Der Teufel auf Reisen 45
Carl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Dritter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Neuntes Kapitel – Teil 5
Eine Jugendliebe
Inzwischen war der Herzog über Stock und Stein fortgesprengt, im Kampf der mannigfachsten Gefühle. Die Leidenschaft tobte in seiner Brust, er hielt sich für verraten, er war erbittert, dass man ihm ein Glück zerstören wollte, welches er als alleiniges Eigentum seines Herzens betrachtete und das er daher ungeschmälert genießen wollte, da er damit niemand schadete oder wehe tat. Er beschloss endlich, allen weiteren Zumutungen eine eiserne Stirn entgegenzusetzen und in dieser Angelegenheit auch ferner seinen eigenen Weg zu gehen. Einige Mal lenkte er nach der Grille zu, aber dann bog er wieder querfeldein. Im sausenden Galopp ging es dann weiter fort, ohne ein eigentliches Ziel zu verfolgen. Als endlich die Ermüdung des Körpers sich geltend machte, wurde auch das Gemüt ruhiger. Ein ernstes Nachdenken trat an die Stelle der Erregtheit, und als der Abend hereinbrach, kehrte der Herzog, zwar in tiefes Sinnen versunken, jedoch äußerlich besänftigt, zur Residenz zurück. Aber noch lange, bis tief in die Nacht, schritt er in seinem Zimmer, in Betrachtungen verloren, auf und ab. Ermattet und angegriffen befahl er am anderen Morgen, seinen Leibarzt zu sich zu bescheiden.
»Ich bin angegriffen und fühle mich unbehaglich«, bemerkte der Fürst, als Dahlburg eintrat. »Ich glaube ein Fieber oder irgend so etwas ist im Anzug und Ihre Hilfe, lieber Doktor, wird wohl nötig sein.«
»Euer Durchlaucht fiebern allerdings etwas«, sagte dieser, den Puls ergreifend, »aber diesmal dürfte höchstderen Unwohlsein weniger physischen Einflüssen, sondern vielmehr geistigen Einwirkungen zuzuschreiben sein.«
»Woher vermuten Sie dies?«, fragte der Herzog ziemlich betroffen.
»Nun, muss denn der Arzt nicht in vielen Fällen auch Psychologe sein? Euer Hoheit leiden, aber dieses Leiden sitzt nicht im Körper, sondern in der Seele.«
»Nun, weshalb sollte ich Ihnen die Wahrheit verhehlen. Ja, es ist so! Ich bedarf des Trostes, der Ermutigung. Werden Sie mir beides verweigern, wenn ich es von Ihnen erbitte?«
»Durchlaucht kennen meine aufrichtige Anhänglichkeit zu deren Person. Wenn höchstdieselben mich fragen, so werde ich antworten, wie es mir Pflicht und Wahrheit gebieten.«
»Sie wissen«, sagte der Fürst, »dass mich der Zufall ein junges Mädchen, Helene Helmstädt – eine Jugendfreundin von Ihnen, wenn ich nicht irre – kennenlernen ließ.«
»Ich weiß es«, entgegnete der Arzt, »nur zweifele ich, ob der bloße Zufall …«
»Davon später«, bemerkte der Herzog, leicht errötend. »Allerdings, das Spiel gewisser Personen ist mir jetzt klar und ich weiß, dass ehrgeizige Menschen mein Vertrauen missbraucht haben. Doch hiervon, wie gesagt, ein anderes Mal. Jetzt geben Sie mir eine aufrichtige Antwort. Billigen Sie mein Verhältnis zu Helene?«
»Euer Hoheit verlangen Aufrichtigkeit, ich antworte also mit einem entschiedenen Nein!«
Der Herzog wechselte die Farbe. »Auch Sie! …«, murmelte er, »der geprüfte Diener, der bewährte Freund!«
»Eben deshalb, Hoheit.«
»Indessen ich gebe Ihnen mein fürstliches Wort, dass das Verhältnis ein ganz reines ist«, sagte der Herzog, die Hand aufs Herz legend.
