Ausschreibung
Sternenlicht-Anthologie

Download-Tipp
Band 6

Heftroman der Woche

Archive
Folgt uns auch auf

Die Macht der Drei – Teil 17

Die-Macht-der-Drei

Reinhard Isenbrand, der Chef der großen Essener Stahlwerke, saß mit den vier Generaldirektoren der Werke zu intimer Besprechung versammelt.

»Meine Herren, wir müssen für unsere Werke zu der politischen Lage Stellung nehmen. Ich glaube nicht mehr, dass sich die weltgeschichtliche Auseinandersetzung zwischen England und der Union aufhalten lässt. Der Wetterzeichen sind zu viele, als dass ich noch an eine friedliche Entspannung glauben könnte.«

Der junge energische Chef der Werke machte eine kurze Pause und blickte seine Mitarbeiter an. Unbedingte Zustimmung lag auf den Mienen von Philipp Jordan, der das Auslandsgeschäft der Firma unter sich hatte. Zustimmend nickte der kaufmännische Generaldirektor Georg Baumann. Sie überschauten die politische Lage vollkommener als Professor Pistorius, der Chefkonstrukteur, und Fritz Öltjen, der Schöpfer der neuen Edelstahlfabrikation. Die beiden Techniker hatten noch die leise Hoffnung einer friedlichen Verständigung, wo die Kaufleute bereits eine unaufschiebbare Auseinandersetzung mit Waffengewalt erblickten.

Reinhard Isenbrand fuhr fort: »Nehmen wir den Konflikt als sicher an, so ist die Stellung Deutschlands und Europas zu ihm das Nächstwichtige … für uns das Wichtigste. Nach meinen Berliner Informationen wird Europa neutral bleiben. Die Pressestimmen, die sich seit einigen Tagen mit der Annullierung der europäischen Amerikaschulden durch ein siegreiches England befassen, halte ich für bestellte Arbeit. Eine direkte Beteiligung Europas an diesem Krieg wäre selbstmörderisch. Sie wäre überhaupt nur an der Seite Englands denkbar, aber dann wäre unser Land den Einwirkungen der amerikanischen Kriegsmittel fast wehrlos preisgegeben. Ich glaube, wir brauchen die Möglichkeit einer direkten Beteiligung am Krieg überhaupt nicht ernsthaft zu erörtern. Desto mehr aber unsere Maßnahmen als neutraler Staat.

Es ist klar, dass wir beide Parteien beliefern können, ohne unsere Neutralität zu verletzen. Die Sentimentalität haben wir Gott sei Dank verlernt. Mögen im Publikum Sympathien für diese oder jene Seite hier oder dort vorhanden sein. Für uns ist es reines Lieferungsgeschäft. Eine Möglichkeit, durch intensive Arbeit unsere Volkswirtschaft zu heben … die letzten Spuren vergangener Kriegsjahre zu tilgen.

Auch über die Transportfrage brauchen wir uns den Kopf nicht zu zerbrechen. Wir liefern frei ab Essen. Wie die Besteller die Ware von dort weiterschaffen, ist ihre eigene Sache. Sind die Herren der gleichen Meinung?«

Philipp Jordan erbat das Wort.

»Die Transportfrage ist für England sehr einfach. Es bringt die Fabrikate auf dem Landweg und durch den Kanaltunnel bequem auf die Insel. Bis Calais deckt die Neutralität die Transporte. Von dort der Unterseetunnel … wenn er nicht wider Erwarten von amerikanischer Seite zerstört wird.

Für die Transporte nach Amerika kommen U-Boote und Flussschiffe in Betracht. Ich hörte, dass die Union mit zwanzig Prozent Verlust aller Sendungen auf dem Luftweg durch den Kaperkrieg rechnet. Der Satz ist in ihren Kalkül eingestellt.

