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Gold – Kapitel 4

Gold-Band-1Friedrich Gerstäcker
Gold
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 4
Die Plaza von San Francisco

Die Plaza oder der Hauptplatz von San Francisco, jetzt ein mit prachtvollen und massiven Gebäuden umgebener Platz, zeigte im Sommer des Jahres 1849 noch ein buntes Gemengsel von Holzbaracken und Zelten, wie sie die ersten Einwanderer nur flüchtig aufgeschlagen hatten.

Die obere Front nahm allerdings noch das alte Gerichtshaus ein, das, aus ungebrannten Backsteinen, sogenannten adobies erbaut, unter mexikanischer Herrschaft aufgerichtet worden war. Sonst aber war in den wenigen Monaten, die seit der Entdeckung des Goldes erst verflossen waren, der spanische Charakter desselben schon ganz verschwunden und ein Stadtteil dort entstanden, der sich in seiner wunderlichen Mischung von Wohnhäusern mit keinem anderen Ort der Welt mehr vergleichen ließ.

Nur an der unteren Front, dem Courthouse gerade gegenüber, stand ein einzelnes mehrstöckiges Holzgebäude, das schon erwähnte Parkerhaus, das ein Amerikaner namens Parker aufgebaut und enormen Mietzins, teils von den Spieltischen, teils von Wirtschaft und Gastzimmern zog.

Dicht daneben befand sich das El Dorado – eine der prachtvollsten Spielhöllen der Welt – damals nur ein großes weit gedehntes Zelt. Rechts und links reihten sich andere kleinere Zelte und Holzschuppen an, in denen fast in allen gespielt und getrunken wurde und die für den Augenblick keinen anderen Zweck hatten, als ihre Insassen nur wenigstens unter ein Dach zu bringen.

Die Plaza bildete dabei den eigentlichen Mittelpunkt der Stadt, und während sie von den Hauptstraßen gekreuzt wurde, konzentrierte sie den eigentlichen Verkehr San Franciscos. Was von Fremden in die Stadt kam, suchte vor allen Dingen diesen Ort auf oder wurde von dem Menschenstrom dorthingedrängt. Sämtliche Hausierer besonders glaubten hier den vorteilhaftesten Platz zum Ausstellen ihrer Waren zu finden und boten diese hier teils in tragbaren Körben, teils auf rasch hingestellten und beweglichen Tischen aus. Eine Kontrolle für diese Leute fand natürlich noch nicht statt, und wer irgendeinen Gegenstand feilbieten wollte, konnte seinen Ort sich selber dazu wählen. War er dem freien Verkehr dort, wohin er sich stellte, im Wege, so drängte ihn die Menschenmasse schon selber beiseite.

Der Hauptstrom der Menschenmenge wogte aber an den Häusern hin, und die meisten schlenderten nur aus einem Spielzelt in das andere oder gingen eben auf der dort vorüberführenden Straße ihren Geschäften nach. Auf der Plaza selber sammelten sich nur hier und da kleine Gruppen oder kamen Einzelne quer herüber, den Weg zu einer der Wasserstraßen abzukürzen.

Dort hatte Siftly seinen neu gefundenen Freund verlassen, und Hetson blieb, als die bunte Serape des Amerikaners schon lange in dem Gedränge der Fußgänger verschwunden war, noch immer wie träumend auf derselben Stelle stehen und starrte vor sich nieder.

Die Trostgründe, die Siftly für ihn gehabt hatte, schienen nämlich seine Unruhe eher vermehrt als verringert zu haben, denn hatte dieser es nicht als ziemlich fest angenommen, dass ihm der gefürchtete Nebenbuhler wirklich folgen würde?

Schon der Gedanke daran trieb ihm aber das Blut in rasender Schnelle durch die Adern und ließ sein Herz stärker klopfen. Es war der Gedanke eines möglichen Verlustes seiner Frau, den er nicht verfolgen durfte, wenn er nicht fürchten wollte, wahnsinnig zu werden. Vergebens kämpfte er auch selber mit allen Vernunftgründen dagegen an, vergebens sagte und wiederholte er sich, dass ihn Jenny liebe, dass sie ihn nicht wieder verlassen würde – es blieb umsonst.

