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Detektiv Schaper – Falsches Geld – 2. Kapitel

Detektiv-SchaperM. v. Neuhof
Detektiv Schaper
Erster Teil
Falsches Geld
2. Kapitel
Widerspruchsvolle Charaktere

Ernesto Sagnali saß seiner Schwester, die ihm trotz ihrer Jugend selten pflichttreu und umsichtig den Haushalt führte, beim Morgenkaffee gegenüber.

Mariette Sagnalis temperamentvolles Gesichtchen war von einer Wolke des Unmuts überschattet. Umsonst versuchte ihr Bruder immer wieder, eine Unterhaltung in Fluss zu bringen. Schließlich streckte er ihr die wohlgepflegte Künstlerhand über den Tisch hin und meinte scherzend: »Aber kleines Schwesterlein, was hast du nur? Grollst du mir? Und wenn – aus welchem Grunde?«

Sie übersah absichtlich seine Hand. Wie eine kleine, allerliebste Katze fuhr sie ihn an. »Ernesto, wenn du selbst schon daran Gefallen findest, die Nächte durchzubummeln, so solltest du wenigstens nicht andere zu ähnlichem Treiben verführen. Ich weiß sehr wohl, dass ihr beide, Horst-Günther und du, erst heute Morgen, als es draußen bereits hell wurde, nach Hause gekommen seid.«

Sagnalis Gesicht nahm augenblicklich einen anderen Ausdruck an. Die harmlose Heiterkeit verschwand daraus, und ein Zug von stiller Seelenqual prägte sich immer deutlicher in seinen Mienen aus.

Mechanisch strich er sich mit den Fingern über die Stirn. Dann blieb sein nachdenklicher Blick eine ganze Weile auf dem liebreizenden Antlitz seiner Schwester haften.

»Gefällt dir Horst-Günther, Mariette?«, fragte er unvermittelt.

Sie wich seinen Augen nicht aus. »Gefallen? … Wie meinst du das?«, erwiderte sie trotzdem mit leiser Verwirrung.

»So wie ich es aussprach. Er ist ein hübscher Mensch, und alle Frauen schauen nach ihm. Warum solltest du da gerade eine Ausnahme bilden?«

Ihre vollen roten Lippen pressten sich fest aufeinander. Und leidenschaftlich stieß sie hervor. »Ich will nicht, dass du Herrn von Molnar an deinen sogenannten Zerstreuungen teilnehmen lässt – verstehst du mich! Ich will es nicht!« Der Blick, den sie den Bruder zuwarf, hatte etwas Drohendes, etwas, das Ernesto Sagnali zur Vorsicht mahnte.

Unwillkürlich war ihm eine deutliche Blutwelle in das bleiche Gesicht geschossen. Verlegen schaute er vor sich hin. Und seine Stimme klang merklich unsicher, als er fragte: »Soll das eine Drohung sein, Mariette? Fast schien es mir so.«

Sie hatte sich erhoben und begann das Kaffeegeschirr auf das Tablett zu stellen.

»Drohung? Nein«, sagte sie leise, »Nur eine Warnung!«

Damit verließ sie das bescheiden eingerichtete Zimmer und ging in die Küche hinaus.

Ernesto Sagnali blieb regungslos sitzen. Starr blickte er vor sich auf den Fußboden, wo die durch das Fenster hineinflutende Morgensonne helle Vierecke malte, wo in den breiten Strahlen des Tagesgestirns die feinen Staubteilchen, sonst für das Auge unsichtbar, in wildem Tanz hin und her wirbelten. Dann seufzte er tief auf.

 

Draußen im Flur schlug die Glocke an. Acht Uhr war es. Die Arbeiterinnen kamen, die er, vorläufig nur fünf an der Zahl, beschäftigte. Er stand auf und ließ sie ein. Schnell verschwanden sie in dem größten der vier Zimmer, das nach der Straße hinaus lag, und in dem die beiden Stanzmaschinen mit ihren blinkenden Hebeln und Stempeln aufgestellt waren.

Die übliche Tagesarbeit begann. Ernesto Sagnali beaufsichtigte die Mädchen, die wie Automaten an den Stanzen tätig waren, die immer neue, dünn gewalzte Zink- und Kupferblätter unter die scharfen Stempel schoben, die Hebel herabdrückten und die fertigen Schablonen dann zu Häufchen aufschichteten.

Dann kam der Briefträger. Der Italiener nahm die Korrespondenz in Empfang und betrat den Nebenraum, den er als Arbeits- und Schlafzimmer benutzte.

