohl, dass, wenn ich auch noch so schnell liefe, das Tier mich einholen würde.

Es war auch unwahrscheinlich, dass er mich nicht angreifen würde, denn ich kannte den Charakter des Feindes zu gut. Fast immer ist der graue Bär der Angreifer. Kein Tier in Amerika wagt einen Kampf mit ihm, und es ist noch zweifelhaft, ob der afrikanische, Löwe im Kampf mit diesem wilden Tiere den Sieg davontragen würde.

Auch der Mensch, wenn er nicht auf einem guten Pferd sitzt, scheut einen solchen Kampf, und selbst der vorsichtige Trapper lässt den Grauen seines Weges gehen, ohne ihn zu belästigen, denn er rechnet den grauen Bären an Tapferkeit zwei Indianern gleich. Der Indianer zählt die Vernichtung eines solchen Tieres zu den größten Heldentaten, und ein Halsband von Bärenklauen gilt einem indianischen Helden für ein besonderes Ehrenzeichen, denn nur, wer das Tier getötet hat, darf diese Zierde tragen.

Andererseits fürchtet der graue Bär keinen Gegner und greift das größte Tier an, das er erblickt. Den Menschen greift er an, derselbe mag beritten sein oder nicht, und es ist schon vorgekommen, dass ein Dutzend Jäger vor seinem Angriff geflohen sind. Oft sind mehr als zwölf Kugeln gegen ihn abgeschossen worden, ohne ihn zu töten. Nur durch einen Schuss durchs Gehirn oder ins Herz wird er augenblicklich getötet. Mit einem so zähen Leben und einem so wilden Charakter begabt, gehört der graue Bär natürlicherweise zu den gefürchtetsten Geschöpfen.

Mit allen Zügen dieses Tieres wohl bekannt, musste ich mich daher wohl unbehaglich fühlen, als ich mich einem der größten und wildesten grauen Bären auf der kahlen Steppe und fast ohne Waffen allein gegenübersah. Es war kein Busch vorhanden, wo ich mich verbergen, kein Baum, auf den ich klettern konnte. An eine Flucht war nicht zu denken und die Verteidigung fast ebenso unmöglich. Die einzige Waffe, welche ich bei mir hatte, war das Messer, denn meine Büchse, die auf der anderen Seite der Schlucht zurückgeblieben war, konnte ich nicht erreichen. Selbst wenn ich zu dem Pfad, der von dem Felsen abwärts führte, gelangen konnte, so war es doch unmöglich, hinüberzukommen, denn der Bär hätte mithilfe seiner langen Tatzen die Schlucht schneller erstiegen als ich. Er würde mich eingeholt haben, ehe ich den Boden der Schlucht erreicht hätte.

Der Bär stand vor mir, und ich wäre ihm auf geradem Wege in die Arme gelaufen.

In wenigen Augenblicken hatte ich meine Lage begriffen, die, wie mir meine Umgebung zeigte, vollständig hoffnungslos war. Es blieb mir keine andere Wahl, als ein Kampf, ein verzweifelter Kampf mit dem Messer.

Die Verzweiflung, die mich einen Augenblick gelähmt hatte, diente nun zu meiner Stärkung. Ich zeigte meinem wilden Feind die Stirn und machte mich zu seinem Empfang bereit.

Ich hatte gehört, dass es den Jägern gelungen sei, den grauen Bären mit einem bloßen Messer zu besiegen und zu erlegen. Dies war aber nur nach furchtbarem Kampf, nach schweren Wunden und Blutverlust geschehen. In einem Naturgeschichtsbuch hatte ich gelesen, ein Mann könne den Kampf mit einem Bären in wenigen Augenblicken beenden, wenn er mit der freien Hand den Hals des Tieres von außen mittels des Daumens und Zeigefingers an der Zungenwurzel packe. Ein leichter Druck an dieser Stelle genüge, um einen Krampf in den Drüsen hervorzubringen und den Bären so weit zu ersticken, dass er zu jedem Widerstand unfähig sei. Scharfsinniger Naturforscher, wie würde es dir gefallen, den Versuch einmal zu machen? Deine Theorie ist ebenso richtig wie die, dass man die Vögel fangen könnte, wenn man ihnen Salz auf den Schwanz streut.