Ein tückischer Geist flüsterte ihm wieder und wieder ins Ohr, dass die erste Liebe das Herz eines Menschen nie verlasse, und seine krankhaft erregte Einbildungskraft malte sich dabei den Nebenbuhler mit allen Reizen der Jugend geschmückt aus, der nur erscheinen dürfe, das Herz seiner Gattin aufs Neue zu voller Liebe zu entstammen.

Über die Plaza kam eine einzelne wunderliche, uns übrigens nicht unbekannte Gestalt, die selbst von den an das Sonderbare hier genügsam gewöhnten Amerikanern nicht unbeachtet vorbeigelassen wurde, denn hier und da blieben Einzelne stehen und sahen ihr kopfschüttelnd nach.

Es war ein alter Bekannter von uns: Ballenstedt, der mit seinem erbsgelben Kragenmantel, die Hosen aufgestreift, die Stiefel frisch geschmiert, den Hut etwas nach hinten fest in den Kopf gedrückt, in der linken Hand sein Bündel und unter dem linken Arm den grünbaumwollenen Regenschirm geklemmt, in der rechten aber einen Spaten haltend, langsam und bedächtig über den Platz herüberkam und nicht ganz einig mit sich zu sein schien, welche der davon abzweigenden Straßen er eigentlich wählen solle. Er blieb wenigstens manchmal stehen, sah sich nach den verschiedenen Himmelsrichtungen um und konnte dabei zu keinem rechten Resultat gelangen.

Endlich hatte er die Stelle erreicht, auf welcher Hetson noch immer in sich verloren stand, ging auf ihn zu, berührte leise mit dem Griff des Spatens seinen Ellbogen und sagte: »Hören Sie einmal, könnten Sie mir nicht sagen, wo ich hier am schnellsten in die Minen komme?«

Hetson drehte sich rasch und fast erschreckt nach dem Frager um, dieser aber, der alsbald den Reisegefährten erkannte, fuhr enttäuscht und ziemlich unbekümmert, ob er ihn verstand oder nicht, fort: »Ach Herr je, Sie sind ja auch von uns. Ja da werden Sie auch noch nichts wissen. Na nehmen Sie es nicht übel. Gehen Sie auch in die Minen?«

Hetson schüttelte unwillig mit dem Kopf, zum Zeichen, dass er nicht verstehe, was der Fremde sage – kannte er ihn doch nicht einmal in dem weiten entsetzlichen Mantel. Zugleich drehte er sich rasch ab von ihm und schritt – entschlossen die Fremdenlisten jedenfalls nachzusehen – dem Courthouse zu.

»Na, der ist grob«, brummte Ballenstedt mürrisch vor sich hin. »Trag du aber meinetwegen die Nase so hoch du willst, in vier Wochen tausche ich doch nicht mit dir, so viel weiß ich!«

Seinen Spaten wieder fester packend, wollte er eben seinen Weg fortsetzen, als er von ein paar laut lachenden Stimmen angerufen wurde.

»Ballenstedt … he … hallo, Ballenstedt!«

Er blieb stehen und drehte sich nach den Rufern um. Aufrichtig gestanden war ihm aber nichts daran gelegen, von alten Schiffsgenossen angesprochen und aufgehalten zu werden. Er hatte keine Zeit mehr zu vertrödeln, und je eher er in die Minen kam, desto besser. Wohin er ging, brauchte überdies niemand zu wissen.

»Ballenstedt, Junge!«, rief aber einer der beiden, die auf den Reisegefährten zueilten und lachend bei ihm stehen blieben. »Donnerwetter, wo soll die Reise nun hingehen? Doch nicht direkt zum Buddeln?«

Es war Lamberg, der augenscheinlich der Flasche ein wenig zugesprochen hatte und den Hufner begleitete.

»Soll ich mich etwa erst noch hier einmieten und Geld verzehren?«, sagte aber Ballenstedt, der eine weitere Begrüßung für unnötig hielt. »Ich habe keine lange Zeit, denn ich muss in zehn Monaten wieder in Deutschland sein.«

»In zehn Monaten?«, gab Lamberg lachend von sich. »Da wirst du verwünscht wenig da oben herausschaufeln können, denn fünf musst du auf die Rückreise rechnen.«

»Das schadet nichts«, erwiderte Ballenstedt ruhig. »Ich brauche auch nur 20 000 Taler.«

»20 000 Taler? … so? … mehr nicht?«, rief Lamberg verwundert, »und das sagt der Mensch da mit einer Ruhe, als ob er das Papier in der Tasche hätte und nur auf die Bank zu gehen brauchte, es ausgezahlt zu bekommen. Und was willst du mit der kleinen Summe machen, Alterchen?«