Flüchtig sah er die eingelaufene Post durch, unlustig machte er sich daran, einige Antwortbriefe zu schreiben. Das schwere, beklemmende Gefühl, das seit der Aussprache mit Mariette seine Seele bedrückte, wollte nicht weichen. Mitten in einem Satz ließ er die Feder sinken, lehnte sich in den geschweiften Sessel zurück und blickte sinnend auf ein großes Gemälde, das über dem Schreibtisch hing. Ein bitteres Lächeln huschte um seine Lippen. Das Bild bedeutete das Grab seiner ehrgeizigen Hoffnungen. Vor fünf Jahren war es entstanden, als er noch in Mailand in der Künstlerkolonie der Umbertostraße gewohnt und gestrebt hatte – gestrebt nach Ruhm und Ehren. Acht Monate hatte er daran gearbeitet. Dann war sein Werk, das er »Die Sünde« taufte, fertig, dann schickte er es nach Rom an die Ausstellungsleitung ein und … erhielt es zurück als … nicht geeignet. Damals war es gewesen, als in Ernesto Sagnali vieles, das Beste in ihm, zusammenbrach.

Die Sünde! Gedankenverloren schaute er noch immer auf das Bild, das einen alten, von Malern unzählige Male verkörperten Gedanken in neuer Form darstellte. Eine ärmliche Gasse.

Darin lehnte an einer Haustür, zu der ein paar Steinstufen hinaufführten, eine selten schöne, schlanke Frau. Zwei angetrunkene Matrosen, die Mützen schief auf dem Kopf, torkelten die Gasse entlang. Die Frau lächelte ihnen vielsagend entgegen – die Sünde! Und dazu der Kontrast. Auf der anderen Seite spielten im Schatten eines Vorbaus drei kleine Mädchen mit ein paar aus Flicken kunstlos hergestellten Puppen, während neben ihnen in einem altersschwachen Lehnstuhl ein Greis saß, dessen faltiges Gesicht bereits vom Engel des Todes gezeichnet schien.

Das Gemälde wirkte in seiner zwanglosen Kombination geradezu ergreifend. Und doch war es von der Jury der Kunstausstellung zurückgewiesen worden. Der Gedanke fand Anerkennung, aber die Ausführung wurde getadelt. Dem, der es geschaffen hatte, fehlte es an der nötigen Technik. Die Ausbildung, die Ernesto Sagnali genossen hatte, genügte nicht. Aus Mangel an Mitteln musste er sich stets mit Lehrern begnügen, die nicht zu den ersten Vertretern der modernen Richtung gehörten. Das rächte sich bitter. Sagnalis Talent reichte nicht hin, um aus sich selbst heraus ohne Anleitung wahrhaft Großes zu schaffen. So ging es eben abwärts mit ihm – von Stufe zu Stufe.

Der Italiener raffte sich auf. Was half all das Grübeln? – Nichts, nichts! Die Vergangenheit lag längst hinter ihm. Der Gegenwart, der Zukunft musste er leben. Das Schicksal hatte es ja nicht anders gewollt.

Schnell erledigte er den Rest seiner Korrespondenz und schritt dann über den zu der Wohnung gehörenden Korridor auf die dem Flureingang zunächst liegende Tür zu. Hier klopfte er in besonderer Weise an – erst dreimal kurz hintereinander, darauf vier Schläge in immer längeren Pausen.

Nach einer Weile wurde drinnen ein Riegel zurückgeschoben und Sagnali schlüpfte hinein.

Der Bewohner dieses Raumes, ein Mann mit einem aufgedunsenen Gesicht, aus dem ein paar kleine Schlitzaugen vergnügt und listig hervorleuchteten, war noch in recht mangelhafter Toilette und hatte offenbar eben erst das an der einen Wand hinter einem Schirm stehende Bett verlassen. Er begrüßte Sagnali in unverfälschtem Berliner Dialekt, und zwar mit einer Vertraulichkeit, die diesem offenbar wenig behagte.

»Nehmen Sie Platz, Ernesto«, sagte er dann mit einer einladenden Handbewegung zum Sofa hin. »Und nun raus mit den Neuigkeiten, verehrtester Kompagnon. Ist es Ihnen geglückt, den jungen Molnar so etwas an die Strippe zu bekommen?«

Sagnali legte warnend den Zeigefinger auf die Lippen.

»Leise, ich bitte Sie! Wenn Mariette uns hört!«

Der andere zuckte die Achseln. »Dann ist sie auch noch um nichts klüger geworden«, meinte er gleichmütig. Trotzdem gab er sich aber alle Mühe, sein kräftiges Organ etwas zu dämpfen.

Der Italiener erzählte dann vom Verlauf des vorherigen Abends und der anschließenden Sektkneiperei das Notwendigste.