Aber die Transportfrage ist nicht unsere Sorge. Sie ist nicht einmal die Hauptsorge der Kriegführenden. Beide Parteien werden vielfach nur kaufen, um die Ware für den Gegner zu sperren, und werden sie ruhig hier im Land lassen.«

»Dann die Frage der Preise?«

Reinhard Isenbrand sagte es mit einem Blick auf Georg Baumann.

»Die Preise sind durch die deutsch-französische Industriegemeinschaft festgelegt. Nach unten, nicht nach oben …«

Georg Baumann legte die Hand auf eine starke Preisliste.

»Hier sind die Grundpreise für Stahl und alle Stahlfabrikate. Wir haben in der Gemeinschaft verhandelt und für den Fall des Kriegsausbruches einen sofortigen Aufschlag von 300% in Aussicht genommen.«

»Was sollen wir verkaufen?«

Die Frage des Chefs war allgemein gestellt. Professor Pistorius ging an ihre Beantwortung.

»Das wird in der Hauptsache von der Länge des bevorstehenden Krieges abhängen. Für kurze Kriegsdauer Halbfabrikate. Bei längerer Kriegsdauer Fertigfabrikate.

Sachverständige rechnen damit, dass 40% sämtlicher Luftstreitkräfte in den ersten zehn Kriegstagen vernichtet sein werden. Es wird alles davon abhängen, ob der Krieg so lange dauert, dass ein Ersatz des verlorenen Materials in Frage kommt. Die Amerikaner suchen durch die Masse zu ersetzen, was ihnen an Qualität abgeht. Sie arbeiten fieberhaft am Ausbau ihrer R.F.c.-Flotte. Inzwischen ist unser Typ ausgebildet, der die anderthalbfache Geschwindigkeit entwickelt. Die Kriegführenden werden uns jeden Motor des neuen Typs zu jedem Preis aus den Händen reißen …«

Ein Klingelzeichen der pneumatischen Post auf dem Seitentisch. Ein Briefchen sprang aus der Kapsel. Es war an Philipp Jordan adressiert. Reinhard Isenbrand runzelte unwillkürlich die Brauen. Die Konferenz sollte nicht gestört werden.

Jordan riss den Umschlag auf.

»Das Wettrennen hat begonnen. Mein Vertreter meldet mir, dass Mr. Stamford als Bevollmächtigter von Cyrus Stonard bei ihm ist. Er will unsere gesamte Rohstahlerzeugung ab Kokille kaufen. Fest für zwei Jahre. Zweitausend Dollar die Tonne.«

»Alle Wetter. Der Herr aus Amerika hat es eilig.«

Der Ruf entfuhr Fritz Öltjen, der um seinen Stahl besorgt war.

»Wird nicht gemacht.« Isenbrand sagte es kurz und knapp. »Nur feste Mengen zum Konventionspreis.«

Jordan schrieb die Antwort nieder und schickte sie durch die pneumatische Post zurück.

Professor Pistorius äußerte sich über die voraussichtliche Dauer des Krieges. Vier Jahre von 1914 bis 1918 der große Europäische Krieg. Zwei Jahre der erste Japanische Krieg. Neun Monate der zweite. Die Reihe konvergierte stark. Nach dieser Voraussetzung musste auch der kommende Krieg kurz sein.

Schon wieder meldete sich der pneumatische Apparat. Eine neue Mitteilung an Jordan. Mr. Stamford wollte eine Million Tonnen Rohstahl fest kaufen. Es war ein Auftrag von zwei Milliarden Dollar. Cyrus Stonard gab sich nicht mit Kleinigkeiten ab. Nahm man als das Wahrscheinliche an, dass seine Agenten zur gleichen Stunde bereits in allen anderen europäischen Stahlwerken verhandelten, so musste er für rund fünfzig Milliarden Dollar kaufen. Öltjen überschlug die Produktionsziffern der Industriegemeinschaft. Baumann kalkulierte. Jordan schrieb die Frage nach der Art der Zahlung.