»Den neuen Hof zu Hesselbach kaufen«, sagte Ballenstedt. »Der kostet gerade so viel.«

»Und glauben Sie wirklich, dass Sie in der kurzen Zeit so viel Gold herausgraben können, Herr Ballenstedt?«, fragte da Herr Hufner, dem die bestimmte Zuversicht des Mannes imponierte.«

»Wirklich glauben?«, sagte aber Ballenstedt ordentlich verwundert. Na, wenn ich das nicht gewiss wüsste, weshalb wäre ich denn da die vielen Tausend Meilen hier nach Kalifornien gekommen, he?«

»Hahahahaha!« Lamberg lachte laut auf. »Ballenstedt ist göttlich!«

Hufner aber, den Zeit und Summe, seiner eigenen Zwecke wegen, außerordentlich ansprachen und der auch wohl nebenbei in den derben Fäusten des Burschen eine Garantie für die Erdarbeit sah, der er sich doch nicht so recht gewachsen fühlte, sagte: »Wenn ich das wüsste, Herr Ballenstedt, dann hätte ich große Lust, gleich mit Ihnen zu gehen. Zu zweien arbeitet es sich überdies immer besser als allein, und morgen früh wollte ich ohnedies aufbrechen. Haben Sie einen Augenblick Zeit?«

»Wer? Ich …«, fragte Ballenstedt. »Nein!«

»Ich meinte nur höchstens zehn Minuten«, drängte aber Hufner. »Das können Sie mir schon aus alter Kameradschaft zuliebe tun. Meine Sachen sind bereits zusammengeschnürt und ich brauche sie nur da drüben in der Straße abzuholen. Nicht wahr, Sie warten einen Augenblick auf mich?«

»Sie sind wohl nicht klug«, rief da Lamberg, dem dieser rasche Entschluss auf solche Grundlagen hin doch außer dem Spaß war. »Ballenstedt weiß doch auch die Stellen nicht, wo es sitzt.«

»Nicht wahr, Sie bleiben hier einen Augenblick?«, rief aber Herr Hufner noch einmal, dem ein unbestimmtes Gefühl sagte, dass er den glücklichen Moment getroffen habe und ihn jetzt beim Schopfe erwischen müsse, wenn er ihm nicht wieder unter den

Händen entschlüpfen solle. Ohne deshalb auch nur eine Antwort Ballenstedts abzuwarten, lief er über die Plaza hinüber zur Kearney Street hinein, und Lamberg, der ihm den tollen Entschluss noch ausreden wollte, folgte ihm, so rasch er nur konnte.

»So?«, brummte aber Ballenstedt leise vor sich hin, »mitgehen, nicht wahr? Auf dem Schiff hat sich der Monsieur den Henker um mich gekümmert, und jetzt, wo ihm das Gold in die Nase sticht, bin ich ihm auf einmal gut genug. Na, ich will ihm nur wünschen, dass er mich wieder findet.«

Wie er die beiden um die nächste Ecke verschwinden sah, bog er eine andere Straße ein und ließ sich nicht wieder blicken.

Eine gute Viertelstunde mochte vergangen sein, als von der Bay herauf ein Karren mit Gütern beladen fuhr. Hinter ihm drein ging mit gebücktem Kopf, ein Kind an jeder Hand, eine Frau, und neben ihr ein älterer, anständig gekleideter Herr, der ein drittes Kind auf dem Arm trug. Er schien sich aber in dieser Situation nicht besonders behaglich zu befinden, denn er schaute, trotz des neuen Lebens, das ihn an allen Seiten umgab, weder rechts noch links um sich, als ob er damit die Aufmerksamkeit der ihm Begegnenden ebenfalls von sich ablenken könne. Das half ihm jedoch nur wenig, denn gerade, als der kleine Zug die Mitte der Plaza erreicht hatte, rief ihn eine bekannte Stimme an.

