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Hexen- und Gespenstergeschichten 1

Hexen-und-Gespenster-GeschichtenHexen- und Gespenstergeschichten
Ein geschriebenes Lesebuch aus dem Jahr 1806

An Hexen und Gespenster
glaubt kein gescheiter Mann.
Nur in verrückten Köpfen
trifft man noch sowas an.

I. Hexengeschichten
1. Das behexte Kind

An den Ufern der Donau lag das kleine Dorf Pflughausen, in welchem ein reicher Bauernsohn die schöne, aber arme Tochter eines Tagelöhners, Eleonore mit Namen, heiratete. Nach Ablauf eines Jahres schenkte ihnen Gott ein Kind. So groß in den ersten Wochen dieses Glückes die Freude der Eltern war, so groß war ihre Traurigkeit, als das Kind, kaum 14 Tage alt, zu kränkeln anfing. Aber noch trauriger als die Kränklichkeit des Kindes war die Dummheit und Unwissenheit der meisten Dorfbewohner, welche jeden kranken Zufall am Menschen und Vieh gleich übernatürlichen Einwirkungen gleich den Hexen zuschrieben. Die gute Lore und ihr Mann waren zwar durch den guten Unterricht, den sie in der Schule empfingen, in diesen Stücken schon aufgeklärter. Aber sie wurden selbst von ihren Eltern, noch mehr aber von der Hebamme und den Nachbarinnen mit tausend Hexengeschichten, die sich bei Wöchnerinnen ereignet haben sollen, widerlegt und mit ihren beredten Mäulern überschrien. Es waren gerade nebst der Hebamme zwei Nachbarinnen bei Lore, sahen mit heimlicher Schadenfreude das weinende Kind an, als sich folgendes Gespräch, das zuletzt mit heftigen Schreien endete, ereignete.

Hebamme. Mit verbissenem Zorn zu Lore: »Hab ich’s nicht prophezeit? Aber wem nicht zu raten, ist auch nicht zu helfen.«

Lore: »Ach! Sei mir doch still, Susanne! Mein Kind ist nicht verhext.«

Hebamme: »Was! Nicht verhext? Da, Lisel! Schau einmal die Augen des Kindes an! Grete! Betracht einmal seine Händlein! Was sagt ihr dazu?«

Beide miteinander: »Ach, das Gott erbarm! Durch und durch ist’s verhext.«

Hebamme: »War nicht dein Kind, Lisel, just auch so?«

Lisel: »Freilich ja, die Augen, die Hände, das Schreien just so.«

Hebamme: »Und hat’s nicht gleich geholfen?«

Lisel: »Als wenn man’s weggeblasen hätte. Doch mein Mittel hat gewiss auch viel beigetragen.«

Franz, der Bauer: »Hebamme! Was hat dann geholfen?«

Hebamme: »Ich hab’s deiner Lore auch geraten, aber sie war viel gescheiter!«

Franz: »Sag, was hat dann geholfen?«

Hebamme: »Gleich bei dem Kirchgang zur heiligen Taufe stecke ich Brot und Salz zu mir. Ich hab’s von deiner Lore auch begehrt, aber …«

Franz: »Ist dies alles?«

Hebamme: »Das Hauptmittel für ein verhextes oder beschrienes Kind, das allzeit geholfen, ist: Ich messe das Kind mit meinen drei Schurzzipfeln dreimal und sage oft dazu:

Hat dich verhext ein Mann,
so komm es ihm selber an.
Hat dich verhext ein Weib,
so komm es in ihren Leib.
Hat sich verhext ein Mädchen oder Knab,
so wisch ich’s mit meinen drei Schurzzipfeln ab.

Im Namen Gott des Vaters, Sohns und Heiligen Geists, Amen † † †«

Lisel: »Dies Mittel ist zwar probat, wenn das Kind wirklich schon verhext ist, aber besser ist doch immer machen, dass es nicht beschrien werde.«

Franz (der das Lachen kaum unterdrücken kann): »Nun, was muss man denn da tun?«

Lisel: »Vierzehn Tage muss man das Kind verkehrt in die Wiege legen, alle Abende seinen Kopf in den Brotschrank ungefähr sechs Minuten heben, den Besen umgekehrt in der Küche aufstellen, und solange das Weib in den Wochen ist, keinem Menschen was aus dem Haus leihen. Dies ist das Beste.«

Grete: »Noch lange nicht. Ich habe sieben Kinder gehabt und Gottlob keines behext worden, weil ich in die Wiege einen Salva Veni Saudreck gelegt habe. Denn nichts können die Hexen und Teufel weniger leiden als diesen.«

Franz lachte nun, dass ihm der Bauch hüpfte, und sprach: »Um Gotteswillen! Liebe Frauen! Wie ist es doch möglich, dass ihr gar so dumm handeln könnt!«

Da fing er an, ihnen das Unvernünftige aller ihrer Mittel sonnenklar zu zeigen, ging dann zum Arzt in die Stadt, der sein Kind durch eine geringe Arznei in wenigen Tagen vollkommen gesund wieder herstellte.