Die Antwort kam in einer Minute zurück.

»Gute Dollarschecks. Zahlbar bei den besten Banken des Kontinents.«

Reinhard Isenbrand wechselte einen Blick mit Jordan.

»Der Dollar wird fallen. Wir brauchen reale Werte. Verpfändung amerikanischer Bodenschätze. Von Erzgruben und Petroleumquellen im Werte von zwei Milliarden. Sonst machen wir das Geschäft nicht.«

Die Antwort flog in das Postrohr.

Professor Pistorius sprach weiter: »Unsere Fabrikation ist zu mehr als 99% eine Friedensfabrikation. Aber wir haben zwei Spezialitäten, die auch für den Krieg in Betracht kommen. Flugzeugmotoren. Dann unsere durch Kreisel stabilisierten Unterwasserboote für Handelstransporte. Unsere Stabilisierung ist besser als die der Kriegsboote der streitenden Mächte.«

Wieder ein Zeichen der Pneupost. An Philipp Jordan. Aber diesmal von einem anderen Vertreter. Mr. Bellhouse verhandelte für England über die sofortige Lieferung von hunderttausend Motoren. Preise der Industriegemeinschaft. Zahlbar in Gold.

Noch bevor die Herren darüber einen Beschluss fassen konnten, warf das Rohr einen neuen Brief aus. Mr. Stamford lehnte die Verpfändung amerikanischer Bodenschätze ab. Offerierte dafür den Betrag in deutscher, in der Union gemachter Anleihe mit Golddeckung.

Reinhard Isenbrand lehnte ab.

»So reich find wir vorläufig noch nicht, dass wir unsere eigenen Anleihen zurücknehmen können. Verpfändung oder keinen Stahl!«

Das englische Angebot war einer Diskussion wert.

Der nächste Brief betraf Mr. Stamford. Er holte drahtlos neue Informationen von Washington ein. Würde in einer Stunde neues Angebot machen.

Der englische Antrag war gut. Aber er war noch besser, wenn er nach Kriegsausbruch kam. Dann traten die 300% Zuschlag automatisch ein. Auch die Vollmachten Isenbrands waren durch die Industriegemeinschaft beschränkt. Wurde jetzt abgeschlossen, geschah es wahrscheinlich zu Preisen, die schon in wenigen Tagen weit überholt sein konnten.

Das Rohr warf ein neues Briefchen in den Raum. An den Chef selbst.

»Meine Herren, in diesem Augenblick meldet unser Berliner Vertreter: Die Regierungen von Russland, Deutschland und Frankreich haben unbedingte Neutralität beschlossen. Sich gegenseitigen Schutz derselben verbürgt! Es ist so gekommen, wie ich es vermutete. Für die Abschlüsse folgende Gesichtspunkte: Die Valuten beider Kriegführenden werden stürzen. Lieferung daher nur gegen Zahlung in deutscher Währung. Oder gegen Verpfändung von Bodenschätzen. Gold ist mit Vorsicht in Zahlung zu nehmen. Sein Kurs ist Schwankungen unterworfen. Wenn die Abschlüsse vor Kriegsausbruch getätigt werden, ist für alles nach dem Ausbruch zu liefernde Material der Aufschlag der Industriegemeinschaft einzusetzen.

Das große Wettrennen um die Erzeugnisse unserer Arbeit hat begonnen. Ich hörte, dass der linksstehende Teil unserer Arbeiterschaft proenglisch gegen den Gewaltherrscher Stonard ist. Sorgen Sie für Aufklärung. Wir haben jetzt nicht Politik zu treiben, sondern nur für unsere Volkswirtschaft zu arbeiten und zu verdienen. Geben Sie mir Bericht, sobald sich etwas von Wichtigkeit ereignet. Im Anschluss an größere Aufträge sind die Vermehrung der Belegschaft und der Ausbau der Werke sofort in Angriff zu nehmen.«