»Assessor – Donnerwetter, wo wollen Sie hin?«

Der Assessor Möhler drehte etwas scheu den Kopf nach der Seite, von der die Stimme kam, und erkannte seinen alten Schiffskameraden, den Justizrat, der, mit der langen Pfeife im Mund, wie er ihn eigentlich an Bord auch nie anders gesehen, hinter ihnen drein gekommen war.«

»Ach, Herr Justizrat«, sagte der Assessor freundlich, »ist mir doch sehr angenehm, Sie auf festem Land begrüßen zu können. Ich gehe, wie Sie sehen, mit der armen Frau Siebert in die Stadt hinauf, in das Kosthaus, in dem ihr seliger Mann gestorben ist.«

»Hm … ja … hab’s gehört … tut mir leid. Eigentlich verfluchte Geschichte«, brummte der Mann des Gerichts in einem leisen Anflug von Mitgefühl. »Na, schadet weiter nichts«, setzte er dann aber auch gleich, gewissermaßen als Trost hinzu, »können dann Erbschaft gleich antreten und mit nächstem Schiff wieder umkehren. Heilloses Land, das Kalifornien … fordern einem für ein Pfund schlechten Knaster sieben Dollar ab … noch gar nicht dagewesen. Wie kann eine Frau da existieren?«

Die arme Frau antwortete keine Silbe. Der Schmerz und Schreck hatte sie niedergebrochen, und so zuversichtlich, ja selbstbewusst sie auch an Bord dem Leben in Kalifornien entgegengesehen hatte, so niedergedrückt, so tot für alles, was außer ihr geschah, war sie jetzt. Der Justizrat nahm indessen weiter keine Notiz von ihr und erkundigte sich bei dem Assessor nach seinem Kosthaus, dem er zuging, da er selber das Schiff nur deshalb verlassen hatte, um sich einen Wohnplatz auszusuchen, ehe er sein Gepäck an Land schaffte. Da er übrigens die Worte auf seine gewöhnliche barsche Art herauspolterte, und sich dabei dicht neben dem Assessor hielt, fing das Kind, das dieser auf dem Arm trug, wieder an zu schreien und wollte sich gar nicht beruhigen lassen. Den Justizrat konnte das allerdings nur wenig abhalten, in seinen Meinungsäußerungen über das Land, von dem er eigentlich noch gar nichts gesehen hatte, fortzufahren.

Der kleine Einwanderer schien aber entschlossen, das Wort zu behalten. Ja lauter der Justizrat sprach, desto mehr schrie das Kind, und die Leute auf der Straße blieben schon stehen, ihnen nachzusehen.

War doch auch selbst ein kleines Kind etwas Ungewöhnliches in Kalifornien.

Dem armen Assessor besonders war seine Lage aufs Äußerste peinlich. Er warf ein paar Mal einen halb verzweifelten Blick auf den neben ihnen herfahrenden Güterkarren, ob er dort nicht vielleicht seine kleine unruhige Last deponieren könne. Dies ging aber doch nicht gut an. Die Mutter nahm gleichfalls nicht die geringste Notiz von dem Kind, das sie vollkommen gut aufgehoben wusste. Dem Mann blieb schon nichts anderes übrig, als eben auszuharren.

Die Umstehenden würden sich vielleicht mehr mit der wunderlichen kleinen Karawane beschäftigt haben, hätte San Francisco in jener Zeit nicht unausgesetzt zu viel des Neuen und Sonderbaren geboten, dem Einzelnen auch nur mehr als einen flüchtigen Blick zu schenken. Die Aufmerksamkeit der Leute wurde überdies auf einen anderen Trupp gelenkt, der sie allerdings auch mehr verdiente.

Die Gerüchte nämlich, die damals im Ausland über Kalifornien umliefen, schilderten das Land kaum besser als eine Art von umfangreicher Räuberhöhle, in dem man fortwährend mit gespannten Pistolen seinen Sack voll Gold und sein Leben zu wahren hätte. Dass in einem noch so wilden Land zuweilen ungesetzliche Handlungen vorfielen, ließ sich allerdings nicht leugnen. Die ganzen Zustände waren ungesetzlich, wenn auch freilich nicht in dem Maße, in dem sie geschildert wurden.

Dem zufolge hatten sich denn auch die meisten Einwanderer, die sich ein Land ohne Polizei noch nicht recht denken konnten, mit allen nur tragbaren Waffen reichlich versehen. Gewehre, Dolche sowie Pistolen spielten bei dem Minengepäck eine nicht unbedeutende Rolle.

Das Nonplusultra dieser fast krankhaften Selbstschutzmanie bot aber ein kleiner Trupp von Leuten, die in diesem Augenblick über die Plaza zogen, und allerdings der auf sie gewandten Aufmerksamkeit wert waren.