»Ich weiß es. Aber es wird im Laufe der Zeit immer so bleiben? Und wenn es anders würde, möchte dann die Reue nicht Euer Hoheit Herz ergreifen, oder würden daraus nicht die traurigsten Konflikte Höchstderen Familie und dem Land gegenüber entstehen?«
Der Herzog ging einige Male mit lebhaften Schritten nachdenkend im Zimmer auf und ab. Dann blieb er vor Dahlburg stehen, und sagte, indem er seinen forschenden Blick auf diesen heftete: »Sie glauben also, dass meine Pflicht mir gebietet, ein Opfer zu bringen?«
»Ich glaube es bestimmt, so schwer es auch Euer Hoheit fallen mag.«
Der Fürst drehte sich um und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Dann wendete er sich wieder zu dem Arzt und sagte: »Und für dieses Opfer, wo werde ich die Entschädigung finden?«
»In dem Bewusstsein treuer Pflichterfüllung, in der Liebe und Hochachtung des Landes«, entgegnete dieser unerschrocken.
»Sie sind ein redlicher Mann. Lesen Sie diese Depesche.« Der Herzog reichte unserem Bekannten ein offenes Schreiben, welches auf seinem Arbeitstisch lag.
»Eine Anzeige des Regierungspräsidenten von Wildbach, dass die Prinzess Elise morgen Vormittag im strengsten Inkognito die Landesgrenze passiert, und in Fischbach, wo die Pferde gewechselt werden, ein einfaches Dejeuner einzunehmen gedenkt«, sagte Dahlburg. »Nun, wollen Sie mich begleiten?«
»Euer Hoheit beabsichtigen die Prinzess zu empfangen?«
»Ich will sie sehen, ohne von ihr gesehen zu werden, daher natürlich die strengste Verschwiegenheit gegen jedermann.«
Der Arzt lächelte. »Euer Durchlaucht befinden sich bereits auf dem Wege der Besserung«, sagte er einen dankbaren Blick auf den Gebieter werfend. »Um wie viel Uhr befehlen Sie?«
»Morgen früh um acht. Es ist ein Ausflug, um das neuentdeckte Kohlenlager zu besichtigen, vergessen Sie dies nicht.«
»Ich habe wohlverstanden. Befehlen Durchlaucht sonst noch etwas?«
»Für heute nicht. Gehen Sie – ich bedarf der Ruhe und der Einsamkeit, wie Sie ja am besten wissen.«
Am anderen Tag wurde die geheimnisvolle Reise angetreten. Hinter einem Fenster verborgen, welches sorgfältig mit einer Gardine bedeckt war, lauschte der Fürst der Ankunft der hohen Reisenden, nachdem er dem Posthalter vorher bei seiner Ungnade das tiefste Stillschweigen geboten hatte. Die Prinzess war eine frische jugendliche Gestalt, mit einem sanften Blick mit einer zum Herzen sprechenden Stimme, voll Huld und Güte gegen ihre Umgebung.
Als der Herzog mit seinem Leibarzt wieder zu Lobenheim angekommen war, drückte er diesem beim Aussteigen die Hand und sagte: »Ich werde den Dienst nie vergessen, den Sie mir geleistet haben, doch auch der armen Helene werde ich gedenken, denn sie hat mir durch ihre Gesellschaft manche frohe Stunde bereitet. Obgleich dieselben sehr harmloser Natur waren, so weiß ich doch, dass sie dadurch dem stets lieblosen und herzlosen Urteil der Welt verfallen ist, was mich indessen nicht verhindern wird, ihr zu jeder Zeit meine Achtung zuzuwenden, denn niemals hat sie sich mir gegenüber etwas vergeben.«
Als der Kabinettsrat am anderen Tag in das Zimmer des Fürsten trat, empfing ihn dieser mit einem kalten Kopfnicken. Der glatte Höfling fuhr innerlich zusammen, denn eine geheime Stimme sagte ihm, dass nicht alles ganz richtig sei, aber er ließ sich nichts anmerken und wie gewöhnlich hielt er seinen Vortrag. Als derselbe beendet war, trat der Herzog in ernster Haltung auf ihn zu und richtete seinen durchdringenden Blick streng auf ihn.
»Mein Herr«, begann er – und der Baron zuckte zusammen, denn sonst war er nur gewohnt, sich mit »mein lieber Lövenzahn« angeredet zu sehen, – »mein Herr, Sie haben vielfach mein Vertrauen getäuscht und eine billige Strafe wäre es für Sie, wenn ich Sie ein Jahr auf die Festung schickte.«
»Durchlaucht! …«, stammelte der Baron.