Ich hatte jedoch keine Zeit, über das Zusammendrücken der Zunge oder die Krämpfe in den Drüsen nachzudenken. Mein Gegner war bald mit sich einig. Er ließ sich auf alle viere nieder, stieß ein lautes Gebrüll aus und kam mit aufgesperrtem Rachen auf mich los.

Ich hatte beschlossen, den Angriff abzuwarten. Als ich jedoch bei seiner Annäherung seine lange, hagere Gestalt, seine glänzenden Zähne und seine gelben, feurigen Augen erblickte, änderte ich plötzlich meinen Plan. Ich kehrte um und floh.

Ich hatte dabei nämlich den Gedanken, der Bär würde vielleicht durch den Körper der Antilope angelockt werden und sich möglicherweise so lange dabei aufhalten, dass ich einen Vorsprung gewinnen oder vielleicht ganz entkommen könnte. Meine Hoffnung währte aber nicht lange. Das Ungeheuer hielt bei der Antilope nicht an. Als ich mich umblickte, sah ich, dass er schon daran vorüber war und sich mir mit Schnelligkeit näherte.

Ich gehörte zu den schnellsten Läufern, aber meine Schnelligkeit konnte gegen einen solchen Verfolger nicht aufkommen. Ich lief mich außer Atem und entkräftete mich dadurch nur für den bevorstehenden Kampf. Es war besser, umzukehren und dem Feind sogleich die Spitze zu bieten.

Schon hatte ich in diesem Entschluss halb kehrt gemacht, als mir ein blendender Gegenstand in die Augen fiel. Ich war unwillkürlich auf den Teich zugelaufen und befand mich am Ufer.

Die Oberfläche war spiegelglatt und die vom Wasser zurückgeworfenen Sonnenstrahlen blendeten mich.

Augenblicklich erwachte ein neuer Gedanke in meinem Geist.

Das wilde Tier war hinter mir, und einen Augenblick später hätten wir kämpfen müssen.

Jetzt dachte ich darauf, einen neuen Vorteil zu gewinnen und in tiefem Wasser zu kämpfen. Der Kampf konnte dort viel gleichmäßiger sein, vielleicht konnte ich auch durch Tauchen entkommen.

Ohne mich einen Augenblick zu besinnen, sprang ich in den Teich. Das Wasser reichte mir bis an die Knie und ich eilte der Mitte zu. Der Schaum umspritzte mich, der Teich wurde immer tiefer und bald stand ich bis an den Oberleib im Wasser.

Als ich mich besorgt umsah, stand der Bär am Rand. Zu meiner Freude bemerkte ich, dass er anhielt und nicht geneigt schien, mir zu folgen.

Dies erregte jedoch mein Erstaunen, denn ich wusste, dass der graue Bär schwimmen kann und sich durch das Wasser nicht erschrecken lässt. Ich hatte manchen seiner Art über tiefe Seen und reißende Flüsse schwimmen sehen.

Ich konnte nicht erraten, weshalb er nur nicht folgte. Ich dachte aber auch an nichts anderes, als mich noch weiter vom Ufer zu entfernen. Ich watete also weiter, bis ich die Mitte des Teiches erreicht hatte und bis an den Hals im Wasser stand. Weiter konnte ich nicht gelangen, ohne zu schwimmen, und wandte daher mein Gesicht dem Verfolger zu.

Ich beobachtete jede seiner Bewegungen. Er stand wieder auf den Hinterbeinen und betrachtete mich, ohne die Lust zu spüren, sich ins Wasser zu begeben. Nach einiger Zeit fiel er wieder auf alle viere nieder und lief rings um den Teich, als ob er einen Platz suche, in das Wasser zu gehen.

Der Teich hatte etwa vierhundert Schritte im Durchmesser, und es war nur die Hälfte dieser Entfernung zwischen uns. Wenn er dazu willens gewesen wäre, hätte er mich bald erreichen können.