Die kleine Gesellschaft bestand aus fünf Personen, deren Führer eine fast riesengroße Gestalt, mit krausem schwarzen Bart und mächtigem Schulterbau, gravitätisch voranschritt. Der Mann, der sicher seine sieben Fuß in den Schuhen stand, trug einen breitrandigen weißen Filzhut, eine grüne Bluse und lichte Beinkleider, um den Leib aber einen etwa fünf Zoll weiten weißlackierten Ledergurt und an diesem einen riesigen Pallasch, der hinter ihm klirrend den trockenen Staub aufwühlte. Neben dem Pallasch aber hing noch ein mäßiger Hirschfänger mit Hirschhorngriff, wahrscheinlich zu engem Handgemenge bestimmt, und neben diesem wieder ein etwa 18 Zoll langer Nickfänger zum Zusammenklappen, aber ebenfalls in einer Scheide. Rechts im Gürtel stak außerdem ein Dolch mit Terzerolläufen daran, und zwei doppelläufige Pistolen füllten den vorderen Raum aus. Zugleich hing ihm über der Schulter eine leichte Vogelflinte von enormem Kaliber.

Trotzdem passte zu dieser wahrhaft verzweifelten Armierung das Gesicht des Mannes keineswegs, der mit seinen roten Backen und treuherzigen blauen Augen gar gutmütig und freundlich, ja sogar etwas erstaunt umherschaute. Möglich, dass er geglaubt hatte, er würde sich bei seiner Landung jeden Zoll breit des Bodens mit der blanken Waffe erkämpfen müssen, und er schien nun überrascht zu sein, nirgends auch nur auf den geringsten Widerstand zu stoßen.

Komisch aber wurde sein Erscheinen durch seine vier Begleiter, zu denen er sich – vielleicht absichtlich – den kleinsten Menschenschlag ausgesucht zu haben schien. Die vier kleinen Burschen, die ihm folgten, und von denen keiner selbst das Militärmaß haben konnte, trugen dabei eben solche Bärte und Kleider wie er, nur allerdings im verjüngten Maßstab. Auch fehlte ihnen der Pallasch, denn ihre Bewaffnung begann bei dem Hirschfänger, der auch besser zu ihrer Statur passte. Sonst waren sie gleichfalls reichlich mit Dolchen und Pistolen versehen und zogen dabei einen kleinen vierrädrigen Handkarren, wahrscheinlich mit ihrem Gepäck. Ein großer und vier kleine Koffer standen wenigstens darauf, von einer Garnitur von Schaufeln, Spitzhacken, Blechpfannen, Kochgeschirr und Regenschirmen umgeben, und die vier kleinen Riesen, von denen zwei wahrscheinlich abwechselnd zogen, und die anderen beiden mit der Flinte auf der Schulter als Wacht hinterdrein gingen, folgten dem großen vertrauensvoll, wohin er sie führen würde.

Es waren übrigens unverkennbar Deutsche – schon die baumwollenen Regenschirme verrieten das. Hätte sie auch nur ein Zug ihrer Mienen oder ein Stück ihrer Kleider Lügen gestraft, und still und schweigend, ohne sich um irgendjemand zu bekümmern, schritten sie über die Plaza hin und verschwanden bald in einer der nach Westen führenden Nebenstraßen.

In diesem Augenblick erschien Herr Hufner wieder auf dem Schauplatz, und zwar in Schweiß gebadet, und ängstlich überall nach der wunderlichen Gestalt Ballenstedts umhersuchend. Der aber war nirgend mehr zu finden, und auf einige, in höchst mittelmäßigem Englisch getane Fragen an Vorübergehende, schickte man den bestürzten jungen Mann rasch hinter dem kleinen Trupp der Bewaffneten drein.

Hier erkannte Hufner allerdings gar bald, dass er sich geirrt hatte. Ballenstedt war aber in diesem Gewirr von Menschen nicht mehr aufzufinden, und die Deutschen, an die er sich wandte, wussten ihm ebenfalls keine Auskunft zu geben.