»Still!«, sagte der Fürst gebieterisch, »hören Sie nun, was ich beschlossen habe. Ihre Stellung in meiner Nähe ist natürlich unhaltbar geworden, aber ich will Gnade für Recht ergehen lassen. Sie wollten den Richelieu im Kleinen spielen, aber ich versichere Ihnen, auch ohne Ihr Zutun soll mein Volk glücklich werden! Ich ernenne Sie zu meinem Gesandten am benachbarten Hofe und ich hoffe, diese Lehre wird Ihnen für die Zukunft von Nutzen sein. Hier«, fuhr der Herzog, ein Papier hervorziehend fort, »hier erteile ich Ihnen meine letzten Aufträge: Der Hofmarschall ist mit Pension in Gnaden entlassen und kann sich zur Ruhe setzen, den Kammerherrn ernenne ich zum Intendanten des von mir im vorigen Jahre neu eingerichteten Badeortes Franzensborn, und somit Gott befohlen, und was geschehen ist, sei vergessen.«
Der Herzog winkte und der seitherige Kabinettsrat zog sich unter einer tiefen Verbeugung zurück. Sein Herz pochte gewaltig, aber er erkannte doch die Gnade und Milde seines Herrn und er nahm sich vor, in dessen Dienst künftig das wieder gutzumachen, was er, von Ehrsucht getrieben, darin verdorben hatte. Einige Tage danach langte zwar nicht der Fürst, wohl aber der Doktor Dahlburg auf der Grille an. Helene erbleichte, aber der Arzt trat ihr unbefangen, ja herzlich entgegen.
»Der Herzog wird sich binnen kurzem vermählen«, sagte er, »und in seinem Auftrag komme ich, Ihnen dies zu melden.«
Das junge Mädchen wankte, unwillkürlich fasste es nach dem Herzen, als wolle es einen gewaltigen Schmerz bemeistern.
»Helene«, fuhr Dahlburg, diese teilnehmend nach einem Sessel führend, fort. »Es setzt mich einigermaßen in Verlegenheit, dass gerade ich dazu auserwählt ward, sie aus dem Traum, in dem Sie bisher lebten, zu erwecken. Aber sicher wird Ihnen dies Erwachen zum Heil und Segen gereichen. Der Herzog ist ein edler Mann und seine Achtung bleibt Ihnen, und Gott sei Dank, auch die meine ist Ihnen nicht verlorengegangen! Wollen Sie, dass ich Ihr Freund bleibe, so schlagen Sie ein – in Grünau schieden sich einst unsere Wege, vielleicht finden sie sich hier wieder zusammen.«
Der Doktor streckte Helene unter einem aufmunternden Lächeln seine Hand entgegen, und diese ergriff dieselbe, während ihre Tränen reichlich flossen.
»Gott ist mein Zeuge«, sagte sie bewegt, »dass ich einer solchen Freundschaft noch würdig bin. Habe ich gefehlt, nun, so war es wenigstens eine Verirrung, die keine Reue zurücklässt. Es war das Begegnen mit einem edlen Manne, ein Verhältnis, bei welchem ich vielleicht eben nur deshalb den Schein gegen mich hatte, weil der, welcher mich mit seinem Vertrauen beehrte, ein Fürst war.«
Der Doktor kam übrigens jetzt die Woche mehrere Mal nach der Grille und später kam er täglich. Als ein Jahr um war, wurde er mit Helene in der Schlosskapelle getraut. Sie blieb ihm eine zärtliche, ergebene Gattin, er blieb der treue Diener und Freund seines dankbaren Herrn.
Was den Kandidaten Florentin anbelangt, so erhielt derselbe durch die Vermittlung des Kämmerers Güldenstern eine reiche Pfründe und führte auch bald darauf die dicke Flora als Gattin heim. Auffallend genug kultivierte er aber keineswegs seinen Geschmack für die Dorfidylle, für welche er einst so sehr geschwärmt hatte. Der Sitz unter dem großen Lindenbaum vor der Pfarrwohnung, ungeachtet auf demselben der Storch bedeutungsvoll klapperte, blieb leer, dagegen konnte man unseren Florentin oft am Fenster stehen sehen, wie er, in stummes Sinnen vertieft, auf den Scheiben trommelte. Die Gläubigen seiner Gemeinde behaupteten zwar, er studiere auf diese Weise die Predigten ein, welche er am Sonntag zu halten hatte, dagegen meinten aber auch andere wieder, sie hätten ihn, wenn er so am Fenster stand, häufig ganz deutlich die Worte Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist vor sich hinsummen gehört. So viel steht fest, dass die junge Frau Prediger das Regiment unumschränkt im Hause führte und dass Florentin es nicht für angemessen fand, durch unzeitige Opposition den häuslichen Frieden zu stören.