»Also mit dreihundert Mark sitzt der Jüngling nun bei Ihnen in der Kreide. Das ist ja großartig«, erklärte der mit fahlem Teint hochbefriedigt. »Dreihundert Mark! Die soll er mal versuchen abzugeben! Wird ihm schwerfallen! Nun heißt es, die Sache weiter so elegant befingern. In zwei Wochen muss der junge Mensch derart eingewickelt sein, dass er ganz und gar uns gehört. Na, Ernesto, war mein Plänchen nicht großartig? Ja, ja verlassen Sie sich nur immer auf mich, dann werden wir bald unser Schäfchen im Trockenen haben.«

Sagnali hatte sich eine Zigarette angezündet und blies mit leicht gerunzelter Stirn die blauen Rauchwölkchen von sich.

»Die Idee mag gut sein«, sagte er dann zögernd. »Trotzdem widerstrebt es mir, sie weiter auszuführen. Ich mag diesen harmlosen Menschen, der mir so blindlings vertraut, nicht in so schuftiger Weise ausnutzen.«

»Ausnutzen?« Der andere lachte spöttisch.

»Vor läufig nutzt er Sie doch nur aus, indem er sich für Ihr beziehungsweise unser Geld amüsiert. Das Weitere soll ja erst später folgen. Und es wird folgen! Auf jeden Fall müssen Sie versuchen, das Geschäft mit ihm in die Wege zu leiten, auf jeden Fall! Ich habe es satt, noch monatelang hier wie eine Eule im Bau zu hausen, die nur nachts im Freien herumstreift, nachts, wo ihre Feinde schlafen und nur ihresgleichen auf Beute ausgeht. Unsere Sache muss in spätestens vier Wochen erledigt sein. Dann trennen wir uns wieder, und jeder kann fernerhin tun und lassen, was er will.«

Sagnali lenkte das unerquickliche Gespräch absichtlich auf ein anderes Thema über.

»Wollen Sie Ihr Frühstück haben, Merwinski?«, fragte er, indem er in den Ton seiner Stimme etwas wie liebevolle Fürsorge legte.

»Ob ich will! Mag Ihre Schwester mich doch bedienen, Ernesto«, bat er zögernd. »Ich langweile mich ja hier in diesen vier Wänden zu Tode! Man will sich auch mal über was anderes unterhalten als nur über geschäftliche Dinge.«

Der Italiener schüttelte bedauernd den Kopf. »Mariette hat in der Wirtschaft zu tun. Das wissen Sie, Amigo. Außerdem …«

Er machte eine kleine Pause.

»Nun … außerdem?«, fragte Merwinski, seine Schlitzaugen noch mehr zusammenkneifend.

»Ja … hm … ehrlich. Sehr sympathisch sind Sie Mariette gerade nicht, und da erscheint es für beide Teile besser, wenn sie sich möglichst wenig begegnen.«

Damit verließ Sagnali das Zimmer, und wie immer schloss der Zurückbleibende sofort hinter ihm ab.

Man war eben in der Wohnung des Schablonenfabrikanten sehr, sehr vorsichtig.

 

Sagnali hatte das Servierbrett auf den Tisch gestellt.

»Ernesto, besorgen Sie nur doch heute eine anständige Reisetasche, eine Brille mit blauen Gläsern und einen Schminkkasten«, sagte Merwinski und goss sich eine Tasse Kaffee ein.

»Ich muss ein paar Tage ins Freie – ich muss unbedingt! Plötzlich ist eine so mächtige Sehnsucht nach der frischen Luft, rauschenden Wäldern und im Sonnenschein glitzernden Gewässern über mich gekommen, dass ich es hier nicht länger aushalten kann. Noch in dieser Nacht reife ich als harmloser Schulmeister nach Potsdam und besuche all die Stätten wieder, wo ich als Knabe und junger Mensch gewandelt bin – so oft, so oft, wo ich mich an jeder Blüte, jeder summenden Biene erfreut habe und – dann ganz, ganz zufrieden war.«

Der Italiener hatte den anderen einen Augenblick fast argwöhnisch gemustert. Aber dieses Misstrauen verflog ebenso schnell. Er kannte ja Merwinskis Naturschwärmerei zur Genüge. Trotzdem hielt er sich für verpflichtet, ihn auf das Gefährliche eines solchen Ausfluges aufmerksam zu machen. Doch jener ließ sich von dem einmal gefassten Entschluss nicht mehr abbringen.

»Keine Sorge, Ernesto«, meinte er zuversichtlich. »So leicht stecke ich meinen Kopf in keine Schlinge, so leicht nicht! Außerdem – Sie werden erstaunt sein, wie vortrefflich ich mein edles Antlitz durch Schminken zu verändern vermag. Nein, reden Sie nichts mehr dagegen. Es bleibt dabei!«

Und wirklich verließ der völlig unkenntlich gewordene Merwinski kurz vor Mitternacht das Haus und fuhr in einem in der nächsten Straße zufällig haltenden Auto dem Potsdamer Bahnhof zu.