Es schien, als wollte der Bär warten, bis ich herauskommen würde. Ein paarmal glaubte ich, er würde auf mich zuschwimmen, denn er blieb am Rand stehen, streckte den Kopf über das Wasser und schwankte mit dem Vorderteil des Körpers, als ob er zum Sprung ansetzen wollte. Nachdem er dies eine Zeitlang getan hatte, drehte er sich um und lief wieder am Ufer hin und her. Fast eine Stunde lang blieb der Bar am Rand des Teiches, so lange schien mir wenigstens die Zeit zu sein.

Meine Lage fing an, verzweiflungsvoll zu werden. Ich zitterte. Der Teich musste eine Quelle haben, denn er war sehr kalt. Obwohl ich mit den Zähnen klapperte, behauptete ich doch meinen Platz, denn ich wagte mich nicht zu entfernen. Ich fürchtete sogar, meinen wilden Feind zu einem Angriff aufzureizen, wenn ich das Wasser rings um mich in Bewegung setzte. So blieb ich trotz der Kälte lieber stehen.

Endlich wurde meine Ungeduld belohnt. Der Bär machte einen kurzen Abstecher und erblickte dabei den Körper der Antilope. Ich konnte nicht sehen, wo er haltgemacht hatte, denn meine Augen befanden sich unterhalb der Ebene. Bald aber sah ich, dass er den Kopf erhob und, die Überreste der Antilope im Rachen, sich zu der Schlucht hinschleppte. Bald war er mit denselben unter dem Rand der Klippe verschwunden.

Eine kleine Strecke weit schwamm ich. Dann watete ich vorsichtig und ohne Geräusch weiter und erkletterte das sandige Ufer. Bebend und triefend stand ich, ohne zu wissen, was ich tun sollte. Ich befand mich nun auf der entgegensetzten Seite des Sees von der, wo ich hineingegangen war. Diese Stelle hatte ich aus Vorsicht gewählt für den Fall, dass der Bär wieder zurückkehren sollte. Es war möglich, dass er die Antilope in sein Lager trug und dann wieder zurückkehrte. Denn diese Tiere pflegen ihre Nahrung in ihren Höhlen aufzusammeln oder zu vergraben, wenn sie nicht vom Hunger gequält werden.

Mich zu Fuß in die Steppe zu wagen, wäre eben so viel gewesen, als ob ich ohne ein Boot zur See gehen wollte. Aber selbst wenn es möglich gewesen wäre, die Ansiedlung ohne mein Pferd zu erreichen, so hätte ich mich nicht dazu entschließen können. Ich liebte meinen Moro zu sehr, als dass ich ihn hätte verlassen sollen. Lieber hätte ich das Leben gewagt, als mich von dem wackeren Tier getrennt.

Aber wie sollte ich wieder zu ihm gelangen? Den einzigen Weg, auf welchen ich über die Schlucht kommen konnte, hatte der Bär eingeschlagen. Jedenfalls befand er sich noch in der Schlucht. Bei einem Versuch, hinüberzugelangen, wäre ich von dem wilden Tier wieder gesehen und ihm sicher zur Beute geworden. Plötzlich fiel mir ein, ich wollte an der Schlucht hinaufgehen, um einen anderen Übergang zu suchen oder sie gänzlich zu umgehen. Das war der beste Plan, um auf die andere Seite hinabzukommen.

Eben stand ich im Begriff, dies auszuführen, als ich zu meinem Entsetzen den Bären wieder erblickte. Er stand diesmal nicht auf derselben Seite wie ich, sondern auf der anderen, wo mein Pferd angebunden war. Langsam kletterte er aus der Schlucht heraus und schleppte seinen riesigen Körper über den Rand der Klippe. Im nächsten Augenblick stand er auf der freien Ebene.

Jetzt erfüllte mich eine neue Befürchtung. Ich sah voraus, dass er im Begriff stand, mein Pferd anzugreifen. Letzteres hatte die Annäherung des Bären bereits bemerkt und schien seine Gefahr zu erkennen. Ich hatte es etwa vierhundert Schritte von der Schlucht entfernt und an ein etwa zwanzig Ellen langes Lasso angebunden. Als es den Bären erblickte, lief es, so weit der Riemen es gestattete, und bäumte sich schnaubend auf.