So weit reichen die Mitteilungen aus dem Tagebuch des Doktor Schwalbe. Was diesen selbst anbelangt, so war er eines Morgens sehr erstaunt, in dem kleinen Salon, in welchem er stets den Kaffee einzunehmen pflegte, seinen Freund Schwefelkorn bereits ganz gemütlich beim Frühstück zu finden.
»Wie, Baron, schon zurück?«, rief er, indem er demselben überrascht seine Hand entgegenstreckte.
»Wie Sie sehen«, antwortete dieser, »freut mich, Sie wohl zu treffen.« »Wann langten Sie an?«
»Diesen Morgen vor dem ersten Hahnenschrei, natürlich«, fügte er mit einem bedeutsamen Lächeln hinzu, »als ehrbarer Reisender, mit der Eisenbahn.«
Leider war der Doktor bereits so sehr aus dem christlichen Leim gegangen, dass ihn diese Bemerkung nicht im Geringsten störte. Er nickte sogar sehr vertraulich und fragte: »Sind die Festlichkeiten gut abgelaufen?«
»Zur völligen Zufriedenheit. Aber mir tun noch alle Glieder von den gehabten Anstrengungen weh. Prinz Luzifer trat mir bei der Quadrille à la Cour auf mein linkes Hühnerauge und ich durfte doch keine Miene verziehen, sondern musste mich noch für diese gnädige Berücksichtigung meiner Person unter einer tiefen Verbeugung mit lächelndem Gesicht bedanken.«
»Na«, meinte Schwalbe, »wo so ein Pferdefuß hintritt, da wächst freilich kein Gras.«
Schwefelkorn rieb sich behaglich die Hände. »Ich bin ordentlich froh, dass ich wieder hier bin. Es ist merkwürdig, was man sich unter euch Menschen leicht heimisch fühlt.«
»Oh, es lebt sich hier auch gar nicht so übel«, bemerkte unser Philosoph. »Jeder heuchelt auf Erden nach seiner Weise, und Tugend – na, die Schminke kennt man schon, dadurch muss man sich nicht irremachen lassen! So sehr man Sie auch zu verabscheuen scheint, mein lieber Baron, so glaube ich doch, dass Sie im Stillen viele Freunde haben.«
Der Teufel grinste. »Wenn ich Ihnen mein Notizbuch zeigen wollte, so würden Sie erstaunen, was für Namen darin stehen. Aber ich bin nicht indiskret und somit wollen wir davon schweigen.«
»Na, ich schätze Ihr Zartgefühl. Aufrichtig gesagt, es wäre mir selbst nicht lieb, wenn die Welt einst erführe, wie nahe ich Ihnen gestanden habe.«
»Ha, ha«, erwiderte der Baron lachend, »die Heuchelei spielt bei euch Menschen doch die Hauptrolle!«
»Es hält schwer, sich von gewissen Vorurteilen loszureißen. Unsere Erziehung bringt das einmal so mit sich.«
»Ja, ja, die Erziehung! Aber mir ist’s schon recht, ich halte dabei die beste Ernte.«
»Sagen Sie mir doch, lieber Baron«, fuhr der Doktor, auf ein anderes Thema übergehend, fort. »Da habe ich während Ihrer Abwesenheit über verschiedene Gegenstände nachgedacht, und es sind mir dabei manche Zweifel aufgestiegen, die ich von Ihnen gelöst wünschte. Sagen Sie mir also, wen halten Sie denn eigentlich für besser, uns Männer oder die Frauen?«
»Nach den Erfahrungen, die ich gemacht habe, wird sich dies wohl so ziemlich gleich bleiben«, lautete die Antwort. »Im Allgemeinen dürfte die menschliche Natur wohl überall dieselbe sein.«
»Ja, sehen Sie, es wird doch aber so viel von bösen, zanksüchtigen, keifenden Frauen gesprochen. Der Name Xanthippe scheint eigens für dieselben erfunden worden zu sein, so dass man in der Tat glauben sollte, aller Unfrieden in der Ehe rühre von den lieben Evatöchtern her, und wir Männer, die wir uns das stärkere Geschlecht nennen, wären dabei so unschuldig wie ein neugeborenes Kind und trügen das uns auferlegte Kreuz mit einer Sanftmut und Geduld, welche die höchste Bewunderung verdient.«