Der Schaden ließ sich jedoch ersetzen. Vielleicht war er imstande, seine Aussichten um ein Bedeutendes zu verbessern, wenn er sich dieser Karawane anschloss. Bekam er dadurch doch auch zu gleicher Zeit Gelegenheit, sein schweres Bündel, das ihn schon tüchtig schwitzen ließ, auf eine Fuhre zu bringen. Ohne Weiteres wandte er sich auch deshalb an den Führer des kleinen Trupps und sagte: »Hört einmal, Landsleute, ich habe eben meinen Kameraden verloren, mit dem ich in die Minen wollte. Wenn es Euch aber recht ist, so bleibe ich bei Euch, und wir können dann da oben zusammenarbeiten.«

»Und wo haben Sie Ihre Waffen?«, fragte da der Riese, der zu Hufners Erstaunen eine ganzmerkwürdig feine und weiche Stimme hatte.

»Meine Waffen?«, sagte dieser etwas verblüfft, »Waffen habe ich gar keine, mein Brotmesser ausgenommen, und eine kleine Pistole hier. Sie ist aber nicht geladen, denn ich fürchte, sie möchte mir einmal von selber in der Tasche losgehen. Zu Bremen ist neulich so ein Unglück vorgefallen.«

»Keine Waffen?«, rief da der Riefe und machte vor lauter Erstaunen Front gegen ihn, »und womit wollen Sie sich denn da verteidigen?«

»Ja«, stotterte Herr Hufner, »ist es … ist es denn so gefährlich oben in den Minen? Ich glaubte …«

»Gefährlich?« wiederholte jedoch mit einem fast mitleidigen Achselzucken der Riese. »Sehen Sie uns einmal an. Glauben Sie, dass wir bis an die Zähne bewaffnet ausrücken würden, wenn es nicht gefährlich wäre?«

»Aber Ballenstedt hat nur einen Regenschirm und eine Schaufel bei sich«, sagte Herr Hufner bestürzt.

»Armer Mann«, seufzte leise der Riese, »wer weiß, unter welchem Baum seine Knochen in den nächsten Tagen bleichen werden. Wir gedenken, uns jeden Abend ordentlich zu verschanzen. Ein paar Stunden können wir fünf schon einen tüchtigen Wall aufwerfen und sind auch gern gesonnen, noch mehr tüchtige Besatzung zu uns stoßen zu lassen. Aber wehrhafte Männer müssen wir haben. Mit dem Schirm da können Sie sich nicht verteidigen. Und selbst Ihr Terzerol ist nicht genügend. Unter diesen Umständen tut es mir also leid, Sie nicht meiner kleinen Schar einverleiben zu dürfen. Es ist gegen unsere Statuten.«

»Aber da kann ich doch nicht ganz allein …«

»Bedauere sehr«, unterbrach ihn der Gewaltige, »hier in Kalifornien hat aber jeder für sich selber zu sorgen. Achtung, Ihr Leute … Ordnung beibehalten … Vorwärts … Marsch!« Und gegen Herrn Hufner freundlich und huldreich die linke Hand neigend, machte er einen militärischen Schwenk, warf den rechten Arm in die Höhe und stellte sich wieder an die Spitze des Zugs, der im nächsten Augenblick seinen unterbrochenen Weg fortsetzte.

Herr Hufner blieb noch eine ganze Weile unschlüssig auf derselben Stelle stehen, auf der ihn jene verlassen hatten, und der Gedanke stieg in ihm auf, ihnen von Weitem zu folgen, sich wenigstens den Schutz ihrer Nähe zu sichern. Seine angeborene Bescheidenheit verwarf das aber wieder, denn er wollte nicht zudringlich erscheinen, und kehrte endlich, da eine Menge Menschen gegen ihn anrannten, wieder in sein eben verlassenes Quartier zurück. Unter solchen Umständen durfte er natürlich nicht wagen, allein in die Minen zu wandern, und es blieb ihm nichts weiter übrig, als sich Waffen anzuschaffen und irgendeine andere Gesellschaft abzuwarten, der er sich mit Sicherheit anschließen konnte.

 

Auf der Plaza nahm indessen das geschäftige Leben, trotzdem dass die Sonne sich mehr und mehr dem Horizont neigte und ihre rote Scheibe schon hinter dem Rand der Küstenberge verschwand, noch nicht ab. Von allen Seiten wogten die Mengen herüber und hinüber, und schwergeladene Karren kamen ununterbrochen vom Ufer herauf, gelandete Passagiergüter in die verschiedenen Kosthäuser – oder vielmehr Kostzelte – abzuliefern.