Durch diese neue Verlegenheit wurden meine Schritte gehemmt. Ich blieb stehen und beobachtete ängstlich den Ausgang. Ich hatte keine Hoffnung, meinem armen Pferd auch nur die geringste Hilfe zu leisten, wenigstens schien es nur in diesem Augenblick unmöglich.

Der Bär lief in gerader Richtung auf das Pferd los, und mein Herz klopfte heftig, als ich sah, dass sich das wilde Ungeheurer ihm so weit näherte, dass es die Tatzen nach ihm ausstrecken konnte. Das Pferd sprang jedoch fort und galoppierte im Kreis umher. Aus dem angespannten Lasso sah ich, dass keine Möglichkeit vorhanden war, dass der Riemen nachgeben und das Pferd in Freiheit gesetzt würde. Es war ein Lasso von zähem, ungegerbtem Leder, dessen Stärke ich kannte. Auch wusste ich, dass ich den Pflock sehr fest eingetrieben hatte. Was hätte ich nicht darum gegeben, wenn ich jenen Riemen mit meinem Messer hätte zerschneiden können.

Ich beobachtete den Kampf mit einer peinlichen Ungewissheit. Indem das Pferd im Kreis herumgaloppierte, hielt es sich noch immer außer dem Bereich des Bären. Der Bär versuchte den Angriff dadurch, dass er von einem Punkt zum anderen rannte.

Ein paarmal wurden die Beine des Bären von den umhergleitenden angespannten Riemen erfasst. Der Bär wurde eine Strecke fortgeschleppt und dann auf den Rücken geworfen. Dies schien jedoch seine Wut noch zu vermehren, denn jedes Mal, nachdem er sich erhoben hatte, lief er mit größerem Grimm hinter dem Pferd her.

Dieser Auftritt dauerte einige Minuten lang, ohne dass sich die gegenseitige Stellung der Tiere bedeutend veränderte. Schon hoffte ich, der Bär werde sich am Ende doch noch getäuscht sehen und seinen Versuch aufgeben, wenn er dem Pferd nicht folgen könnte. Auch hatte ich bemerkt, dass ihm das Ross mehrere Schläge versetzte, wodurch jeder andere Angreifer abgeschreckt worden wäre.

Plötzlich aber erhielt das Schauspiel ein anderes Ansehen, und die Entwicklung schien nahe zu sein. Der Riemen hatte den Bären wieder getroffen. Anstatt ihm aber auszuweichen, packte ihn der Bär mit den Zähnen und Tatzen. Ich glaubte anfangs, er würde ihn durchbeißen. Bald aber sah ich zu meiner Bestürzung, dass er daran fortkroch, indem er ihn immer wieder fasste und sich dem Pferd näherte. Das Pferd stieß nun einen lauten Ruf der Furcht aus.

Ich konnte den Augenblick nicht länger ertragen. Mir fiel ein, dass ich meine Büchse am Rand der Schlucht und in geringer Entfernung vom Pferd zurückgelassen und nach der Erlegung der Antilope wieder geladen hatte. Ich eilte auf die Klippe zu, sprang hastig daran hinunter, erkletterte die andere Seite und stürzte mich, das Gewehr haltend, auf den Kampfplatz.

Ich kam zur rechten Zeit. Der Bär hatte zwar sein Opfer noch nicht erreicht, war aber nur noch kaum sechs Fuß von ihm entfernt.

Ich näherte mich bis auf zehn Schritte und schoss. Der Riemen riss, als ob er von meiner Kugel durchschnitten worden sei, und das Pferd entsprang wiehernd in die Steppe.

Wie es sich später zeigte, hatte ich den Bären getroffen, aber an keiner gefährlichen Stelle. Meine Kugel machte keinen größeren Eindruck auf ihn als eine kleine Ladung Schrot. Mit der Kraft der Verzweiflung hatte er den Riemen zerrissen und das Pferd in Freiheit gesetzt.