Schwefelkorn lachte. »Man muss sich dabei nur auf den unparteiischen Standpunkt stellen«, sagte er, »und dann erscheint einem die Sache wohl in einem etwas anderem Licht. Allerdings kann man nicht in Abrede stellen, dass es manche böse Frau gibt. Aber ebenso wahr bleibt es, dass die Zahl der Männer, welche rücksichtslos, herrschsüchtig, roh und selbstsüchtig gegen diejenige verfahren, die sie sich zu ihrer Lebensgefährtin erwählt haben, eine noch weit größere ist. Wenn die Wahrheit hierbei nicht immer, wie es sein müsste, an den Tag kommt, so liegt dies hauptsächlich daran, weil die Männer, als die Stärkeren, in ihrer eigenen Sache Richter sind und weil deren Egoismus es nicht gestattet, dem schwächeren und leidenden Teil gegenüber die Mitschuld einzugestehen.«
»Ja, sehen Sie, auf diesem Gebiet möchte ich wohl gern praktische Studien machen, ein solches Kapitel würde in meinem ›psychologischen Werk‹ von großem Interesse für die Leser sein.«
»Nun, Ihr Wunsch soll erfüllt werden«, versprach Schwefelkorn lächelnd. »Ich kenne hier einen alten Rentier, namens Barnabas Bärbeiß, ein Prachtexemplar dieser Art, welchen Sie trefflich als Skizze werden benutzen können. Gibt es böse, unverträgliche Frauen, so bildet Herr Bärbeiß die Kehrseite der Medaille, denn er besitzt eine sanfte verträgliche Frau, eine liebenswürdige Tochter und eine mit ihm fast im gleichen Alter stehende Schwester, von der ihm vielfache Beweise der Opferbereitwilligkeit gegeben worden sind und welche offenbar bisher nur aus Liebe und Teilnahme für die Schwägerin und die Nichte die unerträgliche Grobheit und Tyrannei ihres Bruders ertrug, der nun einmal keine Ruhe zu halten vermag, obgleich es völlig in seiner Hand liegt, das gemächlichste und friedlichste Leben zu führen.«
»Sie wollen mich also mit demselben bekanntmachen?«
»Ich kenne ein Kaffeehaus, wo er jeden Nachmittag hingeht. Oberflächlich bin ich mit ihm schon früher unter dem Namen Reichel bekanntgeworden, natürlich auch als Rentier, denn Herr Bärbeiß ist ein Mann, der auf Stand und Würden hält. Es wird uns daher nicht schwerfallen, die bereits geknüpfte Bekanntschaft fortzusetzen, und da ihm jetzt eben eine Krisis bevorsteht …«
»Wie, eine Krisis?«
»Das Schicksal ist nämlich im Begriff, den alten Sünder beim Schopfe zu nehmen und ihn für die an seiner Familie begangenen Missetaten ganz gehörig zusammenzurütteln. Vielleicht führt dies zu seiner Besserung, jedenfalls steht uns aber eine ganz ergötzliche Unterhaltung bevor.«
»Wie so? Erklären Sie mir dies näher, wenn ich bitten darf.«
»Nun, Bärbeiß besitzt eine ganz hübsche Villa vor dem Tor. Der eine Flügel derselben ist augenblicklich zu vermieten, und er wird es sehr gern sehen, wenn wir davon Gebrauch machen.«
»Köstlich!«, rief Schwalbe, »so befinden wir uns dann also ganz in der Nähe, wenn die Krise eintritt.«
»Wir können dabei in aller Ruhe die Zuschauer abgeben. An interessanten Szenen wird es nicht fehlen.«
»Allerliebst. Das gibt doch wieder etwas Abwechslung.« Schwalbe, welcher immer mehr teuflische Manieren annahm, rieb sich schadenfroh die Hände.