Die Einwanderung war gerade in dieser Zeit außerordentlich beträchtlich, denn die ersten glänzenden Nachrichten von der Entdeckung und dem Reichtum der Goldfelder hatten draußen in der Welt gewirkt, und von allen Weltteilen zugleich kamen die Abenteurer herbeigeströmt, jene fabelhaften, in ihrer Einbildungskraft noch verhundertfachten Schätze auszubeuten. Zehn bis zwölf Schiffe an einem Tag waren etwas ganz Gewöhnliches, und verhinderte der Wind manchmal die Fahrzeuge am Einlaufen in die Bay, so überstieg ihre Zahl, sobald er sich wieder günstig drehte, gar nicht selten zwanzig.

Die große Mehrzahl von all den Passagieren, die sie mitbrachten, sahen aber San Francisco nur eben als ersten Landungsplatz an, in dem sie sich keine bleibende Stätte suchen wollten. Ihnen waren die Berge das Ziel, das sie so rasch wie möglich zu erreichen strebten. Sie hätten vielleicht nicht einmal die erste Nacht in einem Kosthaus geschlafen, vor dessen hohen Preisen sie sich fürchteten, wäre ihnen nicht das eigene Gepäck im Wege gewesen. Aber wohin mit dem? Ihre Koffer und Kästen konnten sie nicht mit in die Minen schleppen, und sie mussten deswegen jetzt schon suchen, für ihr Gepäck irgendwo ein Unterkommen zu finden.

So waren die meisten Passagiere der Leontine den ganzen Nachmittag herumgelaufen, eine sichere Lagerung für ihr Gepäck aufzutreiben, – aber ohne Erfolg. Die Wirte erklärten sich allerdings bereit, das Gepäck in Verwahrung zu behalten, aber einstehen konnten sie nicht dafür, ihm nicht einmal mehr Schutz gegen Regen geben, als das etwas zweifelhafte Zeltdach gewährte. Lagermiete betrug nichtsdestoweniger einen Dollar für einen Koffer per Monat und zwei Dollar für eine Kiste.

Aber das half nichts, hatten sich die Leute daheim, Tausende von Meilen entfernt, von Freunden und Verwandten, von allem losgerissen, an denen ihr Herz hing, so konnten sie sich hier nicht von einem Koffer oder einer Kiste festhalten lassen. In irgendeinen, ihnen angewiesenen Verschlag von Leinen oder Brettern wurden deshalb die verschiedenen Kolli hineingeschleppt. Der Wirt stellte einen Zettel aus, dass er das und das Stück erhalten habe, aber weiter nicht dafür hafte, und fort zogen die Goldlustigen in die Minen, selbst ohne Abschied von ihrem Gepäck zu nehmen – und doch, in wie wenig Fällen sahen sie es wieder.

»Fort in die Minen!«, hieß der allgemeine Ruf. Die wenigen, in San Francisco damals noch erscheinenden Zeitungen steigerten die Hast mit jedem Tag durch immer neue, immer fabelhaftere Berichte frisch entdeckter Schätze. Jede Stunde, die die »Goldwäscher« noch hier ausharren mussten, hielten sie für verloren. In rastloser Ungeduld durchstreiften sie die Stadt, als ob sie mit dem Umherwandern die Zeit selber betrügen könnten.

Gerade diese Tausende aber, die solcher Art ohne Beschäftigung in San Francisco lagen und am nächsten Tag wieder größtenteils von anderen ersetzt wurden, füllten die zahlreichen Spielsäle, von denen es schon eine enorme Anzahl in der Stadt gab. Einmal konnten sie dort am besten ihre Zeit verkürzen, da es die einzigen Plätze waren, auf denen man sich zusammenfand. Dann blieb es zugleich ein Beginn des Goldlandes, ein Probierstein, wie günstig ihnen das Glück in den Minen sein würde. Jedenfalls, hieß es, müsse man Fortuna einmal die Tür öffnen und ihr Gelegenheit geben, hereinzukommen. Fünfzehn bis zwanzig – ja auch wohl mehr Dollar – opferte fast jeder auf den grünen Tischen.

Dass dort falsch gespielt wurde, fiel ihnen natürlich nicht ein. Die Leute sahen so ehrlich aus, das Spiel selber ging einen so geregelten Gang. Ein Betrug konnte ja da kaum vorkommen – und doch verschwand ihr Geld. Es hat nicht sein sollen, trösteten sie sich dann, und wohl ihnen, wenn sie es damit aufgaben.