Kaum hatte der Bär bemerkt, dass ihm das Pferd entsprungen sei, als er brummend auf mich losstürzte. Mir blieb keine andere Wahl als der Kampf. Da ich keine Zeit zum Laden hatte, so versetzte ich dem Bären einen Schlag mit dem Büchsenkolben, warf das Gewehr weg und fasste das Messer. Mit der starken und scharfen Bowieklinge stieß ich nach vorn, aber in demselben Augenblicke fühlte ich mich gepackt und festgehalten. Die scharfen Tatzen zerrissen mein Fleisch. Die eine fühlte ich um meinen Hals, die andere auf meiner Schulter und die weißen Zähne glänzten vor meinen Augen. Meinen rechten Arm hatte ich frei und ich versenkte die Klinge mit verzweifelter Kraft zwischen die Rippen meines Gegners, indem ich das Herz zu treffen suchte. Das rote Blut bedeckte den Boden. Durch die Rippen des grimmigen Ungeheuers sah ich es herausquellen und freute mich bei dem Gedanken, dass mein Messer sein Herz getroffen habe. Ich war wie toll und wild und glühte vor grimmiger Rachelust, vor Zorn.

In dem wilden Kampf um Tod und Leben rollten wir immer wieder auf der Erde übereinander. Ich fühlte wieder die furchtbaren Tatzen, die spitzen Zähne, und meine Klinge drang abermals bis an das Heft ein.

Himmel! Wie lange lebte er? Wird er von dem blutigen Stahl erliegen? Wir wälzen uns im Blut. Ich werde immer matter, matter … ohnmächtig …

Es war mir, als wäre ich in einer anderen Welt und kämpfte mit einem furchtbaren, bösen Geist. Doch nein, die Gestalten, welche ich erblickte, gehörten der Erde an. Ich lebte noch.

Ich fühle jetzt den Schmerz meiner Wunden, jemand verbindet sie mir, es ist eine raue Hand, aber sein Herz ist freundlich. Das sehe ich aus dem sanften Ausdruck seiner Augen. Wer ist er und woher kommt er?

Ich erkenne deutlich, dass ich mich noch immer auf der weiten Steppe befinde. Wo ist mein furchtbarer Gegner? Ich erinnerte mich unseres wilden Kampfes und aller einzelnen Umstände, aber ich glaubte, er hätte mich getötet.

Ich erblicke über mir den blauen Himmel und um mich her die grüne Ebene. Menschengestalten stehen neben mir und dort sind die Pferde.

Die Männer beugen sich über mich. Ich sehe einen Mann mit einem Schnurrbart und einem braunen, buschigen Backenbart.

Ich war wieder in Ohnmacht gesunken und hatte die Besinnung verloren …

 

Als ich wieder zum Bewusstsein kam, fühlte ich mich etwas stärker. Ich konnte besser begreifen, was um mich her geschah. Die Sonne war dem Untergang nahe. Mich schützte ein Büffelfell, auf zwei aufgerichteten Stangen befestigt, gegen ihre Strahlen. Unter mir lag meine Decke und mein Kopf ruhte auf meinem Sattel, über welchem man ein zweites Fell ausgebreitet hatte. Da ich auf der Seite lag, konnte ich alles, was vorging, deutlich sehen. In der Nähe brannte ein Feuer, bei welchem sich zwei Männer befanden. Der eine stand, der andere saß. Meine Augen gingen von einem zum anderen.

Der eine stand auf seine Büchse gestützt und blickte in das Feuer. Es war das Musterbild eines Mannes der Gebirge, eines Trappers. Er war volle sechs Fuß hoch und hatte einen Körperbau, der auf angelsächsische Abstammung und Kraft deutete. Seine Arme glichen jungen Eichen und die Hand, mit welcher er die Mündung seines Gewehrs umspannte, war groß, hager und muskulär. Seine breiten, derben Wangen wurden zum Teil von einem buschigen Backenbart bedeckt, der am Kinn zusammentraf, während ein dunkelbrauner Schnurrbart die Lippen einfasste. Die Kleidung war die eines Trappers – ein Jagdhemd von gegerbtem Hirschfell, welches durch Räuchern weichgemacht worden war. Bis an die Hüften reichende Gamaschen, an den Nähten mit Fransen besetzt, und echte Wildschuhe aus Büffelleder nach indianischem Schnitt. Die Ausrüstung bestand in einer Jagdtasche aus der ungegerbten Haut einer Tigerkatze, mit den Köpfen der schönen Sommerente geziert. Wie diese wurde ein großes halbmondförmiges Horn, auf welchem vielerlei Erinnerungen eingeschnitten waren, an einem Riemen getragen. Im Gürtel steckten ein Messer und eine Pistole, außerdem gehörte zu der Bewaffnung eine lange Büchse.

Der Begleiter dieses Mannes hatte ein ganz anderes Aussehen. Dieser seltsame und auffallende Mann saß auf der einen Seite des Feuers, das Gesicht zum Teil gegen mich gewandt. Er glich eher einem mit erdfarbigem Hirschleder überzogenen Baumstamm als einem Menschen. Nur die Bewegungen seiner Arme verrieten ein lebendiges Wesen. Ebenso wie feine Arme waren auch seine Kinnladen in Bewegung, denn er war gerade damit beschäftigt, ein Rippenstück abzunagen, das er am Kohlenfeuer geröstet hatte.

Sein Anzug war wild und einfach. Er bestand aus einem ehemaligen Jagdhemd, das aber eher einem am Boden aufgeschnittenen ledernen Sack glich. Es war schmutzig braun, in den Ärmeln und Gelenken zusammengeschrumpft, voll Fett und auf den Achseln geflickt. Die Gamaschen und Wildschuhe passten zum Hemd und schienen aus demselben Stoff gefertigt. Auch waren sie ebenso schmutzig, schrumplig, geflickt und fettig. Die ganze Kleidung sah aus, als wäre sie seit vielen Jahren nicht ausgezogen worden. Das offenstehende Hemd zeigte die nackte Brust und den Hals. Diese waren, ebenso wie das Gesicht und die Hände, von der Sonne und dem Feuer kupferrot gebrannt worden. Der ganze Mann sah in feinem Anzuge wie geräuchert aus.

Nach seinem Gesicht zu urteilen, konnte man ihn ungefähr sechzig Jahre alt schätzen. Seine Züge waren scharf ausgeprägt. Er hatte eine stark gebogene Nase, kleine, schwarze und durchdringende Augen. Sein schwarzes Haar war kurz geschnitten, doch konnte man seiner Gesichtsbildung ansehen, dass er nicht von Franzosen oder Spaniern abstamme, sondern eher von der sächsischen Rasse.

Es war mir, als träumte ich oder als wiederhole sich ein früherer Auftritt. Diese Personen hatte ich vor Jahren in einer ähnlichen Lage gesehen. Ich hatte ihn gerade so erblickt, wie er jetzt am Feuer saß und aß und briet. Ich erkannte ihn auf den ersten Blick. Es war Reuben Rawling, oder, wie er bekannter war, der alte Rube, einer der berühmtesten Trapper. Der jüngere Mann war der stete Begleiter des alten Rube, Bill Garey, ein zweiter Trapper.

Als ich diese alten Bekannten erblickte, wurde mein Herz von Freude erfüllt. Ich wusste, dass ich mich unter Freunden befand. Eben wollte ich ihnen zurufen, als mein scharfes Auge auf die Gruppe der Pferde fiel. Vor Erstaunen richtete ich mich aus meiner liegenden Stellung auf.

Dort stand die alte, blinde, langbeinige und langohrige Stute Rubes. Ich erinnerte mich noch recht wohl ihres hageren, grauen Leibes, des kahlen Schwanzes und des Maultierkopfes. Dort stand auch Gareys kräftiges Pferd und neben ihm mein Moro. Es war eine frohe Überraschung für mich, denn als er sich von dem Bären befreite, fürchtete ich, ihn nicht wieder zu bekommen. Aber nicht durch den Anblick Moros, sondern durch die Gegenwart eines anderen Tieres wurde ich in Erstaunen gesetzt. Es war ein viertes Pferd.

Täuschte ich mich? Trogen mich meine Augen oder spielte mir meine Einbildungskraft einen Streich?

Nein, es war die Wirklichkeit.

Dort stand die schöne Gestalt, der zierliche Umriss, das glatte silberne Fell, der wehende Schweif, die aufgerichteten Ohren, alles stand vor meinen Augen da – es war das weiße Ross der Steppe.